Betreuungsverfahren – und die persönliche Anhörung erst im Abhilfeverfahren

Wird in einem Betreuungsverfahren die erforderliche persönliche Anhörung des Betroffenen vom Amtsgericht erst im Abhilfeverfahren nachgeholt, kann das Beschwerdegericht nicht von der auch im zweitinstanzlichen Verfahren grundsätzlich gebotenen persönlichen Anhörung des Betroffenen absehen1.

Betreuungsverfahren – und die persönliche Anhörung erst im Abhilfeverfahren

Gemäß § 278 Abs. 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung durch das Beschwerdegericht keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind2.

Danach durfte das Beschwerdegericht nicht ohne persönliche Anhörung des Betroffenen über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 16.06.2020 entscheiden. Denn das vom Amtsgericht durchgeführte Verfahren war fehlerhaft, weil es die Betroffene nicht nach der Bekanntgabe des Gutachtens an sie angehört hat3.

Die verfahrensfehlerhafte Anhörung der Betroffenen wurde auch nicht dadurch geheilt, dass das Amtsgericht die Betroffene im Abhilfeverfahren erneut angehört hat. Eine fehlerhafte oder unterbliebene erstinstanzliche Anhörung eines Betroffenen in einem Betreuungsverfahren kann im Abhilfeverfahren regelmäßig weder geheilt noch nachgeholt werden4.

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Daran ändert auch nichts, dass das Beschwerdegericht den ersten Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts im Hinblick auf die unterbliebene persönliche Anhörung der Betroffenen zu dem eingeholten psychiatrischen Gutachten aufgehoben und das Verfahren an das Amtsgericht zur Nachholung dieser Verfahrenshandlung zurückgegeben hat. Das Beschwerdegericht hätte den erstinstanzlichen Verfahrensfehler vielmehr dadurch beheben müssen, dass es im Beschwerdeverfahren die Betroffene selbst persönlich anhört5.

Erst recht hätte das Landgericht die Betroffene zu dem von ihm zur Frage der freien Willensbildung eingeholten Ergänzungsgutachten selbst anhören müssen6.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15. Juni 2022 – XII ZB 13/22

  1. im Anschluss an BGH, Beschluss vom 06.04.2022 XII ZB 371/21[]
  2. BGH, Beschluss vom 22.09.2021 XII ZB 93/21 FamRZ 2022, 135 Rn. 8 mwN[]
  3. vgl. BGH, Beschluss vom 22.09.2021 XII ZB 93/21 FamRZ 2022, 135 Rn. 9 ff.[]
  4. BGH, Beschluss vom 06.04.2022 XII ZB 371/21 12 mwN[]
  5. vgl. BGH, Beschluss vom 06.04.2022 XII ZB 371/21 13[]
  6. vgl. BGH, Beschluss vom 06.04.2022 XII ZB 451/21 16 f.[]

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