Betreuung – ohne persönliche Anhörung der unwilligen Betroffenen

Bei der persönlichen Anhörung des Betroffenen im Verfahren zur Einrichtung einer Betreuung darf das Betreuungsgericht grundsätzlich nur dann nach § 34 Abs. 3 FamFG verfahren, wenn alle zwanglosen Möglichkeiten, den Betroffenen anzuhören und sich von ihm einen persönlichen Eindruck zu verschaffen, vergeblich ausgeschöpft sind und die gemäß § 278 Abs. 5 bis 7 FamFG zu Gebote stehende Vorführung des Betroffenen unverhältnismäßig ist1.

Betreuung – ohne persönliche Anhörung der unwilligen Betroffenen

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall wendet sich die Betroffene gegen die Einrichtung einer Betreuung für sie. Die Betroffene wird von ihrem geschiedenen Ehemann in einem familiengerichtlichen Verfahren auf Nutzungsentschädigung in Anspruch genommen. Nachdem in diesem Verfahren die Verfahrensfähigkeit der Betroffenen zweifelhaft geworden war, regte die Verfahrensbevollmächtigte des geschiedenen Ehemannes die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung an, um das Verfahren weiterführen zu können.

Das Amtsgericht St. Wendel hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung der Betroffenen eine Betreuerin mit dem Aufgabenkreis „Rechtsangelegenheiten und Verfahren im Zusammenhang mit dem Scheidungsverfahren mit dem Ex-Ehemann der Betroffenen“ bestellt2. Nachdem die Betroffene Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt hatte, hat das Landgericht Saarbrücken ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt und die Betroffene mehrfach vergeblich zur Anhörung geladen. Schließlich hat es die Beschwerde ohne Anhörung der Betroffenen zurückgewiesen3; die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers mit dem vom Amtsgericht festgelegten Aufgabenkreis lägen vor. Die Betroffene leide unter einer wahnhaften Störung sowie einer Zyklothymia. Daraus folge eine Geschäftsunfähigkeit der Betroffenen für alle Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Scheidungsverfahren. Die wahnhafte Störung des Denkens führe zur Verkennung der Realität und zur Minderung der Kritikfähigkeit und erlaube keine freie Willensbildung mehr in den wahnhaft besetzten Themenbereichen. Dass die Betroffene der Betreuung widersprochen habe, sei unschädlich. Nach den Feststellungen der Sachverständigen sei die Betroffene aufgrund der wahnhaften Störung nicht mehr in der Lage, ihren Willen frei und unbeeinflusst von den krankheitsbedingten Beeinträchtigungen zu bilden und nach den gewonnenen Erkenntnissen zu handeln. Daher sei ihr entgegenstehender Wille unbeachtlich.

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Von der Bestimmung eines erneuten Anhörungstermins sei abgesehen worden. Die Betroffene habe durch ihr bisheriges Verhalten zu erkennen gegeben, dass sie auch einer erneuten Ladung nicht Folge leisten werde. Eine zwangsweise Vorführung zur Anhörung erscheine unverhältnismäßig.

Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde, die zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht Saarbrücken führte:

Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde, dass das Landgericht Saarbrücken nicht von einer erneuten persönlichen Anhörung der Betroffenen absehen durfte.

Gemäß § 278 Abs. 1 Satz 1 und 2 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der (erstmaligen) Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Allerdings darf das Landgericht Saarbrücken nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der persönlichen Anhörung absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind4. Zieht das Landgericht Saarbrücken für seine Entscheidung mit einem neuen oder ergänzenden Sachverständigengutachten eine neue Tatsachengrundlage heran, die nach der amtsgerichtlichen Entscheidung datiert, so sind von einer erneuten Anhörung des Betroffenen regelmäßig neue Erkenntnisse iSd § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG zu erwarten, und es ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs schon deshalb eine erneute Anhörung im Beschwerdeverfahren geboten5.

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Im vorliegenden Fall hat das Landgericht Saarbrücken seine Entscheidung außer auf das vom Amtsgericht eingeholte Sachverständigengutachten auch auf das von ihm selbst eingeholte Gutachten der Sachverständigen Dr. H. gestützt. Deshalb war eine erneute persönliche Anhörung der Betroffenen im Beschwerdeverfahren erforderlich, wie auch das Landgericht Saarbrücken im Ausgangspunkt zutreffend erkannt hat.

Das Landgericht Saarbrücken konnte seine Entscheidung, von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen abzusehen, nicht mit Erfolg auf § 34 Abs. 3 FamFG stützen.

Da die Anhörung in Betreuungssachen nicht nur der Gewährung rechtlichen Gehörs, sondern auch der Sachverhaltsaufklärung dient, darf das Betreuungsgericht, wenn der Betroffene zu einem festgesetzten Anhörungstermin nicht erscheint, grundsätzlich nur dann nach § 34 Abs. 3 FamFG verfahren, wenn und soweit die gemäß § 278 Abs. 5 bis 7 FamFG zu Gebote stehende Vorführung des Betroffenen unverhältnismäßig ist und zudem alle zwanglosen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, den Betroffenen anzuhören und sich von ihm einen persönlichen Eindruck zu verschaffen6.

Diesen Anforderungen wird das vorliegende Verfahren nicht gerecht. Das Landgericht Saarbrücken hat nach dem teilweise unentschuldigten Fernbleiben der Betroffenen bereits keinen Versuch unternommen, diese nach § 278 Abs. 1 Satz 3 FamFG in ihrer üblichen Umgebung anzuhören. Zudem lassen sich dem angefochtenen Beschluss keine ausreichenden Erwägungen dazu entnehmen, dass eine Vorführung der Betroffenen nach § 278 Abs. 5 bis 7 FamFG unverhältnismäßig und mithin unzulässig gewesen wäre.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 2. August 2023 – XII ZB 75/23

  1. im Anschluss an BGH, Beschluss vom 03.11.2021 XII ZB 215/21 FamRZ 2022, 379[]
  2. AG St. Wendel, Beschluss vom 23.04.2021 – 12 XVII (E) 36/20[]
  3. LG Saarbrücken, Beschluss vom 13.02.2023 – 5 T 206/21[]
  4. vgl. BGH, Beschluss vom 06.07.2022 XII ZB 551/21 – MDR 2022, 1433 Rn. 4 mwN[]
  5. vgl. BGH, Beschlüsse vom 06.07.2022 XII ZB 551/21 MDR 2022, 1433 Rn. 6; und vom 12.05.2021 XII ZB 427/20 FamRZ 2021, 1312 Rn. 11 mwN[]
  6. BGH, Beschluss vom 03.11.2021 XII ZB 215/21 FamRZ 2022, 379 Rn. 13 mwN[]

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