Das Sachverständigengutachten im Betreuungsverfahren

Der Sachverständige hat den Betroffenen vor der Erstellung eines Gutachtens persönlich zu untersuchen. Eine Begutachtung nach Aktenlage ist auch im Aufhebungsverfahren grundsätzlich nicht zulässig1.

Das Sachverständigengutachten im Betreuungsverfahren

Zwar ordnet § 294 FamFG für das Aufhebungsverfahren die Geltung der §§ 278 Abs. 1, 280 FamFG, die die persönliche Anhörung des Betroffenen und die Einholung eines Sachverständigengutachtens vorschreiben, nicht an. Es verbleibt insoweit bei den allgemeinen Verfahrensregeln und damit bei den Grundsätzen der Amtsermittlung nach § 26 FamFG, so dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens im Aufhebungsverfahren nicht obligatorisch ist. Wenn das Gericht aber wie hier ein Sachverständigengutachten einholt und seine Entscheidung auf dieses stützt, dann muss das Gutachten den formalen Anforderungen des § 280 FamFG genügen2.

Gemäß § 280 Abs. 2 Satz 1 FamFG hat der Sachverständige den Betroffenen vor der Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Ein ohne die erforderliche persönliche Untersuchung erstattetes Sachverständigengutachten ist grundsätzlich nicht verwertbar. Die Weigerung des Betroffenen, einen Kontakt mit dem Sachverständigen zuzulassen, ist für sich genommen kein hinreichender Grund, von einer persönlichen Untersuchung durch den Sachverständigen abzusehen. Wirkt der Betroffene an einer Begutachtung nicht mit, so kann das Gericht abgesehen vom Ausnahmefall, dass die Vorführung außer Verhältnis zum Verfahrensgegenstand steht gemäß § 283 Abs. 1 und 3 FamFG seine Vorführung anordnen3.

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Die übrigen Erkenntnisquellen des Sachverständigen – schriftliche Äußerungen der Betroffenen, Vorgutachten einer anderen Sachverständigen, Gespräche mit Dritten (Betreuer, Behandler, sonstigen Personen) und Akteninhalt – vermögen die persönliche Untersuchung der Betroffenen nicht zu ersetzen. Das Amtsgericht hätte deswegen erwägen müssen, die Betroffene zur gutachterlichen Untersuchung vorführen zu lassen.

Dabei hängt die Erstattung des Gutachtens im Ergebnis allerdings nicht davon ab, dass ein verbaler Kontakt zwischen dem Betroffenen und dem Sachverständigen hergestellt werden kann. Der Sachverständige ist nicht gehindert, im Fall einer durch den Betroffenen verweigerten Kommunikation aus dessen Gesamtverhalten in Verbindung mit anderen Erkenntnissen Schlüsse auf ein bestimmtes Krankheitsbild zu ziehen4.

In der Verwertung des nicht den gesetzlichen Anforderungen genügenden Sachverständigengutachtens liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel. Von einem solchen ist auszugehen, wenn der Fehler so eindeutig und erheblich ist, dass das Verfahren keine ordnungsgemäße Grundlage für eine instanzbeendende Entscheidung sein kann5. Dies ist bei einer Verletzung der Verfahrensbestimmung des § 280 Abs. 2 FamFG, die der umfassenden Sachverhaltsaufklärung dient, der Fall6.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 3. Dezember 2014 – XII ZB 355/14

  1. im Anschluss an BGH, Beschluss vom 20.08.2014 – XII ZB 179/14 NJW 2014, 3445[]
  2. BGH, Beschluss vom 20.08.2014 – XII ZB 179/14 NJW 2014, 3445 Rn. 8 f. mwN[]
  3. BGH, Beschluss vom 20.08.2014 – XII ZB 179/14 NJW 2014, 3445 Rn. 10 f., 16 mwN; vgl. auch BGH, Beschluss vom 02.07.2014 – XII ZB 120/14 FamRZ 2014, 1543 Rn. 15 f.[]
  4. BGH, Beschluss vom 20.08.2014 – XII ZB 179/14 NJW 2014, 3445 Rn. 13[]
  5. vgl. BGH Urteile vom 26.09.2002 – VII ZR 422/00 NJW-RR 2003, 131; und vom 22.05.2001 – VI ZR 74/00 NJW 2001, 2550[]
  6. Jürgens/Kretz Betreuungsrecht 5. Aufl. § 69 Rn. 9; vgl. auch Musielak/Borth/Grandel FamFG 4. Aufl. § 69 Rn. 3; Keidel/Sternal FamFG 18. Aufl. § 69 Rn. 15 b; MünchKomm-FamFG/Fischer 2. Aufl. § 69 Rn. 43[]
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