Die Heilung eines Zustellungsmangels setzt nicht voraus, dass dem Zustellungsempfänger eine Kopie genau des ihm zuzustellenden Schriftstücks zugeht. Vielmehr ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass er eine inhaltlich mit diesem Schriftstück übereinstimmende Kopie erhält, die etwa auch in der einem anderen Verfahrensbeteiligten zugegangenen, inhaltsidentischen beglaubigten Abschrift der zuzustellenden Entscheidung – oder auch in einer Kopie von dieser – bestehen kann [1].

Die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde (hier: in einer Unterbringungssache) beginnt nach § 71 Abs. 2 Satz 2 FamFG mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses. Entspricht dieser Beschluss – wie hier – nicht dem Willen desjenigen, dem er bekanntzugeben ist, dann ist er ihm gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG zuzustellen, wobei sich die Zustellung gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 FamFG nach den §§ 166 bis 195 ZPO richtet [2].
In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall enthalten die Akten jedoch keinen Nachweis – insbesondere keine Zustellungsurkunde im Sinne des § 182 ZPO – darüber, wann die Beschwerdeentscheidung der Betroffenen zugestellt worden ist. Dieser Zustellungsmangel war aber spätestens an dem Tag, als der Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen über eine Kopie der beglaubigten Beschlussausfertigung verfügte, gemäß §§ 15 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 FamFG, 189 Alt. 1 ZPO geheilt.
Nach § 189 ZPO gilt ein Dokument, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt oder das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Eine Heilung durch den tatsächlichen Zugang des Schriftstücks im Sinne des § 189 ZPO setzt voraus, dass das Schriftstück so in den Machtbereich des Adressaten gelangt, dass er es behalten kann und Gelegenheit zur Kenntnisnahme von dessen Inhalt hat [3]. Zudem kommt die Heilung einer fehlerhaften Zustellung nur beim Vorliegen eines Zustellungswillens in Betracht, mithin dann, wenn eine formgerechte Zustellung von dem Gericht wenigstens angestrebt worden ist [4].
Damit ist im vorliegenden Fall die Heilungswirkung spätestens am 17.04.2020 eingetreten, da der Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen an diesem Tag mit der Rechtsbeschwerde die Kopie einer beglaubigten Ausfertigung des angefochtenen Beschlusses vorgelegt hat, die er wiederum von der Betroffenen erhalten haben muss. Die Geschäftsstelle des Landgerichts hat diesen Beschluss ausweislich der am 26.03.2020 ausgeführten Verfügung zur Zustellung mittels Postzustellungsurkunde und demnach mit Zustellungswillen an die Betroffene hinausgegeben. Ob das der Betroffenen bei Rechtsbeschwerdeeinlegung vorliegende Beschlussexemplar dasjenige ist, das zur Zustellung an sie abgesandt wurde, oder eine andere inhaltsgleiche Beschlusskopie, bedarf keiner weiteren Aufklärung.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für den tatsächlichen Zugang als Voraussetzung der Heilung nicht der Zugang des zuzustellenden Originals erforderlich. Die erfolgreiche Übermittlung einer (auch elektronischen) Kopie in Form – beispielsweise – eines Telefaxes, einer Fotokopie oder eines Scans ist ausreichend. Dieses Verständnis entspricht dem Sinn und Zweck der Heilungsvorschrift des § 189 ZPO [5].
Die mit § 189 ZPO eröffnete Heilungsmöglichkeit hat den Sinn, die förmlichen Zustellungsvorschriften nicht zum Selbstzweck erstarren zu lassen; deshalb ist die Zustellung auch dann als bewirkt anzusehen, wenn der Zustellungszweck anderweitig erreicht wird. Die Vorschrift des § 189 ZPO ist daher grundsätzlich weit auszulegen. Der Zweck der Zustellung liegt darin, dem Adressaten angemessen Gelegenheit zu verschaffen, von einem Schriftstück Kenntnis zu nehmen, und den Zeitpunkt der Bekanntgabe zu dokumentieren. Ist die Gelegenheit zur Kenntnisnahme gewährleistet und steht der tatsächliche Zugang auch ohne die durch die förmliche Zustellung gewährleistete Dokumentation fest, bedarf es besonderer Gründe, die Zustellungswirkung entgegen dem Wortlaut der Regelung in § 189 ZPO nicht eintreten zu lassen. Der Zustellungszweck wird danach in gleicher Weise erreicht, wenn der Empfänger eine technische Reproduktion des Originaldokuments erhält; diese verschafft ihm zuverlässig Kenntnis über den Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks. Die bloße mündliche Überlieferung oder eine handschriftliche oder maschinenschriftliche Abschrift des Dokuments führen dagegen wegen der Fehleranfälligkeit einer solchen Übermittlung nicht zur Heilung des Zustellungsmangels. Eine dahingehende Auslegung von § 189 ZPO wäre weder mit dessen Wortlaut noch mit dem Zustellungszweck zu vereinbaren [6].
Mit Blick auf den Sinn der von § 189 ZPO eröffneten Heilungsmöglichkeit muss dem Zustellungsempfänger zudem nicht zwingend eine Kopie genau des ihm zuzustellenden Schriftstücks zugehen. Vielmehr ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass er eine inhaltlich mit diesem Schriftstück übereinstimmende Kopie erhält, die etwa auch in der einem anderen Verfahrensbeteiligten zugegangenen, inhaltsidentischen beglaubigten Abschrift der zuzustellenden Entscheidung – oder auch in einer Kopie von dieser – bestehen kann [7]. Der mit der Zustellung verfolgte Zweck wird dann ebenfalls gewahrt. Daher kann dahinstehen, ob die Betroffene – wie ihr Verfahrensbevollmächtigter als Möglichkeit in den Raum stellt – die von ihm mit der Rechtsbeschwerde vorgelegte Entscheidungskopie von einem anderen Verfahrensbeteiligten erhalten hat.
Die einmonatige Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde begann im vorliegenden Fall mithin am 18.04.2020 zu laufen und lief am 18.05.2020 ab, so dass die antragsgemäße Verlängerung um zwei Monate zu einem Fristende am 20.07.2020, einem Montag, führte. Der zweite Verlängerungsantrag ist hingegen erst am 11.08.2020 und damit nach Fristablauf gestellt worden und konnte deshalb nicht zu einer nochmaligen Verlängerung führen. Mit der am 3.09.eingegangenen Rechtsbeschwerdebegründung ist die Frist des § 71 Abs. 2 FamFG nicht gewahrt.
Der Betroffenen war hier aber Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren, weil sie ohne eigenes oder ihr zuzurechnendes Verschulden ihres Verfahrensbevollmächtigten im Sinne des § 17 Abs. 1 FamFG verhindert war, die Frist einzuhalten.
Ein Verschulden wäre nur dann anzunehmen, wenn die Betroffene zumindest damit hätte rechnen müssen, dass die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist jedenfalls am 18.04.2020 zu laufen begann. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Geschäftsstelle des Bundesgerichtshofs hatte dem Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen nach Eingang der Verfahrensakten am 11.05.2020 mitgeteilt, dass eine Zustellung des angefochtenen Beschlusses noch nicht erfolgt war. Damit, dass das Landgericht diesen Beschluss bereits zuvor – am 26.03.2020 – mit Zustellungsabsicht und nicht etwa formlos oder durch Aufgabe zur Post an die Betroffene hinausgegeben hatte, musste ihr Verfahrensbevollmächtigter unter diesen Umständen nicht rechnen. Die Akteneinsicht, die ihm Kenntnis von diesem Sachverhalt verschaffen konnte, ist ihm erst am 14.08.2020 gewährt worden. Jedenfalls bis zur Ablehnung der erneuten Fristverlängerung durfte er daher ohne Verschulden davon ausgehen, dass die Frist des § 71 Abs. 2 FamFG mangels für die Bekanntgabe erforderlicher Zustellung noch nicht zu laufen begonnen hatte. Binnen der mit dieser Kenntniserlangung in Gang gesetzten, für den Fall der Verhinderung an der Begründung der Rechtsbeschwerde geltenden Monatsfrist des § 18 Abs. 1 Satz 2 FamFG ist der Wiedereinsetzungsantrag gestellt und die versäumte Rechtshandlung nachgeholt worden, § 18 Abs. 3 Satz 2 FamFG.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 7. Oktober 2020 – XII ZB 167/20
- Fortführung von BGH Beschluss vom 12.03.2020 – I ZB 64/19 MDR 2020, 750; Urteil vom 20.04.2018 – V ZR 202/16 , NJW-RR 2018, 970 und BGH, Beschluss vom 04.05.2011 – XII ZB 632/10 , FamRZ 2011, 1049[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 19.02.2020 – XII ZB 291/19 , FamRZ 2020, 770 Rn. 16 ff. mwN[↩]
- BGH Beschluss vom 12.03.2020 – I ZB 64/19 – MDR 2020, 750 Rn. 21 mwN[↩]
- BGH, Beschluss vom 19.02.2020 – XII ZB 291/19 , FamRZ 2020, 770 Rn.19 mwN[↩]
- BGH Beschluss vom 12.03.2020 – I ZB 64/19 – MDR 2020, 750 Rn. 24; vgl. auch – für das Wohnungseigentumsrecht – BGH Urteil vom 20.04.2018 – V ZR 202/16 , NJW-RR 2018, 970 Rn. 21[↩]
- BGH Beschluss vom 12.03.2020 – I ZB 64/19 – MDR 2020, 750 Rn. 25; vgl. auch BGH, Beschluss vom 04.05.2011 – XII ZB 632/10 , FamRZ 2011, 1049 Rn. 11 mwN und BGH Urteil vom 20.04.2018 – V ZR 202/16 , NJW-RR 2018, 970 Rn. 30[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 04.05.2011 – XII ZB 632/10 , FamRZ 2011, 1049 Rn. 11 mwN[↩]
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