Die Bestellung eines Berufsbetreuers statt des vorgeschlagenen Angehörigen – und die Amtsermittlungspflicht des Gerichts

Mit dem Umfang der Amtsermittlungspflicht in Fällen, in denen das Betreuungsgericht statt eines vom Betroffenen vorgeschlagenen Angehörigen einen Berufsbetreuer auswählt, hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen:

Die Bestellung eines Berufsbetreuers statt des vorgeschlagenen Angehörigen – und die Amtsermittlungspflicht des Gerichts

So sah der Bundesgerichtshof im hier entschiedenen durchgreifende verfahrensrechtlichen Bedenken, soweit das Landgericht die Bestellung einer Berufsbetreuerin mit Zweifeln an der Eignung und Redlichkeit der vorgeschlagenen Angehörigen begründet hat. Dabei konnte für den Bundesgerichtshof dahinstehen, ob die Tatsachen, auf die das Landgericht seine Zweifel stützt, bereits einen Schluss auf die mangelnde Eignung und Redlichkeit der vorgeschlagenen Angehörigen zulassen. Denn das Landgericht hatte bei der Feststellung dieser Tatsachen jedenfalls seine Amtsermittlungspflicht gemäß § 26 FamFG verletzt:

Nach § 1816 Abs. 2 Satz 1 BGB (bis 31.12.2022: § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB aF) hat das Betreuungsgericht dem Wunsch des Betroffenen, eine Person zum Betreuer zu bestellen, zu entsprechen, es sei denn, die gewünschte Person ist zur Führung der Betreuung nicht geeignet. Ein solcher Wunsch erfordert in der Regel weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit. Es ist auch nicht erforderlich, dass der Vorschlag des Betroffenen ernsthaft, eigenständig gebildet und dauerhaft ist. Vielmehr genügt, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden1.

Nach § 1816 Abs. 3 BGB (bis 31.12.2022: § 1897 Abs. 5 BGB aF) sind, wenn der Betroffene niemanden als Betreuer vorgeschlagen hat, bei der Auswahl des Betreuers die familiären Beziehungen des Volljährigen, insbesondere zum Ehegatten, zu Eltern und zu Kindern, seine persönlichen Bindungen sowie die Gefahr von Interessenkonflikten zu berücksichtigen. Die bevorzugte Berücksichtigung der Angehörigen dient dem Schutz von Ehe und Familie. Die Vorschrift kommt auch dann zur Anwendung, wenn der Betroffene einen Angehörigen als Betreuer benannt hat. Denn der Angehörige ist nach Maßgabe dieser Vorschrift „erst recht“ zu bestellen, wenn der Betroffene selbst diesen Angehörigen ausdrücklich als Betreuer seiner Wahl benannt hat2.

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In Würdigung der in § 1816 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 BGB getroffenen Wertentscheidungen wird ein Kind des Betroffenen, das zum Betroffenen persönliche Bindungen unterhält und das der Betroffene wiederholt als Betreuer benannt hat, deshalb bei der Betreuerauswahl besonders zu berücksichtigen sein und nur dann zugunsten eines Berufsbetreuers übergangen werden können, wenn gewichtige Gründe des Wohls des Betreuten einer Bestellung seines Kindes entgegenstehen3.

Diese rechtliche Gewichtung stellt auch an die tatrichterliche Ermittlungspflicht besondere Anforderungen. Der Tatrichter wird solche Gründe, die möglicherweise in der Person des vom Betroffenen als Betreuer benannten Kindes liegen, verlässlich nur feststellen können, wenn er dem Kind Gelegenheit gegeben hat, zu diesen Gründen Stellung zu nehmen. Es verstößt gegen den Amtsermittlungsgrundsatz, wenn der Tatrichter in seiner Entscheidung ausdrücklich die Eignung des benannten Kindes zum Betreueramt oder die Redlichkeit des Kindes gegenüber dem Elternteil in Zweifel zieht und sich hierbei auf Mitteilungen Dritter beruft, ohne zuvor das als Betreuer vorgeschlagene Kind bei derart gravierenden Vorwürfen sogar regelmäßig persönlich zu den von Dritten mitgeteilten Tatsachen anzuhören. Eine solche Verfahrensweise wäre schon allgemein als Grundlage einer Betreuerauswahl, bei der ein Berufsbetreuer einem möglichen ehrenamtlichen Betreuer aufgrund dessen angeblich fehlender Eignung und mangelnder Redlichkeit vorgezogen wird, bedenklich. Als tatrichterliche Basis einer Entscheidung, durch die ein Kind des Betroffenen, obschon mit diesem persönlich verbunden und von diesem wiederholt als Betreuer benannt, als Betreuer übergangen wird, ist eine solche Verfahrensweise jedoch jedenfalls rechtsfehlerhaft4.

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So aber liegen die Dinge hier. Die Überzeugungsbildung, dass die vorgeschlagene Angehörige als ungeeignet für die Übernahme des Betreuungsamts anzusehen ist, setzt verfahrensrechtlich voraus, dass sie zunächst mit den Mitteilungen Dritter, auf die das Landgericht seine Zweifel an der Eignung und Redlichkeit der vorgeschlagenen Angehörigen stützen will, konfrontiert wird und Gelegenheit erhält, sich hierzu persönlich vor Gericht zu äußern. Eine solche Gelegenheit ist der vorgeschlagenen Angehörigen im vorliegenden Fall – soweit aus den Akten ersichtlich – nicht eingeräumt worden. Zwar wurde sie vor Erlass der Beschwerdeentscheidung vom Landgericht angehört. Ausweislich des Anhörungsprotokolls bezog sich diese Anhörung jedoch lediglich auf den von der Betreuerin beabsichtigten Hausverkauf und auf die vorgelagerte Frage, ob für die Betroffene überhaupt eine Betreuung einzurichten ist. Die Vorwürfe Dritter, auf die das Landgericht seine Entscheidung im Wesentlichen gestützt hat, waren nicht Gegenstand dieser Anhörung. Damit sind die an eine ermessensfehlerfreie amtswegige Tatsachenermittlung zu stellenden Anforderungen nicht erfüllt.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 1. März 2023 – XII ZB 285/22

  1. vgl. BGH, Beschluss vom 18.08.2021 – XII ZB 151/20 FamRZ 2021, 1822 Rn. 7 mwN zu § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB aF; vgl. auch Grüneberg/Götz BGB 82. Aufl. § 1816 Rn. 4[]
  2. BGH, Beschluss vom 18.08.2021 – XII ZB 151/20 FamRZ 2021, 1822 Rn. 9; vgl. auch BVerfG FamRZ 2021, 1055 Rn. 24[]
  3. vgl. BGH, Beschluss vom 15.12.2010 – XII ZB 165/10 FamRZ 2011, 285 Rn. 16; vgl. auch BVerfG FamRZ 2021, 1055 Rn. 34[]
  4. vgl. BGH, Beschluss vom 15.12.2010 – XII ZB 165/10 FamRZ 2011, 285 Rn. 17[]
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