Hat sich der Betroffene in der Anhörung vor dem Amtsgericht mit der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts einverstanden erklärt, dann aber gegen den amtsgerichtlichen Beschluss Beschwerde eingelegt und damit zu erkennen gegeben, dass er mit dem Einwilligungsvorbehalt nicht (mehr) einverstanden ist, hat das Landgericht den Betroffenen erneut anzuhören1.

Nach § 278 Abs. 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch unter anderem voraus, dass die Anhörung bereits durch das Gericht des ersten Rechtszugs ohne Verletzung von zwingenden Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Nach Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung vorgetragene Tatsachen oder eine Änderung der Sachlage erfordern nur dann keine erneute Anhörung, wenn diese Tatsachen oder die Änderung offensichtlich für die Entscheidung unerheblich sind2.
Eine geänderte Tatsachengrundlage, die eine erneute Anhörung erforderlich werden lässt, ist insbesondere gegeben, wenn der Betroffene durch die Einlegung der Beschwerde zu erkennen gibt, dass er an seinem in der amtsgerichtlichen Anhörung erklärten Einverständnis mit einer betreuungsrechtlichen Maßnahme nicht mehr festhält2. Denn die Frage, ob der Betroffene mit der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts einverstanden ist, stellt für die Entscheidung regelmäßig einen wesentlichen Gesichtspunkt dar3, da gegen den freien Willen des Betroffenen gemäß § 1814 Abs. 2 BGB (bis 31.12.2022: § 1896 Abs. 1a BGB) ein Betreuer nicht bestellt werden darf. Auch ein Einwilligungsvorbehalt darf gemäß § 1825 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht gegen den freien Willen des Betroffenen angeordnet werden4. Das Beschwerdegericht muss sich dann im Rechtsmittelverfahren mit der Frage befassen, ob der Betroffene zur Bildung eines freien Willens in der Lage ist. In diesem Fall sind durch eine erneute persönliche Anhörung regelmäßig zusätzliche Erkenntnisse im Sinne des § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG zu erwarten5.
Gemessen hieran hätte das Beschwerdegericht den Betroffenen erneut anhören müssen. Der Betroffene hatte während der Anhörung durch das Amtsgericht der Anordnung des Einwilligungsvorbehalts ausdrücklich zugestimmt. Mit der Einlegung der Beschwerde hat er jedoch zu erkennen gegeben, dass er mit dieser Maßnahme nicht (mehr) einverstanden ist. Die Beschwerdeentscheidung war daher aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 5, Abs. 6 Satz 2 FamFG). Dieses wird sich nunmehr mit dem Vorliegen eines freien Willens beim Betroffenen im Sinne des § 1825 Abs. 1 Satz 2 BGB zu befassen haben.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 1. März 2023 – XII ZB 294/22
- im Anschluss an BGH, Beschluss vom 04.05.2022 XII ZB 50/22 FamRZ 2022, 1224[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 04.05.2022 XII ZB 50/22 , FamRZ 2022, 1224 Rn. 4 mwN[↩][↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 31.07.2019 XII ZB 108/19 , FamRZ 2019, 1736 Rn. 7[↩]
- vgl. auch BGH, Beschluss vom 17.05.2017 XII ZB 495/16 FamRZ 2017, 1341 Rn. 11[↩]
- BGH, Beschluss vom 04.05.2022 XII ZB 50/22 , FamRZ 2022, 1224 Rn. 7[↩]