Auch wenn das Verfahren nicht mit einer Betreuerbestellung endet, kann die Amtsermittlungspflicht gemäß § 26 FamFG gebieten, den Betroffenen anzuhören und ein Sachverständigengutachten einzuholen1.

In welchem Umfang Tatsachen zu ermitteln sind, bestimmt sich nach § 26 FamFG. Danach hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben. Dabei muss dem Gericht die Entscheidung darüber vorbehalten sein, welchen Weg es innerhalb der ihm vorgegebenen Verfahrensordnung für geeignet hält, um zu den für eine Entscheidung notwendigen Erkenntnissen zu gelangen. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob die Tatsachengerichte alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen haben und die Würdigung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht2.
Zu den regelmäßig erforderlichen Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung gehört die persönliche Anhörung des Betroffenen.
Zwar ordnet § 278 FamFG eine verbindliche persönliche Anhörung nur vor der Bestellung eines Betreuers für den Betroffenen an. Damit ist aber nicht die Aussage verbunden, dass es einer Anhörung dann, wenn es nicht zu einer Betreuerbestellung kommt, generell nicht bedarf. Die persönliche Anhörung dient nicht nur der Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 1 FamFG), sondern hat wie sich aus § 278 Abs. 1 Satz 2 FamFG ergibt vor allem den Zweck, dem Gericht einen unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen zu verschaffen. Ihr kommt damit auch in den Fällen, in denen sie nicht durch das Gesetz vorgeschrieben ist, eine zentrale Stellung im Rahmen der gemäß § 26 FamFG in einem Betreuungsverfahren von Amts wegen durchzuführenden Ermittlungen zu. Wird die Einrichtung einer Betreuung ohne die erforderlichen Ermittlungen abgelehnt, so wird dem Betroffenen der ihm durch das Betreuungsrecht gewährleistete Erwachsenenschutz ohne ausreichende Grundlage vorenthalten3.
Weiteres Mittel der Sachverhaltsaufklärung ist die ärztliche Untersuchung des Betroffenen.
§ 280 FamFG verpflichtet nach seinem Wortlaut das Gericht zur Einholung eines Sachverständigengutachtens, wenn das Verfahren mit einer Betreuerbestellung oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts endet. Wird davon abgesehen, ist die Einholung eines Gutachtens nach § 280 Abs. 1 Satz 1 FamFG nicht zwingend erforderlich. Das Gericht hat daher vor der Anordnung der Gutachtenserstattung im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob es das Verfahren im Hinblick auf eine Betreuerbestellung oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts weiter zu betreiben hat. Dies setzt hinreichende Anhaltspunkte voraus, dass Betreuungsbedarf besteht oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts in Betracht kommt4.
Aus den aus diesen Maßstäben erwachsenden Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung sind bei Bestehen hinreichender Anhaltspunkte für einen gegebenen Betreuungsbedarf weitere Ermittlungen wie insbesondere eine persönliche Anhörung des Betroffenen erforderlich. Dessen Weigerung, zur Durchführung des Anhörungstermins seine Wohnung zu öffnen, ist kein hinreichender Grund, von der persönlichen Anhörung abzusehen. Da der Betroffene nach dem Bekunden seines Bruders grundsätzliche Scheu hat, andere Personen in seine Wohnung einzulassen, hätte das Landgericht, um weitere Möglichkeiten einer Anhörung ohne Zwang auszuschöpfen, eine Anhörung im Gerichtsgebäude terminieren müssen.
Wäre der Betroffene auch zu dieser nicht erschienen, hätte das Landgericht eine Vorführung gemäß § 278 Abs. 5 FamFG in Betracht ziehen müssen5. Liegen hinreichende Anhaltspunkte vor, die für eine Betreuungsbedürftigkeit des Betroffenen sprechen, kann das Betreuungsgericht nach dieser Vorschrift eine Vorführung anordnen. Das Landgericht hätte dazu die mögliche Vorführung des Betroffenen und deren zwangsweise Vollziehung ins Verhältnis zur Bedeutung des Verfahrensgegenstands setzen müssen. Da es um eine Betreuung geht, die weite Lebensbereiche des Betroffenen abdecken könnte, wäre die Annahme von Unverhältnismäßigkeit allenfalls dann in Betracht gekommen, wenn von der Vorführung und Durchsetzung gemäß § 278 Abs. 6 und 7 bzw. § 283 Abs. 2 und 3 FamFG sonstige negative Folgen erheblichen Ausmaßes für den Betroffenen zu erwarten gewesen wären. Zu denken wäre hierbei insbesondere an eine sachverständig festgestellte Gefahr, dass es durch die Vorführung zu erheblichen Nachteilen für die Gesundheit käme6. Derartiges ist hier aber nicht ersichtlich. Nicht ausreichend ist die in dem amtsgerichtlichen Nichtabhilfebeschluss getroffene Mutmaßung, wonach der Betroffene im Falle seiner Vorführung jeglichen Kontakt auch zu seinem Bruder abbräche.
Die Nichtdurchsetzung einer notwendigen Anhörung mit den Mitteln des § 278 Abs. 5 bis 7 FamFG stellt einen Verstoß gegen § 26 FamFG dar7.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 2. August 2023 – XII ZB 303/22
- im Anschluss an BGH, Beschluss vom 13.02.2019 – XII ZB 485/18 FamRZ 2019, 736[↩]
- BGH, Beschluss vom 14.07.2021 – XII ZB 135/21 FamRZ 2021, 1738 Rn. 11 mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 03.11.2021 – XII ZB 215/21 FamRZ 2022, 379 Rn. 8 mwN; und vom 13.02.2019 XII ZB 485/18 FamRZ 2019, 736 Rn. 11 mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 14.07.2021 – XII ZB 135/21 FamRZ 2021, 1738 Rn. 9 mwN; und vom 13.02.2019 XII ZB 485/18 FamRZ 2019, 736 Rn. 12 mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 24.01.2018 – XII ZB 292/17 FamRZ 2018, 628 Rn. 11 mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 06.07.2022- XII ZB 551/21 MDR 2022, 1433 Rn. 9 mwN[↩]
- BGH, Beschluss vom 06.07.2022 – XII ZB 551/21 MDR 2022, 1433 Rn. 9[↩]