Die Bundesregierung hat den Entwurf eines „Gesetzes zur Durchführung des Haager Übereinkommens vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen sowie zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des internationalen Unterhaltsverfahrensrechts“ in den Bundestag eingebracht.

Mit Beschluss vom 9./10. Juni 2011 hat der Rat der Europäischen Union das Haager Unterhaltsübereinkommen 20071 im Namen der Europäischen Union genehmigt. Dies hat zur Folge, dass das Übereinkommen nach Hinterlegung der Genehmigungsurkunde durch einen Vertreter der Europäischen Union in Den Haag für Deutschland im Verhältnis zu anderen Vertragsstaaten auch ohne eine eigenständige Ratifikation verbindlich wird. Um die Verpflichtungen aus dem Übereinkommen vollständig umsetzen zu können, bedarf es jedoch einer Reihe von Durchführungsvorschriften im nationalen deutschen Recht.
Um eine Rechtszersplitterung zu vermeiden, sollen die hiernach erforderlichen Durchführungsvorschriften in das am 18. Juni 2011 in Kraft getretene Auslandsunterhaltsgesetz2 integriert werden. Dort ist bereits die Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (EG-Unterhaltsverordnung; ABl. L 7 vom 10.1.2009, S. 1) umgesetzt, die inhaltlich weitgehend dem Haager Übereinkommen entspricht.
Darüber hinaus soll mit dem Gesetzentwurf ein redaktionelles Versehen in § 35 AUG bereinigt werden; die dort vorgesehene gerichtliche Zuständigkeitskonzentration ist auch auf Anträge im Anwendungsbereich des Abschnitts 5 des Kapitels 2 (Verfahren bei förmlicher Gegenseitigkeit) zu erstrecken.
Eine dritte in dem Gesetzentwurf vorgesehene Änderung soll eine aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 13. Oktober 2011((EuGH, Urteil vom 13.10.2011 – C‑139/10)) erforderliche Änderung der §§ 44 und 66 AUG vornehmen. Gleiches gilt im Übrigen für die §§ 12 und 14 Absatz 1 AVAG3, soweit sie die Durchführung von Verordnungen und Abkommen der Europäischen Gemeinschaft betreffen.
Durchführung des Haager Unterhaltsübereinkommens 2007[↑]
Das Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 regelt das internationale Unterhaltsverfahrensrecht neu und erleichtert die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen im Ausland, indem es ein System der effektiven Zusammenarbeit staatlicher zentraler Behörden festlegt, den Antragstellern im Grundsatz kostenfreie Verfahrenskostenhilfe gewährleistet und schließlich das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren nach dem Vorbild der Brüssel-I-VO4 rationalisiert. Bis heute müssen bei der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen im Ausland zwei verfahrensrechtliche Haager Übereinkommen, ein UN-Übereinkommen von 1956 und mehrere EG-Verordnungen beachtet werden. Im Einzelnen handelt es sich bei diesen Übereinkommen um
- das Haager Übereinkommen vom 15. April 19585 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern;
- das Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen6 und
- das New Yorker UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland vom 20. Juni 19567.
- Hinzu tritt im Verhältnis zur Schweiz, zu Norwegen und Island noch das Lugano-Übereinkommen8.
Seit dem 18. Juni 2011 ist für den Bereich der Europäischen Union die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen im Ausland durch das Wirksamwerden der EG-Unterhaltsverordnung wesentlich erleichtert worden. In nunmehr einem einzigen Rechtsakt ist umfassend geregelt, wie Unterhaltsansprüche gegen Schuldner, die sich im EU-Ausland aufhalten, durchzusetzen sind. Diese EG-Verordnung ist dabei sowohl in ihrer Entstehung als auch in ihrer Struktur sehr eng an das Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 geknüpft. Das Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 wird allerdings innerhalb der Europäischen Union durch diese EG-Unterhaltsverordnung verdrängt; eine unmittelbare Wirkung entfaltet es nur noch gegenüber den Drittstaaten.
Das Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 wird allein dadurch, dass es perspektivisch alle zuvor genannten völkerrechtlichen Übereinkommen über die Anerkennung oder Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen mit Ausnahme des Lugano-Übereinkommens ersetzt, dem Rechtsuchenden die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen in Drittstaaten erleichtern. In diesem Übereinkommen wird zunächst die Grundlage für eine effiziente Zusammenarbeit staatlicher zentraler Behörden geschaffen. Ein Gläubiger oder sein Vertreter kann sich nach dem Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 an die deutsche zentrale Behörde wenden, um etwa ein Unterhaltsurteil im Ausland zu erwirken bzw. ein deutsches Unterhaltsurteil in Drittstaaten zu vollstrecken. Welche Möglichkeiten den zentralen Behörden in einem solchen Fall offenstehen, ergibt sich im Einzelnen aus den Artikeln 6 und 7 des Haager Unterhaltsübereinkommens 2007. Hiernach können die zentralen Behörden z. B. eingeschaltet werden, um den Aufenthaltsort des Schuldners zu ermitteln, um Vergleichsverhandlungen mit ihm zu führen oder, soweit erforderlich, um juristische Unterstützung zu organisieren.
Des Weiteren gewährleistet das Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 in allen Verfahren, in denen es um die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen von Kindern geht, dass kostenfreie Verfahrenskostenhilfe zur Verfügung gestellt ist. Verfahren im Ausland sind für die Gläubiger oft mit einem hohen Aufwand verbunden. Es wurde daher bei den Verhandlungen in Den Haag vereinbart, dass die gerichtlichen Verfahren für Kindesunterhalt grundsätzlich kostenfrei sind.
Das Verfahren der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung in Artikel 23 wurde schließlich dem Vorbild der Brüssel- I- Verordnung nachempfunden. Unterhaltsentscheidungen aus anderen Vertragsstaaten werden grundsätzlich anerkannt oder für vollstreckbar erklärt, wenn sich der Schuldner nicht dagegen wehrt.
Das Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 soll nun durch die Ratifikation allein durch die Europäische Union auch für die Bundesrepublik Deutschland – wie für die übrigen EU- Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks – wirksam werden. Hierauf hat sich der Rat in seinem Beschluss vom 9. Juni 2011 verständigt. Einer eigenständigen Ratifikation durch die zuständigen deutschen Organe bedarf es hiernach nicht. Der Deutsche Bundestag hat daher in seinem Beschluss vom 24. März 2011 zunächst die Bundesregierung aufgefordert, der Ratifikation des Haager Unterhaltsübereinkommens 2007 durch die Europäische Union zuzustimmen und hat weiter gefordert, dass diese Konvention erst dann wirksam werden kann, wenn alle Mitgliedstaaten durch ihre gesetzgebenden Organe die notwendigen Ausführungsgesetze erlassen haben. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass die zuständigen Organe aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit der Ausführung befasst gewesen sein müssen, bevor für die Europäische Union mit Wirkung auch für ihre Mitgliedstaaten die Ratifikationsurkunde in Den Haag hinterlegt werden kann. Mit Annahme dieses Änderungsgesetzes soll daher zugleich der Weg zu einem Abschluss der Ratifikation des Haager Unterhaltsübereinkommens 2007 durch die Europäische Union, mit Wirkung auch für die Bundesrepublik Deutschland, bereitet werden. Das Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 ist bislang allein von Norwegen ratifiziert worden; für das Frühjahr 2013 ist mit der Ratifikation durch die Vereinigten Staaten von Amerika zu rechnen.
Die Europäische Union wird bei der Genehmigung des Haager Unterhaltsübereinkommens 2007 verschiedene Erklärungen abgeben. Sie wird so zunächst mitteilen, dass sie für alle in der Konvention geregelten Angelegenheiten die Zuständigkeit hat. Mit dem Abschluss des Übereinkommens durch die Europäische Union wird das Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 in den Mitgliedstaaten wirksam sein. Außerdem erklärt die Europäische Union, dass bei Vorliegen der Gegenseitigkeit das Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 auch auf Unterhaltspflichten zwischen Ehegatten oder ehemaligen Ehegatten Anwendung finden soll. Daneben werden für die Mitgliedstaaten Erklärungen hinsichtlich der zu verwendenden Sprachen (Vertragssprachen sind nur Englisch und Französisch) und der zu verwendenden Formulare abgegeben.
Im Einzelnen enthält der nun vorgelegte Gesetzentwurf im Wesentlichen technische Anpassungen des AUG an das Haager Unterhaltsübereinkommen 2007. So wird vor allem das Bundesamt für Justiz als zentrale Behörde auch für dieses Übereinkommen bestimmt und der kostenfreie Bezug von Verfahrenskostenhilfe, wie es bisher schon nach der EG-Unterhaltsverordnung der Fall war, auf die Fälle nach dieser Konvention erstreckt.
Änderung des Auslandsunterhaltsgesetzes[↑]
Die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen im Ausland soll gegenüber Drittstaaten künftig auf der Grundlage des Haager Unterhaltsübereinkommens 2007 erfolgen, wobei die Anwendung des Lugano Übereinkommens unberührt bleibt. Der Deutsche Bundestag hat hierzu in einer Entschließung vom 24. März 2011 die Bundesregierung aufgefordert, dem Vorschlag der damaligen ungarischen Ratspräsidentschaft zuzustimmen, das Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 zu genehmigen. Der Rat der Europäischen Union hat am 9./10. Juni 2011 beschlossen, das Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 zu genehmigen. Nach einem weiteren Beschluss des Rates wird die Genehmigungsurkunde allerdings erst dann in Den Haag hinterlegt werden, wenn alle Mitgliedstaaten ihre nationale Rechtsordnung angepasst haben. Für die Bundesrepublik Deutschland soll dies durch die hier vorgeschlagenen Änderungen des Auslandsunterhaltsgesetzes erfolgen.
Das Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 eröffnet in seinen Artikeln 14 bis 17 dem Antragsteller einen „effektiven Zugang zum Verfahren“. Dies verpflichtet alle Vertragsstaaten dazu, in solchen Verfahren zur Durchsetzung von Unterhalt im Ausland in dem vom Übereinkommen vorgesehenen Umfang einen kostenlosen Zugang zum Recht zu eröffnen. Verfahrenskostenhilfe ist hiernach in jedem Fall, in dem die Voraussetzungen des Artikels 15 des Haager Unterhaltsübereinkommens 2007 vorliegen, vollständig und unentgeltlich zu gewähren. Die in dem Entwurf vorgesehene Änderung des § 22 AUG eröffnet daher die Möglichkeit, nach dem vorgegebenen Maßstab der Billigkeit im Einzelfall Kostenerstattung zu verlangen.
Anpassung des AUG an die Rechtsprechung des EuGH[↑]
Nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 13. Oktober 20119 ist § 44 AUG auf Entscheidungen nach den in § 1 Satz 1 Nummer 1 AUG genannten Rechtsinstrumenten nicht länger anzuwenden. Das Exequaturverfahren ist in solchen Fällen – nach dieser Entscheidung – nicht länger der Platz, um Einwendungen gegen den titulierten Anspruch selbst geltend zu machen. Derartige Einwendungen sind stattdessen mit der Vollstrekkungsabwehrklage nach § 767 ZPO geltend zu machen. Die Vorschrift ist daher aufzuheben und § 66 AUG anzupassen.
Änderung des AVAG[↑]
§ 12 AVAG widerspricht – ausgehend von der Entscheidung des EuGH vom 13. Oktober 2011 – dem europäischen Unionsrecht. Konkret ist diese Entscheidung durch die Anpassung des § 55 AVAG umzusetzen, der die Unanwendbarkeit von AVAG-Vorschriften für die Rechtsinstrumente der Europäischen Union (§ 1 Nummer 2 AVAG) regelt. Des Weiteren ist durch den neu gefassten § 56 AVAG klarzustellen, dass im Rahmen des § 767 ZPO der Erlass der ausländischen Entscheidung der für die Präklusion maßgebliche Zeitpunkt ist.
Aus Gründen größerer Anwenderfreundlichkeit ist die Zuständigkeitsregelung des § 14 Absatz 2 für den Anwendungsbereich des Teils 2 Abschnitt 6 in § 56 Absatz 2 verortet worden.
Außerdem sind redaktionelle Verbesserungen im Hinblick auf das Inkrafttreten des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vorgenommen worden.
- Haager Übereinkommen über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen, ABl.EU L 192 vom 22.7.2011, S. 51[↩]
- Gesetz zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Verkehr mit ausländischen Staaten (Auslandsunterhaltsgesetz – AUG), BGBl. I S. 898[↩]
- Gesetz zur Ausführung zwischenstaatlicher Verträge und zur Durchführung von Verordnungen und Ab- kommen der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Dezember 2009 (Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz – AVAG), BGBl. I S. 3830[↩]
- Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl.EU L 12 vom 16.1.2001, S. 1[↩]
- BGBl. 1961 II, S. 1006[↩]
- BGBl. 1986 II, S. 826[↩]
- BGBl. 1959 II, S. 150[↩]
- Übereinkommen vom 30. Oktober 2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl.EU L 339 vom 21.12.2007, S. 3[↩]
- EuGH, Urteil vom 13.10.2011 – C‑139/10[↩]