Wurde in einer durch Zeitablauf erledigten Unterbringungssache das für die Entscheidung maßgebliche Gutachten dem Betroffenen nicht bekannt gegeben, liegt eine Verletzung des Anspruchs des Betroffenen auf rechtliches Gehör vor1.

Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache setzt gemäß § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut im Hinblick auf die Verfahrensfähigkeit des Betroffenen (§ 316 FamFG) grundsätzlich auch ihm persönlich zur Verfügung zu stellen. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 325 Abs. 1 FamFG abgesehen werden2.
Diesen Anforderungen wurde das vorliegende Verfahren nicht gerecht. Die Voraussetzungen des § 325 Abs. 1 FamFG liegen nach den Feststellungen der Vorinstanzen nicht vor. Gleichwohl ist der Inhalt des Gutachtens dem Betroffenen weder vom Amtsgericht noch vom Beschwerdegericht in vollem Umfang mitgeteilt worden. Denn ausweislich des Anhörungsvermerks des Amtsgerichts vom 30.01.2020 wurde dem Betroffenen lediglich im Rahmen der Anhörung der wesentliche Inhalt des Sachverständigengutachtens vom 28.01.2020 bekannt gegeben. Der Betroffene hatte danach keine Gelegenheit, das Gutachten mit seinem vollen Inhalt zur Kenntnis zu nehmen.
Der Betroffene ist durch diesen Verfahrensmangel in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt worden.
Die Feststellung, dass ein Betroffener durch angefochtene Entscheidungen in seinen Rechten verletzt ist, kann grundsätzlich auch auf einer Verletzung des Verfahrensrechts beruhen. Dabei ist die Feststellung nach § 62 FamFG jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn der Verfahrensfehler so gravierend ist, dass die Entscheidung den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung hat, der durch Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist3.
Wurde in einer – wie hier – durch Zeitablauf erledigten Unterbringungssache das für die Entscheidung maßgebliche Gutachten dem Betroffenen nicht bekannt gegeben, ist von einer Verletzung des Anspruchs des Betroffenen auf rechtliches Gehör auszugehen. Schon allein dieser Verfahrensfehler ist so gewichtig, dass er die Feststellung nach § 62 FamFG zu rechtfertigen vermag, weil er einer Verwertung des gemäß § 321 Abs. 1 FamFG unabdingbaren Sachverständigengutachtens entgegensteht4.
Auch das Unterbleiben einer verfahrensordnungsgemäßen persönlichen Anhörung des Betroffenen stellt einen Verfahrensmangel dar, der derart schwer wiegt, dass der genehmigten Unterbringungsmaßnahme insgesamt der Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung anhaftet. Die durch § 319 Abs. 1 Satz 1 FamFG angeordnete persönliche Anhörung gehört zu den bedeutsamen Verfahrensgarantien, deren Verletzung die Feststellung nach § 62 FamFG rechtfertigt5.
Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse des Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der – hier durch Zeitablauf erledigten Unterbringungsmaßnahme feststellen zu lassen, liegt vor. Die gerichtliche Anordnung oder Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG6.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14. Oktober 2020 – XII ZB 146/20
- im Anschluss an BGH, Beschluss vom 16.05.2018 – XII ZB 542/17 , FamRZ 2018, 1196[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 07.02.2018 – XII ZB 334/17 , FamRZ 2018, 707 Rn. 9 mwN[↩]
- vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 16.05.2018 – XII ZB 542/17 , FamRZ 2018, 1196 Rn. 14 mwN; und vom 29.01.2014 – XII ZB 330/13 , FamRZ 2014, 649 Rn. 23 mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 16.05.2018 – XII ZB 542/17 , FamRZ 2018, 1196 Rn. 15[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 29.01.2014 – XII ZB 330/13 , FamRZ 2014, 649 Rn. 24 f. mwN[↩]
- ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 16.05.2018 – XII ZB 542/17 , FamRZ 2018, 1196 Rn. 16 mwN; und vom 29.01.2014 – XII ZB 330/13 , FamRZ 2014, 649 Rn. 27 mwN[↩]