Durch die Auswahl eines neuen Vormunds ist die Pflegeperson grundsätzlich nicht in eigenen Rechten im Sinne von § 59 Abs. 1 FamFG betroffen und daher nicht beschwerdebefugt.

Hatte das minderjährige Kind als in einem Kindschaftsverfahren formell Beteiligter (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG) rechtlich keine Möglichkeit, selbst Beschwerde gegen die seine Rechte im Sinne von § 59 Abs. 1 FamFG beeinträchtigende erstinstanzliche Entscheidung einzulegen, ist es zur Wahrung des Kindeswohls und der Persönlichkeitsrechte des Kindes verfassungsrechtlich geboten, die Beschwerde der Pflegeperson in verfassungskonformer Auslegung der §§ 303 Abs. 2, 335 Abs. 1 Nr. 1 FamFG als zulässig anzusehen.
Zwar ist eine Pflegeperson grundsätzlich durch die Auswahl eines Vormundes für das in ihrer Obhut lebende Kind nicht in eigenen Rechten im Sinne von § 59 Abs. 1 FamFG betroffen und daher nicht beschwerdebefugt. Wurde jedoch – wie hier – das von einer Pflegeperson betreute Kind nicht in einer Weise am Verfahren beteiligt, die eine Wahrung der Belange des Kindes gewährleistet, ist die (auch) im Interesse des Kindes eingelegte Beschwerde der Pflegeperson in verfassungskonformer Auslegung von §§ 303 Abs. 2, 335 Abs. 1 Nr. 2 FamFG als zulässig anzusehen.
Nach § 59 Abs. 1 FamFG steht die Beschwerde demjenigen zu, der durch die Entscheidung „in seinen Rechten“ beeinträchtigt ist. Eine Verletzung eigener Rechte der Beteiligten Ziffer 4 liegt nicht vor.
Eigene Rechte im Sinne von § 59 Abs. 1 FamFG folgen insbesondere nicht aus der von ihr übernommenen tatsächlichen Verantwortung für das Kind. Zwar ist ein länger andauerndes Pflegeverhältnis und die daraus erwachsene Bindung zwischen Pflegeeltern und Pflegekind durch Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 GG geschützt. Gleichwohl hat der Gesetzgeber aus dieser materiellen Rechtsposition bewusst keine Beschwerdeberechtigung abgeleitet [1]. Auch wird in den Schutz des Pflegeverhältnisses durch die Auswahl des Vormundes nicht unmittelbar eingegriffen. Erst die Entscheidung des Vormundes, das Kind aus der Pflegefamilie herauszunehmen, würde unmittelbar in die rechtlich geschützte Position der Pflegeeltern eingreifen.
Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten Ziffer 4 folgt nicht bereits aus § 59 Abs. 2 FamFG. Die Vorschrift normiert keine selbständige Beschwerdeberechtigung, sondern beschränkt das in Abs. 1 generell, das heißt sowohl für Amts- wie für Antragsverfahren geregelte Beschwerderecht. Deshalb begründet die Zurückweisung des Antrags für sich allein noch kein Beschwerderecht. Vielmehr ist der durch die Zurückweisung seines Antrags formell beschwerte Antragsteller nur dann beschwerdeberechtigt, wenn er zugleich materiell beschwert, also durch die erstinstanzliche Entscheidung in einem subjektiven Recht beeinträchtigt ist [2]. Hieran fehlt es vorliegend.
Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten Ziffer 4 ergibt sich allerdings vorliegend aus einer verfassungskonformen Auslegung von §§ 303 Abs. 2, 335 Abs. 1 Nr. 1 FamFG.
§§ 303 Abs. 2, 335 Abs. 1 Nr. 1 FamFG räumen im Rahmen eines Betreuungsverfahrens bzw. bei Anordnung der geschlossenen Unterbringung eines Minderjährigen insbesondere Personen, die in einem Näheverhältnis zum Betroffenen stehen, das Recht ein, im Interesse des Betroffenen Beschwerde einzulegen. Sie sind als Spezialregelungen im Rahmen eines Kindschaftsverfahrens grundsätzlich nicht unmittelbar anwendbar. Der Gesetzgeber hat für Familiensachen den Kreis der Beschwerdeberechtigten bewusst überschaubar halten wollen, um die formelle Rechtskraft von mit befristeten Rechtsmitteln anfechtbaren Endentscheidungen nicht zu gefährden. Die ursprünglich in Vormundschaftssachen bestehende erweiterte Beschwerdeberechtigung für jeden, der ein berechtigtes Interesse hat (§ 57 Abs. 1 Nr. 9 FGG a.F.), hat der Gesetzgeber seit 1998 für Familiensachen durch die Regelung in §§ 64 Abs. 3 S. 3, 57 Abs. 2 FGG a.F. ausdrücklich ausgeschlossen [3]. Auch im Rahmen der Neuregelung durch das FGG-RG vom 17.12.2008 hat der Gesetzgeber an dieser engen Fassung der Beschwerdeberechtigung festgehalten und für diese grundsätzlich eine Beeinträchtigung eigener Rechte verlangt (§ 59 Abs. 1 FamFG). Soweit hiergegen eingewandt wurde, dass der Gesetzeszweck – Beschränkung des Kreises der Beschwerdeberechtigten im Interesse der Rechtssicherheit – durch die Anerkennung einer Beschwerdeberechtigung von Pflegeeltern nicht gefährdet würde, da sie als engste Bezugspersonen des Kindes zu einem „bestimmten Kreis“ gehören, rechtfertigen diese Erwägungen angesichts des klaren Wortlauts des eine eigene Rechtsbeeinträchtigung voraussetzenden § 59 Abs. 1 FamFG nicht, die Pflegeeltern als grundsätzlich beschwerdeberechtigt im Sinne dieser Vorschrift anzusehen [4].
Etwas anderes muss jedoch dann gelten, wenn das minderjährige Kind als in einem Kindschaftsverfahren formell Beteiligter (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG) rechtlich keine Möglichkeit hat, selbst Beschwerde gegen die seine Rechte im Sinne von § 59 Abs. 1 FamFG beeinträchtigende erstinstanzliche Entscheidung einzulegen. Hier ist es zur Wahrung des Kindeswohls und der Persönlichkeitsrechte des Kindes verfassungsrechtlich geboten, die Beschwerde der Pflegeperson unter entsprechender Anwendung der §§ 303 Abs. 2, 335 Abs.1 Nr. 1 FamFG als zulässig anzusehen.
Mit Inkrafttreten des FamFG ist – im Unterschied zu der bis August 2009 bestehenden Rechtslage – das minderjährige Kind gem. § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG am Kindschaftsverfahren immer formell beteiligt. Soweit es – wie hier – das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, handeln für das Kind gem. § 9 Abs. 2 FamFG die nach bürgerlichem Recht dazu befugten Personen. Das Kind bedarf, da es nicht verfahrensfähig ist, zur Wahrung seiner (Verfahrens-)Rechte eines gesetzlichen Vertreters oder eines Verfahrensbeistands [5].
Vorliegend ist den Eltern des Kindes das Sorgerecht entzogen, sodass grundsätzlich dem Vormund die gesetzliche Vertretung des Kindes obliegt. Wenn es allerdings – wie hier – um einen Antrag des Vormunds auf Entlassung und die Bestellung eines neuen Vormundes geht, ist schon wegen des insoweit bestehenden (möglichen) Interessengegensatzes zu den Belangen des Kindes eine Vertretung des Kindes durch den Vormund nicht möglich. Bei dieser Sachlage kann eine Beschwerde daher weder durch die Eltern noch durch den früheren oder den neuen Vormund im Namen des Kindes erhoben werden.
Dies kann indes nicht bedeuten, dass dem Kind die Möglichkeit genommen ist, die Verletzung eigener Rechte geltend zu machen. Entscheidungen im Sorgerechtsverfahren sind dadurch geprägt, dass das Tätigwerden des Staates maßgebend durch das Interesse des Kindes veranlasst ist. Das Wohl des Kindes hat den Richtpunkt der Entscheidungen der Gerichte zu bilden. Der enge Bezug eines Kindschaftsverfahrens zum grundgesetzlich gewährleisteten Anspruch des Kindes auf den Schutz des Staates schließt es jedenfalls aus, einem Minderjährigen den Zugang zum Beschwerdegericht zu versagen, wenn sein gesetzlicher Vertreter nicht willens oder nicht in der Lage ist, für ihn Beschwerde einzulegen [6] und ihm kein Verfahrensbeistand bestellt wurde.
Wegen seiner sich aus Art. 6 GG und Art. 2 Abs. 1 GG ergebenden Schutzpflichten hat der Staat für sorgerechtliche Verfahren auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht normative Regelungen zu schaffen, die eine hinreichende Berücksichtigung der grundrechtlichen Stellung des betroffenen Kindes garantieren [7]. Derartige normative Regelungen liegen mit § 1909 Abs. 1 Satz 1 BGB (Bestellung eines Ergänzungspflegers) und § 158 FamFG (Bestellung eines Verfahrensbeistands) vor. Im vorliegenden Fall ist es indes versäumt worden, durch die Bestellung eines Ergänzungspflegers oder Verfahrensbeistands in erster Instanz dafür Sorge zu tragen, dass das Kind bzw. der Verfahrensbeistand in dessen Interesse Beschwerde einlegen kann. In einem solchen Fall ist es unter Beachtung der sich aus Art. 6 GG und Art. 2 Abs. 1 GG ergebenden Schutzpflichten geboten, einen prozessualen Weg zu suchen, dem Beschwerdegericht die Überprüfung der das Kind möglicherweise in seinem Persönlichkeitsrecht verletzenden Entscheidung zu ermöglichen.
Ob diese Erwägung es rechtfertigt, ausnahmsweise Vertreter zuzulassen, die nicht förmlich bestellt worden sind [8], bedarf vorliegend keiner Klärung, da die Beschwerdeeinlegung nicht namens und in Vertretung des Kindes erfolgte. Jedenfalls ist es geboten, im Anwendungsbereich des FamFG die dort ohnehin in §§ 303 Abs. 2, 335 Abs. 1 Nr. 1 FamFG vorgesehene Möglichkeit der Beschwerdeeinlegung im Interesse eines – besonders schutzbedürftigen – Betroffenen auf eine Konstellation wie die vorliegende zu übertragen. Dies gilt für die Beteiligte Ziffer 4 umso mehr, als sie als Pflegemutter ohnehin gem. § 1887 Abs. 2 Satz 2 BGB berechtigt ist, im Interesse des Mündels (erstinstanzlich) den Antrag auf Entlassung des Vormunds zu stellen [9]. Von daher liegt es nahe, sie in einer Konstellation wie der vorliegenden als Sachverwalterin der Interessen des Kindes (in der Beschwerdeinstanz) anzusehen, wenn andere Personen fehlen, die für das Kind handeln können.
Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 26. Juni 2013 – 18 UF 296/11
- BGH FamRZ 2011, 552, 553 unter Verweis auf BT-Drucks. 13/11035, S. 26 f.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06.05.2013 – 5 WF 170/12 mit ausführlichen Nachweisen des Meinungsstands[↩]
- Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 17. Auflage 2011, § 59 Rn 39 m.w.N.[↩]
- BGH FamRZ 2011, 552, 553 unter Verweis auf BT-Drucks. 13/11035, S. 26 f.[↩]
- für den Ausschluss des erweiterten Beschwerderechts nach § 57 Abs. 1 Nr. 9 FGG durch § 64 Abs. 3 Satz 3 FGG insoweit BGH FamRZ 2000, 219, 221[↩]
- BGH FamRZ 2012, 140; FamRZ 2011, 1788[↩]
- für die Verfassungsbeschwerde BVerfGE 72, 122 – juris Rz. 41 f.[↩]
- BVerfGE 72, 122[↩]
- BVerfGE 72, 122 – für die im Namen des Kindes eingelegte Verfassungsbeschwerde durch eine Person, die es über einen nicht unerheblichen Zeitraum befugtermaßen in Obhut hatte; BVerfGE 55, 171, 178, 178; für die „Vertretung“ eines Kindes durch den nicht sorgeberechtigten Vater, in dessen Haushalt das Kind lebte[↩]
- vgl. allgemein zu diesem Gesichtspunkt OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06.05.2013 – 5 WF 170/12[↩]