Inhaftierung einer IS-Rückkehrerin und die Fremdunterbringung der Kinder

Kann eine Mutter selbst die elterliche Sorge infolge Inhaftierung nicht ausüben und die von ihr gewünschte Betreuung durch die Großmutter birgt eine Kindeswohlgefährdung, ist der Entzug der elterlichen Sorge im Eilverfahren zum Zweck der Fremdunterbringung rechtmäßig.

Inhaftierung einer IS-Rückkehrerin und die Fremdunterbringung der Kinder

So hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main in dem hier vorliegenden Fall einer IS-Rückkehrerin entschieden, die sich gegen den vorläufigen Entzug der elterlichen Sorge für ihre vier Kinder im Alter zwischen einem und vier Jahren mit der Beschwerde gewehrt hat. Von 1999 bis Ende 2014 lebte die Beschwerdeführerin überwiegend in Deutschland und besitzt die deutsche und die syrische Staatsangehörigkeit. Ende 2014 reiste sie nach Syrien aus, um sich dort dem sogenannten Islamischen Staat anzuschließen. In Syrien schloss sie eine islamische Ehe, aus der zwei Kinder hervorgingen. Der Vater der Kinder soll bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen sein. Anschließend siedelte die Beschwerdeführerin nach Idlib über und schloss dort eine islamische Ehe, aus der Zwillinge hervorgegangen sind. Kurze Zeit nach der Geburt floh sie ohne ihren Ehemann mit ihren vier Kindern zu Verwandten ihrer Mutter in der Türkei. Dort befand sie sich ab September 2019 in Abschiebehaft. Im Zuge ihrer Abschiebung nach Deutschland im Dezember 2019 wurde sie bei ihrer Einreise auf dem Flughafen Frankfurt am Main festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.

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Alle vier Kinder wurden in Obhut genommen und in Bereitschaftspflegefamilien untergebracht. Vom zuständigen Amtsgericht ist der Mutter im Wege der einstweiligen Anordnung die vollständige elterliche Sorge entzogen und auf das Jugendamt übertragen worden. Damit war die Mutter nicht einverstanden, die eine Unterbringung ihrer Kinder bei ihrer – unter Betreuung stehenden – Mutter, der Großmutter der Kinder, in Deutschland anstrebt. Daher hat die Mutter ihr Ziel mit der Beschwerde weiter verfolgt.

In seiner Entscheidung hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main ausführlich erklärt, dass in die elterliche Sorge nur gerichtlich eingegriffen werden könne, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage seien, die Gefahr abzuwenden.  Außerdem müsse im Eilverfahren ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden bestehen.

In dem hier vorliegenden Fall sei gegenwärtig ein solcher Eingriff durch eine sofortige Fremdunterbringung der Kinder erforderlich.

Ausdrücklich hat das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. ausgeführt, dass es für seine Entscheidung unerheblich sei, ob die Mutter weiterhin noch islamistischem Gedankengut anhänge und nicht bereit sei, ihre Kinder in einer den Vorgaben der deutschen Rechtsordnung genügenden Art und Weise zu erziehen. Infolge ihrer Inhaftierung stehe sie für die Erziehung, Betreuung und Versorgung derzeit ohnehin nicht zur Verfügung.

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Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. sei die von der Mutter angestrebte Unterbringung der Kinder bei der Großmutter  zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch mit einer erheblichen Gefährdung des Kindeswohls verbunden. Dass die Großmutter selbst unter Betreuung stehe, reiche allerdings für die Feststellung der Kindeswohlgefährdung ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht aus. Anhaltspunkte für eine islamistische Gesinnung der Großmutter lägen ebenfalls nicht vor. Allerdings setze die Aufnahme der vier Kinder im Alter zwischen einem und vier Jahren in den Haushalt der den Kindern bislang nicht persönlich bekannten, selbst auf Unterstützung angewiesenen Großmutter umfangreiche Vorbereitungen voraus. So sei davon auszugehen, „dass alle Kinder nicht nur aufgrund ihres geringen Alters, sondern auch aufgrund des Erlebens von Krieg und Flucht einen erhöhten Bedarf an Zuwendung und Aufmerksamkeit haben.“ Bei einem Wechsel der Kinder in den Haushalt der Großmutter seien eine Überforderung der Kinder und der Großmutter sowie daraus drohende schwere Schäden für die seelische Entwicklung der Kinder zu vermeiden. Es bedürfe nach Meinung des Oberlandesgerichts deshalb „einer Vorbereitung der Kinder im Sinne einer umsichtigen Anbahnung des Umzugs zur Großmutter als auch eine Vorbereitung der zur Unterstützung der Großmutter erforderlichen Hilfen.“  Besonders die Frage der Unterbringungsmöglichkeit der Kinder in der Wohnung, welche Kinderausstattung dort benötigt werde, wie die Kontaktanbahnung zu der Großmutter erfolgen solle und welche konkrete Unterstützung durch Familienangehörige und durch öffentliche Hilfen bzw. Einrichtungen die Großmutter bei der Betreuung und Versorgung der Kinder erhalte, sei vorab zu klären.

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Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 19. Mai 2020 – 4 UF 82/20 und 4 UF 85/20

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