Auch wenn der Sachverständige den Betroffenen während der Anhörung begutachtet und eine mündliche Einschätzung zur Betreuungsbedürftigkeit abgibt, die dem Betroffenen mitgeteilt wird, ist der Betroffene nach Erstattung des schriftlichen Gutachtens erneut anzuhören. Dazu ist ihm dieses rechtzeitig vor dem neuen Anhörungstermin zu überlassen1.

Nach § 278 Abs. 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Einer der Zwecke der persönlichen Anhörung besteht darin, den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG zu sichern. Diesen Zweck kann die Anhörung regelmäßig nur dann erfüllen, wenn das Sachverständigengutachten dem Betroffenen rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen wurde, um ihm Gelegenheit zu geben, sich zu diesem und den sich hieraus ergebenden Umständen zu äußern2.
Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung von zwingenden Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind3.
Im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hat das Amtsgericht bei seinen Anhörungen zwingende Verfahrensvorschriften verletzt. Der Betroffene ist (erst) im letzten Anhörungstermin vom anwesenden Sachverständigen begutachtet worden. In diesem Anhörungstermin hat der Sachverständige lediglich eine vorläufige mündliche Einschätzung seiner Begutachtung abgeben. Das schriftliche Gutachten ist erst nach der Anhörung gefertigt und dem Amtsgericht sodann überlassen worden. Auch wenn dem Betroffenen in der Anhörung die vorläufige Einschätzung des Sachverständigen mitgeteilt worden ist, hatte er vor seiner Anhörung nicht die Möglichkeit, sich mit dem bis dahin noch nicht vorliegenden schriftlichen Gutachten auseinanderzusetzen und entsprechende Einwendungen vorzubringen.
Schon aus diesem Grund hätte das Beschwerdegericht die Anhörung gemäß §§ 278 Abs. 1 Satz 1, 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG wiederholen müssen4.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21. Oktober 2020 – XII ZB 153/20
- im Anschluss an BGH, Beschluss vom 27.05.2020 – XII ZB 582/19 , FamRZ 2020, 1410[↩]
- BGH, Beschluss vom 27.05.2020 – XII ZB 582/19 , FamRZ 2020, 1410 Rn. 6[↩]
- vgl. etwa BGH, Beschluss vom 12.08.2020 – XII ZB 150/20 7 mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 27.05.2020 – XII ZB 582/19 , FamRZ 2020, 1410 Rn. 7[↩]
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