Steht die Wirksamkeit einer Vorsorgevollmacht fest, kann gleichwohl eine Betreuung erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet. Letzteres ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte mangels Befähigung oder wegen erheblicher Bedenken an seiner Redlichkeit als ungeeignet erscheint1.

Ein Betreuer darf nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB nur bestellt werden, soweit die Betreuerbestellung erforderlich ist. An der Erforderlichkeit fehlt es, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können (§ 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB). Eine Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen. Steht die Wirksamkeit der Vorsorgevollmacht wie hier derjenigen aus dem Jahr 2012 fest, kann gleichwohl eine Betreuung erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet. Letzteres ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte mangels Befähigung oder wegen erheblicher Bedenken an seiner Redlichkeit als ungeeignet erscheint2.
Über Art und Umfang der zur Frage der Eignung des Vorsorgebevollmächtigten durchzuführenden Ermittlungen entscheidet das Tatgericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob das Tatgericht alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen hat und die Würdigung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht3.
Im hier entschiedenen Fall hat das Amtsgericht Leer die Bevollmächtigte für ungeeignet gehalten, die Angelegenheiten der Betroffenen zu deren Wohl zu besorgen, weil befürchtet werden müsse, dass sie sich bei ihren Entscheidungen durch ihren gegenüber der Betroffenen bestehenden Groll leiten lasse4. Das habe sich in der Vergangenheit auch darin gezeigt, dass die Bevollmächtigte als Vermieterin im Jahr 2016 den mit der Betroffenen bestehenden Mietvertrag gekündigt habe. Auf diese Erwägungen, die die Annahme einer Ungeeignetheit der Bevollmächtigten tragen können, geht das Landgericht im angefochtenen Beschluss nicht ein und hat dementsprechend auch keine abweichenden Feststellungen getroffen.
Die Erforderlichkeit für die Einrichtung einer Betreuung entfällt auch nicht deshalb, weil das Landgericht Aurich die Voraussetzungen für die Anordnung einer Ermächtigung zum Vollmachtwiderruf verneint hat5. Denn die Ermächtigung zum Vollmachtwiderruf setzt tragfähige Feststellungen voraus, dass das Festhalten an der erteilten Vorsorgevollmacht eine künftige Verletzung des Wohls des Betroffenen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und in erheblicher Schwere befürchten lässt, und unterliegt damit einem anderen nämlich strengeren Maßstab als dem bei der Prüfung nach § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB anzulegenden6.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15. Juni 2022 – XII ZB 85/22
- im Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 19.05.2021 XII ZB 518/20 FamRZ 2021, 1654; und vom 21.04.2021 XII ZB 164/20 FamRZ 2021, 1236[↩]
- st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 19.05.2021 XII ZB 518/20 FamRZ 2021, 1654 Rn. 25 mwN; und vom 21.04.2021 XII ZB 164/20 FamRZ 2021, 1236 Rn. 6 mwN[↩]
- st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 19.05.2021 XII ZB 518/20 FamRZ 2021, 1654 Rn. 27 mwN; und vom 21.04.2021 XII ZB 164/20 FamRZ 2021, 1236 Rn. 7 mwN[↩]
- AG Leer, Beschluss vom 03.09.2021 – 208 XVII K 1734[↩]
- LG Aurich, Beschluss vom 08.02.2022 – 7 T 293/21[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 13.05.2020 XII ZB 61/20 FamRZ 2020, 1297 Rn. 15 mwN und BGHZ 206, 321 = FamRZ 2015, 1702 Rn. 33 ff.[↩]
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- Vorsorgevollmacht: Gerd Altmann