Mit der Überzeugungsbildung des Gerichts über eine im Ausland abgeschlossene Hochschulausbildung des Betreuers hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof in einem Fall zu befassen, in dem Urkunden darüber bei der Flucht des Betreuers aus dem Land verloren gegangen sind.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall stritten die Beteiligten um die Vergütungsansprüche der Betreuerin, die im September 2014 zur Berufsbetreuerin für den Betroffenen bestellt worden ist. Nach einer von ihr selbst, ihrem Bruder und einer Bekannten vor einem deutschen Notar zur Vorlage bei Gerichten und Behörden abgegebenen eidesstattlichen Versicherung besuchte sie von 1969 bis 1975 die Universität in Teheran und erlangte dort den Abschluss „Diplom-Psychologe“. Die Zeugnisurkunde darüber sei bei ihrer Flucht aus Iran 1991 verlorengegangen.
Auf den Vergütungsantragder Betreuerin hat das Amtsgericht Köln im Beschlusswege eine aus der Staatskasse auszuzahlende Vergütung in Höhe von 264 € unter Zugrundelegung eines erhöhten Stundensatzes von 44 € festgesetzt1. Das Landgericht Köln hat die Beschwerde der Staatskasse zurückgewiesen2. Das Landgericht hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass die Betreuerin über eine abgeschlossene Ausbildung an einer Hochschule verfüge. Dies sei durch Vorlage der 1993 abgegebenen eidesstattlichen Versicherung vor dem Notar nachgewiesen. Begründete Zweifel an der Richtigkeit der dort gemachten Angaben bestünden nicht. Gestützt würden die eidesstattlich versicherten Angaben dadurch, dass die Stadt Köln die Betreuerin jahrelang im Status einer Diplom-Pädagogin beschäftigt habe. Ausweislich eines erstellten Zwischenzeugnisses habe sie sich den Aufgaben auch gut gewachsen gezeigt. Diverse besuchte Fortbildungen zeugten ebenfalls von einem ausgeprägten Interesse an psychologischen Themen, was die Plausibilität der Darlegungen stütze. Die von ihr im Rahmen des Studiums besuchten Kurse habe sie aus dem Gedächtnis auflisten können, was ebenfalls dafür spreche, dass die eidesstattliche Versicherung der Wahrheit entspreche. Bei dem von der Betreuerin absolvierten Studium handele es sich um eine Ausbildung an einer Hochschule. Das Gesetz biete keine Anhaltspunkte dafür, dass nur inländische Hochschulen gemeint seien. Das Studium der Psychologie vermittle auch ausreichende für die Betreuung nutzbare Kenntnisse. Es sei nicht ersichtlich, dass ein in Iran absolviertes Studium der Psychologie, bei der es sich um eine international vertretene und angewandte Wissenschaft handle, abweichend zu bewerten sei. Auch aus der Auflistung der besuchten Kurse sei erkennbar, dass das absolvierte Studium im Kernbereich auf die Vermittlung psychologischer Kenntnisse ausgerichtet gewesen sei.
Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Staatskasse, die insoweit vor dem Bundesgerichtshof jedoch keinen Erfolg hatte; die Rüge der Staatskasse, das Landgericht habe eine Vergütung nach dem für Hochschulabsolventen vorgesehenen erhöhten Stundensatz zu Unrecht auf Grundlage der eidesstattlichen Versicherung über das in Iran abgeschlossene Psychologiestudium zugesprochen, sondern es hätte die Betreuerin auffordern müssen, eine dementsprechende Zeugnisurkunde der Universität in Teheran nachzubeschaffen, sei unbegründet, befand nun der Bundesgerichtshof:
Gemäß § 37 Abs. 1 FamFG entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem gesamten Inhalt des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die freie Würdigung bezieht sich sowohl auf den Vorgang der Überzeugungsbildung als auch auf den erreichten Grad der Überzeugung. Danach hat das Gericht den Wahrheitsgehalt von Tatsachenbehauptungen und Ermittlungsergebnissen grundsätzlich ohne Bindung an Beweisregeln zu beurteilen und sich auf diese Weise seine subjektive Überzeugung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen eines entscheidungserheblichen Sachverhalts zu verschaffen. Der Tatrichter darf grundsätzlich allein aufgrund des Vortrags der Beteiligten feststellen, was für wahr oder nicht wahr zu erachten ist, und den Angaben eines Beteiligten unter Umständen auch dann glauben, wenn deren Richtigkeit sonst nicht bewiesen werden kann. Das Maß der zur Entscheidungsfindung geforderten Überzeugung entspricht dem in der Rechtsprechung zu § 286 ZPO herausgebildeten. Danach darf und muss sich das Gericht mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen3.
Die für die richterliche Überzeugungsbildung erheblichen Tatsachen sind gemäß § 26 FamFG von Amts wegen zu ermitteln. Die Phase der Sachverhaltsermittlung kann erst dann abgeschlossen werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts von weiteren Ermittlungen und Beweiserhebungen ein sachdienliches, die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis nicht erwartet werden kann4. Dabei hat das Gericht das Verfahren im Sinne des § 28 FamFG zu leiten und darauf hinzuwirken, dass sich die Beteiligten vollständig erklären. Es hat die Beweise gemäß §§ 29, 30 FamFG zu erheben5. Insoweit entscheidet das Gericht gemäß § 30 Abs. 1 FamFG nach pflichtgemäßem, durch § 30 Abs. 2 und 3 FamFG geleitetem Ermessen, ob es eine Tatsache im Frei- oder Strengbeweisverfahren feststellt6.
Im Freibeweisverfahren stehen dem Gericht zwar auch die Beweismittel der Zivilprozessordnung zur Verfügung, darüber hinaus kann es aber alle nur erdenklichen Erkenntnismöglichkeiten zur Gewinnung seiner Überzeugung nutzen. Ein Beweismittel des Freibeweises ist auch die eidesstattliche Versicherung7. Die zum Nachweis einer beweisbedürftigen Tatsache geeigneten Beweismittel muss das Gericht von Amts wegen ermitteln. Soweit verschiedene Beweismittel zur Verfügung stehen, trifft das Gericht unter Beachtung einschlägiger Sondervorschriften nach pflichtgemäßem Ermessen eine Auswahl, auf welche Beweismittel es zurückgreift. Ausschlaggebend ist insoweit, welche Beweismittel die höchste Gewähr zur Erzielung materieller Wahrheit bieten. Unter mehreren erreichbaren Beweismitteln muss das Gericht deshalb grundsätzlich das sachnächste, mithin dasjenige Beweismittel erheben, welches am unmittelbarsten Auskunft über eine entscheidungserhebliche Tatsache gibt8.
Grundsätzlich entscheidet der Tatrichter über Art und Umfang seiner Ermittlungen nach pflichtgemäßem Ermessen. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob die Tatsachengerichte alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen haben und die Würdigung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht9.
Nach diesen Grundsätzen begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht seine Überzeugung über die abgeschlossene Hochschulausbildung der Betreuerin im Wege des Freibeweises auf die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen gestützt hat. Insbesondere ist die tatrichterliche Beurteilung, dass keine anderen, bessere Gewähr bietende Beweismittel erreichbar sind, von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Anders als die Rechtsbeschwerde meint, musste der Betreuerin im vorliegenden Fall nicht auferlegt werden, Auskünfte oder Zeugnisablichtungen bei der Universität in Teheran einzuholen. Es bestehen nämlich keine Bedenken, den besonderen Umständen im Zusammenhang mit der Flucht aus Iran durch Erleichterungen bei der Beweisführung und durch deren Berücksichtigung bei der Mitwirkungspflicht Rechnung zu tragen10, was die Möglichkeit zeugenschaftlicher Bekundungen und eidesstattlicher Versicherungen einschließt11.
Ebenso zu Recht hat das Landgericht den von der Betreuerin versicherten iranischen Hochschulabschluss in Psychologie als eine Hochschulausbildung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG aF angesehen, der ihr besondere, für die Führung der Betreuung nutzbare Kenntnisse vermittelt.
Besondere für die Betreuung nutzbare Kenntnisse sind über das jedermann zu Gebote stehende Wissen hinausgehende Kenntnisse, die den Betreuer in die Lage versetzen, seine Aufgaben zum Wohl des Betreuten besser und effektiver zu erfüllen. Angesichts der Pflichten des Betreuers, auf den Willen des Betreuten einzugehen, um seine Wünsche zu erkennen und ihnen weitgehend zu entsprechen (§ 1901 Abs. 2 und 3 BGB), sind unter anderem Fachkenntnisse, die den Umgang mit und das Verständnis für die besondere Situation von psychisch Kranken oder Behinderten fördern, als für die Betreuung nutzbar anzusehen12. Das ist bei einem abgeschlossenen Psychologiestudium der Fall. Denn die darin gewonnenen Kenntnisse können für die Betreuerin die Grundlage darstellen, um aus der Erkrankung des Betroffenen resultierende Schwierigkeiten im persönlichen Kontakt zu überwinden, die Bedürfnisse des Betroffenen zu erkennen und auf ihn in sinnvoller Weise einzuwirken13.
Grundsätzlich kann auch eine im Ausland absolvierte Hochschulausbildung den nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG aF erhöhten Stundensatz rechtfertigen. Fehlt es an einer förmlichen Anerkennung des ausländischen Studienabschlusses durch die hierfür zuständigen staatlichen Stellen, muss das Gericht allerdings die Vergleichbarkeit von Studienumfang und Studieninhalten insoweit selbst prüfen, als es auf die Vermittlung des für die Betreuung nutzbaren Wissens ankommt. Diese Prüfung hat das Landgericht anhand der von der Betreuerin rekonstruierten Studieninhalte rechtsfehlerfrei vorgenommen.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15. September 2021 – XII ZB 9/21
- AG Köln, Beschluss vom 03.04.202 – 61 XVII 11/11[↩]
- LG Köln, Beschluss vom 03.10.2020 – 1 T 127/20[↩]
- Keidel/Mayer-Holz FamFG 20. Aufl. § 37 Rn. 10; vgl. auch BGH, Beschluss BGHZ 184, 269 = FamRZ 2010, 720 Rn. 34[↩]
- vgl. BGHZ 40, 54, 57 = WM 1963, 1010[↩]
- vgl. BeckOK FamFG/Burschel [Stand: 1.07.2021] § 26 Rn. 13[↩]
- vgl. MünchKomm-FamFG/Ulrici 3. Aufl. § 29 Rn. 10[↩]
- vgl. BeckOK FamFG/Burschel [Stand: 1.07.2021] § 29 Rn. 9[↩]
- vgl. MünchKomm-FamFG/Ulrici 3. Aufl. § 29 Rn. 8[↩]
- BGH, Beschluss vom 29.04.2020 XII ZB 242/19 FamRZ 2020, 1300 Rn. 16 mwN[↩]
- vgl. BVerwG FamRZ 2012, 226 Rn. 16 zur Identitätsfeststellung im Einbürgerungsverfahren[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 17.05.2017 XII ZB 126/15 FamRZ 2017, 1337 Rn. 24 zum Identitätsnachweis in Personenstandssachen[↩]
- BGH, Beschluss vom 23.10.2013 XII ZB 429/13 FamRZ 2014, 116 Rn. 12[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 23.10.2013 XII ZB 429/13 FamRZ 2014, 116 Rn. 16 mwN[↩]