Das „erzielte Nettoeinkommen“ i.S.v. §§ 43 Abs. 2, 50 Abs. 1 FamGKG umfasst nicht das staatliche Kindergeld.

Gemäß § 43 FamGKG bestimmt sich für die Ehesache der Verfahrenswert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Ehegatten nach Ermessen des Gerichts. Dabei darf der Wert nicht unter 2.000 € (in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes) und nicht über 1 Mio. € angenommen werden. Nach § 43 Abs. 2 FamGKG ist das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen der Ehegatten anzusetzen. Somit sind zunächst die Einkommensverhältnisse der Ehegatten festzustellen.
Ob das Kindergeld, das hier die Ehegatten in Höhe von insgesamt monatlich 988 € beziehen, als Einkommen zu berücksichtigen ist, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
Nach einer Auffassung ist das staatliche Kindergeld als Einkommen zu berücksichtigen1. Dies solle letztlich ein Ausgleich dafür sein, dass für aus der Ehe hervorgegangene Kinder ein Abzug zu machen ist. Zudem sei das Kindergeld keine subsidiäre, einer Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II gleichzusetzende Leistung, wenn es auch den Zweck der Existenzsicherung des Kindes hat, sondern berücksichtige auch eine den Eltern im Rahmen des Steuerrechts zu gewährende Entlastung wegen der Betreuung und Versorgung der Kinder2.
Nach dieser Ansicht wäre im vorliegenden Fall das monatliche Einkommen um das für fünf Kinder bezogene Kindergeld in Höhe von insgesamt 988 € zu erhöhen. Der Wert wäre höher festzusetzen, als von dem Familiengericht angenommen.
Nach anderer Auffassung zählt das Kindergeld nicht zum Nettoeinkommen i. S. d. § 43 Abs. 2 FamGKG. Dieses werde ausgezahlt, um die Eltern bei der Erfüllung ihrer Unterhaltspflichten zu unterstützen3.
Das Oberlandesgericht Celle ist der Auffassung, dass das Kindergeld nicht als Einkommen i. S. v. § 43 Abs. 2 FamGKG zu berücksichtigen ist. Dies beruht auf der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Nettoeinkommen“.
Soweit ersichtlich, gibt es lediglich in § 10 Abs. 2 des Unterhaltssicherungsgesetzes4 eine Legaldefinition des Nettoeinkommens. Danach ist das Nettoeinkommen der Gesamtbetrag der erzielten Einkünfte, der sich aus dem letzten Einkommensteuerbescheid nach Abzug der auf dies Einkünfte entfallenden Steuern vom Einkommen ergibt, bzw. der Arbeitslohn im Jahr nach Abzug der entrichteten Steuern vom Einkommen und der Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Sozial- und Arbeitslosenversicherung. Nach dieser Definition gehört das Kindergeld nicht zu dem Nettoeinkommen, denn es zählt nicht zu den Einkünften i. S. v. § 2 EStG.
Aus den Gesetzgebungsmaterialien ergeben sich keine konkreten Hinweise zur Lösung für die hier zu beantwortende Frage. Die Regelung, dass in Ehesachen für die Einkommensverhältnisse das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen der Eheleute maßgebend ist, ist durch das Gesetz zur Änderung des Gerichtskostengesetzes und anderer Kostengesetze vom 20.08.19755 eingeführt und seitdem in allen Änderungen beibehalten worden. Bis dahin galt in Ehesachen ein Festwert. In dem ursprünglichen Gesetzesentwurf der Bundesregierung war zunächst vorgeschlagen worden, den Festwert für nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten auf 4.000 DM zu erhöhen6. Auf Vorschlag des Rechtsausschusses7 wurde vom Bundestag beschlossen, den Festwert auf 6.000 DM anzuheben. Diese Änderung fand nicht die Zustimmung des Bundesrates, der allenfalls einen Wert von 4.000 DM für angemessen erachtete8. Von dem Vermittlungsausschuss wurde dann die Gesetz gewordene Regelung vorgeschlagen, dass das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen der Ehegatten die maßgebliche Größe sein soll9. Im Verlauf des Vermittlungsverfahrens war u. a. diskutiert worden, ob der Begriff des Nettoeinkommens klar und eindeutig sei. Man war sich dann jedoch einig, dass man bei dem Begriff des Nettoeinkommens auf den tatsächlich verfügbaren Betrag abstellen sollte10. In der Bundestagsdebatte über die Gesetzesänderung erläuterte der Abgeordnete K., der auch am Vermittlungsverfahren beteiligt war, dass das Nettoeinkommen „nach ganz allgemeinen Verständnis das Einkommen nach Steuern und Sozialabgaben, also das, was den Parteien für alle Zwecke tatsächlich zur Verfügung steht“ umfasse11.
Zwar könnte erwogen werden, dass mit dieser Definition das Kindergeld erfasst werde, denn es steht für den Konsum der Familie zur Verfügung. Da aber nach ganz überwiegender Ansicht staatliche Sozialleistungen nicht als Einkünfte i. S. v. § 43 Abs. 2 FamGKG zählen12, diese aber auch „für alle Zwecke zur Verfügung stehen“, handelt es sich hierbei um kein taugliches Unterscheidungskriterium.
Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch gehört das Kindergeld nicht zu dem Nettoeinkommen. I. d. R. versteht man unter dem Nettoeinkommen das Bruttoerwerbseinkommen abzüglich Steuern und Sozialversicherungsbeiträge. In der überwiegenden Anzahl der Verdienstabrechnungen wird das Nettoeinkommen wie vorstehend beschrieben ermittelt. Ist der Gehaltsempfänger im öffentlichen Dienst beschäftigt, so wird nach dem Nettoeinkommen das dem Gehaltsempfänger zustehende Kindergeld ausgewiesen. Dies entspricht der EntgeltbescheinigungsVO vom 19.12 201213. Dort ist das Nettoeinkommen als Differenz zwischen dem Gesamtbruttoentgelt und den gesetzlichen Abzügen definiert.
Das Oberlandesgericht Celle verkennt nicht, dass das Kindergeld für Bezieher höherer Einkünfte im Ergebnis einen steuerlichen Freibetrag darstellt, § 31 Abs. 1 S. 1 EStG. Solche Freibeträge können dazu führen, dass sich das Nettoeinkommen erhöht, weil geringere Lohnsteuern abzuführen sind. Jedoch hat das Kindergeld eine Doppelnatur. Soweit es nicht für die Freistellung des steuerlichen Existenzminimums benötigt wird, handelt es sich um eine staatliche Förderung der Familien, § 31 Abs. 1 S. 2 EStG. Es wäre jedoch nicht praktikabel, im Einzelfall danach zu differenzieren, ob das Kindergeld als staatliche Sozialleistung oder ganz bzw. teilweise als Steuerfreibetrag gewährt wird. Eine solche Differenzierung würde in jedem Einzelfall umfangreiche Feststellungen und Berechnungen erforderlich machen, die im Rahmen einer Wertfestsetzung nicht geboten sind.
Soweit vereinzelt vertreten wird, das Kindergeld sei als Einkommen i. S. v. § 43 FamGKG zu berücksichtigen, weil die Unterhaltslast für die Kinder zu berücksichtigen ist14, vermag dies eine Subsumtion des Kindergeldes unter das Tatbestandsmerkmal Nettoeinkommen nicht zu rechtfertigen. Soweit im Hinblick auf die Belastung mit Kindesunterhalt ein Abzug von dem Einkommen gerechtfertigt ist, mag man bei der Bemessung des Abzugsbetrages das bezogene Kindergeld berücksichtigen.
Ergänzend weist das Oberlandesgericht Celle darauf an, dass bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Nettoeinkommen“ auch zu berücksichtigen ist, dass dieses Tatbestandsmerkmal auch bei der Wertfestsetzung für den Versorgungsausgleich nach § 50 Abs. 2 FamGKG von Bedeutung ist. Würde man bei der Feststellung des Nettoeinkommens nach § 43 Abs. 2 FamGKG das Kindergeld berücksichtigen, so würde folgerichtig das Kindergeld in gleicher Weise bei der den Wert für das Versorgungsausgleichsverfahren erhöhen. Hierfür gibt es aber keine innere Rechtfertigung.
Im Ergebnis ist somit das monatliche Nettoeinkommen der beteiligten Ehegatten um das bezogene Kindergeld zu erhöhen.
Im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung aller Umstände nach § 43 Abs. 1 FamFG ist weiter zu berücksichtigen, dass die Kinder von den Ehegatten unterhalten werden. Die wirtschaftliche Lage einer Familie, die ein wesentlicher Maßstab für die Wertfestsetzung in Ehesachen ist, wird maßgeblich dadurch beeinflusst, ob Kinder betreut und unterhalten werden müssen. Dies rechtfertigt es nach allgemeiner Ansicht, für unterhaltspflichtige Kinder einen Abschlag von dem Einkommen vorzunehmen15.
Im vorliegenden Fall ist es angemessen, je Kind einen Betrag von 250 € von dem Einkommen der Beteiligten abzusetzen. Dabei ist zu beachten, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Wertberechnung der Eingang des Verfahrens bei Gericht ist, § 34 FamGKG. Das Verfahren ist im Oktober 2010 eingeleitet worden. Das Oberlandesgericht Celle folgt nicht der Auffassung des Familiengerichts, der Abzugsbetrag müsse im Hinblick auf das steuerliche Existenzminimum für Kinder deutlich höher sein. Zum einen wird den Familien, die Kinder unterhalten müssen, das staatliche Kindergeld gezahlt. Da dieses nicht als Einkommen berücksichtigt wird, findet bereits eine gewisse Entlastung statt. Zum anderen ist bei der Bemessung des Abzugsbetrages Zurückhaltung geboten. Nach dem Wortlaut des § 43 FamGKG hat der Gesetzgeber einen Abzug für den Unterhalt der Kinder nicht vorgesehen. Jedoch ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass sich die wirtschaftliche Lage einer Familie anders darstellt, wenn Kinder zu unterhalten sind. Daher ist es gerechtfertigt, diesen Umstand mit einem Pauschalbetrag zu berücksichtigen. Dieser Pauschalbetrag muss jedoch deutlich hinter den Aufwendungen bleiben, die mit dem Unterhalt eines Kindes verbunden sind. Insoweit kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Wertfestsetzung nach dem FamGKG sowohl der Bemessung der Gerichtskosten, also der Staatseinnahmen für das Gerichtsverfahren, als auch der Bemessung der Gebühren der Rechtsanwälte dient. Bei der Scheidung einer Ehe, aus der Kinder hervorgegangen sind, die noch minderjährig sind, ist zudem ein größerer Aufwand veranlasst als bei der Scheidung einer kinderlosen Ehe. Auch ohne eine anhängige Kindschaftssache hat das Familiengericht gem. § 128 Abs. 3 FamFG die Eheleute zur elterlichen Sorge und zum Umgangsrecht anzuhören. Die Rechtsanwälte haben anlässlich der Scheidung ihre Mandanten über die Rechtslage aufzuklären und zu erörtern, ob im Hinblick auf die Kinder ein Handlungsbedarf besteht. Diese Umstände rechtfertigten es, nicht dem gesamten Aufwand für den Unterhalt der Kinder einkommensmindernd zu berücksichtigen.
Verfahrenswert für den Versorgungsausgleich
Weiter ist für die Verbundsache Versorgungsausgleich ein Wert festzusetzen. Gem. § 50 Abs. 1 FamGKG beträgt der Verfahrenswert für jedes Anrecht 10 Prozent des in drei Monaten erzielten Nettoeinkommens der Ehegatten. Dabei ist das Nettoeinkommen wie in § 43 Abs. 2 FamGKG zu bestimmen16. Dies entspricht der Gesetzesbegründung, denn es soll ein „Gleichklang zu § 43 FamGKG“ bestehen17.
Da in § 50 Abs. 1 FamGKG nur auf das Nettoeinkommen abgestellt wird, sind Zu- und Abschläge, die ihre Rechtsgrundlage in § 43 Abs. 1 FamGKG haben, nicht anzusetzen18. Soweit vertreten wird, dass solche Abschläge nach § 43 Abs. 1 FamGKG auch bei der Wertfestsetzung nach § 50 FamGKG zu berücksichtigen seien19, vermag das Oberlandesgericht Celle dieser Auffassung nicht zu folgen. Zwar dürfte es in der Tat pragmatisch sein, sowohl für die Ehesache als auch für das Versorgungsausgleichsverfahren denselben Wert anzusetzen. Eine solche Verfahrensweise wäre jedoch nur gerechtfertigt, wenn in § 50 FamGKG auf den Wert nach § 43 FamGKG Bezug genommen wäre. Da aber der Gesetzeswortlauf in § 50 Abs. 1 FamGKG nur auf das Nettoeinkommen abstellt und die sonstigen in § 43 Abs. 1 FamGKG genannten Kriterien nicht berücksichtigt, verbietet sich eine Gleichbehandlung. Aus diesem Grunde hat auch das OLG Nürnberg im Jahr 2012 seine frühere Auffassung20 aufgegeben21.
Für das Verbundverfahren sind die Werte gem. § 44 FamGKG zu addieren.
Oberlandesgericht Celle – Beschluss vom 17. Dezember 2013 – 12 WF 92/13
- OLG Brandenburg, FamRZ 2011, 755; OLG Hamm, FamRB 2012, 149; OLG Jena, FamRZ 2010, 1934; OLG Zweibrücken, FamRZ 2008, 2052; OLG Brandenburg, FamRZ 2008, 1206; OLG Hamm, FamRZ 2006, 718; 2006, 806; OLG Karlsruhe, FamRZ 2006, 1055; AGS 2013, 472; Türk-Brocker in Schneider/Wolf/Volpert FamGKG § 43 Rn 26; Oestreich/Hellstab/Trenkle GKG/FamGKG Stand: Juni 2011, „Ehesachen Rn 8; Hartmann, KostG43 § 43 FamGKG Rn 30; Thiel in Schneider/Herget Streitwertkommentar13 Rn 7156; Nickel, FuR 2013, 255[↩]
- OLG Karlsruhe, FamRZ 2008, 2050[↩]
- OLG Düsseldorf, FamRZ 2006, 807; OLG Dresden, FamRZ 2010, 1939; im Ergebnis ebenso, ohne auf die Problematik einzugehen: OLG Köln, FamRZ 2008, 2051; OLG Nürnberg, OLGR 2006, 322; OLG Schleswig, OLGR 2005, 370 [↩]
- i. d. F. vom 26.08.2008 BGBl. I S. 1774[↩]
- BGBl. I 2189[↩]
- BT-Drs. 7/2016 S. 6, 70[↩]
- BT-Drs. 7/3243 S. 70[↩]
- BT-Drs 7/3498[↩]
- BT-Drs. 7/3803[↩]
- vgl. Kurzprotokoll der Fortsetzung der 21. Sitzung des Vermittlungsausschusses vom 19.06.1975 S. 8[↩]
- Protokoll des Deutschen Bundestages vom 20.06.1975, 182. Sitzung der 7. Wahlperiode, S. 12.734[↩]
- OLG Celle, FamRZ 2012, 240 m. w. N.[↩]
- BGBl. I S. 2717[↩]
- OLG Hamm FamRZ 2006, 718[↩]
- OLG Karlsruhe FamRZ 2006, 1055; OLG Brandenburg MDR 2007, 1321; OLG Karlsruhe OLGR 2008, 422; OLG Köln FamRZ 2008, 2051; OLG Hamm FamRZ 2006, 718; OLG Nürnberg OLGR 2006, 322; OLG Schleswig OLGR 2005, 270; OLG Zweibrücken FamRZ 2008, 205; OLG Jena FamRZ 2010, 1934; OLG Brandenburg FamRZ 2011, 755; Meyer, FamGKG13 § 43 Rn 16; Türk-Brocker in Schneider/Wolf/Volpert FamGKG § 43 Rn 26; Oestreich/Hellstab/Trenkle GKG/FamGKG Stand: Juni 2011, „Ehesachen Rn 13; Hartmann, Kostengesetze43 § 43 FamGKG Rn 27; a. A. Thiel in Schneider/Herget, Streitwert-Kommentar13 Rn 7170 ff[↩]
- OLG Karlsruhe AGS 2013, 472; Meyer, GKG/FamGKG13 § 50 Rn 5[↩]
- BR-Drs. 343/08[↩]
- OLG Nürnberg FamRZ 2012, 1750 mit zahlreichen Nachweisen; OLG Hamm FamRZ 2012, 897; Thiel in Schneider/Wolf/Volpert FamGKG § 50 Rn 15 f.[↩]
- Wick, Der Versorgungsausgleich3 Rn 599; Keuter FamRZ 2011, 1026[↩]
- OLG Nürnberg, FamRZ 2010, 2101[↩]
- OLG Nürnberg, FamRZ 2012, 1750[↩]