Betreuung trotz Vorsorgevollmacht – wegen Selbstgefährdung

Dass die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten gleichermaßen besorgt werden können, setzt auch die Eignung des Bevollmächtigten dafür voraus, eine erhebliche Gefährdung für die Person des Betroffenen oder dessen Vermögen entgegen dessen geäußerten Wünschen abzuwenden, wenn der Betroffene die Gefahr aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann1.

Betreuung trotz Vorsorgevollmacht – wegen Selbstgefährdung

Gemäß § 1814 Abs. 3 Satz 1 BGB (bis 31.12.2022: § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB) darf ein Betreuer nur bestellt werden, wenn dies erforderlich ist. An der Erforderlichkeit fehlt es, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten gleichermaßen besorgt werden können (§ 1814 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BGB; bis 31.12.2022: § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB). Eine Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen. Steht die hier vom Landgericht nicht in Zweifel gezogene Wirksamkeit der Vorsorgevollmacht fest, kann gleichwohl eine Betreuung erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen nach dessen Wünschen zu besorgen, insbesondere, wenn zu befürchten ist, dass er die Angelegenheiten des Vollmachtgebers nicht entsprechend der Vereinbarung oder dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Vollmachtgebers besorgt. Ergeben sich aus der Vereinbarung und dem erklärten Willen des Vollmachtgebers keine konkreten Vorgaben, kann der Betroffene seine Wünsche nicht mehr äußern und ergeben sich auch keine individuellen Anhaltspunkte für seinen mutmaßlichen Willen, richtet sich dieser nach seinen objektiven Bedürfnissen. Den daraus abzuleitenden Handlungsmaximen kann der Bevollmächtigte nicht gerecht werden, wenn er mangels Befähigung oder wegen erheblicher Bedenken an seiner Redlichkeit als ungeeignet erscheint2.

Auch wenn die Redlichkeit des Bevollmächtigten außer Zweifel steht, setzt der Vorrang der Vorsorgevollmacht gegenüber der Anordnung einer Betreuung voraus, dass die Angelegenheiten des Volljährigen durch den Bevollmächtigten gleichermaßen besorgt werden können (§ 1814 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BGB). Daran fehlt es aber, wenn der Bevollmächtige Wünschen des Betroffenen nachgeht, denen der Betreuer nach § 1821 Abs. 3 Nr. 1 BGB nicht zu entsprechen hätte, weil hierdurch die Person des Betreuten oder dessen Vermögen erheblich gefährdet würde und der Betreute diese Gefahr aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann. In einem derartigen Fall von selbstschädigenden Wünschen des Betroffenen gebietet es der Erwachsenenschutz nicht nur, dass ein Betreuer von den geäußerten Wünschen abweicht3, sondern er verlangt Gleiches auch von einem Bevollmächtigten. Denn nur so kann durch diesen einem bestehenden Betreuungsbedarf Genüge getan werden.

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Damit im Einklang steht zum einen die Regelung des § 1820 Abs. 5 Satz 1 BGB, wonach ein Kontrollbetreuer die Vollmacht widerrufen darf, wenn das Festhalten an dieser eine künftige Verletzung der Person oder des Vermögens des Betreuten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und in erheblicher Schwere befürchten lässt. Hierdurch zeigt sich der Wille des Gesetzgebers, den Eintritt einer solchen Gefahr auch beim Handeln des Bevollmächtigten nicht hinzunehmen. Dem entspricht zum anderen, dass im Falle der Bestellung eines Kontrollbetreuers jener an die Maßstäbe des § 1821 Abs. 3 Nr. 1 BGB gebunden wäre und dementsprechende Weisungen gegenüber dem Bevollmächtigten auszusprechen hätte, denen der Bevollmächtigte dann Folge zu leisten hätte.

Dass die Angelegenheiten des Betroffenen durch den Bevollmächtigten gleichermaßen besorgt werden können, setzt daher auch die Eignung des Bevollmächtigten dafür voraus, eine erhebliche Gefährdung für die Person des Betroffenen oder dessen Vermögen entgegen dessen geäußerten Wünschen abzuwenden4, wenn der Betroffene die Gefahr aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann. In einem solchen Fall muss der Bevollmächtigte wie ein Betreuer in der Lage sein, den mutmaßlichen Willen des Betroffenen zu ermitteln und ihm Geltung zu verschaffen (vgl. § 1821 Abs. 4 Satz 1 BGB).

Den daraus folgenden Anforderungen an die Feststellung der Eignung des Bevollmächtigten wurde das bisherige Verfahren in dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nicht gerecht:

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Im Aufgabenbereich Gesundheitssorge bestehen, unabhängig von den nicht festgestellten Wünschen des Betroffenen, hinreichende Anhaltspunkte für eine Gefährdung höherrangiger Rechtsgüter des Betroffenen. Ebenso bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene diese Gefährdung aufgrund seiner Krankheit nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann. Zwar ist der Bruder des Betroffenen insoweit umfassend bevollmächtigt. Die Eltern des Betroffenen haben allerdings, nachdem sie kurze Einblicke in dessen Wohnung hatten, im Verfahren darauf hingewiesen, dass aufgrund einer Mangelernährung und unhaltbarer hygienischer Zustände in der Wohnung eine Gesundheitsgefährdung zu befürchten sei.

Nicht durch ausreichende Tatsachengrundlagen unterlegt ist auch die von den Instanzgerichten verneinte unzureichende Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme. Denn eine ärztliche oder gutachterliche Untersuchung des Betroffenen fand nicht statt und auch einen persönlichen Eindruck vermochten sich weder das Amts- noch das Landgericht zu verschaffen. Der Bruder des Betroffenen konnte über den Zustand des Betroffenen ebenfalls keine belastbare Auskunft geben, da auch ihm oft nur ein Telefonat möglich sei und der Betroffene ihn regelmäßig nicht in die Wohnung lasse. Ebenso hat die Betreuungsbehörde angegeben, dass ein persönlicher Kontakt nicht habe hergestellt werden können. Des Weiteren hat der von der Betreuungsbehörde eingeschaltete Betreuungsverein mitgeteilt, der Betroffene habe im Gespräch mit einem Mitarbeiter einen verwirrten und hilfsbedürftigen Eindruck gemacht. Der Bruder des Betroffenen habe gegenüber dem Mitarbeiter erklärt, dass der Betroffene sich nur unzureichend versorgen könne und in der Wohnung verwahrlose.

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Nach Maßgabe der rechtsbeschwerderechtlich zu unterstellenden Richtigkeit dieser Angaben rechtfertigt schließlich auch die Angabe des Bruders, es gebe „rote Linien“ für ihn, bei welchen er handeln würde, nicht die Einschätzung von Amts- und Landgericht, dass im Aufgabenbereich Gesundheitssorge kein Betreuungsbedarf bestehe. Denn weder ist festgestellt, was genau der Bruder unter „roten Linien“ versteht, noch wie er in Anbetracht seines nur sehr eingeschränkten Zugangs zum Betroffenen das Überschreiten solcher Linien und das Eintreten ernstlicher Gefährdungen verlässlich bemerken könnte.

Mangels tragfähiger Feststellungen zum Gesundheitszustand des Betroffenen war das Landgericht nicht in die Lage versetzt, die Eignung des Bruders als Bevollmächtigter rechtsfehlerfrei zu bewerten. Es war auf dieser Grundlage bereits nicht möglich festzustellen, ob und inwiefern auch unter Berücksichtigung der Patientenverfügung im Aufgabenbereich Gesundheitssorge Hilfen benötigt werden und ob Handlungsbedarf besteht.

Entsprechendes gilt für die Aufgabenbereiche Wohnungsangelegenheiten und Aufenthaltsbestimmung. Insoweit mangelt es ebenfalls an einer ausreichenden Sachaufklärung, obwohl aus den genannten Gründen hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Betroffene nicht ohne erhebliche Gefährdung seiner Gesundheit allein wohnen kann.

Ebenso bestehen im Aufgabenbereich Vermögenssorge, wiederum unabhängig von den nicht festgestellten Wünschen des Betroffenen, hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass sich die gesamte Lebens- und Versorgungssituation des Betroffenen erheblich verschlechtern könnte. Auch insoweit ist zwar der Bruder des Betroffenen umfassend bevollmächtigt worden. Allerdings hat der Betroffene die Vollmacht des Bruders gegenüber der Hausbank des Betroffenen, bei der er ein Guthabenkonto führt, widerrufen. Die Hausbank befolgt den Widerruf, sodass der Bruder keinen Zugriff mehr auf das Konto hat. Zwar kommt es hierdurch zu keiner Verschuldung des Betroffenen. Dieses für sich genommen und die Tatsache, dass der Bruder mithilfe seiner Vollmacht bei einer anderen Bank ein Konto eröffnen könnte, rechtfertigen jedoch nicht die Annahme des Landgerichts, dass es in diesem Aufgabenbereich keinen Betreuungsbedarf gibt. Denn zum einen steht zu befürchten, dass der Betroffene auch in anderen Bereichen, in denen der Bruder tätig wird, die Vollmacht widerruft, soweit er dies als unerwünschte Einmischung empfindet. Zum anderen kann eine Gefährdung nicht nur durch Überziehung des Bankkontos eintreten, sondern auch durch die von Bruder und Eltern mitgeteilten vielfachen Waren- oder Lebensmittelbestellungen des Betroffenen oder etwa wie vorliegend bereits eingetreten und durch Bezahlung seitens der Eltern abgewendet durch die Nichtbegleichung der Stromrechnungen. Einen Einblick, ob unbeglichene Verbindlichkeiten bestehen, hat auch der Bruder des Betroffenen nicht.

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Hinzukommt, dass der Bruder des Betroffenen selbst angibt, dass jedenfalls in diesem Aufgabenbereich eine Betreuung sinnvoll wäre, da dann neben der Regelung der Bankgeschäfte ggf. auch Wohngeld oder andere Sozialleistungen für den Betroffenen beantragt werden könnten. Schließlich hat der Betreuungsverein angegeben, es stehe in Kürze die Auszahlung eines Pflichtteilsanspruches an, welcher gegebenenfalls verwaltet werden müsse. Unter diesen Umständen erscheint fraglich, ob die durch den Bruder in Ausübung der Vollmacht getroffenen Maßnahmen zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für das Vermögen des Betroffenen ausreichen.

Aufgrund der danach bestehenden hinreichenden Anhaltspunkte für einen gegebenen Betreuungsbedarf sind weitere Ermittlungen wie insbesondere eine persönliche Anhörung des Betroffenen erforderlich. Dessen Weigerung, zur Durchführung des Anhörungstermins seine Wohnung zu öffnen, ist kein hinreichender Grund, von der persönlichen Anhörung abzusehen. Da der Betroffene nach dem Bekunden seines Bruders grundsätzliche Scheu hat, andere Personen in seine Wohnung einzulassen, hätte das Landgericht, um weitere Möglichkeiten einer Anhörung ohne Zwang auszuschöpfen, eine Anhörung im Gerichtsgebäude terminieren müssen.

Wäre der Betroffene auch zu dieser nicht erschienen, hätte das Landgericht eine Vorführung gemäß § 278 Abs. 5 FamFG in Betracht ziehen müssen5. Liegen hinreichende Anhaltspunkte vor, die für eine Betreuungsbedürftigkeit des Betroffenen sprechen, kann das Betreuungsgericht nach dieser Vorschrift eine Vorführung anordnen. Das Landgericht hätte dazu die mögliche Vorführung des Betroffenen und deren zwangsweise Vollziehung ins Verhältnis zur Bedeutung des Verfahrensgegenstands setzen müssen. Da es um eine Betreuung geht, die weite Lebensbereiche des Betroffenen abdecken könnte, wäre die Annahme von Unverhältnismäßigkeit allenfalls dann in Betracht gekommen, wenn von der Vorführung und Durchsetzung gemäß § 278 Abs. 6 und 7 bzw. § 283 Abs. 2 und 3 FamFG sonstige negative Folgen erheblichen Ausmaßes für den Betroffenen zu erwarten gewesen wären. Zu denken wäre hierbei insbesondere an eine sachverständig festgestellte Gefahr, dass es durch die Vorführung zu erheblichen Nachteilen für die Gesundheit käme6. Derartiges ist hier aber nicht ersichtlich. Nicht ausreichend ist die in dem amtsgerichtlichen Nichtabhilfebeschluss getroffene Mutmaßung, wonach der Betroffene im Falle seiner Vorführung jeglichen Kontakt auch zu seinem Bruder abbräche.

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Die Nichtdurchsetzung einer notwendigen Anhörung mit den Mitteln des § 278 Abs. 5 bis 7 FamFG stellt einen Verstoß gegen § 26 FamFG dar7.

Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Er ist gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben und die Sache ist gemäß § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Landgericht zurückzuverweisen. Der Bundesgerichtshof kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die noch erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann.

Im Rahmen seiner erneuten Befassung wird das Landgericht auch die Bestellung eines Kontrollbetreuers in Betracht zu ziehen haben (§§ 1815 Abs. 3, 1820 Abs. 3 Nr. 2 BGB; bis 31.12.2022: § 1896 Abs. 3 BGB). Denn sind behebbare Mängel bei der Vollmachtausübung festzustellen, erfordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz grundsätzlich zunächst den Versuch, mittels eines zu bestellenden Kontrollbetreuers auf den Bevollmächtigten positiv einzuwirken, insbesondere durch Verlangen nach Auskunft und Rechenschaftslegung (§ 666 BGB) sowie Ausübung bestehender Weisungsrechte8.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 2. August 2023 – XII ZB 303/22

  1. Fortführung von BGH, Beschluss vom 07.08.2013 – XII ZB 671/12 FamRZ 2013, 1724[]
  2. BGH, Beschluss vom 29.03.2023 – XII ZB 515/22 FamRZ 2023, 1150 Rn. 15 mwN[]
  3. vgl. BT-Drs.19/24445 S. 252[]
  4. vgl. bereits BGH, Beschluss vom 07.08.2013 – XII ZB 671/12 FamRZ 2013, 1724 Rn. 9[]
  5. vgl. BGH, Beschluss vom 24.01.2018 – XII ZB 292/17 FamRZ 2018, 628 Rn. 11 mwN[]
  6. vgl. BGH, Beschluss vom 06.07.2022 – XII ZB 551/21 MDR 2022, 1433 Rn. 9 mwN[]
  7. BGH, Beschluss vom 06.07.2022 – XII ZB 551/21 MDR 2022, 1433 Rn. 9[]
  8. vgl. BGH, Beschluss vom 29.03.2023 – XII ZB 515/22 FamRZ 2023, 1150 Rn. 21 mwN[]
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Aufhebung der Betreuung - und die Beschwerde des Betreuers

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