Der Erwerbstätigenbonus in der Unterhaltsberechnung

Soweit bei der Bemessung des unterhaltsrelevanten Einkommens bereits berufsbedingte Aufwendungen abgezogen wurden, spricht nichts dagegen, den Erwerbstätigenbonus – wie es die Süddeutschen Leitlinien vorsehen – allgemein mit einem Zehntel zu berücksichtigen. Der Erwerbstätigenbonus ist auch dann in die Unterhaltsberechnung einzustellen, wenn er allein beim Unterhaltsberechtigten anfällt, etwa weil der Unterhaltspflichtige bereits Rentner ist.

Der Erwerbstätigenbonus in der Unterhaltsberechnung

Bei der Bedarfsbemessung nach der Quotenmethode ist nach ständiger bisheriger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Erwerbsanreiz sowohl beim Unterhaltspflichtigen als auch beim Unterhaltsberechtigten zu berücksichtigen. Danach widerspricht es dem Halbteilungsgrundsatz nicht, zugunsten eines erwerbstätigen Beteiligten von einer strikt hälftigen Aufteilung in maßvoller Weise abzuweichen, um den mit einer Berufsausübung verbundenen höheren Aufwand zu berücksichtigen und zugleich einen Anreiz zur Erwerbstätigkeit zu schaffen. Dass dem Unterhaltsberechtigten ebenfalls ein Erwerbstätigenbonus von seinem Einkommen zugebilligt wird, ist durch den Halbteilungsgrundsatz und der diesem zugrundeliegenden gleichen Teilhabe von Unterhaltsberechtigtem und Unterhaltspflichtigem gerechtfertigt1.

Ist ein Beteiligter nicht erwerbstätig, entfällt der Gesichtspunkt eines Erwerbsanreizes als Rechtfertigung für die Minderung der Unterhaltsquote des Berechtigten. Nichts Anderes gilt, wenn er auf längere Zeit aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist und Krankengeld bezieht2.

Dem steht auch nicht entgegen, dass der Erwerbsanreiz allein dem Unterhaltsberechtigten zugutekommt, weil der Verpflichtete über Renteneinkünfte verfügt, für die ihm kein Erwerbstätigenbonus zuteil wird.

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Allerdings wird die Berechtigung eines Erwerbstätigenbonus inzwischen vereinzelt in Frage gestellt.

Der Erwerbstätigenbonus sei für die Bedarfsermittlung beim Ehegattenunterhalt nicht im Gesetz verankert. Er sei vom Bundesgerichtshof aus der vor 1977 geltenden Rechtsprechung übernommen worden, die auf dem Leitbild der Hausfrauenehe gefußt habe und die dadurch einen alleinverdienenden Pflichtigen bei Zahlung von Ehegattenunterhalt habe entlasten wollen. Leitbild der Ehe sei heute jedoch die Doppelverdienerehe mit zeitweiliger Übernahme der Familienarbeit bei Geburt der Kinder. Spätestens seit der „Surrogatslösung“ des Bundesgerichtshofs, die die Gleichwertigkeit von Familienarbeit und Berufstätigkeit betont habe, sei der Ansatz eines Erwerbstätigenbonus zur Quotierung des Ehegattenunterhalts überholt. Rechnerisch bevorzuge er immer den Besserverdienenden, obwohl aus Gleichbehandlungsgrundsätzen der Arbeitsanreiz für den Pflichtigen und den Berechtigten nicht unterschiedlich hoch ausfallen dürfe. Schließlich verstoße er auch gegen den vom Gesetzgeber bei der Unterhaltsrechtsreform 2008 als eines der wesentlichen Ziele herausgestellten Vereinfachungsgrundsatz. Die durch die Ausübung der Berufstätigkeit entstandenen Kosten würden in ausreichendem Umfang (gegebenenfalls durch eine Pauschale) berücksichtigt. Ein darüberhinausgehender Abzug des Erwerbstätigenbonus zum Arbeitsanreiz sei wegen der wechselseitigen Obliegenheiten, sich leistungsfähig zu halten bzw. den Bedarf im Rahmen der Eigenverantwortung selbst zu decken, nicht erforderlich. Es gebe zudem keinen Grund, den Erwerbstätigenbonus in den einzelnen Oberlandesgerichtsbezirken pauschal in unterschiedlicher Höhe anzusetzen. Eine einheitliche Lösung werde sich nur finden lassen, indem er generell abgeschafft werde3.

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Demgegenüber wenden die Oberlandesgerichte einen Erwerbstätigenbonus durchgehend an. Die Düsseldorfer Tabelle und die Leitlinien der Oberlandesgerichte sehen einen Erwerbstätigenbonus von einem Siebtel bzw. von einem Zehntel (Süddeutsche Leitlinien) vor. Auch in der Literatur wird ein Erwerbstätigenbonus ganz überwiegend für gerechtfertigt gehalten. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs solle es beim Abzug eines zusätzlichen Erwerbstätigenbonus bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs nach den ehelichen Lebensverhältnissen auch neben pauschalen berufsbedingten Auslagen bleiben. Allerdings sei eine Herabsetzung des Erwerbstätigenbonus auf ein Zehntel geboten, wenn er sich nur noch auf die Honorierung der Arbeitsleistung beschränke4. Ebenso hat sich der 22. Deutsche Familiengerichtstag für die Beibehaltung des Erwerbstätigenbonus als „anerkanntes Instrumentarium der Unterhaltsberechnung“ ausgesprochen5.

Diese Kritik ist nicht geeignet, die – in eigener Verantwortung des Tatrichters erfolgende6 – Berücksichtigung eines Erwerbstätigenbonus grundsätzlich in Zweifel zu ziehen. Allerdings ist zutreffend, dass der Erwerbstätigenbonus insoweit seine Berechtigung verliert, als die mit der Berufsausübung verbundenen höheren Aufwendungen entweder bei Selbstständigen von vornherein im Rahmen der Gewinnermittlung oder bei Nichtselbstständigen (pauschal mit 5 % oder konkret) berücksichtigt werden. Deshalb hat es der Bundesgerichtshof schon in einer früheren Entscheidung, in der die tatsächlichen berufsbedingten Aufwendungen vorweg abgezogen waren, gebilligt, einen geringeren Bonus abzusetzen7. Es spricht indes auch nichts dagegen, den Erwerbstätigenbonus – wie es die Süddeutschen Leitlinien vorsehen – allgemein auf ein Zehntel zu bemessen8.

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Zwar verweist die Gegenmeinung zu Recht darauf, dass sowohl der Unterhaltspflichtige als auch der Unterhaltsberechtigte ohnehin gehalten sind, im Rahmen ihrer Möglichkeiten erwerbstätig zu sein. Das ändert aber nichts daran, dass die Ausübung einer Berufstätigkeit regelmäßig zu einer persönlichen Mehrbelastung des Erwerbstätigen führt, die nicht allein mit der Abgeltung berufsbedingter Aufwendungen kompensiert wird und die auch unterhaltsrechtlich honoriert werden kann. Der Hinweis der Gegenauffassung auf die „Surrogatslösung“ des Bundesgerichtshofs bei Ausübung der Familienarbeit in der Ehe stellt den Erwerbstätigenbonus ebenfalls nicht in Frage9. Schließlich steht auch der Vereinfachungsgedanke der Unterhaltsrechtsreform von 2008 der Beibehaltung des Erwerbstätigenbonus nicht entgegen. Es entspricht langjähriger gerichtlicher und anwaltlicher Praxis, den Erwerbstätigenbonus in die Unterhaltsberechnung einzupflegen, ohne dass es hierbei zu nennenswerten Schwierigkeiten gekommen ist.

Soweit eingewendet wird, der Bundesgerichtshof habe im Rahmen einer Bedarfsermittlung nach den konkreten Verhältnissen entschieden, eigenes Erwerbseinkommen des Unterhaltsberechtigten sei zur Ermittlung der Bedürftigkeit nicht gekürzt um einen Erwerbstätigenbonus, sondern in vollem Umfang auf den Bedarf anzurechnen10, findet diese Rechtsprechung auf die – hiermit nicht vergleichbare – Bedarfsermittlung nach Quoten keine Anwendung. Hierzu hat der Bundesgerichtshof in der genannten Entscheidung bereits ausgeführt, dass außerhalb der Bedarfsermittlung nach Quoten der Abzug eines Erwerbstätigenbonus auf Seiten des Unterhaltsberechtigten aus Gründen der Gleichbehandlung der Ehegatten nicht gerechtfertigt ist11.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13. November 2019 – XII ZB 3/19

  1. vgl. BGH, Urteil vom 10.11.2010 XII ZR 197/08 FamRZ 2011, 192 Rn. 25 mwN[]
  2. BGH, Urteil vom 19.11.2008 XII ZR 129/06 FamRZ 2009, 307 Rn. 15 mwN[]
  3. Wendl/Dose/Siebert Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 10. Aufl. § 4 Rn. 781; s. auch Gerhardt FamRZ 2013, 834[]
  4. Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 10. Aufl. § 1 Rn. 131[]
  5. These 3 des Arbeitskreises 16 des 22. Deutschen Familiengerichtstages Brühler Schriften zum Familienrecht Bd.20 S. 117[]
  6. vgl. BGH, Beschluss vom 08.09.2004 XII ZB 92/03 FamRZ 2004, 1867, 1868[]
  7. BGH, Urteil vom 16.04.1997 XII ZR 233/95 FamRZ 1997, 806, 807 mwN[]
  8. so auch Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 10. Aufl. § 1 Rn. 131; mit guten Gründen eine entsprechende bundeseinheitliche Handhabung fordernd: Thesen 6 und 8 des Arbeitskreises 16 des 22. Deutschen Familiengerichtstages Brühler Schriften zum Familienrecht Bd.20 S. 118[]
  9. vgl. schon BGH, Beschluss vom 08.09.2004 XII ZB 92/03 FamRZ 2004, 1867, 1868[]
  10. BGH, Urteil vom 10.11.2010 XII ZR 197/08 FamRZ 2011, 192 Rn. 26 ff.[]
  11. BGH, Urteil vom 10.11.2010 XII ZR 197/08 FamRZ 2011, 192 Rn. 29 mwN[]