Durchsetzung von Brüssel IIa-Beschlüssen in Sorgerechtssachen

Art. 16 HKÜ1 steht einer Entscheidung im Verfahren auf Nichtanerkennung einer ausländischen Sorgerechtsentscheidung gemäß Art. 21 Abs. 3 Brüssel IIa-VO2 nicht entgegen.

Durchsetzung von Brüssel IIa-Beschlüssen in Sorgerechtssachen

Hat das Oberlandesgericht einen Antrag auf Nichtanerkennung zurückgewiesen, bedarf es keiner Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Entscheidung gemäß § 27 Abs. 2 IntFamRVG3.

Hat das Oberlandesgericht dennoch die sofortige Wirksamkeit angeordnet, geht seine Anordnung ins Leere. Deshalb fehlt es dem hiervon Betroffenen an einem Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Aufhebung dieser Anordnung gemäß § 31 IntFamRVG.

Dies entschied jetzt der Bundesgerichtshof in einem Verfahren, auf das die Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO anzuwenden sind und in dem damit für das Verfahren gemäß § 1 Nr. 1 IntFamRVG die §§ 32, 16 bis 31 IntFamRVG entsprechend gelten4.

Aufhebung der Sofortigen Wirksamkeit eines Brüssel IIa-Beschlusses

Erlässt ein nach Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO in der Hauptsache zuständiges Gericht eine einstweilige Maßnahme, richtet sich die Anerkennung und Vollstreckung dieser Maßnahme in anderen Mitgliedsstaaten nach Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO5. Dabei ist für die Anwendung der Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO darauf abzustellen, ob das Ursprungsgericht seine Zuständigkeit auf Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO gestützt hat6. Ist zweifelhaft, worauf das Ursprungsgericht seine Zuständigkeit gestützt hat, ist anhand der in der Entscheidung des Ursprungsgerichts enthaltenen Ausführungen zu prüfen, ob dieses seine Zuständigkeit auf eine Vorschrift der Brüssel IIa-VO stützen wollte7.

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Danach sind die Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO vorliegend anwendbar. Zwar hat im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall das ungarische Stadtbezirksgericht in seinem Beschluss vom 15. November 2010 nicht ausdrücklich auf die Zuständigkeitsnormen der Brüssel IIa-VO Bezug genommen. Jedoch ergibt sich aus der Begründung des Beschlusses, dass der Antragsteller den Aufenthaltsort des Kindes nach Auffassung des Stadtbezirksgerichts durch den Umzug nach Deutschland willkürlich verändert und damit gegen die Regelung des elterlichen Sorgerechts verstoßen hat. Dem lässt sich entnehmen, dass das Stadtbezirksgericht von dem Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 10 der Brüssel IIa-VO ausgegangen ist, wonach bei widerrechtlichem Verbringen eines Kindes die Gerichte des Mitgliedsstaats, in dem das Kind unmittelbar vor dem widerrechtlichen Verbringen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, grundsätzlich zuständig bleiben, wenn nicht die – hier nicht einschlägigen – weiteren Voraussetzungen vorliegen. Im Übrigen hat das Gericht in seinem Beschluss auch Bezug genommen auf das Urteil vom 12.02.2010, in dem das Gericht – freilich zu einem Zeitpunkt, als das Kind noch in Ungarn lebte – ausdrücklich von seiner Zuständigkeit gemäß Art. 8 der Brüssel IIa-VO ausgegangen war. Nach alledem ergibt sich die Hauptsachezuständigkeit ersichtlich aus der erlassenen Entscheidung8.

Findet somit das IntFamRVG Anwendung, so ist der Antrag des Antragstellers auf Aufhebung der sofortigen Wirksamkeit gemäß § 31 IntFamRVG statthaft, weil das Beschwerdegericht nach § 27 Abs. 2 IntFamRVG die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses angeordnet hat.

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Haager Übereinkommen

Einer Entscheidung im Verfahren auf Nichtanerkennung der genannten Entscheidung steht auch Art. 16 HKÜ nicht entgegen. Zwar ergibt sich aus dem von dem Antragsteller in Bezug genommenen Schreiben des Bundesamtes für Justiz vom 05.04.2011, dass das Rückführungsverfahren nach dem Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung betrieben wird. Demgemäß kommt Art. 16 HKÜ zur Anwendung, wonach die Gerichte des Vertragsstaates, in den das Kind verbracht wurde, eine Sachentscheidung über das Sorgerecht erst treffen dürfen, wenn entschieden ist, dass das Kind aufgrund dieses Übereinkommens nicht zurückzugeben sei, oder wenn innerhalb angemessener Frist nach der Mitteilung kein Antrag nach dem Übereinkommen gestellt werde. Mithin dürfen sie keine in die elterliche Verantwortung eingreifenden Maßnahmen treffen9.

Im hier anhängigen Verfahren ist jedoch keine Sachentscheidung über das Sorgerecht zu treffen. Vielmehr geht es lediglich um die Nichtanerkennung einer bereits erlassenen Sorgerechtsentscheidung und bezogen auf den hier zu bescheidenden Antrag nach § 31 IntFamRVG lediglich um die Frage, ob die Entscheidung über die Ablehnung des Antrages auf Nichtanerkennung ihre sofortige Wirksamkeit behält. Für das HKÜ-Verfahren ist jedoch nicht die Frage der Anerkennung maßgeblich, sondern gemäß Art. 3 Satz 1 lit. a HKÜ das Sorgerecht, das einer Person nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

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Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis

Jedoch fehlt dem Antrag des Antragstellers das Rechtsschutzbedürfnis. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn der Rechtsschutzsuchende kein schutzwürdiges Interesse an der begehrten Entscheidung haben kann10.

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit durch das Oberlandesgericht war unnötig, so dass ihre Aufhebung die Rechtsposition des Antragstellers nicht zu verbessern vermag.

Die §§ 16 bis 31 IntFamRVG gelten für das Verfahren auf Zulassung der Zwangsvollstreckung. Demgemäß ermöglicht es die Regelung des § 27 Abs. 2 IntFamRVG, also die dort vorgesehene Anordnung der sofortigen Wirksamkeit, „die Entscheidung in der Hauptsache, das heißt die Zulassung der Zwangsvollstreckung, praktisch vorwegzunehmen“11.

Dagegen sind die vorgenannten Normen auf das Verfahren der Anerkennungsfeststellung gemäß § 32 IntFamRVG nur entsprechend bzw. „sinngemäß“ anzuwenden12.

Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Entscheidung über die Zurückweisung des Antrages auf Nichtanerkennung der ungarischen Sorgerechtsentscheidung hat auch keine Auswirkungen auf ein parallel betriebenes Verfahren auf Vollstreckbarerklärung hinsichtlich der Herausgabeanordnung.

Unbeschadet des Umstandes, ob die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung des Beschwerdegerichts angeordnet bleibt, ist das Gericht, das in einem weiteren Verfahren gemäß Art. 28 ff. Brüssel IIa-VO zu prüfen hat, ob die mit der Sorgerechtsentscheidung verbundene Herausgabeanordnung für vollstreckbar zu erklären ist, nicht an die – nicht rechtskräftige – Entscheidung des Beschwerdegerichts in diesem Verfahren gebunden. Sofern seiner Auffassung nach keine Ablehnungsgründe im Sinne der Art. 22 bis 24 Brüssel IIa-VO gegeben sind (vgl. Art. 31 Abs. 2 Brüssel IIa-VO) und die übrigen Voraussetzungen vorliegen, hat es dem Antrag stattzugeben.

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Dabei kann dahinstehen, ob die angegriffene Entscheidung, also die Zurückweisung des Antrages auf Nichtanerkennung, eine positive Bindungswirkung insoweit erzeugen kann, als die Vollstreckbarerklärung nicht an der Anerkennungsfähigkeit der Sorgerechtsentscheidung scheitern darf. Eine solche Bindungswirkung träte nämlich allenfalls mit Rechtskraft der Entscheidung des Beschwerdegerichts ein13. Durch die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit wird jedoch keine Rechtskraft erzeugt. Vielmehr wird die Wirksamkeit einer Entscheidung, die gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 IntFamRVG an sich erst mit der Rechtskraft der Entscheidung eintritt, durch die Anordnung nach § 27 Abs. 2 IntFamRVG vorverlagert.

Schließlich bleibt es dem Antragsteller unbenommen, bei einer etwaigen Vollstreckbarerklärung der in der Sorgerechtsentscheidung angeordneten Herausgabe und einer entsprechenden Anordnung der sofortigen Wirksamkeit einen Antrag nach § 31 IntFamRVG zu stellen.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28. April 2011 – XII ZB 170/11

  1. Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25. Oktober 1980, BGBl. 1990 II S. 206[]
  2. Verordnung EG Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung EG Nr. 1347/2000[]
  3. Gesetz zur Aus- und Durchführung bestimmter Rechtsinstrumente auf dem Gebiet des internationalen Familienrechts vom 26. Januar 2005, BGBl. I S. 162, zuletzt geändert durch Art. 26 des Gesetzes vom 8. Dezember 2010 BGBl. I S. 1864[]
  4. s. hierzu Rauscher Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht EuZPR/EuIPR [Bearb. 2010] Art. 21 Brüssel IIa-VO Rn. 42; s. auch Geimer/Schütze/Dilger Internationaler Rechtsverkehr Nr. 545 [EL 29] Einl. B vor I Rn. 32 ff.[]
  5. BGH, Beschluss vom 09.02.2011 – XII ZB 182/08, FamRZ 2011, 542 Rn. 16; unter Hinweis auf das EuGH, Urteil vom 15.07.2010 – C256/09, FamRZ 2010, 1521[]
  6. vgl. BGH, Beschluss vom 09.02.2011 – XII ZB 182/08, FamRZ 2011, 542 Rn. 22[]
  7. BGH, Beschluss vom 09.02.2011 – XII ZB 182/08, FamRZ 2011, 542 Rn. 23[]
  8. vgl. dazu BGH, Beschluss vom 09.02.2011 – XII ZB 182/08 – FamRZ 2011, 542 Rn. 24[]
  9. BGH, Beschluss vom 22.06.2005 – XII ZB 186/03, FamRZ 2005, 1540, 1544[]
  10. vgl. Zöller/Greger ZPO 28. Aufl. vor § 253 Rn. 18[]
  11. so ausdrücklich die Gesetzesbegründung: BTDrucks. 15/3981 S. 26[]
  12. Rauscher Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht EuZPR/EuIPR [Bearb. 2010] Art. 21 Brüssel IIa-VO Rn. 42[]
  13. vgl. Zöller/Vollkommer ZPO 28. Aufl. § 322 Rn. 11, wonach die Rechtskraftwirkung der aus Sachgründen abgewiesenen negativen Feststellungsklage derjenigen eines Urteils entspricht, das einer umgekehrten positiven Feststellungsklage des Beklagten stattgegeben hätte[]
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