Mit Alkoholismus allein kann nicht ohne Weiteres die Unbeachtlichkeit eines der Betreuung entgegenstehenden Willens begründet werden.

Durch die Einrichtung einer Betreuung wird der Betreute in seiner Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG ganz oder teilweise in den vom Gericht bestimmten Angelegenheiten eingeschränkt. An seiner Stelle entscheidet innerhalb des vom Gericht angeordneten Aufgabenkreises der Betreuer. Je nach Aufgabenkreis kann es auch in höchstpersönlichen Angelegenheiten zu Entscheidungen gegen den ausdrücklichen Willen des Betreuten kommen1.
Der mit einer Betreuung verbundene Eingriff in die Handlungsfreiheit des Betroffenen ist schwerwiegend und schränkt je nach Gegenstand und Umfang der erfassten Aufgabenkreise das Grundrecht des Betreuten aus Art. 2 Abs. 1 GG massiv ein. Gleichwohl kann der Eingriff auf gesetzlicher Grundlage und unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zulässig sein. Dem trägt § 1896 Abs. 1 und 2 BGB auch einfachrechtlich Rechnung2.
Die Bestellung eines Betreuers gegen den Willen des zu Betreuenden setzt voraus, dass der Betreute tatsächlich seinen Willen nicht frei bestimmen kann (vgl. § 1896 Abs. 1 Buchstabe a BGB). Der Staat hat von Verfassung wegen nicht das Recht, seine erwachsenen und zur freien Willensbestimmung fähigen Bürger in ihrer Freiheit zu beschränken, ohne dass sie sich selbst oder andere gefährden. Die Bestellung eines Betreuers gegen den Willen des Betroffenen, ohne dass hinreichende Tatsachen für eine Beeinträchtigung des freien Willens vorliegen, verletzt deshalb das Grundrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 GG1.
Jedenfalls in den Fällen, in denen ein Betroffener gegen seinen Willen unter Betreuung gestellt wird, unterliegen die dies anordnenden Gerichtsentscheidungen angesichts des Gewichts des damit verbundenen Grundrechtseingriffs einer strengen, über die bloße Prüfung der grundsätzlichen Verkennung der Grundrechtsrelevanz der angegriffenen Maßnahmen3 hinausgehenden verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Diese erfasst insbesondere auch die Frage, ob die festgestellten Tatsachen die Entscheidung tragen und ohne wesentlichen Verstoß gegen Verfahrensrecht gewonnen wurden. Hat der Betroffene sein Einverständnis mit der Bestellung eines Betreuers verweigert, ist eine persönliche Anhörung des Betroffenen im betreuungsrechtlichen Verfahren auch von Verfassungs wegen regelmäßig unerlässlich.
Bei der Auslegung und Anwendung des § 1896 Abs. 1 Buchstabe a BGB wird die Bedeutung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG verkannt, wenn das Betreuungsgericht für die Frage, ob die Ablehnung der Betreuung durch den zu Betreuenden auf seinem freien Willen beruhte, allein auf seine mangelnde Steuerungsfähigkeit in Bezug auf den Konsum von Alkohol abstellt und damit einen falschen sachlichen Bezugspunkt wählt.
Mit der Einfügung von § 1896 Abs. 1 Buchstabe a BGB wollte der Gesetzgeber die Selbstbestimmung des Betroffenen ausdrücklich stärken. Eine Bestellung gegen den freien Willen des Betroffenen stelle – so die Gesetzesbegründung – einen Eingriff in die Würde des Betroffenen dar, der zu unterlassen oder zu beseitigen sei4.
Die vom Gesetzgeber gewollte und von Verfassung wegen gebotene Rücksicht auf die Selbstbestimmung des Betroffenen liefe ins Leere, wenn ein mangelnder freier Wille des zu Betreuenden allein mit dem von ihm nicht steuerbaren Genuss von Alkohol begründet werden könnte. Denn eine Alkoholabhängigkeit ist regelmäßig gerade dadurch gekennzeichnet, dass der daran Leidende seinen Alkoholkonsum nicht steuern kann. Sofern Alkoholismus überhaupt als psychische Krankheit oder körperliche, geistige oder seelische Behinderung im Sinne des § 1896 Abs. 1 BGB angesehen werden kann5, vermag dies allein – soll der auch verfassungsrechtlich fundierte Schutzzweck des § 1896 Abs. 1 Buchstabe a BGB nicht leer laufen – nicht ohne Weiteres auch die Unbeachtlichkeit eines der Betreuung entgegenstehenden Willens bedeuten.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 20. Januar 2015 – 1 BvR 665/14
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 02.07.2010 – 1 BvR 2579/08, NJW 2010, S. 3360[↩][↩]
- vgl. BT-Drs. 11/4528, S. 58[↩]
- zu diesem Regelfall vgl. BVerfGE 18, 85, 92 f.; stRspr[↩]
- BT-Drs. 15/2494, S. 28[↩]
- vgl. BT-Drs. 15/2494, S. 17; BayObLG vom 22.07.1993 – 3 Z BR 83/93, FamRZ 1993, S. 1489; Schwab, in: MünchKomm BGB, 6. Aufl.2012, § 1896, Rn. 11[↩]