Die ablehnte Verfahrenskostenhilfe für ein Sorgerechtsverfahren – und der Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit

Die mit der Zurückweisung der sofortigen Beschwerde einhergehende Ablehnung von Verfahrenskostenhilfe für das Sorgerechtsverfahren vor dem Familiengericht kann den Antragsteller in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art.20 Abs. 3 GG verletzen.

Die ablehnte Verfahrenskostenhilfe für ein Sorgerechtsverfahren – und der Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit

Die Gewährleistung der Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art.20 Abs. 3 GG gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Menschen mit mehr und Menschen mit weniger finanziellen Mitteln bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes1. Dem dienen die gesetzlichen Bestimmungen über die Verfahrens- und Prozesskostenhilfe. Diese kann allerdings davon abhängig gemacht werden, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint2

Die dementsprechende Prüfung der Erfolgsaussicht des beabsichtigten Rechtsschutzverfahrens soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Verfahrens- und Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern will ihn zugänglich machen. So sieht § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Gewährung von Verfahrens- und Prozesskostenhilfe bereits dann vor, wenn hinreichende Erfolgsaussichten für den beabsichtigten Rechtsstreit bestehen, ohne dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss2. Danach dürfen schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen nicht im Prozess- und Verfahrenskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können. Prozesskostenhilfe darf von Verfassungs wegen dann nicht versagt werden, wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen würde3. Eine Beweisantizipation ist nur in eng begrenzten Fällen zulässig4.

Die Auslegung und Anwendung des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO – vorliegend in Verbindung mit § 76 Abs. 1 FamFG – wie auch des jeweils anzuwendenden einfachen Rechts obliegt hierbei in erster Linie den zuständigen Fachgerichten, die dabei von Verfassungs wegen den Zweck der Prozess- und Verfahrenskostenhilfe zu beachten haben. Das Bundesverfassungsgericht kann nur eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist, insbesondere wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der durch das Grundgesetz verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen5. Hierbei hat es zu berücksichtigen, dass die Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in engem Zusammenhang mit der den Fachgerichten vorbehaltenen Feststellung und Würdigung des jeweils entscheidungserheblichen Sachverhalts und der ihnen gleichfalls obliegenden Auslegung und Anwendung des jeweils einschlägigen materiellen und prozessualen Rechts steht. Die Fachgerichte überschreiten den Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der Auslegung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der hinreichenden Erfolgsaussicht verfassungsrechtlich zukommt, erst dann, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch den einer unbemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung unverhältnismäßig erschwert wird. Das ist namentlich dann der Fall, wenn das Fachgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung überspannt und dadurch der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlt wird6.

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Bei Anlegung dieser Maßstäbe hat das Oberlandesgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der von dem Antragsteller angestrebten Sorgerechtsregelung nach § 1626a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BGB in einer Weise überspannt, die diesem die Rechtsverfolgung übermäßig erschwert. Da die angegriffene Entscheidung zudem die Merkmale der hinreichenden Erfolgsaussicht und der fehlenden Mutwilligkeit in § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 76 Abs. 1 FamFG bei der Anwendung sachwidrig miteinander vermischt, wird der Zweck der Verfahrenskostenhilfe deutlich verfehlt. 

Nach § 1626a Abs. 2 BGB überträgt das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil davon beiden Eltern gemeinsam, wenn die Übertragung dem Kindeswohl nicht widerspricht. Trägt der andere Elternteil keine Gründe vor, die der Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen könnten, und sind solche Gründe auch sonst nicht ersichtlich, wird nach § 1626a Abs. 2 Satz 2 BGB vermutet, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl nicht widerspricht. Dieser Vermutung liegt das gesetzgeberische Leitbild bei der Reform des Sorgerechts zugrunde, dass die gemeinsame elterliche Sorge grundsätzlich den Bedürfnissen des Kindes nach Beziehungen zu beiden Elternteilen entspricht und ihm verdeutlicht, dass beide Eltern gleichermaßen bereit sind, für das Kind Verantwortung zu tragen7

Der Bundesgerichtshof zieht für die maßgebliche Prüfung, ob eine gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl widerspricht, die in seiner Rechtsprechung zu § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB entwickelten Grundsätze heran8. Danach setzt die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung ein gewisses Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge zwischen den Eltern voraus9. Die gemeinsame elterliche Sorge kann daher nicht angeordnet werden, wenn eine schwerwiegende und nachhaltige Störung auf der Kommunikationsebene der Eltern vorliegt, die befürchten lässt, dass den Eltern eine gemeinsame Entscheidungsfindung nicht möglich sein wird und das Kind folglich erheblich belastet würde, würde man die Eltern zwingen, die Sorge gemeinsam zu tragen. Maßgeblich ist, welche Auswirkungen die mangelnde Einigungsfähigkeit der Eltern bei einer Gesamtbeurteilung der Verhältnisse auf die Entwicklung und das Wohl des Kindes haben wird10. Liegt eine solche schwerwiegende Störung nicht vor, dann spricht das Bestehen eines Elternkonflikts als solcher oder eine die gemeinsame Sorge ablehnende Haltung der Mutter für sich genommen nicht gegen die Anordnung eines gemeinschaftlichen Sorgerechts11. Allein die Verweigerungshaltung eines Elternteils ist kein entscheidender Gesichtspunkt dafür, dass die Beibehaltung oder Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl widerspricht. Dass Eltern in Einzelfragen verschiedener Meinung sind und ihre Meinungsverschiedenheiten im Einzelfall streitig ausgetragen haben, genügt ebenfalls nicht, um die gemeinsame elterliche Sorge abzulehnen12

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Für die gerichtliche Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge genügt es nach § 1626a Abs. 2 Satz 2 BGB, dass der andere Elternteil keine Gründe vorträgt, die einer Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen können und derartige Gründe auch nicht ersichtlich sind. Dieser materiell-rechtlichen Vorgabe entspricht verfahrensrechtlich § 155a Abs. 3 FamFG13, der anordnet, dass das Familiengericht in den Fällen des § 1626a Abs. 2 Satz 2 FamFG im schriftlichen Verfahren ohne Anhörung des Jugendamts und ohne persönliche Anhörung der Eltern entscheiden soll. Mit den beiden vorgenannten Regelungen wollte der Gesetzgeber den ansonsten in Kindschaftssachen geltenden Amtsermittlungsgrundsatz einschränken14. Dem Familiengericht soll es in den Fällen des § 1626a Abs. 2 Satz 2 BGB ermöglicht werden, ohne weitere Amtsermittlung auf der Grundlage des Beteiligtenvortrags und sonst dem Gericht bereits bekannter Umstände zu entscheiden15.

Auf der Grundlage dieser Vorgaben des Fachrechts hat das Oberlandesgericht die Anforderungen an die hinreichende Erfolgsaussicht der von dem Antragsteller angestrebten Sorgerechtsübertragung überspannt.

Weder lässt sich der angegriffenen Entscheidung entnehmen noch ist sonst ersichtlich, dass die Mutter des gemeinsamen Sohnes einen nach § 1626a Abs. 2 BGB durchgreifenden, gegen eine gemeinsame elterliche Sorge sprechenden Grund vorgebracht hätte (vgl. § 1626a Abs. 2 Satz 2 BGB). Allein der Umstand, dass sie dem Vater ihres anderen Kindes für Unterschriften „hinterherlaufen“ müsse, rechtfertigt nicht die Beibehaltung der alleinigen elterlichen Sorge für das hier in Rede stehende Kind, dessen Vater der Antragsteller und nicht der andere Mann ist. Auch das Jugendamt berichtete dem Amtsgericht, die Mutter des Kindes habe keine konkreten gegen das gemeinsame Sorgerecht sprechenden Gründe benennen können. Schließlich hat die Mutter im Verfahrenskostenhilfeprüfverfahren selbst zum Ausdruck gebracht, dass sie sich die Einrichtung der gemeinsamen elterlichen Sorge in etwa einem halben Jahr durchaus vorstellen könne. Damit hat sie dem Vorbringen des Antragstellers im Verfahren nicht widersprochen, sondern aus nicht erkennbar kindeswohlbezogenen Gründen eine Vertagung der Entscheidung in die mittelfristige Zukunft begehrt. Eine schwierige Kommunikation zwischen den Kindeseltern hat sie selbst nicht vorgetragen. 

Es bleibt darüber hinaus unklar, auf welche tatsächlichen Umstände das Oberlandesgericht seine Annahme einer „offenkundig gestörten Kommunikationsebene“ stützt. Weder die angegriffene Beschwerdeentscheidung noch die vorausgegangenen familiengerichtlichen Beschlüsse, denen das Oberlandesgericht im Ergebnis folgt, enthalten nähere Ausführungen dazu. Den für die Beurteilung fehlender hinreichender Erfolgsaussicht fachrechtlich hier bedeutsamen Maßstab, ob eine schwerwiegende und nachhaltige Störung auf der Kommunikationsebene der Eltern vorliegt, die befürchten lässt, dass den Eltern eine gemeinsame Entscheidungsfindung nicht möglich sein wird und das Kind folglich erheblich belastet würde, würde man die Eltern zwingen, die Sorge gemeinsam zu tragen, hat das Oberlandesgericht nicht erkennbar überhaupt in den Blick genommen. Gleiches gilt für die Beschlüsse des Familiengerichts, so dass die Bezugnahme auf diese Entscheidungen eigene Erwägungen des Beschwerdegerichts nicht zu ersetzen vermag. Damit benennt das Oberlandesgericht keine tragfähig festgestellten Umstände, die die Vermutung aus § 1626a Abs. 2 Satz 2 BGB erschüttern könnten. Verneint es ohne Darlegung der vorgenannten Voraussetzungen die hinreichende Erfolgsaussicht der begehrten Sorgerechtsübertragung, hat es auch insoweit die Anforderungen daran in verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbarer Weise überspannt. 

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Soweit das Oberlandesgericht die Voraussetzungen der Gewährung von Verfahrenskostenhilfe auch mit Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung durch den Antragsteller begründet hat, verkennt es in dieser Hinsicht ebenfalls die Bedeutung der Rechtsschutzgleichheit.

Mutwilligkeit liegt nach der Auslegung von § 114 Abs. 2 ZPO durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insbesondere vor, wenn eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei bei sachgerechter und vernünftiger Einschätzung der Prozesslage ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde16. Dieses am hypothetischen Verhalten der selbstzahlenden Partei ausgerichtete Verständnis der Mutwilligkeit ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Gewährleistung der Rechtsschutzgleichheit durch Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz des Art.20 Abs. 3 GG gebietet lediglich, dem unbemittelten Rechtssuchenden einem solchen Bemittelten gleichzustellen, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt17.

Der angegriffenen Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts kann bereits nicht entnommen werden, ob dieses den vorstehenden Maßstab einer mutwilligen Rechtsverfolgung zugrunde gelegt hat. Im Übrigen hat es das Merkmal der Mutwilligkeit in einer Weise angewendet, die mit der Garantie der Rechtsschutzgleichheit nicht vereinbar ist.

Die Begründung des angegriffenen Beschlusses erschöpft sich insoweit in dem Testat, das Familiengericht habe dem Antragsteller zutreffend die Verfahrenskostenhilfe wegen Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung versagt. Die sich unmittelbar anschließende Erwägung des Oberlandesgerichts, wegen der „offenkundig gestörten Kommunikationsebene“ sei die Einleitung eines Sorgerechtsverfahrens nicht erfolgversprechend, weckt Zweifel, ob – wie zumindest nach dem Fachrecht geboten (vgl. § 114 Abs. 2 ZPO) – zwischen der hinreichenden Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung und deren Mutwilligkeit unterschieden wird. Selbst wenn die Mutwilligkeit als eigenständiger Grund für die Versagung von Verfahrenskostenhilfe herangezogen worden sein sollte, genügt dessen Anwendung nicht den daran zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen. Das gilt nicht nur bei isolierter Prüfung der Entscheidung des Oberlandesgerichts, sondern auch unter Berücksichtigung der vorangegangenen familiengerichtlichen Beschlüsse, auf die sich das Beschwerdegericht bezieht und denen es inhaltlich folgt.

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Ein Erfahrungssatz, wie ihn das Familiengericht insbesondere in seinem Beschluss vom 12.11.2018 aufgestellt hat, dergestalt, dass ein bemittelter Prozessbeteiligter zunächst die gefundene Regelung im Umgangsverfahren in der Praxis umsetzen und hierbei eine Verbesserung des Verhältnisses auf der Elternebene abwarten würde, existiert nicht. Ungeachtet dessen berücksichtigt diese Annahme in diesem Zusammenhang bereits nicht hinreichend, dass der Antragsteller sowohl eine Regelung des Umgangsrechts als auch die Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge gleichzeitig beantragt hatte und dass der unterschiedliche Fortgang beider Verfahren auch in der Verfahrensführung durch das Familiengericht bedingt war. Das konnte der Antragsteller bei Beantragung der beiden Verfahren und der jeweiligen Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nicht vorhersehen. Es handelt sich vorliegend also nicht um die Einleitung eines Verfahrens zur elterlichen Sorge, nachdem eine Umgangsregelung gefunden wurde, wie das Familiengericht teilweise suggeriert, sondern der Antragsteller hat aufgrund des außergerichtlich abweisenden Verhaltens der Kindesmutter gleichzeitig sowohl ein Verfahren zum Umgangsrecht als auch eines zur elterlichen Sorge beantragt. Bevor im Umgangsverfahren am 5.07.2018 eine teilweise Regelung getroffen wurde, war das Verfahrenskostenhilfegesuch im sorgerechtlichen Verfahren bereits mit Eingang der Stellungnahme der Kindesmutter – spätestens jedoch mit Eingang der Stellungnahme des Jugendamts – entscheidungsreif. Demnach haben die Gerichte in ihrer späteren Abweisung dieses Gesuchs eine unzulässige ex-post-Betrachtung zugrunde gelegt und verkannt, dass der Antrag des Antragstellers bereits vor der Umgangsregelung im Parallelverfahren bewilligungsreif war18.

Der Antragsteller hat vor Einleitung der gerichtlichen Verfahren gegenüber der Kindesmutter die Abgabe einer Sorgeerklärung gefordert, was diese verweigerte, sowie eine Beratungsstelle um Vermittlung gebeten, was ebenfalls an der Verweigerung der Kindesmutter scheiterte. Vor diesem Hintergrund kann dem Antragsteller in der vorliegenden Konstellation ohne unverhältnismäßige Erschwerung der Rechtsverfolgung auch nicht deshalb eine mutwillige Antragstellung vorgeworfen werden, weil er nicht darüber hinaus das Jugendamt zur Vermittlung angerufen hat19. Zudem ist zu berücksichtigen, dass eine rechtsverbindliche Änderung des bestehenden Sorgerechts nicht durch die Vermittlung des Jugendamtes, sondern allein durch das Gericht getroffen werden kann20.

Schließlich existiert kein Erfahrungssatz, wonach ein bemittelter Verfahrensbeteiligter stets zur Regelung von Umgangsrecht und elterlicher Sorge ein gemeinsames Verfahren anhängig machen und nicht zwei getrennte Verfahren beantragen würde. Zwar kann das getrennte Einleiten eines Sorgerechtsantrags und eines Umgangsantrags einen Verstoß gegen das Gebot kostensparender Verfahrensführung darstellen. Es kann jedoch hierfür im Einzelfall durchaus sachliche Gründe geben21. Vorliegend wäre als sachlicher Grund für die getrennte Einleitung der beiden Verfahren zu bedenken gewesen, dass für das Umgangsverfahren gemäß § 155 Absatz 1 FamFG das besondere Vorrang- und Beschleunigungsgebot gilt, während dies für das Verfahren zur elterlichen Sorge gerade nicht der Fall ist. Damit erscheint eine getrennte Beantragung aufgrund unterschiedlicher Verfahrensgrundsätze in den hiesigen Ausgangsverfahren nicht ohne weiteres mutwillig22. Um die angenommene Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung in einer mit der Garantie der Rechtsschutzgleichheit vereinbaren Weise zu begründen, hätte das Oberlandesgericht zu einem Fehlen sachlicher Gründe für die getrennte Einleitung von Sorge- und Umgangsrechtsverfahren Feststellungen treffen müssen. Das ist jedoch weder in der Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts selbst noch in den von ihm in Bezug genommenen Beschlüssen des Familiengerichts erfolgt.

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Soweit der Antragsteller zudem eine Verletzung seines Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG durch die Verweigerung von Verfahrenskostenhilfe für das Sorgerechtsverfahren rügt, enthält dieses Vorbringen keinen über die bereits behandelte Rüge der Verletzung der Rechtsschutzgleichheit hinausgehenden Gehalt.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts beruht auf dem dargestellten Verstoß gegen das Gebot der Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art.20 Abs. 3 GG. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es bei Beachtung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe der Rechtsschutzgleichheit über die Beschwerde des Antragstellers anders und für diesen erfolgreicher entschieden hätte.

Einer Aufhebung (§ 95 Abs. 2 BVerfGG) der ebenfalls angegriffenen Beschlüsse des Familiengerichts vom 12.11.und 18.12.2018, die verfassungsrechtlicher Prüfung anhand der Garantie der Rechtsschutzgleichheit ebenfalls nicht standhielten, bedarf es nicht. Beide sind durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 09.01.2019 prozessual überholt. Über die sofortige Beschwerde des Prozesskosten- bzw. Verfahrenskostenhilfe begehrenden Beteiligten (§ 127 Abs. 2 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 76 Abs. 1 FamFG) entscheidet das Beschwerdegericht – gegebenenfalls auf der Grundlage neuen Vortrags im Beschwerdeverfahren (siehe § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO) – anhand der Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung grundsätzlich nach dem Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung23. Es trifft damit im Regelfall selbst eine abschließende Sachentscheidung24, was die prozessuale Überholung der vorangegangenen Entscheidungen bewirkt25.

Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat dem Antragsteller seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten (§ 34a Abs. 2 BVerfGG). Einer Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag des Antragstellers bedarf es daher nicht mehr26.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13. Juli 2020 – 1 BvR 631/19

  1. vgl. BVerfGE 78, 104 <117 f.> 81, 347 <357> 92, 122 <124> 117, 163 <187> 122, 39 <49>[]
  2. vgl. BVerfGE 81, 347 <357>[][]
  3. vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.02.2002 – 1 BvR 1450/00, Rn. 15; Beschluss vom 28.10.2019 – 2 BvR 1813/18, Rn. 27; Beschluss vom 11.03.2020 – 1 BvR 2434/19, Rn. 7[]
  4. vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.09.2013 – 1 BvR 1419/13, Rn. 23 f.; Beschluss vom 29.11.2019 – 1 BvR 2666/18, Rn. 12[]
  5. vgl. BVerfGE 56, 139 <144> 81, 347 <357 f.>[]
  6. BVerfGE 81, 347 <358>[]
  7. vgl. BT-Drs. 17/11048 S. 12 rechte Spalte unter Bezugnahme auf BVerfGE 107, 150 <155>; siehe auch BT-Drs. 17/11048 S. 17 linke Spalte[]
  8. vgl. BGHZ 211, 22 <25 Rn. 10>[]
  9. vgl. BGHZ 211, 22 <29 Rn. 23> m.w.N.[]
  10. vgl. BGHZ 211, 22 <30 Rn. 24> m.w.N.[]
  11. vgl. BT-Drs. 17/11048 S. 17 rechte Spalte; BGHZ 211, 22 <29 Rn. 22>[]
  12. BGHZ 211, 22 <29 Rn. 22> m.w.N.[]
  13. vgl. BGHZ 211, 22 <32 Rn. 31>[]
  14. vgl. BT-Drs. 17/11048 S. 18 linke Spalte; BGHZ 211, 22 <33 Rn. 33> m.w.N.[]
  15. vgl. BT-Drs. a.a.O.[]
  16. vgl. BGH, Beschluss vom 31.08.2017 – III ZB 37/17, Rn. 8 m.w.N[]
  17. vgl. BVerfGE 63, 380 <394 f.> 81, 347 <357>[]
  18. zur Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Bewilligungsreife vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.12.2018 – 2 BvR 2257/17, Rn. 15; Beschluss vom 16.04.2019 – 1 BvR 2111/17, Rn. 25 jeweils m.w.N.[]
  19. vgl. Weber, in: BeckOK FamFG, Stand: Apr.2020, § 76 Rn. 101a; OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.03.2017 – 2 WF 163/16 21 f.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 26.01.2012 – 11 WF 28/12 1; OLG Celle, Beschluss vom 27.04.2012 – 10 WF 323/11 8[]
  20. vgl. Viefhues, in: Münchener Kommentar zum FamFG, 3. Aufl.2018, § 76 Rn. 84[]
  21. vgl. Viefhues, in: Münchener Kommentar zum FamFG, 3. Aufl.2018, § 76 Rn. 82; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 10.08.2016 – 9 WF 208/16 3 f.; Hanseatisches OLG Bremen, Beschluss vom 11.06.2015 – 5 WF 20/15 10; OLG Koblenz, Beschluss vom 17.07.2014 – 7 WF 355/14 26; OLG Hamm, Beschluss vom 22.08.2013 – II-6 WF 210/13 16[]
  22. vgl. Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 10.08.2016 – 9 WF 208/16 3 ff.; Hanseatisches OLG Bremen, Beschluss vom 11.06.2015 – 5 WF 20/15 10[]
  23. vgl. Schultzky, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl.2020, § 127 Rn. 39; Fischer, in: Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl.2020, § 127 Rn. 24; siehe auch Viefhues, in: Münchener Kommentar zum FamFG, 3. Aufl.2018, § 76 Rn. 226[]
  24. vgl. Viefhues a.a.O. Rn. 228[]
  25. vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.03.2020 – 1 BvR 2392/19, Rn. 9 m.w.N.[]
  26. vgl. BVerfGE 105, 239 <240>[]
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