Erfolgt die persönliche Anhörung des Betroffenen im Unterbringungsverfahren ohne die Möglichkeit einer Beteiligung des bestellten Verfahrenspflegers, ist sie verfahrensfehlerhaft und verletzt den Betroffenen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG und in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG1. Bei unfreiwilliger Abwesenheit des Verfahrenspflegers vom Anhörungstermin ist die Anhörung grundsätzlich verfahrensfehlerhaft. Ausnahmen kommen insoweit in Betracht, wenn der Verfahrenspfleger im Nachhinein auf die Wiederholung der Anhörung verzichtet oder die unfreiwillige Abwesenheit in seine Sphäre fällt.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall war im Beschwerdeverfahren eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen geboten, weil das Beschwerdegericht mit dem noch vom Amtsgericht im Abhilfeverfahren eingeholten Sachverständigengutachten für seine Entscheidung eine neue Tatsachengrundlage herangezogen hat2. Dabei durfte das Beschwerdegericht nicht von der Teilnahme der Verfahrenspflegerin an der Anhörung des Betroffenen absehen:
Die Bestellung eines Verfahrenspflegers in einer Unterbringungssache gemäß § 317 Abs. 1 Satz 1 FamFG soll die Wahrung der Belange des Betroffenen in dem Verfahren gewährleisten. Er soll bei den besonders schwerwiegenden Eingriffen in das Grundrecht der Freiheit der Person nicht allein stehen, sondern fachkundig beraten und begleitet werden. Der Verfahrenspfleger ist daher vom Gericht im selben Umfang wie der Betroffene an den Verfahrenshandlungen zu beteiligen. Dies gebietet es zumindest dann, wenn das Betreuungsgericht bereits vor der Anhörung des Betroffenen die Erforderlichkeit einer Verfahrenspflegerbestellung erkennen kann, in Unterbringungssachen regelmäßig, den Verfahrenspfleger schon vor der abschließenden Anhörung des Betroffenen zu bestellen. Das Betreuungsgericht muss durch die rechtzeitige Bestellung eines Verfahrenspflegers und dessen Benachrichtigung vom Anhörungstermin sicherstellen, dass dieser an der Anhörung teilnehmen kann. Außerdem steht dem Verfahrenspfleger ein eigenes Anhörungsrecht zu. Erfolgt die Anhörung dennoch ohne die Möglichkeit einer Beteiligung des bestellten Verfahrenspflegers, ist sie verfahrensfehlerhaft und verletzt den Betroffenen sowohl in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG als auch in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG, weil die Anhörung als Kernstück der Amtsermittlung zu den bedeutsamen Verfahrensgarantien zählt3. Der rechtzeitig vom Termin unterrichtete Verfahrenspfleger kann sodann allerdings selbst entscheiden, ob er an dem Termin teilnimmt4.
Bei unfreiwilliger Abwesenheit des Verfahrenspflegers vom Anhörungstermin ist die Anhörung grundsätzlich verfahrensfehlerhaft und zu wiederholen. Ausnahmen kommen insoweit in Betracht, wenn der Verfahrenspfleger im Nachhinein auf die Wiederholung der Anhörung verzichtet oder die unfreiwillige Abwesenheit in seine Sphäre fällt. Letzteres ist beispielsweise bei einer Verspätung des Verfahrenspflegers denkbar, die er dem Gericht nicht ankündigt5.
Gemessen daran ist die Anhörung des Betroffenen durch das Beschwerdegericht verfahrensfehlerhaft erfolgt.
Ausweislich der Akten hat das Beschwerdegericht die Verfahrenspflegerin zwar über den Anhörungstermin informiert. Sie hat aber auf eine Teilnahme an der Anhörung nicht verzichtet; vielmehr hat sie die Kenntnis von dem auf den 15.03.2021 (13 Uhr) in der Klinik bestimmten Anhörungstermin am 11.03.2021 bestätigt und um kurzfristige Übermittlung der Beschwerdeschrift gebeten. Die Verfahrenspflegerin hat auch im Nachhinein nicht auf eine Wiederholung der Anhörung verzichtet. Denn aus einem Vermerk der Geschäftsstelle der Beschwerdekammer geht hervor, dass die Verfahrenspflegerin am 15.03.2021 telefonisch mitgeteilt hat, sie sei um 12:55 Uhr in der Klinik erschienen. Dort habe man ihr am Empfang mitgeteilt, dass der Richter noch nicht anwesend sei, während man ihr ca. eine Viertelstunde später auf erneute Anfrage auf Station mitgeteilt habe, dass der Richter schon wieder weg sei. Falls der zuständige Richter weitere Nachfragen habe, könne er gern mit ihr Rücksprache halten. Daraus folgt zugleich, dass die unfreiwillige Abwesenheit vorliegend auch nicht in die Sphäre der Verfahrenspflegerin fällt.
Der Betroffene ist durch diesen Verfahrensmangel in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt worden.
Die Feststellung, dass ein Betroffener durch die angefochtene Entscheidung in seinen Rechten verletzt ist, kann grundsätzlich auch auf einer Verletzung des Verfahrensrechts beruhen. Dabei ist die Feststellung nach § 62 FamFG jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn der Verfahrensfehler so gravierend ist, dass die Entscheidung den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung hat, der durch Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist. Das Unterbleiben einer verfahrensordnungsgemäßen persönlichen Anhörung des Betroffenen stellt einen Verfahrensmangel dar, der derart schwer wiegt, dass der genehmigten Unterbringungsmaßnahme insgesamt ein solcher Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung anhaftet. Die durch § 319 Abs. 1 Satz 1 FamFG angeordnete persönliche Anhörung in Anwesenheit des Verfahrenspflegers gehört zu den bedeutsamen Verfahrensgarantien, deren Verletzung die Feststellung nach § 62 FamFG rechtfertigt6.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 1. Februar 2023 – XII ZB 166/21
- im Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 14.09.2022 – XII ZB 554/21 FamRZ 2022, 1873; und vom 15.02.2017 – XII ZB 462/16 FamRZ 2017, 755[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 15.02.2017 – XII ZB 462/16 FamRZ 2017, 755 Rn. 23 ff. mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 14.09.2022 – XII ZB 554/21 FamRZ 2022, 1873 Rn. 5 mwN; und vom 15.02.2017 – XII ZB 462/16 FamRZ 2017, 755 Rn. 18 mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 14.09.2022 – XII ZB 554/21 FamRZ 2022, 1873 Rn. 5 mwN[↩]
- vgl. BFH Beschluss vom 18.12.2009 – III B 118/08 11[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 14.09.2022 – XII ZB 554/21 FamRZ 2022, 1873 Rn. 9 ff. mwN[↩]
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