Die freie Willensbildung des Betreuten

Das Gericht hat auch im Aufhebungsverfahren festzustellen, ob der Betroffene trotz seiner Erkrankung noch zu einer freien Willensbestimmung fähig ist1.

Die freie Willensbildung des Betreuten

Nach § 1908 d BGB ist eine Betreuung aufzuheben, wenn ihre Voraussetzungen weggefallen sind. Daher kann ein Antrag auf Aufhebung der Betreuung nur dann abgelehnt werden, wenn im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sämtliche Voraussetzungen für die Bestellung des Betreuers noch vorliegen. Der Wegfall nur einer dieser Voraussetzungen reicht für die Aufhebung der Betreuung aus. Da nach § 1896 Abs. 1 a BGB gegen den freien Willen eines Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden darf, muss vor der Ablehnung eines Antrags auf Aufhebung der Betreuung festgestellt werden, dass der Betroffene nicht in der Lage ist, seinen Willen in bestimmten Aufgabenkreisen frei zu bestimmen. Das Gericht hat daher auch im Aufhebungsverfahren festzustellen, ob der Betroffene trotz seiner Erkrankung noch zu einer freien Willensbestimmung fähig ist2.

Die beiden entscheidenden Kriterien sind dabei die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln. Fehlt es an einem dieser beiden Elemente, liegt kein freier, sondern nur ein natürlicher Wille vor. Einsichtsfähigkeit setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Dabei dürfen jedoch keine überspannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt werden. Auch der an einer Erkrankung im Sinne des § 1896 Abs. 1 BGB leidende Betroffene kann in der Lage sein, einen freien Willen zu bilden und ihn zu äußern. Der Betroffene muss Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell erfassen können, was denknotwendig voraussetzt, dass der Betroffene seine Defizite im Wesentlichen zutreffend einschätzen und auf der Grundlage dieser Einschätzung die für oder gegen eine Betreuung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abwägen kann. Ist der Betroffene zur Bildung eines klaren Urteils zur Problematik der Betreuerbestellung in der Lage, muss ihm weiter möglich sein, nach diesem Urteil zu handeln und sich dabei von den Einflüssen interessierter Dritter abzugrenzen3.

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Dabei müssen die Feststellungen zum Ausschluss der freien Willensbestimmung auch im Aufhebungsverfahren durch ein noch aktuelles Sachverständigengutachten belegt sein4.

Gemessen daran fehlte es nach Ansicht des Bundesgerichtshofs im vorliegenden Fall an ausreichenden Feststellungen des Betreuungsgerichts zu den Voraussetzungen des § 1896 Abs. 1 a BGB:

Feststellungen dazu, ob der Betroffene in den von der Betreuungsanordnung erfassten Aufgabenbereichen zur freien Willensbildung fähig ist, können schon deshalb nicht auf Erkenntnisse aus dem letzten amtsgerichtlichen Verlängerungsverfahren im Jahre 2011 gestützt werden, weil der Betroffene seinerzeit mit der Aufrechterhaltung der Betreuung einverstanden war. Damit entfiel für das Amtsgericht die Pflicht zur Prüfung, ob der Betroffene zur Bildung eines freien Willens in der Lage war.

Tragfähige Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 1896 Abs. 1 a BGB hätten sich aufgrund der im Verlängerungsverfahren durchgeführten Ermittlungen auch nicht treffen lassen können. Das Amtsgericht hat im Verlängerungsverfahren verfahrensfehlerhaft weder ein den Anforderungen des § 280 FamFG genügendes neues Sachverständigengutachten (§ 295 Abs. 1 Satz 1 FamFG) noch ein ärztliches Zeugnis gemäß § 295 Abs. 1 Satz 2 FamFG eingeholt. Es hat vielmehr ein in einem Unterbringungsverfahren eingeholtes medizinisches Sachverständigengutachten vom 28.10.2010 verwertet. Diesem Gutachten lässt sich zwar entnehmen, dass der Betroffene aufgrund seiner schizophrenen Erkrankung im Zeitpunkt der Begutachtung nicht in der Lage war, die Notwendigkeit einer Heilbehandlung und einer geschlossenen Unterbringung zu erkennen und nach dieser Einsicht zu handeln. Damit ist jedoch noch nichts darüber ausgesagt, ob dem Betroffenen krankheitsbedingt die Fähigkeit fehlt, die für und gegen eine Bestellung eines Betreuers insbesondere mit dem Aufgabenkreis der Vermögenssorge sprechenden Gesichtspunkte zu erfassen und gegeneinander abzuwägen.

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Nichts anderes gilt für die vom Beschwerdegericht ergänzend herangezogenen Sachverständigengutachten. Auch diese Gutachten sind in Unterbringungsverfahren eingeholt worden und verhalten sich (lediglich) dazu, dass der Betroffene aufgrund seiner Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis nicht in der Lage ist, die Notwendigkeit einer geschlossenen Unterbringung zu erkennen und nach dieser Einsicht zu handeln.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 7. Oktober 2015 – XII ZB 58/15

  1. im Anschluss an BGH, Beschluss vom 16.09.2015 XII ZB 500/14[]
  2. BGH, Beschluss vom 16.09.2015 XII ZB 500/14 zur Veröffentlichung bestimmt[]
  3. BGH, Beschluss vom 22.01.2014 XII ZB 632/12 FamRZ 2014, 647 Rn. 7 f. mwN[]
  4. BGH, Beschluss vom 16.09.2015 XII ZB 500/14[]