Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG schützt das Interesse des leiblichen Vaters eines Kindes, die rechtliche Stellung als Vater einzunehmen. Dem leiblichen Vater ist Zugang zu einem Verfahren zu gewähren, um auch rechtlich die Vaterstellung erlangen zu können. Prüfung und Feststellung der Vaterschaft sind Teil der verfahrensrechtlichen Gewährleistung aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG [1].

Der Gesetzgeber ist diesen Anforderungen in Abwägung der betroffenen Interessen des leiblichen Vaters, des Kindes und der rechtlichen Eltern [2] dadurch nachgekommen, dass er dem leiblichen Vater ein Anfechtungsrecht eingeräumt (§ 1600 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BGB) und damit ein Verfahren zur gerichtlichen Feststellung seiner rechtlichen Vaterschaft (§ 1592 Nr. 3 BGB i.V.m. § 182 Abs. 1 FamFG) eröffnet hat [3]. Dieses Verfahren zur Erlangung der rechtlichen Vaterstellung muss hinreichend effektiv sein [4].
Die fachgerichtliche Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts kann durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich nur daraufhin geprüft werden, ob sie willkürlich ist oder auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts beruht oder mit anderen verfassungsrechtlichen Vorschriften unvereinbar ist [5].
Nach diesen Maßstäben verstößt die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm [6] gegen das Recht des Beschwerdeführers aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Das Oberlandesgericht hat dem grundrechtlich geschützten Interesse des Beschwerdeführers an der Erlangung der rechtlichen Vaterstellung nicht in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise effektive Geltung verschafft, ohne dass diese Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall durch kollidierende Grundrechtspositionen Dritter gerechtfertigt gewesen wäre. Das Oberlandesgericht hat die Möglichkeit des Beschwerdeführers zur Erlangung der rechtlichen Elternstellung ungerechtfertigt eingeschränkt, indem es den Verlust des Anfechtungsrechts wegen Ablauf der Anfechtungsfrist angenommen hat, ohne dafür einen Nachweis des im Verfahren streitigen Vortrags zu einer möglichen widerrechtlichen Drohung nach § 1600b Abs. 5 Satz 2 BGB durch die Mutter für erforderlich zu halten. Die getroffenen tatsächlichen Feststellungen tragen den Schluss, eine Hemmung sei ausgeblieben, nicht. Zudem hat das Oberlandesgericht naheliegende Gründe, die nach § 1600b Abs. 5 Satz 2 BGB eine Hemmung des Ablaufs der Anfechtungsfrist und damit das Fortbestehen des Anfechtungsrechts des Beschwerdeführers bewirken, unberücksichtigt gelassen.
Von Verfassungs wegen ist zwar nicht zu beanstanden, dass sich das Oberlandesgericht bei der Auslegung des Tatbestandmerkmals der widerrechtlichen Drohung nach § 1600b Abs. 5 Satz 2 BGB offenbar an der Auslegung des entsprechenden Tatbestandmerkmals in § 123 BGB orientiert hat [7].
Soweit das Oberlandesgericht ohne weitere Erläuterung, an welchem Tatbestandsmerkmal es dies festmacht, verlangt, bei dem Bedrohten müsse der Eindruck entstanden sein, dass der Eintritt des Übels vom Willen des Drohenden abhängig sei [8], ist auch dagegen im Ergebnis verfassungsrechtlich nichts zu erinnern.
Das Oberlandesgericht trifft jedoch zu diesem Merkmal keine verfassungsrechtlicher Prüfung anhand der Bedeutung von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG standhaltenden tatsächlichen Feststellungen. Seiner Annahme, bei dem Beschwerdeführer sei nicht der Eindruck entstanden, die Mutter könne künftige Kontakte mit dem Kind verhindern, fehlt eine tragfähige beweiswürdigende Grundlage. Der allein aus dem Bildungsgrad des Beschwerdeführers gezogene Schluss, er habe Kenntnis der Möglichkeit gehabt, den Umgang gerichtlich regeln und durchsetzen zu lassen, greift zu kurz. Er schließt nämlich nicht aus, dass der Beschwerdeführer zumindest von der tatsächlichen Möglichkeit der Mutter ausgegangen sein kann, einen Kontaktabbruch zu der gemeinsamen Tochter zu bewirken. Eine solche Vorstellung des Beschwerdeführers lag schon deshalb nicht fern, weil dieser solches nach eigenem Vortrag bei einem Kind aus einer vorherigen Beziehung bereits erlebt hatte.
Zudem hat das Oberlandesgericht den Tatbestand der widerrechtlichen Drohung lediglich in Bezug auf die – streitige – Ankündigung der Mutter, künftig jeglichen Kontakt zwischen dem Beschwerdeführer und dem Kind zu unterbinden, geprüft. Es hat nicht in Betracht gezogen, dass bereits in der darin ebenfalls enthaltenen Ankündigung, die Beziehung zu beenden und unter Mitnahme des Kindes aus der gemeinsamen Wohnung auszuziehen, eine tatbestandsmäßige Drohung liegen könnte. Denn auch der Wegfall des – nicht zuletzt auch durch Art. 6 Abs. 1 GG geschütz- ten – Zusammenlebens mit dem Kind in einem Haushalt und des damit verbundenen täglichen Kontakts dürfte aus Sicht des Beschwerdeführers ein Übel darstellen.
Auch wenn es sich bei Trennung und Auszug um zulässige Verhaltensweisen und damit um legale Mittel im Sinne der für die Beurteilung der Widerrechtlichkeit maßgeblichen Zweck-Mittel-Relation [9] handelt, ist die Verhinderung der Anfechtung einer unzutreffenden Vaterschaft zudem regelmäßig als widerrechtlich anzusehen [10].
Soweit das Oberlandesgericht mit dem Hinweis auf das Vorhandensein eines gerichtlich durchsetzbaren Umgangsrechts eine objektive Möglichkeit der Mutter, Kontakte des Beschwerdeführers zum Kind nach ihrem Auszug zu verhindern, verneint, lässt es dennoch aus dem von ihr angekündigten Verhalten möglicherweise resultierende Nachteile für die künftige Gestaltung der Beziehung des Beschwerdeführers zu seinem Kind unberücksichtigt, die sich ebenfalls als ein von ihrem Willen abhängiges Übel qualifizieren ließen.
Im Ausgangspunkt zutreffend ist zwar, dass mit dem – nach Maßgabe des Kindeswohls im Einzelfall auszugestaltenden – Recht auf Umgang (§ 1684 BGB) eine einfachrechtlich konkretisierte und verfahrensrechtlich effektivierte Möglichkeit zur Verfügung steht, das verfassungsrechtlich geschützte Interesse des von seinem Kind getrennt lebenden Elternteils, sich von dem körperlichen und geistigen Befinden des Kindes und seiner Entwicklung durch Augenschein und gegenseitige Aussprache fortlaufend zu überzeugen, die verwandtschaftlichen Beziehungen zu ihm aufrechtzuerhalten, einer Entfremdung vorzubeugen sowie dem Liebesbedürfnis beider Teile Rechnung zu tragen [11], durchzusetzen. Das Oberlandesgericht zieht aber nicht in Betracht, dass der betreuende Elternteil zwar Kontakte des anderen Elternteils mit dem Kind nicht verhindern, sich sein Verhalten aber durchaus negativ auf die Möglichkeit der Wahrnehmung des Umgangsrechts auswirken kann. So hat die Qualität der elterlichen Beziehung nach der Trennung, insbesondere ihr Konfliktniveau, regelmäßig Auswirkungen auf das Wohl des Kindes, das wiederum alleiniger Maßstab für eine gerichtliche Ausgestaltung des Umgangs ist. Nicht zuletzt verpflichtet das Gesetz die Eltern auf Grund dieser Wechselwirkung ausdrücklich zu gegenseitigem Wohlverhalten (§ 1684 Abs. 2 Satz 1 BGB).
Dem mit der beanstandeten Rechtsanwendung einhergehenden Eingriff in das grundrechtlich geschützte Interesse des Beschwerdeführers an der Erlangung der rechtlichen Elternstellung stehen im vorliegenden Einzelfall keine schützenswerten Interessen Dritter entgegen.
Als solche kommen vorliegend vor allem das für die Anwendung der Anfechtungsfrist streitende Interesse des Kindes und des Rechtsverkehrs daran, dass früh und endgültig Gewissheit über die familienrechtliche Stellung des Kindes besteht und der Personenstand nicht für unbegrenzte Zeit in der Schwebe bleibt oder in Frage gestellt werden kann, in Betracht [12]. Dieses Interesse des Kindes am Erhalt seiner rechtlichen und sozialen familiären Zuordnung wiegt grundsätzlich schwer, ist es doch für seine Persönlichkeitsentwicklung von maßgeblicher Bedeutung, einen stabilen familiären Rahmen zu haben, in dem es sich einem Vater und einer Mutter zugehörig fühlen kann [13]. Zudem kann eine erfolgreiche Anfechtung, bei der das Kind mit dem rechtlichen Vater auch einen ihm gegenüber Verantwortlichen und Unterhaltspflichtigen verliert, mit erheblichen Auswirkungen auf seine Lebensumstände verbunden sein [13].
Dem auf Stabilität des Personenstands gerichteten Interesse des Kindes steht zugleich aber auch ein schützenswertes Interesse des Kindes daran, dass sich rechtliche und biologische Vaterschaft decken, gegenüber [14]. Dies wiegt umso schwerer, wenn der biologische Vater auch der soziale Vater des Kindes und weiter zur Übernahme von Verantwortung bereit ist, während der rechtliche Vater bislang keine Verantwortung für das Kind übernommen hat [14].
Ein schützenswertes Interesse des rechtlichen Vaters, der keine Verantwortung für das Kind übernommen und mit diesem auch nicht zusammengelebt hat, an der Aufrechterhaltung einer nicht den biologischen Abstammungsverhältnissen entsprechenden Rechtsstellung ist vorliegend nicht ersichtlich [14].
Anhaltspunkte für ein schützenswertes Interesse der Mutter an der Aufrechterhaltung einer nicht den biologischen Abstammungsverhältnissen entsprechenden Rechtsstellung des rechtlichen Vaters lassen sich nicht erkennen, denn sie bildet mit diesem keine soziale Familie mehr [14].
Das Interesse an der Stabilität des Personenstands rechtfertigt vorliegend nicht die Beibehaltung der bestehenden rechtlichen Vaterschaft und damit auch nicht die zulasten des Interesses des Beschwerdeführers auf Erlangung der rechtlichen Elternstellung erfolgte Auslegung und Anwendung des Hemmungstatbestands des § 1600b Abs. 5 Satz 2 BGB durch das Oberlandesgericht.
Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts verletzt den Beschwerdeführer aus den genannten Gründen in seinem verfassungsrechtlich geschützten Elternrecht. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Entscheidung bei hinreichender Beachtung dieses Grundrechts im Rahmen der Auslegung und Anwendung des Hemmungstatbestands des § 1600b Abs. 5 Satz 2 BGB anders ausgefallen wäre. Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm war daher aufzuheben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen (§ 93c i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG).
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. August 2019 – 1 BvR 1742/18
- vgl. BVerfGE 108, 82, 104 f.; BVerfG, Beschluss vom 25.09.2018 – 1 BvR 2814/17, Rn. 18[↩]
- vgl. BVerfGE 108, 82, 106; 117, 202, 234[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.09.2018 – 1 BvR 2814/17, Rn. 18[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 25.09.2018 – 1 BvR 2814/17, Rn.19[↩]
- vgl. BVerfGE 111, 307, 328; 128, 193, 209; stRspr[↩]
- OLG Hamm, Beschluss vom 04.05.2018 – II-12 UF 12/18[↩]
- vgl. Thüringer OLG, Beschluss vom 03.09.2008 – 1 UF 172/08 48; Wellenhofer, in: MünchKomm BGB, 7. Aufl.2017, § 1600b Rn. 43; Hammermann, in: Erman, BGB, 15. Aufl.2017, § 1600b Rn. 40; Rauscher, in: Staudinger, BGB, 2011, § 1600b Rn. 53[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 19.07.2017 – XII ZB 141/16 14; Urteil vom 02.02.2000 – RIZ ® 3/99 22[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 06.05.1982 – VII ZR 208/81 16 m.w.N.[↩]
- vgl. Wellenhofer, in: MünchKomm BGB, 7. Aufl.2017, § 1600b Rn. 43; Rauscher, in: Staudinger, BGB, 2011, § 1600b Rn. 53; Grün, in: Heilmann, Praxiskommentar Kindschaftsrecht, 1. Aufl.2015, § 1600b Rn. 38[↩]
- vgl. BVerfGE 31, 194, 206[↩]
- vgl. BVerfGE 38, 241, 251; 108, 82, 107 f.; 117, 202, 234, 243[↩]
- vgl. BVerfGE 117, 202, 234[↩][↩]
- vgl. BVerfGE 108, 82, 107[↩][↩][↩][↩]
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