Das Jugendamt und die Akteneinsicht

Die in § 50 SGB VIII geregelten Verpflichtungen obliegen den Jugendämtern gegenüber den Familiengerichten, nicht aber gegenüber den am Streit beteiligten Personen, die aus diesen Regelungen folgerichtig auch keine eigenen subjektiv-öffentlichen Ansprüche gegenüber dem Jugendamt herleiten können.

Das Jugendamt und die Akteneinsicht

Damit die Jugendämter ihrer Aufgabe, eventuelle familiäre Probleme rechtzeitig zu entdecken und zu lösen, gerecht werden können, ist die Gewährung von Diskretion im Umgang mit datenschutzrechtlich relevanten Vorgängen Voraussetzung. So dürfen Sozialdaten im Jugendhilferecht nur in den gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 SGB VIII genannten Fällen weitergegeben werden, d.h. insbesondere, wenn der Datengeber in die Weitergabe einwilligt.

Auch wenn angeblich einem Kindesvater Informationen bzw. Sozialdaten über die Mutter und ihr Kind seitens des Jugendamtes weitergeleitet worden sind, begründet das kein subjektives Recht auf Akteneinsicht. Ein solches kann nicht über den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) geschaffen werden, denn dieser setzt für eine Gleichbehandlung einen Anspruch der Antragstellerin voraus.

In einem jetzt vom Verwaltungsgerichts Karlsruhe entschiedenen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes begehrte die Antragstellerin Akteneinsicht in die Akte des Jugendamtes. Die Antragstellerin ist allein erziehende Kindesmutter ihrer 2009 geborenen Tochter XXX. Das alleinige Sorgerecht hat bislang die Antragstellerin, der Kindesvater nimmt mittlerweile sein Umgangsrecht in 4-6wöchigen Abständen wahr. Das zuständige Amtsgericht – Familiengericht – hat in einem Verfahren wegen elterlicher Sorge einen Termin zur Anhörung der Kindeseltern anberaumt; der Kindesvater hat in diesem familiengerichtlichen Verfahren beantragt, die gemeinsame elterliche Sorge für das Kind zu beschließen und das Aufenthaltsbestimmungsrecht über das Kind ihm zu übertragen.

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Daraufhin beantragte die Kindesmutter (Antragsstellerin) Akteneinsicht beim Landratsamt Karlsruhe – Jugendamt -. Nachdem das Jugendamt diesen Antrag auf Akteneinsicht abgelehnt hat, beantragte sie vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe, Einsicht in alle ihre Tochter und auch sie selbst betreffenden Akten des Jugendamtes Karlsruhe zu erhalten und zwar „1. in vollständiger Form,“ hilfsweise 2. soweit sie –„zunächst auf dem einstweiligen Rechtsweg – selbst als Betroffene und Kindesmutter im Rahmen fehlerfreien Ermessens einen Anspruch auf Akteneinsicht habe“.

Das Verwaltungsgericht Karlsruhe lehnte den Antrag ab. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts ist kein Anordnungsanspruch gegeben:

Es bedarf, so das Verwaltungsgericht, keiner abschließenden Entscheidung, auf welche Rechtsgrundlage ein etwaiger Auskunftsanspruch zu stützen wäre (siehe § 25 Abs. 3 SGB X) oder ob die Antragstellerin nicht auf die prozessuale Möglichkeit zu verweisen ist, im familiengerichtlichen Verfahren auf eine Einsichtnahme in die diesbezüglichen Teile der Akten des Jugendamtes des Antragsgegners hinzuwirken. Bei den streitgegenständlichen Akten des Antragsgegners handelt es sich um solche der Familiengerichtshilfe1, soweit sie vor dem Hintergrund familienrechtlicher Verfahren angelegt wurden. Gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 6 SGB VIII gehört aber die Aufgabe der Mitwirkung in Verfahren vor den Familiengerichten nicht zu den Leistungen im Sinne des § 2 Abs. 1 SGB VIII, an die typischerweise der Anspruch auf Akteneinsicht in § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X anknüpft, sondern zu den anderen Aufgaben zu Gunsten junger Menschen und Familien. Die Mitwirkung der Jugendämter in familiengerichtlichen Verfahren ist in § 50 SGB VIII geregelt. Ob und inwieweit in einem anhängigen familiengerichtlichen Verfahren ein Akteneinsichtsrecht gewährt werden kann, obliegt der Entscheidung der zuständigen Familiengerichte2. Die in § 50 SGB VIII geregelten Verpflichtungen obliegen den Jugendämtern gegenüber den Familiengerichten, nicht aber gegenüber den am Streit beteiligten Personen, die aus diesen Regelungen folgerichtig auch keine eigenen subjektiv-öffentlichen Ansprüche gegenüber dem Jugendamt herleiten können.

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Der Gewährung der begehrten Akteneinsicht steht jedenfalls § 25 Abs. 3 SGB X i.V.m. § 65 Abs. 1 SGB VIII entgegen.

Sozialdaten sind nach der Legaldefinition in § 67 Abs. 1 SGB X Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (Betroffener), die von einer der in § 35 SGB I genannten Stellen im Hinblick auf die Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Einen solchen „persönlichen“ Bezug weisen alle Informationen auf, die über eine individualisierbare natürliche Person etwas aussagen und damit zur Identifikation dienen. Dementsprechend fallen auch alle Kenntnisse aus der privaten Sphäre, die ein Mitarbeiter des Jugendamtes bei Erfüllung seiner Aufgaben von einer außenstehenden Person erlangt hat, unter die Geheimhaltungspflicht. Dies gilt sowohl für die Namen von Beteiligten (insbesondere Informanten), aber auch für deren inhaltliche Angaben3. Danach sind die streitgegenständlichen Angaben des Kindesvaters, des Kinderarztes und eines Vertreters des Kindergartens über die Antragstellerin und ihr Kind XXX gegenüber dem Jugendamt Sozialdaten im Sinne des § 67 Abs. 1 SGB X. Selbst wenn § 25 SGB X nicht anwendbar wäre, stünde einem Akteneinsichtsrecht § 65 Abs. 1 SGB VIII entgegen.

Nach § 65 Abs. 1 SGB VIII besteht ein besonderer Vertrauensschutz in der persönlichen und erzieherischen Hilfe. Sozialdaten, die dem Mitarbeiter eines Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zum Zweck persönlicher und erzieherischer Hilfe anvertraut worden sind, dürfen nach § 65 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII von diesem nur weitergegeben werden mit der Einwilligung dessen, der die Daten anvertraut hat (Nr. 1), oder unter bestimmten Voraussetzungen dem Familiengericht oder unter bestimmten Voraussetzungen an einen anderen Mitarbeiter des Jugendamtes oder an hinzugezogene Fachkräfte (Nr. 4) oder unter den Voraussetzungen, unter denen eine der in § 203 Abs. 1 oder 3 StGB genannten Personen dazu befugt wäre (Nr. 5). Aus dem Gesetzeswortlaut und dem Schutzzweck des § 65 SGB VIII folgt, dass es für seine Anwendbarkeit genügt, wenn es um Daten geht, die dem Jugendamt in einem Zusammenhang anvertraut werden, der zu persönlicher oder erzieherischer Hilfe führen kann. Dass eine solche Zweckgeeignetheit reicht, folgt aus dem Wortlaut des § 65 Abs. 1 SGB VIII („Sozialdaten, die … zum Zweck persönlicher oder erzieherischer Hilfe anvertraut worden sind, …“).

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Um solche Sozialdaten geht es hier. Nach Aktenlage hat das Jugendamt vor dem Hintergrund familiengerichtlicher Verfahren wegen des Umgangsrechts und wegen der vom Kindesvater erstrebten Änderung des Sorgerechts mit dem Ziel einer gemeinsamen Ausübung des Sorgerechts Daten (Angaben des Kindesvaters, eine ärztliche Stellungnahme und Angaben eines Vertreters des Kindergartens) erhalten und dazu Akten angelegt. Dabei handelt es sich um Daten, die im Zusammenhang mit der Aufgabe des Jugendamtes aus § 18 SGB VIII stehen, nämlich der Beratung und Unterstützung bei der Ausübung der Personensorge und des Umgangsrechts. Nach § 18 Abs. 1 SGB VIII haben Mütter und Väter, die allein für ein Kind oder einen Jugendlichen zu sorgen haben oder tatsächlich sorgen, Anspruch auf Beratung und Unterstützung 1. bei der Ausübung der Personensorge einschließlich der Geltendmachung von Unterhalts- oder Unterhaltsersatzansprüchen des Kindes oder Jugendlichen, 2. bei der Geltendmachung ihrer Unterhaltsansprüche nach § 1615l des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Mütter und Väter, die mit dem anderen Elternteil nicht verheiratet sind, haben Anspruch auf Beratung über die Abgabe einer Sorgeerklärung (Abs. 2). Wie sich aus der Überschrift zum Zweiten Kapitel des SGB VIII ergibt, ist die Beratung und Unterstützung nach § 18 SGB VIII eine Leistung der Jugendhilfe. Nimmt das Jugendamt diese Aufgabe wahr, wovon mit Rücksicht auf die anhängig gemachten familienrechtlichen Verfahren wegen des Umgangsrechts und der elterlichen Sorge nach Aktenlage auszugehen ist, sind ihm die in diesem Zusammenhang gemachten Angaben zum Zwecke persönlicher und erzieherischer Hilfe anvertraut (§ 65 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII).

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Das besondere Weitergabeverbot des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII überlagert für seinen Regelungsbereich die allgemeinen Regelungen über die Akteneinsicht und den Schutz bzw. die Weitergabe von Sozialdaten u.a. aus § 25 SGB X4. Damit die Jugendämter ihrer Aufgabe, eventuelle familiäre Probleme rechtzeitig zu entdecken und zu lösen, gerecht werden können, ist die Gewährung von Diskretion im Umgang mit datenschutzrechtlich relevanten Vorgängen Voraussetzung. Folglich bestimmt § 65 SGB VIII, dass Sozialdaten im Jugendhilferecht nur in den gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 SGB VIII genannten Fällen weitergegeben werden dürfen, d.h. insbesondere, wenn der Datengeber in die Weitergabe einwilligt. In verfassungsrechtlicher Hinsicht bestehen gegen diese Entscheidung des Gesetzgebers keine Bedenken; § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII ist nicht im Hinblick auf einen dadurch eingeschränkten Schutz des Persönlichkeitsrechtes der von Anzeigen Betroffenen grundrechtswidrig.

An der Einwilligung des Kindesvaters fehlt es hier. Eine Einwilligung des Kinderarztes und von Vertretern des Kindergartens sind ebenfalls nicht ersichtlich und nicht glaubhaft gemacht. Der Antrag war deshalb abzulehnen. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin kommt es nicht darauf an, ob die zu den Akten genommenen Angaben des Kindesvaters richtig sind oder falsch. Das Weitergabeverbot des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII kennt keine weiteren Differenzierungen der anvertrauten Sozialdaten. Es kommt auch nicht auf ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse des Informanten, hier etwa des Kindesvaters, an. Auf die Ausnahmen vom Weitergabeverbot nach Nr. 2-5 dieser Vorschrift kann sich die Antragstellerin ebenfalls nicht berufen, die Anforderungen dafür sind nicht gegeben. Ob es Aktenteile bezüglich der Antragstellerin und ihres Kindes gibt, die nicht § 65 Abs. 1 SGB VIII unterliegen sollen, lässt sich bei der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung nicht klären. Außerdem begehrt die Antragstellerin auch nicht ausschließlich Einsicht in Aktenteile, die keine Sozialdaten betreffen. Ihr Antrag ist auf eine uneingeschränkte Akteneinsicht gerichtet.

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Aus Art. 3 Abs. 1 GG kann die Antragstellerin kein Akteneinsichtsrecht ableiten. Dass angeblich dem Kindesvater Informationen bzw. Sozialdaten über sie selbst und ihr Kind seitens des Jugendamtes weitergeleitet worden seien, begründet kein subjektives Recht auf Akteneinsicht. Ein solches kann nicht nicht über den Gleichbehandlungsgrundsatz geschaffen werden. Dieser setzt für eine Gleichbehandlung einen Anspruch der Antragstellerin voraus.

Verwaltungsgericht Karlsruhe, Beschluss vom 10. Oktober 2012 – 4 K 2344/12

  1. VG Augsburg, Urteil vom 27.09.2011 – Au 3 K 09.1571.[]
  2. BayVGH, Beschluss vom 02.12.2011 – 12 ZB 11.1386[]
  3. VG Augsburg, Urteil vom 27.09.2011, a.a.O.; VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 11.05.2009 – 15 A 160/08[]
  4. vgl. BayVGH, Beschluss vom 01.06.2011 – 12 C 10.1510; OVG NRW, Beschluss vom 26.03.2008 – 12 E 115/08[]