Solange sich das Gericht keine abschließende Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit eines entscheidungserheblichen Gesetzes gebildet hat, ist die Aussetzung eines Verfahrens nach § 21 Abs. 1 FamFG ohne gleichzeitige Vorlage an das Bundesverfassungsgericht möglich, wenn die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes bereits Gegenstand einer anhängigen Verfassungsbeschwerde oder Richtervorlage ist. Das Vorliegen eines Aussetzungsgrundes nach § 21 FamFG unterliegt der vollen Nachprüfung durch das Beschwerdegericht. Das Beschwerdegericht hat dabei grundsätzlich die durch das vorinstanzliche Gericht vertretene Rechtsauffassung hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit und der Entscheidungserheblichkeit einer Rechtsvorschrift zugrunde zu legen.

Nach § 21 Abs. 1 FamFG kann das Gericht das Verfahren aus wichtigem Grund aussetzen, insbesondere wenn die Entscheidung ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Verfahrens bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Das Vorliegen eines Aussetzungsgrundes als Voraussetzung für die Ermessensentscheidung unterliegt im Beschwerdeverfahren der uneingeschränkten Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht1.
Soweit im vorliegenden Fall allerdings die Frage zu beurteilen ist, ob Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB bestehen, ist in dem durch § 21 Abs. 2 FamFG eröffneten Rechtsmittelzug allein die Rechtsansicht des Amtsgerichts zugrunde zu legen, das § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB für verfassungsgemäß gehalten hat.
Hält das mit der Hauptsache befasste Gericht eine entscheidungserhebliche Norm für verfassungsgemäß und lehnt es deshalb eine Aussetzung des Verfahrens und eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG an das Bundesverfassungsgericht ab, kann diese Überzeugung des vorinstanzlichen Gerichts nach allgemeiner Meinung nicht zum Gegenstand der Überprüfung in einem Rechtsmittelverfahren gegen Zwischenentscheidungen gemacht werden2. Ein Fachgericht kann nur aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (§ 31 Abs. 1 BVerfGG) dazu verpflichtet werden, ein entscheidungserhebliches Gesetz nicht anzuwenden. Solange es an einer bindenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts fehlt, bleibt die Frage, welche gesetzlichen Vorschriften bei der Entscheidungsfindung angewendet werden dürfen, ein Element der Sachentscheidung, die nach der sich aus dem Gerichtsverfassungsgesetz ergebenden Aufgabenverteilung dem Gericht der Hauptsache zugewiesen ist3. Das mit einem Rechtsmittel gegen eine Aussetzungsentscheidung befasste Fachgericht kann seine eigene Überzeugung von der Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes nicht an die Stelle der Überzeugung des vorinstanzlichen Gerichts setzen.
Ebenfalls der Überprüfung im Rechtsmittelzug weitgehend entzogen ist die rechtliche Beurteilung des mit der Hauptsache befassten Gerichts zur Frage der Entscheidungserheblichkeit des Gesetzes, über dessen Verfassungsmäßigkeit die Beteiligten streiten; auch an diese Rechtsansicht der Vorinstanz ist das Beschwerdegericht gebunden, sofern sie nicht offensichtlich falsch ist4. Im vorliegenden Fall unterliegt es keinem Zweifel, dass die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB entscheidungserhebliche Bedeutung hat. Denn würde § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB, der die Grundlage der behördlichen Vaterschaftsanfechtung darstellt, gegen Grundrechte des betroffenen Kindes verstoßen, könnte der Rechtsstreit nicht entschieden werden.
Ob auf der Grundlage dieser materiellrechtlichen Beurteilungen durch das Gericht der Hauptsache ein wichtiger Grund zur Aussetzung des Verfahrens vorliegt, ist in dem durch § 21 Abs. 2 FamFG eröffneten Beschwerdeverfahren vollständig zu prüfen.
Die Aussetzung des Verfahrens nach § 21 Abs. 1 FamFG (oder den vergleichbaren Bestimmungen anderer Verfahrensordnungen) ohne gleichzeitige Vorlage an das Bundesverfassungsgericht ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes grundsätzlich möglich, wenn die Verfassungsmäßigkeit eines entscheidungserheblichen Gesetzes bereits Gegenstand einer anhängigen Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG) oder Richtervorlage (Art. 100 Abs. 1 GG) geworden ist. Voraussetzung für eine solche Aussetzung ist allerdings, dass sich das mit der Hauptsache befasste Fachgericht wie hier das Amtsgericht – noch keine abschließende Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der anzuwendenden Rechtsnorm gebildet hat5. Im anderen Falle kann und muss das von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugte Gericht sein Verfahren durch Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG an das Bundesverfassungsgericht fördern.
Ob das Gericht bei Vorliegen eines Aussetzungsgrundes von der Möglichkeit der Verfahrensaussetzung nach § 21 Abs. 1 FamFG Gebrauch macht, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen6.
Bei dieser Ermessensentscheidung ist insbesondere zu berücksichtigen, ob den Beteiligten die aussetzungsbedingte Verfahrensverzögerung zugemutet werden kann7. Trägt das mit der Hauptsache befasste Gericht – wie hier das Amtsgericht – keinerlei Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der entscheidungserheblichen Vorschrift, spricht dies in der Regel gewichtig dafür, den Interessen derjenigen Verfahrensbeteiligten, die nicht auf eine Aussetzung angetragen haben, an einer zügigen Erledigung des Verfahrens den Vorrang einzuräumen8.
Mit Recht hat das Beschwerdegericht allerdings erkannt, dass die Entscheidung des Amtsgerichts auf einer zumindest unvollständigen Würdigung aller maßgeblichen Umstände beruhte, weil bei der Ausübung des Ermessens auch solche möglichen Nachteile in den Blick zu nehmen sind, die im Falle einer Verfahrensfortführung auf der Grundlage einer möglicherweise verfassungswidrigen Vorschrift entstehen könnten9.
Zutreffend weist die Rechtsbeschwerde indessen darauf hin, dass jedenfalls für den Beteiligten zu 2 bei einem Fortgang des Verfahrens in der Hauptsache keine Nachteile zu besorgen gewesen wären, auch wenn das Amtsgericht die von ihm bereits angekündigte Beweisaufnahme durch Einholung eines Abstammungsgutachtens durchgeführt hätte.
Das Bundesverfassungsgericht hat zur Begründung für den Erlass einstweiliger Anordnungen (§ 32 Abs. 1 BVerfGG), die es im Rahmen von anhängigen Verfassungsbeschwerden gegen Zwischenentscheidungen betreffend die Einholung eines Abstammungsgutachtens in behördlichen Vaterschaftsanfechtungsverfahren erlassen hat, mehrfach darauf abgestellt, dass bei einer ungeklärten sozialfamiliären Bindung das eine Vaterschaft ausschließende Ergebnis eines Abstammungsgutachtens dazu geeignet wäre, eine möglicherweise bestehende sozialfamiliäre Beziehung zwischen Vater und Kind zu stören oder zu zerstören10. Unter diesen Voraussetzungen würde auch in der hier vorliegenden Konstellation ein schwerwiegender Eingriff in das Elternrecht des Vaters (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) vorliegen, wenn das Bundesverfassungsgericht später § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB für verfassungswidrig erklären und damit dem behördlichen Vaterschaftsanfechtungsverfahren die Rechtsgrundlage entziehen würde.
Allerdings ist unter den hier obwaltenden Umständen nach den vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen bereits unstreitig, dass zwischen dem betroffenen Kind und dem Beteiligten zu 2 keine sozialfamiliäre Beziehung besteht. Darüber hinaus hat sich der Beteiligte zu 2 in diesem Verfahren mit der „Aberkennung der Vaterschaft“ einverstanden erklärt und seine Mitwirkung an einer molekulargenetischen Abstammungsuntersuchung ausdrücklich angeboten. Ein Verfahrensfortgang könnte daher unabhängig von der möglichen Verfassungswidrigkeit des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB ersichtlich nicht zu einer Verletzung verfassungsrechtlich geschützter Belange des Beteiligten zu 2 führen.
Dies gilt indessen nicht für die Grundrechte des betroffenen Kindes und der beteiligten Kindesmutter, die sich der Mitwirkung an einer molekulargenetischen Abstammungsuntersuchung voraussichtlich widersetzen werden.
Jede Untersuchung und Verwendung von DNA-Identifizierungsmustern greift in das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG verbürgte Persönlichkeitsrecht in der Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ein. Denn zu den grundrechtlich geschützten Daten gehören auch solche, die Informationen über genetische Merkmale einer Person enthalten, aus denen sich in Abgleich mit den Daten einer anderen Person Rückschlüsse auf die Abstammung ziehen lassen11. Die Weigerung, an einer molekulargenetischen Abstammungsuntersuchung mitzuwirken, ist Ausfluss dieses (negativen) informationellen Selbstbestimmungsrechts12. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird zwar nicht schrankenlos gewährleistet. Es darf aber nur im überwiegenden Interesse anderer Personen oder der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden13.
Müssten das betroffene Kind und die Kindesmutter daher aufgrund einer Beweisanordnung des Amtsgerichts eine Untersuchung ihres genetischen Materials dulden und erweist sich später, dass keine verfassungsgemäße Grundlage für das behördliche Anfechtungsrecht besteht, wäre wegen fehlender Rechtfertigung durch ein überwiegendes öffentliches Interesse in ihre Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen worden. Vor ungerechtfertigten Zugriffen auf das Datenmaterial des Kindes ist die sorgeberechtigte Kindesmutter im Übrigen auch im Hinblick auf ihr Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) zu schützen, denn ihr Sorgerecht umfasst auch das Recht, darüber bestimmen zu können, ob genetische Daten des Kindes erhoben und verwertet werden dürfen11. Der Umstand, dass die mögliche Weigerung des Kindes und seiner Mutter, an einer Abstammungsuntersuchung mitzuwirken, naheliegende aufenthaltsrechtliche Motive haben dürfte, ändert an der Grundrechtsrelevanz des mit der Abstammungsuntersuchung verbundenen Eingriffes nichts.
Soweit die Rechtsbeschwerde weiter geltend macht, dass durch die Verfahrensaussetzung auch das Grundinteresse des betroffenen Kindes an der Kenntnis von seiner tatsächlichen Abstammung beeinträchtigt wird, ist darauf hinzuweisen, dass ein Anfechtungsverfahren nicht vorrangig der Verwirklichung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung, sondern vielmehr der Herstellung einer Übereinstimmung von biologischer und rechtlicher Vaterschaft dient14.
Wenn das Beschwerdegericht vor diesem Hintergrund offensichtlich davon ausgeht, dass im Hinblick auf die Grundrechtsrelevanz der Abstammungsuntersuchung die Nachteile der Verfahrensfortführung im Falle der Verfassungswidrigkeit von § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB die Interessen des Antragstellers an einer zügigen Erledigung des Verfahrens überwiegen, hält diese Ermessensausübung der eingeschränkten15 Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht stand.
Im Übrigen erweist sich die Entscheidung des Beschwerdegerichts zum jetzigen Zeitpunkt schon deshalb als richtig, weil sich der Bundesgerichtshof – nach Erlass der angefochtenen Entscheidung – der Auffassung angeschlossen hat, dass die behördliche Vaterschaftsanfechtung nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB in ihrer derzeitigen gesetzlichen Ausgestaltung wegen der Verletzung des Gebots der Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder (Art. 6 Abs. 5 GG) verfassungswidrig ist. Der Bundesgerichtshof hat zwei bei dem Bundesgerichtshof als Rechtsbeschwerdegericht anhängige Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ausgesetzt und Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Frage eingeholt16.
Zwar ist bereits dargelegt worden, dass für die Frage nach dem Vorliegen eines Aussetzungsgrundes im Rahmen des nach § 21 Abs. 2 FamFG eröffneten Beschwerderechtszuges grundsätzlich die Rechtsauffassung des mit der Hauptsache befassten Gerichts zugrunde zu legen ist. Die von einem übergeordneten Fachgericht gewonnene Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit einer entscheidungserheblichen Rechtsnorm kann allerdings im Rahmen der Ermessensausübung Bedeutung gewinnen, wenn dieses als zuständiges Gericht mit einem Rechtsmittel gegen die Entscheidung in der Hauptsache befasst werden kann und bereits feststeht, dass es die der Verfassungsbeschwerde oder der anderweitigen Richtervorlage zugrundeliegende Rechtsauffassung teilt17. In diesen Fällen verbleibt dem Gericht kaum Spielraum bei der Ausübung seines Aussetzungsermessens, weil es den auf Verfahrensaussetzung antragenden Beteiligten regelmäßig nicht zuzumuten ist, das Verfahren erst in eine höhere Instanz tragen zu müssen, um dort die von ihnen erstrebte Aussetzung zu erreichen.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10. Oktober 2012 – XII ZB 444/11
- vgl. BGH Beschluss vom 12.12.2005 II ZB 30/04, NJW-RR 2006, 1289 Rn. 6[↩]
- vgl. OLG Bremen NJW 1956, 387; OLG Karlsruhe FamRZ 1979, 845; OLG Düsseldorf NJW 1993, 411[↩]
- vgl. Keidel/Sternal FamFG 17. Aufl. § 21 Rn. 54[↩]
- vgl. BAG NZA 2009, 1436 Rn. 9[↩]
- BGH, Beschluss vom 27.06.2012 – XII ZB 89/10, FamRZ 2012, 1489 Rn. 6; BGH Beschlüsse vom 25.03.1998 – VIII ZR 337/97, NJW 1998, 1957 und vom 18.07.2000 – VIII ZR 323/99 – RdE 2001, 20[↩]
- BGH, Beschluss vom 05.11.2008 – XII ZB 53/06, FamRZ 2009, 303 Rn. 23[↩]
- KG OLGZ 1966, 357, 359; BayObLGZ 1967, 19, 23; OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, 832; OLG München FGPrax 2008, 254, 259[↩]
- vgl. BGH Beschluss vom 14.03.2007 – X ZB 9/06 – GRUR 2007, 859, 861[↩]
- vgl. auch BVerfG FamRZ 2011, 787 Rn. 21[↩]
- vgl. BVerfG FamRZ 2011, 787 Rn. 22; und Beschluss vom 07.10.2010 – 1 BvR 2509/10[↩]
- BVerfG FamRZ 2007, 441, 443[↩][↩]
- BGH, Beschluss BGHZ 162, 1, 4 = FamRZ 2005, 340[↩]
- BGH, Beschluss BGHZ 162, 1, 5 = FamRZ 2005, 340; vgl. auch BVerfG FamRZ 2007, 441, 443[↩]
- vgl. BVerfG NJW 2009, 425, 426[↩]
- vgl. dazu BGH Urteil vom 24.11.1995 – V ZR 174/94, NJW 1996, 1054, 1055 mwN[↩]
- BGH, Beschlüsse vom 27.06.2012 – XII ZR 89/10, FamRZ 2012, 1489 Rn. 34 ff. und – XII ZR 90/10 – juris Rn. 32 ff.[↩]
- vgl. OLG Stuttgart FamRZ 2003, 538, 539[↩]