Fortdauer der Unterbringung – und die Beiordnung eines Pflichtverteidigers

Ein Pflichtverteidiger ist im Verfahren zur Überprüfung der Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 140 Abs. 2 StPO beizuordnen, wenn im konkreten Fall mit Hilfe eines Sachverständigen eine zweifelhafte medizinische Diagnose abzuklären ist, der maßgebliche Bedeutung für die Schwere der Persönlichkeitsstörung und damit für die gebotene Entscheidung zukommt.

Fortdauer der Unterbringung –  und die Beiordnung eines Pflichtverteidigers

Eine Beiordnung gemäß § 140 Abs. 2 StPO ist im Regelüberprüfungsverfahren zudem erforderlich, wenn ein Untergebrachter über eine Intelligenz im Grenzbereich zur Intelligenzminderung verfügt und von den behandelnden Ärzten „kognitive Verzerrungen und falsche Selbsteinschätzungen“ festgestellt werden.

Zwar zwingt nicht jede Regelüberprüfung gemäß § 67 e StGB zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Dies folgt nach ständiger Rechtsprechung des Senats1 aus der Entscheidung des Gesetzgebers, nur in den Fällen des § 463 Abs. 3 S. 5 StPO und bei der Regelüberprüfung nach fünfjähriger Unterbringungsdauer (§ 463 Abs. 4 S. 1 StPO) die Bestellung eines Pflichtverteidigers vorzuschreiben2. Ein Pflichtverteidiger ist aber jedenfalls dann gemäß § 140 Abs. 2 StPO beizuordnen, wenn im konkreten Fall mit Hilfe eines Sachverständigen die Diagnose abzuklären ist und der Untergebrachte allein nicht in der Lage ist, der erforderlichen Fachdiskussion zu folgen3. Diese Voraussetzungen liegen hier vor:

Im vorliegend vom Oberlandesgericht Braunschweig entschiedenen Fall ist nicht hinreichend geklärt, welche Diagnose der Unterbringung zugrunde liegt. Denn die Ärzte der Maßregelvollzugseinrichtung gehen in ihrer Stellungnahme im Gegensatz zum Gutachten des Sachverständigen Dr. S.nicht nur von einer hebephil gefärbten Pädophilie, sondern zudem von einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit Krankheitswert aus. Dieser unterschiedlichen Bewertung des Zustandes, die ihre Ursache in der von den Ärzten der Maßregelvollzugseinrichtung kritisierten Methodik des Sachverständigen Dr. R. haben mag, ist die Strafvollstreckungskammer bisher nicht nachgegangen. Sie wird im Rahmen ihrer Pflicht zur Wahrheitserforschung4 die Diagnose jedoch schon deshalb aufzuklären haben, weil der Frage, welches Ausmaß die Persönlichkeitsstörung hat, aus Sicht der Ärzte der Maßregelvollzugseinrichtung Prognoserelevanz zukommt. Das gilt nach deren Stellungnahme im Übrigen auch für die bisher ebenfalls unaufgeklärten Unterschiede hinsichtlich der Bedeutung der Intelligenzminderung (der Sachverständige Dr. S. geht nicht von einer relevanten Minderbegabung aus) für die Legalprognose.

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Wenn der Beschwerdeführer tatsächlich, wie sich das aus der aktuellen Stellungnahme des Psychiatriezentrums ergibt, nur über eine Intelligenz im Grenzbereich zur Intelligenzminderung verfügt5 und von den behandelnden Ärzten zudem „kognitive Verzerrungen und falsche Selbsteinschätzungen“ festgestellt wurden, bestehen erhebliche Zweifel an der Fähigkeit zur Selbstvertretung.

Dieser auf der fehlenden Mitwirkung eines Verteidigers an der mündlichen Anhörung beruhende Verfahrensmangel zwingt zur Aufhebung und Zurückverweisung6. Die Strafvollstreckungskammer wird die Anhörung unter Mitwirkung eines Verteidigers nachzuholen und dabei sowohl den aktuellen Zustand des Beschwerdeführers als auch seine konkrete Gefährlichkeit klären müssen. Wegen der aufgezeigten Schwierigkeiten sowohl im Diagnose – als auch im Prognosebereich erscheint im konkreten Fall eine Anhörung durch einen beauftragten Richter nicht ausreichend7.

Oberlandesgericht Braunschweig, Beschluss vom 6. März 2013 – Ws 26/13

  1. Beschluss vom 10.11.2011 – Ws 19/11 u. a.[]
  2. so auch: OLG Frankfurt, Beschluss vom 02.02.2010 – 3 Ws 81/10[]
  3. BVerfG, Beschluss vom 06.07.2009 – 2 BvR 703/09[]
  4. BVerfG, Beschluss vom 19.07.2011 – 2 BvR 2413/10[]
  5. zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers allein aus diesem Grund: OLG Nürnberg, Beschluss vom 25.07.2007 – 2 Ws 452/07[]
  6. vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.01.2007 – 3 Ws 93/07, m. w. N.[]
  7. vgl. hierzu: Appl in Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Aufl., § 454 Rn. 16[]
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