Haager Kindesentführungsübereinkommen – und die Einlegungs- und Begründungsfrist für eine Beschwerde

Gemäß § 40 Abs. 2 Satz 2 IntFamRVG ist die Beschwerde in Verfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen innerhalb von zwei Wochen einzulegen und zu begründen. Wird die Beschwerde entgegen § 40 Abs. 2 Satz 2 IntFamRVG nicht fristgerecht begründet, so ist sie als unzulässig zu verwerfen.

Haager Kindesentführungsübereinkommen – und die Einlegungs- und Begründungsfrist für eine Beschwerde

Gemäß § 40 Abs. 2 Satz 2 IntFamRVG ist die Beschwerde in Verfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen innerhalb von zwei Wochen einzulegen und zu begründen. Die Frist beginnt nach § 63 Abs. 2 Satz 1 FamFG mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses an die Beteiligten. Einzulegen ist die Beschwerde gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 FamFG bei dem Familiengericht als dem Gericht, dessen Beschluss angefochten ist. Das ergibt sich aus der Verweisung des § 40 Abs. 2 Satz 1 IntFamRVG auf Unterabschnitt 1 des Abschnitts 5 des ersten Buches des FamFG, mithin auf die Vorschriften der §§ 58 ff. FamFG.

Wird die Beschwerde entgegen § 40 Abs. 2 Satz 2 IntFamRVG nicht fristgerecht begründet, so ist sie als unzulässig zu verwerfen1.

Der abweichenden Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart2 ist nicht zu folgen. Nach dem eindeutigen Wortlaut des gegenüber den Regelungen des FamFG spezielleren § 40 Abs. 2 Satz 2 IntFamRVG ist die Beschwerde in HKÜ-Verfahren nicht nur binnen zweier Wochen einzulegen, sondern binnen dieser Frist auch zu begründen. Soweit das OLG Stuttgart darauf verweist, dass in § 40 Abs. 2 Satz 1 IntFamRVG die Regelung § 65 Abs. 1 FamFG nicht von der Anwendung ausgenommen ist, ist dies unschädlich. So ist in § 40 Abs. 2 Satz 1 IntFamRVG auch die Regelung des § 63 Abs. 1 FamFG betreffend die Frist zur Einlegung der Beschwerde nicht von der Anwendung ausgenommen. In beiden Fällen geht gleichwohl § 40 Abs. 2 Satz 2 IntFamRVG als lex specialis vor. Auch aus dem Umstand, dass in § 40 Abs. 2 Satz 1 IntFamRVG die Anwendung von § 65 Abs. 2 FamFG ausgeschlossen ist, wonach dem Beschwerdeführer eine Frist zur Begründung der Beschwerde eingeräumt werden kann, ergibt sich, dass es sich bei der in § 40 Abs. 2 Satz 2 IntFamRVG genannten Begründungsfrist um eine zwingende Frist handelt. Eine andere Auslegung würde im Übrigen dem Beschleunigungsgrundsatz des § 38 IntFamRVG für Verfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen widersprechen.

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Im vorliegenden Fall hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht darüber hinaus auch den Antrag der Kindesmutter auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Beschwerdebegründungsfrist gem. §§ 17 ff. FamFG zurückgewiesen. Die Kindesmutter hat nicht dargetan, dass sie ohne ihr Verschulden verhindert war, die Beschwerdebegründungsfrist einzuhalten:

Gemäß § 17 Abs. 2 FamFG wird zwar grundsätzlich vermutet, dass die Versäumung einer gesetzlichen Frist ohne Verschulden erfolgt ist, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Die Rechtsbehelfsbelehrung des familiengerichtlichen Beschlusses vom 23.07.2020 ist auch fehlerhaft, da sie unvollständig ist und entgegen der gesetzlichen Regelung lediglich ausführt, dass die (ebenfalls fehlerhaft: sofortige) Beschwerde binnen einer Notfrist von zwei Wochen (ebenfalls fehlerhaft: bei dem Amtsgericht oder bei dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht) einzulegen ist, nicht jedoch darauf hinweist, dass die Beschwerde binnen dieser Frist auch zu begründen ist. Insoweit heißt es in der Rechtsbehelfsbelehrung lediglich, dass die Beschwerde begründet werden soll.

Allerdings war die Kindesmutter in erster Instanz anwaltlich vertreten. Das Verschulden ihrer Verfahrensbevollmächtigten, die für die Kindesmutter die Beschwerde nicht fristgerecht begründet hat, ist der Kindesmutter nach § 11 Satz 5 FamFG, § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen3.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört es zu den Pflichten eines mit der Vertretung im erstinstanzlichen Verfahren beauftragten Rechtsanwalts, seinen Mandanten über den Inhalt einer im ersten Rechtszug ergangenen Entscheidung zu informieren und zutreffend über die formellen Voraussetzungen des gegebenen Rechtsmittels zu belehren. Die Einführung der obligatorischen Rechtsbehelfsbelehrung in Verfahren nach dem FamFG hat daran nichts Grundsätzliches geändert. Es gehört auch weiterhin zu den allgemeinen Pflichten des Rechtsanwalts, Fehlleistungen des Gerichts zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken4.

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Im Falle einer inhaltlich unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung darf zwar auch ein Rechtsanwalt grundsätzlich auf die Richtigkeit einer durch das Gericht erteilten Rechtsbehelfsbelehrung vertrauen. Gleichwohl muss von ihm erwartet werden, dass er die Grundzüge des Verfahrensrechts und des Rechtsmittelsystems der jeweiligen Verfahrensart kennt. Das Vertrauen in die Richtigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung kann er deshalb nicht uneingeschränkt in Anspruch nehmen, sondern nur in solchen Fällen, in denen die inhaltlich fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung zu einem unvermeidbaren, zumindest aber zu einem nachvollziehbaren und daher verständlichen Rechtsirrtum des Rechtsanwalts geführt hat. Auch in den Fällen einer inhaltlich unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung kann es daher an der Ursächlichkeit zwischen dem Belehrungsmangel und der Fristversäumung fehlen, wenn die durch das Gericht erteilte Rechtsbehelfsbelehrung offenkundig falsch gewesen ist und deshalb – ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand – nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte5. So liegt es hier.

Zwar mag es sich bei Verfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen für einen im allgemeinen Zivilrecht tätigen Rechtsanwalt um eine nicht ganz alltägliche Angelegenheit handeln. Das gilt aber nicht in gleicher Weise für im Familienrecht tätige Rechtsanwälte, die mit der Übernahme des entsprechenden Mandats eine auch verfahrensrechtliche Sachkunde für sich in Anspruch nehmen6. Die Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter ist nach Angabe auf ihrem Briefkopf sogar Fachanwältin für Familienrecht. Sofern die Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter gleichwohl, wie sie vorträgt, entsprechende Kenntnisse im Verfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen nicht hatte, war sie jedenfalls aufgrund der Übernahme des Mandats verpflichtet, sich die entsprechenden Kenntnisse zu verschaffen.

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Hinzu kommt, dass die Rechtsbehelfsbelehrung vorliegend ganz offenkundig weitere Fehler aufweist, so dass sich der Verfahrensbevollmächtigten der Kindesmutter förmlich aufdrängen musste, die Richtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung zu überprüfen. Nach der Rechtsbehelfsbelehrung findet das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde statt, was ersichtlich im Widerspruch nicht nur zu der speziellen Regelung des § 40 Abs. 2 Satz 1 IntFamRVG steht, sondern auch zu den allgemeinen Regelungen der §§ 58 ff. FamFG für Rechtsmittel gegen Endentscheidungen der Familiengerichte. Auch soweit die Rechtsbehelfsbelehrung ausführt, dass die Beschwerde beim Amtsgericht Schleswig oder bei dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht einzulegen ist, steht dies in offensichtlichem Widerspruch zu der Regelung in § 40 Abs. 2 Satz 1 IntFamRVG in Verbindung mit § 64 Abs. 1 Satz 1 FamFG.

Schließlich ist die Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter mit dem Hinweis der stellvertretenden Vorsitzenden sogar auf die einschlägige Norm für die Einlegung der Beschwerde hingewiesen worden, deren Folgesatz die Regelung enthält, dass die Beschwerde innerhalb von zwei Wochen einzulegen und zu begründen ist. Ein Blick ins Gesetz hätte insoweit ausgereicht, um die vermeintliche Unkenntnis der Verfahrensbevollmächtigten der Kindesmutter zu beseitigen. Unerheblich ist insoweit, dass das OLG Stuttgart insoweit eine – vereinzelt gebliebene – abweichende Auffassung zur Zulässigkeit vertritt, da der Verfahrensbevollmächtigte immer den verfahrensrechtlich sicheren Weg wählen muss.

Dass die Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter nach alledem gleichwohl die Beschwerde binnen zweier Wochen nicht begründet hat, stellt dementsprechend ein schuldhaftes Versäumnis dar, welches sich die Kindesmutter nach § 11 Satz 5 FamFG, § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

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Schleswig -Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 25. August 2020 – 15 UF 124/20

  1. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13.06.2018, Az. 2 UF 100/18; OLG Koblenz, FamRZ 2017, 135; OLG Bamberg, FamRZ 2016, 835; MünchKommFamFG/Gottwald, 3. Auflage, 2019, § 40 IntFamRVG, Rn. 3; Heiderhoff in: Bork/Jacoby/Schwab, FamFG, 3. Auflage, 2018, § 40 IntFamRVG, Rn. 2; Wagner in: Internationales Familienverfahrensgesetz, 1. Auflage, 2012, § 40 IntFamRVG, Rn. 2[]
  2. OLG Stuttgart FamRB 2015, 459[]
  3. vgl. BGH, NJW-RR 2012, 1025; BGH, NJW 2012, 453[]
  4. BGH, FamRZ 2012, 1287[]
  5. BGH, a.a.O.; BGH, FamRZ 2018, 699[]
  6. vgl. BGH, a.a.O.[]