Mit den Anforderungen an die Bekanntgabe eines Sachverständigengutachtens im Unterbringungsverfahren hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen:

Das in dem zugrunde liegenden Verfahren eingeholte Gutachten ist dem Betroffenen auf Empfehlung des Sachverständigen nicht ausgehändigt worden. Der Bundesgerichtshof sah hierin eine Verfahrensfehlerhaftigkeit der vorinstanzlichen Beschlüsse des Amtsgerichts Moers1 und des Landgerichts Kleve2. Dem Betroffenen ist im Hinblick auf das eingeholte Sachverständigengutachten kein ausreichendes rechtliches Gehör gewährt worden3:
Sieht das Gericht von der vollständigen schriftlichen Bekanntgabe eines Gutachtens an den wie hier anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen ab, weil zu besorgen ist, dass die Bekanntgabe die Gesundheit des Betroffenen schädigen oder zumindest ernsthaft gefährden werde, muss ein Verfahrenspfleger bestellt, diesem das Gutachten übergeben werden und die Erwartung gerechtfertigt sein, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht4.
Zwar ist das Gutachten der Verfahrenspflegerin vom Amtsgericht übermittelt worden. Es bestand aber keine begründete Erwartung, dass diese das Gutachten mit dem Betroffenen in geeigneter Form bespricht. Die Übersendungsverfügung enthält keine entsprechende Maßgabe für die Verfahrenspflegerin. Es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass der Betroffene von dem Inhalt des Gutachtens unterrichtet worden ist, zumal die Anhörung nicht im Beisein der Verfahrenspflegerin erfolgt ist.
Da der Verfahrensmangel im Beschwerdeverfahren nicht geheilt worden ist, erfasst dieser auch das landgerichtliche Verfahren. Zudem hätte das Landgericht den Betroffenen erneut anhören müssen5, was wie die Rechtsbeschwerde zutreffend rügt verfahrensfehlerhaft unterblieben ist.
Der Betroffene ist durch die Verfahrensmängel in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt worden.
Die Feststellung, dass ein Betroffener durch die angefochtene Entscheidung in seinen Rechten verletzt ist, kann grundsätzlich auch auf einer Verletzung des Verfahrensrechts beruhen. Dabei ist die Feststellung nach § 62 FamFG jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn der Verfahrensfehler so gravierend ist, dass die Entscheidung den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung hat, der durch Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist.
Wurde in einer wie hier erledigten Unterbringungssache das für die Entscheidung maßgebliche Gutachten dem Betroffenen nicht vor der Anhörung bekannt gegeben, ist dieser Verfahrensfehler so gewichtig, dass er die Feststellung nach § 62 FamFG zu rechtfertigen vermag, weil er einer Verwertung des gemäß § 321 Abs. 1 FamFG unabdingbaren Sachverständigengutachtens entgegensteht6.
Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse des Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der hier durch Zeitablauf erledigten Unterbringungsmaßnahme feststellen zu lassen, liegt vor. Die gerichtliche Anordnung oder Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG7.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 1. Februar 2023 – XII ZB 130/22
- AG Moers, Beschluss vom 03.02.2022 – 200 XVII 162/17[↩]
- LG Kleve, Beschluss vom 08.03.2022 – 4 T 19/22[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 13.04.2022 – XII ZB 267/21 FamRZ 2012, 1132 Rn. 18 mwN[↩]
- BGH, Beschluss vom 22.02.2017 – XII ZB 341/16 FamRZ 2017, 923 Rn. 11 mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 13.04.2022 – XII ZB 267/21 FamRZ 2022, 1132 Rn. 14[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 13.04.2022 – XII ZB 267/21 FamRZ 2022, 1132 Rn. 18 mwN[↩]
- st. Rspr. des BGH, vgl. BGH, Beschluss vom 02.12.2020 – XII ZB 291/20 FamRZ 2021, 462 Rn. 21 mwN[↩]