Eine von einem Versorgungsträger mitgeteilte und unter (hier offengelassenem) Verstoß gegen Verfassungsrecht gebildete sogenannte Startgutschrift für rentenferne Versicherte kann ausnahmsweise dann die Grundlage für die Durchführung der internen Teilung eines Anrechts sein, wenn der hinsichtlich dieses Anrechts ausgleichsberechtigte Ehegatte bereits Rentenleistungen bezieht, auf den Wertausgleich des Anrechts aus wirtschaftlichen Gründen dringend angewiesen ist, der Gesichtspunkt der Unabänderlichkeit der Ausgleichsentscheidung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise dahinter zurücktritt und der ausgleichsberechtigte Ehegatte die Unwirksamkeit der Übergangsvorschriften nicht geltend gemacht hat1.

So hat das Oberlandesgericht Franfurt am Main im hier entschiedenen Fall nach Ansicht des Bundesgerichtshofs jedenfalls im Ergebnis zu Recht entschieden2, dass der Durchführung des Versorgungsausgleichs auch mit Blick auf die von der Evangelischen Zusatzversorgungskasse (EZVK) für das Anrecht der Ehefrau mitgeteilte Startgutschrift keine verfassungsrechtlichen Gründe entgegenstehen. Dabei kann für den Bundesgerichtshof dahinstehen, ob wie das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. meint die in §§ 72 f. mit der 16. Änderungssatzung der EZVK vom 10.10.20183 neu gefassten Übergangsvorschriften für rentenferne Versicherte, die infolge der zum 1.01.2002 erfolgten Umstellung der Versorgung von einem endgehaltsbezogenen Gesamtversorgungssystem auf ein auf dem Erwerb von Versorgungspunkten beruhendes Betriebsrentensystem eingeführt worden sind, einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhalten4. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, stünde dies im vorliegenden Fall der Durchführung des Versorgungsausgleichs ausnahmsweise nicht entgegen.
Zwar darf nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein von einem Versorgungsträger mitgeteilter und anhand verfassungswidriger Satzungsbestimmungen ermittelter Wert einer Startgutschrift grundsätzlich nicht die Grundlage für eine gerichtliche Regelung sein oder durch eine individuelle Wertberechnung ersetzt werden. Deshalb ist in einem solchen Fall das Verfahren zum Versorgungsausgleich regelmäßig bis zu einer Neuregelung der Berechnungsgrundlage auszusetzen5.
Der Bundesgerichtshof hat bislang aber ausdrücklich offengelassen, ob die Durchführung der internen Teilung eines solchen Anrechts in jedem denkbaren Fall bis zur Neuregelung der Satzung unterbleiben muss. Wenn der ausgleichsberechtigte Ehegatte bereits Rentenleistungen bezieht, kann er auf den Wertausgleich des Anrechts unter Einbeziehung einer nur unverbindlich erteilten Startgutschrift aus wirtschaftlichen Gründen dringend angewiesen sein. Zwar ist eine nachträgliche Abänderung der Entscheidung zur Teilung von Anrechten der Zusatzversorgung des öffentlichen bzw. kirchlichen Dienstes gemäß § 225 Abs. 1 FamFG nicht mehr möglich. Aber auch der Gesichtspunkt der Unabänderlichkeit der Ausgleichsentscheidung kann für einen im Rentenbezug stehenden Ausgleichsberechtigten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise gegebenenfalls zurücktreten, zumal sich eine Korrektur der Übergangsbestimmungen für rentenferne Versicherte möglicherweise nur geringfügig auswirkt. Deshalb kann die Geltendmachung der Unwirksamkeit einer solchen Übergangsvorschrift wegen des eintretenden Versorgungsverlusts, der durch die Verzögerung des Eintritts der Rechtskraft der Entscheidung zum Versorgungsausgleich entsteht, für einen Ausgleichsberechtigten wirtschaftlich nicht sinnvoll sein6.
So liegen die Dinge im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall:
Der hinsichtlich des Anrechts bei der EZVK ausgleichsberechtigte Ehemann bezieht seit Mai 2021 Rentenleistungen wegen Erreichens der Regelaltersgrenze. Eine Verzögerung des Eintritts der Rechtskraft der Entscheidung zum Versorgungsausgleich aufgrund einer Verfahrensaussetzung hätte für ihn somit einen Versorgungsverlust hinsichtlich des bei der EZVK bestehenden Anrechts zur Folge. Dabei ist er auf den Wertausgleich dieses Anrechts aus wirtschaftlichen Gründen dringend angewiesen. Denn nach der im vorliegenden Verfahren von der gesetzlichen Rentenversicherung erteilten und der amtsgerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegten Auskunft beträgt seine monatliche Rente lediglich rund 782 €. Er benötigt daher das mit der angefochtenen Entscheidung übertragene weitere Versorgungsanrecht der EZVK von monatlich rund 73 €, um damit seinen Lebensbedarf zumindest teilweise zu decken. Dies gilt auch mit Blick darauf, dass der Ehemann aus dem Saldo des Wertausgleichs der gesetzlichen Rentenversicherungen der Eheleute eine weitere monatliche Versorgung von rund 19 € (zum Stichtag 31.08.2004) erhält.
Die Unabänderlichkeit der Ausgleichsentscheidung tritt bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise dahinter zurück. Denn es erscheint bereits zweifelhaft, ob die Ehefrau, die von der aktuellen Neuregelung der Berechnung der Startgutschriften schon begünstigt worden ist, von einer abermaligen Neuregelung nochmals profitieren würde, zumal in einer im Vergleich zum eintretenden Versorgungsverlust für den Ehemann wirtschaftlich erheblichen Größenordnung. Die Startgutschrift für die Ehefrau wurde nämlich bereits infolge der aktuellen Neuregelung von vormals 30,79 Versorgungspunkte auf 33,24 Versorgungspunkte und damit um 2, 45 Versorgungspunkte angehoben, was monatlich rund 10 € entspricht. Dabei wurde der Neuberechnung der Startgutschrift aufgrund des Alters der Ehefrau bei Beginn ihrer Pflichtversicherung bei der EZVK (31 Jahre) auch der höchste und damit für die Berechnung der Startgutschrift günstigste Faktor im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 3 der Satzung der EZVK iVm § 18 Abs. 2 BetrAVG, der mindestens 2,25 % und höchstens 2,5 % der Voll-Leistung je Pflichtversicherungsjahr bis zum Umstellungsstichtag 1.01.2002 beträgt, zugrunde gelegt.
Schließlich hat der Ehemann eine Unwirksamkeit der Übergangsvorschriften im vorliegenden Verfahren auch nicht geltend gemacht. Vielmehr hat er sich ausdrücklich mit einem Wertausgleich auf der Grundlage der Auskunft der EZVK einverstanden erklärt und damit zum Ausdruck gebracht, dass ihm aus wirtschaftlichen Gründen an einer Durchführung des Versorgungsausgleichs und nicht an einem weiteren Zuwarten gelegen ist.
Die schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs, die im Fall des unterstellten Vorliegens einer (nach wie vor) nicht verfassungskonformen Übergangsregelung der Startgutschriften für die rentenfernen Versicherten grundsätzlich eine Aussetzung des Verfahrens zur Sicherstellung der Halbteilung erfordern würde, würde mithin für den ausgleichsberechtigten Ehemann zu grob unbilligen Ergebnissen führen. Dies würde es entsprechend dem § 27 VersAusglG zugrundeliegenden Rechtsgedanken7 vorliegend rechtfertigen, den Wertausgleich hinsichtlich des bei der EZVK bestehenden Anrechts ausnahmsweise auch dann durchzuführen, wenn der von der EZVK mitgeteilte Ausgleichswert (weiterhin) auf einer unter Verstoß gegen Verfassungsrecht gebildeten Startgutschrift für rentenferne Versicherte beruhen würde8.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 1. Dezember 2021 – XII ZB 304/20
- Fortführung von BGH, Beschlüssen vom 22.03.2017 – XII ZB 626/15 , FamRZ 2017, 872; und vom 05.11.2008 – XII ZB 53/06 FamRZ 2009, 303[↩]
- OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 08.06.2020 – 6 UF 229/15[↩]
- Amtsblatt der EKD 2019, 105[↩]
- vgl. zur Unwirksamkeit der Vorgängerregelungen in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes BGHZ 174, 127 = VersR 2008, 1625 und BGHZ 209, 201 = VersR 2016, 583[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 22.03.2017 – XII ZB 626/15 FamRZ 2017, 872 Rn. 17; und vom 05.11.2008 – XII ZB 53/06 FamRZ 2009, 303 Rn. 16[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 22.03.2017 – XII ZB 626/15 FamRZ 2017, 872 Rn.19 f. mwN; und vom 05.11.2008 – XII ZB 53/06 FamRZ 2009, 303 Rn. 17[↩]
- vgl. BT-Drs. 16/10144 S. 67[↩]
- im Ergebnis ebenso OLG Brandenburg Beschluss vom 21.10.2008 9 UF 88/08 18 f.; OLG Brandenburg Beschluss vom 10.05.2011 9 UF 35/09 13 ff.; OLG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 14.02.2017 3 UF 243/16 18 ff.; OLG Nürnberg [9. Bundesgerichtshof für Familiensachen] FamRZ 2008, 1087; OLG Nürnberg [7. Bundesgerichtshof für Familiensachen] FamRZ 2010, 1462, 1463; OLG Stuttgart Beschluss vom 07.03.2011 18 UF 332/10 17; OLG Oldenburg FamRZ 2009, 884 f.; OLG Frankfurt Beschluss vom 29.01.2018 1 UF 133/15 55; Götsche in Götsche/Rehbein/Breuers Versorgungsausgleichsrecht 3. Aufl. § 221 FamFG Rn. 16; MünchKomm-BGB/Siede 8. Aufl. § 9 VersAusglG Rn. 8 und § 19 VersAusglG Rn. 9; vgl. auch Borth Versorgungsausgleich 8. Aufl. Kapitel 2 Rn. 365; BeckOK BGB/Bergmann [Stand: 1.08.2021] § 19 VersAusglG Rn. 6; vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 13.02.2013 – XII ZB 527/12 FamRZ 2013, 690 Rn.19 ff. zur Frage des Vorliegens eines Härtefalls infolge Verfahrensaussetzung aufgrund unwirksamer Startgutschriftenregelung[↩]