Interne Teilung im Versorgungsausgleich – und die deschlechtsspezifische Kalkulation von Versicherungsprämien

Mit den Auswirkungen der sogenannten „Test-Achats, Entscheidung“ des Gerichtshofs der Europäischen Union über die Unzulässigkeit geschlechtsspezifischer Kalkulation von Prämien und Leistungen bei privaten Versicherungen1 auf die interne Teilung einer betrieblichen Direktversicherung im Versorgungsausgleich hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen:

Interne Teilung im Versorgungsausgleich – und die deschlechtsspezifische Kalkulation von Versicherungsprämien

Gemäß § 10 Abs. 1 VersAusglG überträgt das Familiengericht für die ausgleichsberechtigte Person zu Lasten des Anrechts der ausgleichspflichtigen Person ein Anrecht in Höhe des Ausgleichswerts bei dem Versorgungsträger, bei dem das Anrecht der ausgleichspflichtigen Person besteht. Maßgeblich hierfür sind grundsätzlich die Regelungen über das auszugleichende und das zu übertragende Anrecht (§ 10 Abs. 3 VersAusglG), hier also die Bestimmungen der Teilungsordnung des D. Lebensversicherungsvereins. Wegen der rechtsgestaltenden Wirkung der gerichtlich ausgesprochenen internen Teilung fällt den Gerichten allerdings die Aufgabe zu, die rechtliche Vereinbarkeit der nach § 10 Abs. 3 VersAusglG heranzuziehenden untergesetzlichen Versorgungs- und Teilungsordnung mit höherrangigem Recht zu überprüfen. Wenn die Voraussetzungen einer gleichmäßigen Teilhabe nicht vorliegen, darf das Gericht das Anrecht nicht nach Maßgabe dieser Regelungen des Versorgungsträgers ausgleichen2. Ist eine Regelung in der Versorgungs- und Teilungsordnung dabei lediglich unklar oder mehrdeutig oder verstößt sie nur in einzelnen Randaspekten gegen den Grundsatz der gleichmäßigen Teilhabe, hat das Gericht mit Rücksicht auf die Privatautonomie des Versorgungsträgers in den Blick zu nehmen, ob sich der Kern der vom Versorgungsträger getroffenen Regelung im Zuge einer Anpassung durch geeignete gerichtliche Maßgabenanordnungen aufrechterhalten lässt3.

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main4 hat im hier entschiedenen Fall im Einklang mit einer verbreiteten Ansicht in Rechtsprechung und Literatur zur Wahrung des Halbteilungsgrundsatzes bei der internen Teilung von privaten Lebens- und Rentenversicherungen5 angeordnet, dass auf das im Wege der internen Teilung zu begründende Anrecht nicht die aktuellen Rechnungsgrundlagen, sondern insgesamt die Rechnungsgrundlagen der Tarifgeneration der auszugleichenden Versicherung zur Anwendung zu bringen sind. Dies lässt für den Bundesgerichtshof keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Ehefrau erkennen:

Dabei ist es bereits zweifelhaft, ob die Ehefrau durch die Maßgabenanordnung des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. zu den Rechnungsgrundlagen in einem eigenen subjektiven Recht nachteilig betroffen, d.h. im Sinne einer ungerechtfertigten wirtschaftlichen (Mehr)Belastung materiell beschwert ist. Bei den „Rechnungsgrundlagen“ einer Lebensversicherung ist im Ausgangspunkt zwischen dem Rechnungszins, den biometrischen Rechnungsgrundlagen (Sterbetafeln) und den Kostenansätzen zu unterscheiden6.

Die Rechtsbeschwerde beanstandet die Maßgabenanordnung ausdrücklich nicht, soweit danach dem zu übertragenden Anrecht derselbe Rechnungszins wie dem auszugleichenden Anrecht zugrunde zu legen ist. Denn weil der bei Abschluss der verfahrensgegenständlichen Versicherung im Jahr 1996 gültige Höchstzinssatz für Lebensversicherungen mit Zinsgarantie von 4 % (vgl. § 2 Abs. 1 der Deckungsrückstellungsverordnung in der Fassung vom 06.05.1996, BGBl. I S. 670) den derzeit maßgeblichen Höchstrechnungszins deutlich überschreitet, ist die Anordnung des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. wovon ersichtlich auch die Rechtsbeschwerde ausgeht in dieser Hinsicht für die Ehefrau ausschließlich vorteilhaft.

Das Begehren der Rechtsbeschwerde ist vor diesem Hintergrund offensichtlich darauf gerichtet, die Anwendbarkeit der Rechnungsgrundlagen aus der Tarifgeneration der bestehenden Versicherung auf den Rechnungszins zu beschränken, während es insbesondere hinsichtlich der verwendeten Sterbetafeln bei den aktuellen Rechnungsgrundlagen entsprechend den Vorgaben der Teilungsordnung verbleiben solle7. Insoweit erblickt die Rechtsbeschwerde eine unberechtigte wirtschaftliche Schlechterstellung der Ehefrau darin, dass die in der Maßgabenanordnung des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. für anwendbar erklärten Sterbetafeln aus der Tarifgeneration der bestehenden Versicherung anders als aktuell verwendete Sterbetafeln eine für weibliche Versicherte in der Leibrentenversicherung ungünstigere geschlechtsspezifische Kalkulation von Prämien und Leistungen vorsehen.

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Ob diese Beurteilung zutrifft, erscheint indessen fraglich. Bei der internen Teilung einer konventionellen Leibrentenversicherung liegt die Verwendung aktueller Rechnungsgrundlagen mit aktualisierten Sterbetafeln bei der Kalkulation für das neue Anrecht grundsätzlich im Interesse des Versicherers. Dieser trägt das Langlebigkeitsrisiko, welches die Unsicherheit bezeichnet, dass die Versicherten im Durchschnitt länger leben als es den bei Vertragsschluss verwendeten versicherungsmathematischen Modellen zu den Sterblichkeitsparametern unterlegt ist. Durch die Heranziehung aktualisierter Sterbetafeln wird der Versicherer in die Lage versetzt, bei der Kalkulation für das neue Anrecht die zwischenzeitlich besseren Erkenntnisse über die (gestiegene) durchschnittliche Lebenserwartung der Versicherten zu nutzen und damit das Langlebigkeitsrisiko für den im Versorgungsausgleich auf den Berechtigten übertragenen Teil des Ursprungsvertrages von sich abzuwälzen8. Die Anwendung der biometrischen Rechnungsgrundlagen aus der Tarifgeneration des bestehenden Vertrages stellt sich deshalb bei einer zwischenzeitlichen Aktualisierung der angewendeten Sterbetafeln bei steigender Lebenserwartung für die ausgleichsberechtigte Person grundsätzlich als günstig dar9. Bei der internen Teilung von Anrechten aus älteren Versicherungen dürfte dies für weibliche Ausgleichsberechtigte in vielen Fällen auch dann noch gelten, wenn die Kalkulation der Leistungen aus einer für sie mit dem Ausgleichswert errichteten Leibrentenversicherung nach den früheren biometrischen Rechnungsgrundlagen auf einer geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Lebenserwartung von Männern und Frauen beruht.

Dies bedarf allerdings keiner weitergehenden Erörterung. Das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. war anders als die Rechtsbeschwerde meint aus Rechtsgründen nicht daran gehindert, im Wege einer Maßgabenanordnung die Anwendung der früheren geschlechtsspezifischen Rechnungsgrundlagen des bestehenden Versicherungsvertrages vorzugeben. Dieser Anordnung stehen weder Art. 5 der Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13.12.2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Frauen und Männern beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen10 und die zu dieser Bestimmung ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs11 noch die zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen nationalen Rechtsvorschriften (§§ 19 Abs. 1 Nr. 2, 33 Abs. 5 AGG) entgegen.

Nach Art. 5 Abs. 1 der Gender-Richtlinie hatten die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen, dass spätestens bei den nach dem 21.12.2007 neu abgeschlossenen Verträgen die Berücksichtigung des Faktors Geschlecht bei der Berechnung von Prämien und Leistungen im Bereich des Versicherungswesens und verwandter Finanzdienstleistungen nicht zu unterschiedlichen Prämien und Leistungen führt. Gemäß Art. 5 Abs. 2 der Gender-Richtlinie konnten die Mitgliedstaaten allerdings noch bis zum 21.12.2007 nationale Regelungen zur Zulässigkeit proportionaler Unterschiede bei den Prämien und Leistungen privater Versicherungsverträge schaffen, wenn „die Berücksichtigung des Geschlechts bei einer auf relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ein bestimmender Faktor ist.“ Deutschland hatte wie alle anderen EU-Mitgliedstaaten von dieser Öffnungsklausel Gebrauch gemacht (§ 20 Abs. 2 Satz 1 AGG in der vom 18.08.2006 bis zum 20.12.2012 geltenden Fassung).

Im Jahr 2011 hat der Europäische Gerichtshof Art. 5 Abs. 2 der Gender-Richtlinie mit Wirkung vom 21.12.2012 für ungültig erklärt. Der Europäische Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang erkannt, dass Art. 5 Abs. 2 der Gender-Richtlinie, der es den Mitgliedstaaten gestatte, eine Ausnahme von der Regel geschlechtsneutraler Prämien und Leistungen unbefristet aufrechtzuerhalten, der Verwirklichung des mit der Gender-Richtlinie verfolgten Ziels der Gleichbehandlung von Frauen und Männern zuwiderlaufe und deshalb mit primärrechtlichen Gewährleistungen der Art. 21 und 23 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union unvereinbar sei12. Der deutsche Gesetzgeber hat als Reaktion auf die „Test-Achats“, Entscheidung mit Wirkung zum 21.12.2012 neben einzelnen Anpassungen im Versicherungsaufsichtsgesetz den am Wortlaut von Art. 5 Abs. 2 der Gender-Richtlinie orientierten § 20 Abs. 2 Satz 1 AGG in der bis dahin bestehenden Fassung aufgehoben und dafür § 33 Abs. 5 AGG eingeführt (Art. 8 des SEPA-Begleitgesetzes vom 03.04.201313). § 33 Abs. 5 Satz 1 AGG übernimmt den Stichtag des 21.12.2012 aus der „Test-Achats“, Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs und lässt für Versicherungsverhältnisse, die vor diesem Datum begründet wurden, eine unterschiedliche Behandlung wegen des Geschlechts bei den Prämien oder Leistungen unter Voraussetzungen zu, die weitgehend denjenigen der am 20.12.2012 außer Kraft getretenen Fassung des § 20 Abs. 2 Satz 1 AGG entsprechen.

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Im vorliegenden Fall war wovon das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. ausgeht und was die Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel zieht für die in den Versorgungsausgleich einbezogene Versicherung eine geschlechtsspezifische Kalkulation von Prämien und Leistungen (weiterhin) rechtlich zulässig.

Dies ergibt sich allerdings noch nicht daraus, dass das verfahrensgegenständliche Versicherungsanrecht des Ehemanns auf einer betrieblichen Direktversicherung beruht.

Die Gender-Richtlinie und die zu ihr ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs finden zwar auf die Systeme der betrieblichen Altersversorgung keine unmittelbare Anwendung. Denn die Richtlinie gilt nicht im Bereich „Beschäftigung und Beruf“ (Art. 3 Abs. 4 Satz 1 der Gender-Richtlinie), weil in diesem Bereich zahlreiche andere Rechtsinstrumente den Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen verwirklichen14. Auch versicherungsförmige Durchführungswege der betrieblichen Altersversorgung, in denen der Arbeitgeber als Versicherungsnehmer zugunsten seines Arbeitnehmers (als versicherte Person und Bezugsberechtigter) den Versicherungsvertrag mit einem externen Unternehmen der Lebensversicherung abschließt, fallen deshalb nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der Gender-Richtlinie15.

Indessen unterliegt das dem Versorgungsversprechen des Arbeitgebers zugrundeliegende arbeitsrechtliche Grundverhältnis in den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherung dem Geltungsbereich der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.07.2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen16. Diese enthält ein eigenes, für die betrieblichen Versorgungssysteme normiertes Verbot der geschlechtsbezogenen Diskriminierung, welches sich ausdrücklich auch auf die Berechnung der Beiträge und Leistungen bezieht (Art. 5 lit. b und c der Entgeltgleichheits-Richtlinie). Die insoweit bestehende Ausnahmevorschrift (Art. 9 Abs. 1 lit. h der Entgeltgleichheits-Richtlinie), wonach die Gewährung eines unterschiedlichen Leistungsniveaus zulässig ist, wenn „dies notwendig ist, um versicherungstechnischen Berechnungsfaktoren Rechnung zu tragen, die im Fall von Festbeitragssystemen je nach Geschlecht unterschiedlich sind“, orientiert sich inhaltlich an dem vom Europäischen Gerichtshof mit Wirkung vom 21.12.2012 für ungültig erklärten Art. 5 Abs. 2 der Gender-Richtlinie.

Der Bundesgerichtshof hat bereits darauf hingewiesen, dass eine Vergleichbarkeit der Sachverhalte zumindest bei den versicherungsförmigen Durchführungswegen der betrieblichen Altersversorgung unmittelbar naheliegt, weil männlichen und weiblichen Arbeitnehmern als Gegenleistung für ihre Arbeitsleistung und die darauf gegründeten Beiträge an den externen Versorgungsträger eine möglicherweise geschlechtsspezifisch kalkulierte und damit nach ihrer Leistungshöhe zwischen Männern und Frauen differenzierende Versicherungsleistung zugesagt wird. Die tragenden Erwägungen der „Test-Achats“, Entscheidung lassen es darüber hinaus als zweifelhaft erscheinen, ob die17 als unbefristete Ausnahmeregelung konzipierte Bestimmung des Art. 9 Abs. 1 lit. h der Entgeltgleichheits-Richtlinie im Einklang mit den primärrechtlichen Gewährleistungen des Unionsrechts steht, zumal sich die Entgeltgleichheits-Richtlinie18 in ihren Erwägungsgründen als Rechtsrahmen auf Art. 21 und 23 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bezieht und insoweit der gleiche Prüfungsmaßstab gilt. Ob eine Versicherung innerhalb oder außerhalb des institutionellen Rahmens der betrieblichen Altersversorgung errichtet worden ist, liefert daher kein taugliches Differenzierungskriterium für die Frage nach der Zulässigkeit geschlechtsspezifischer Kalkulation von Prämien und Leistungen, und die Grundsätze der „Test-Achats“, Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs werden deshalb mindestens in den versicherungsförmigen Durchführungswegen der betrieblichen Altersversorgung zu beachten sein19.

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Die hier verfahrensgegenständliche im Jahr 1996 abgeschlossene Direktversicherung wird aber in zeitlicher Hinsicht nicht von den Auswirkungen der „Test-Achats“, Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs betroffen. Der Gerichtshof hat Art. 5 Abs. 2 der Gender-Richtlinie mit Wirkung vom 21.12.2012 für ungültig erklärt, so dass fortan nur noch Art. 5 Abs. 1 der Gender-Richtlinie gilt. Weil aber nach Art. 5 Abs. 1 der Gender-Richtlinie erst bei allen nach dem 21.12.2007 neu abgeschlossenen Versicherungsverträgen der Faktor „Geschlecht“ nicht zu unterschiedlichen Prämien und Leistungen führen darf, dürfen Prämien und Leistungen in Altverträgen, die bis zum 21.12.2007 geschlossen wurden, schon aus diesem Grunde geschlechtsspezifisch kalkuliert sein20. Aus dem unionsprimärrechtlich gewährleisteten Verbot der Geschlechterdiskriminierung (Art. 21 und 23 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union) lässt sich insoweit nichts anderes herleiten, weil es dem europäischen Gesetzgeber grundsätzlich selbst überlassen ist, darüber zu bestimmen, wann und in welchem Umfang er zur Herstellung der Geschlechtergleichbehandlung tätig wird21 und der Europäische Gerichtshof die zeitliche Geltung von Art. 5 Abs. 1 der Gender-Richtlinie nicht beanstandet hat. Es ist dabei evident, dass die mittelbaren Wirkungen der „Test-Achats“, Entscheidung auf versicherungsförmige Durchführungswege der betrieblichen Altersversorgung zu keinem früheren Zeitpunkt eintreten können als die unmittelbaren Wirkungen, die diese Entscheidung auf rein private Versicherungsverträge zu entfalten vermag22.

Das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. hat weiterhin zutreffend erkannt, dass auch für das im Wege der internen Teilung zu übertragende neue Anrecht der Ehefrau keine Verpflichtung zu einer geschlechtsneutralen biometrischen Kalkulation besteht.

Nicht jede Vertragsänderung nach dem 21.12.2012 kann eine geschlechtsneutrale (Neu)Kalkulation von Prämien und Leistungen eines bestehenden Versicherungsvertrages gebieten. Hiervon ist auch der deutsche Gesetzgeber ausgegangen, der in § 33 Abs. 5 Satz 1 AGG seine Vorstellung zum Ausdruck gebracht hat, dass der Wegfall des in Art. 5 Abs. 2 der Gender-Richtlinie enthaltenen besonderen Rechtfertigungsgrundes für die unterschiedliche Behandlung wegen des Geschlechts bei den Prämien oder Leistungen von Versicherungsverträgen nur für die ab dem 21.12.2012 begründeten Versicherungsverhältnisse gelten soll23. Aus dem Umstand, dass in § 33 Abs. 5 AGG eine den jeweiligen Sätzen 2 in § 33 Abs. 2 bis 4 AGG entsprechende Regelung zu Vertragsänderungen offenbar bewusst nicht vorgesehen ist, lässt sich im Umkehrschluss entnehmen, dass bloße Änderungen eines Altvertrages nach dem 21.12.2012 nach den Intentionen des Gesetzgebers noch nicht zur Anwendung von Unisex-Regeln nach den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs führen sollen24.

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Für eine solche Auslegung könnte in der Sache sprechen, dass eine zwingende Anwendung von Unisex-Regeln bei jeder Vertragsänderung in vielen Fällen den Interessen der Parteien eines Altvertrages widersprechen würde. Denn es bestünde in diesem Falle die Gefahr, dass eine Vertragsanpassung an einen geänderten Versicherungsbedarf nur deshalb unterbleibt, weil der Versicherer einen entsprechenden Antrag nicht annimmt, um den damit verbundenen Unisex-Tarifwechsel zu verhindern oder sich der von der geschlechtsspezifischen Kalkulation im alten Tarif begünstigte Kunde im Hinblick auf höhere Prämien im Unisex-Tarif wirtschaftlich an der von ihm an sich gewünschten Vertragsänderung gehindert sieht25.

Etwas anderes muss aber auf jeden Fall dann gelten, wenn die nach dem 21.12.2012 vorgenommenen Änderungen des Altvertrages so gewichtig sind, dass sie wirtschaftlich einem Neuabschluss des Vertrages gleichstehen26.

Nach einer beispielhaften und nicht abschließenden Aufzählung in den von der Europäischen Kommission herausgegebenen grundsätzlich unverbindlichen „Leitlinien zur Anwendung der Richtlinie 2004/113/EG des Rates auf das Versicherungswesen im Anschluss an das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache C-236/09 (Test-Achats)“ vom 22.12.201127 soll eine dem Neuabschluss eines Vertrages gleichstehende Vertragsänderung insbesondere dann nicht vorliegen, wenn sich einzelne Punkte des Vertragsinhalts (z.B. die Prämienhöhe) anhand zuvor festgelegter Parameter verändern, ohne dass es einer Zustimmung des Versicherungsnehmers bedarf, wenn der Versicherungsnehmer durch einseitige Erklärung von der ihm bereits im Altvertrag eingeräumten Möglichkeit Gebrauch macht, Zusatz- oder Anschlussversicherungen abzuschließen oder wenn der Versicherer seinen Bestand auf einen anderen Versicherer überträgt, ohne dass sich der Status der im Bestand enthaltenen Verträge ändert28.

Gemessen daran kann bei der internen Teilung von Lebens- und Rentenversicherungen im Versorgungsausgleich jedenfalls in Bezug auf das zugunsten des Ausgleichsberechtigten übertragene Anrecht durchaus von einem gewichtigen Eingriff in den Status des bestehenden Vertrages ausgegangen werden. Zwar dürfte allein in dem Wechsel des Versicherungsnehmers wie etwa bei der Übertragung einer betrieblichen Direktversicherung auf den neuen Arbeitgeber oder auf den ausgeschiedenen Arbeitnehmer im Rahmen der versicherungsvertraglichen Lösung nach § 2 Abs. 2 Satz 2 BetrAVG noch keine in diesem Sinne wesentliche Vertragsänderung zu erblicken sein29. Bei der internen Teilung eines Versorgungsanrechts im Versorgungsausgleich ist der Sachverhalt aber schon deshalb anders zu beurteilen, weil es bei dem auf den Ausgleichsberechtigten übertragenen Anrecht zu einer Änderung des versicherten Risikos kommt.

Andererseits knüpft die Anwendung der Unisex-Regeln nach den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs allerdings schon im Ausgangspunkt stets an eine „vertragliche Vereinbarung“ und damit an eine übereinstimmende Willensbetätigung aller am Versicherungsvertrag beteiligten Parteien an30. Dem liegt auch die Überlegung zugrunde, dass es den Vertragsparteien selbst in die Hand gelegt werden müsse, ob sie ihren bestehenden Vertrag durch eine wesentliche Vertragsänderung den Unisex-Regeln nach den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs unterwerfen oder ob sie hiervon Abstand nehmen und weiterhin Vertrauensschutz genießen wollen.

Die Begründung eines neuen Anrechts im Wege interner Teilung nach den §§ 10 ff. VersAusglG beruht aber nicht auf einer Vereinbarung der Parteien, sondern auf einem richterlichen Gestaltungsakt und damit einem hoheitlichen Eingriff in das Versicherungsverhältnis, der sich ohne und gegebenenfalls auch gegen den Willen der Parteien des bestehenden Versicherungsvertrages vollzieht. Der rechtliche Rahmen des Versorgungsausgleichs gebietet bei der internen Teilung wegen des Gebots vergleichbarer Wertentwicklung (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 VersAusglG) für das neu begründete Anrecht gerade keine Veränderung der für das geteilte Anrecht geltenden biometrischen Rechnungsgrundlagen31 und damit auch keinen Wechsel von einer im Einzelfall noch zulässigen geschlechtsspezifischen auf eine geschlechtsneutrale biometrische Kalkulation der mit dem Ausgleichswert zu finanzierenden Rentenleistung32.

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Diesem rechtlichen Befund steht es nicht entgegen, dass der Bundesgerichtshof im Jahr 2017 die Verwendung geschlechtsspezifischer Barwertfaktoren bei Versorgungsauskünften von Trägern der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes seit dem 1.01.2013 auch unter Hinweis auf die Fernwirkungen der „Test-Achats“, Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs beanstandet hat33. Die Sachverhalte sind insoweit nicht vergleichbar. Wie bereits das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. zutreffend ausgeführt hat, sind die Anrechte der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes anders als das hier betroffene Anrecht von vornherein geschlechtsneutral kalkuliert, weil sowohl der Erwerb von Versorgungspunkten als der maßgeblichen Bezugsgröße des Versorgungssystems als auch die Höhe der sich daraus ergebenden Rente für Männer und Frauen gleich geregelt sind. Allein als Rechengröße für die Ermittlung des Ausgleichswerts wurden seinerzeit von den Versorgungsträgern geschlechterdifferenzierende Barwertfaktoren herangezogen; darum geht es hier aber nicht.

Eine Vorlage der Sache an den Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV ist nicht geboten. Die Grundsätze für die sich im vorliegenden Fall stellenden Auslegungsfragen im Zusammenhang mit der Gender-Richtlinie und den Wirkungen der „Test-Achats“, Entscheidung des Gerichtshofs sind derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt („acte clair“)34.

Dies gilt sowohl für die Frage nach der Zulässigkeit geschlechtsspezifischer Kalkulation von Prämien und Leistungen (jedenfalls) für solche Verträge, die vor der zeitlichen Geltung von Art. 5 Abs. 1 der Gender-Richtlinie am 21.12.2007 geschlossen wurden, als auch für die Beurteilung, dass eine nach dem 21.12.2012 vollzogene Realteilung eines Anrechts aus einer Lebens- oder Rentenversicherung auf der Grundlage des nationalen Versorgungsausgleichsrechts keine Vertragsänderung darstellt, welche für das übertragene Anrecht eine Verpflichtung zur geschlechtsneutralen Kalkulation von Prämien und Leistungen auslösen kann. Insoweit sieht sich der Bundesgerichtshof insbesondere im Einklang mit den am 22.12.2011 veröffentlichten Leitlinien der Europäischen Kommission.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 31. Mai 2023 – XII ZB 250/20

  1. EuGH, Urteil vom 01.03.2011 – C-236/09 NJW 2011, 907 Association belge des Consommateurs Test-Achats[]
  2. BGH, Beschlüsse vom 19.08.2015 XII ZB 443/14 FamRZ 2015, 1869 Rn. 15; und vom 25.02.2015 XII ZB 364/14 FamRZ 2015, 911 Rn. 11 mwN[]
  3. vgl. BGH, Beschlüsse vom 18.08.2021 XII ZB 359/19 FamRZ 2021, 1955 Rn. 37; und vom 19.08.2015 XII ZB 443/14 FamRZ 2015, 1869 Rn. 25 f.[]
  4. OLG Frankfurt, Beschluss vom 09.04.2020 – 4 UF 46/19[]
  5. vgl. OLG Nürnberg FamRZ 2019, 876, 878 ff.; OLG Schleswig Beschluss vom 08.06.2020 15 UF 188/19 4; OLG Karlsruhe Beschluss vom 21.01.2020 16 UF 166/19 27; Erman/Norpoth/Sasse BGB 16. Aufl. § 11 VersAusglG Rn. 4; jurisPK-BGB/Breuers [Stand: 25.04.2023] § 11 VersAusglG Rn. 30 ff; MünchKomm-BGB/Maaß 9. Aufl. § 11 VersAusglG Rn. 18 ff.; BeckOK BGB/Bergmann [Stand: 1.02.2023] VersAusglG § 11 Rn. 4[]
  6. vgl. Laars Deckungsrückstellungsverordnung 3. Aufl. § 5 Rn. 1[]
  7. vgl. OLG Nürnberg FamRZ 2016, 819, 820 f.; vgl. auch OLG Celle FamRZ 2019, 1780 f.; OLG Hamm Beschluss vom 20.06.2018 7 UF 213/17 26[]
  8. vgl. OLG Nürnberg FamRZ 2019, 876, 879; Döring Teilung von fondsgebundenen Lebensversicherungen im Rahmen des neuen Versorgungsausgleichs S. 43[]
  9. vgl. auch Fachgrundsatz der Deutschen Aktuarvereinigung e.V. (2018): Herleitung der DAV-Sterbetafel 2004 R für Rentenversicherungen S. 66 ff., dort zum Vergleich von Prämien und Leistungen nach den Sterbetafeln DAV 2004 R und DAV 1994 R, veröffentlicht auf www.aktuar.de[]
  10. ABl.2004 L 373, S. 37; im Folgenden: Gender-Richtlinie[]
  11. EuGH, Urteil vom 01.03.2011 – C-236/09 NJW 2011, 907 Association Belge des Consommateurs Test-Achats[]
  12. vgl. EuGH, Urteil vom 01.03.2011 – C-236/09 NJW 2011, 907 Rn. 30 ff. Association belge des Consommateurs Test-Achats[]
  13. BGBl. I S. 610[]
  14. vgl. 15. Erwägungsgrund zur Gender-Richtlinie[]
  15. vgl. BGH, Beschluss BGHZ 214, 169 = FamRZ 2017, 863 Rn. 44 mwN[]
  16. ABl. Nr. L 204 vom 26.07.2006 S. 23; im Folgenden: Entgeltgleichheits-Richtlinie[]
  17. entsprechend Art. 5 Abs. 2 der Gender-Richtlinie[]
  18. ebenso wie die Gender-Richtlinie[]
  19. vgl. BGH, Beschluss BGHZ 214, 169 = FamRZ 2017, 863 Rn. 45 f.[]
  20. vgl. Hey/Forst AGG 2. Aufl. § 33 Rn. 38; BeckOGK/Benecke [Stand: 1.03.2023] AGG § 33 Rn. 26; Armbrüster VW 2012, 752; Beyer/Britz VersR 2013, 1219; Purnhagen NJW 2013, 113, 114 f.; Mönnich VersR 2011, 1092, 1097[]
  21. vgl. EuGH Urteil vom 01.03.2011 –  C-236/09 NJW 2011, 907 Rn.20 Association Belge des Consommateurs Test-Achats[]
  22. vgl. Ulbrich DB 2011, 2775, 2778[]
  23. vgl. auch Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses vom 07.11.2012 zum Entwurf des SEPA-Begleitgesetzes, BT-Drs. 17/11395 S.20[]
  24. vgl. Staudinger/Serr BGB [2020] § 33 AGG Rn. 21; BeckOGK/Benecke [Stand: 1.03.2023] AGG § 33 Rn. 28; Hoffmann VersR 2012, 1073, 1076 f.; Armbrüster/Schreier VersR 2015, 1053, 1060 f.[]
  25. vgl. Hoffmann VersR 2012, 1073, 1076 f.[]
  26. vgl. BeckOGK/Benecke [Stand: 1.03.2023] AGG § 33 Rn. 28; Armbrüster/Schreier VersR 2015, 1053, 1061; Beyer/Britz VersR 2013, 1219, 1223[]
  27. abgedruckt in BetrAV 2012, 78 ff.[]
  28. vgl. Ziff. 13 lit. b, lit. c und lit. d der Leitlinien der EU-Kommission[]
  29. vgl. Raulf BetrAV 2012, 641, 649; Beyer/Britz VersR 2013, 1219, 1225[]
  30. vgl. auch Ziff. 11 der Leitlinien der EU-Kommission[]
  31. vgl. BGH, Beschluss vom 18.08.2021 XII ZB 359/19 FamRZ 2021, 1955 Rn. 27[]
  32. im Ergebnis ebenso OLG Nürnberg FamRZ 2019, 876, 879 f.; OLG Schleswig Beschluss vom 08.06.2020 15 UF 188/19 5; OLG Karlsruhe Beschluss vom 21.01.2020 16 UF 166/19 27; Erman/Norpoth/Sasse BGB 16. Aufl. § 11 VersAusglG Rn. 4; jurisPK-BGB/Breuers [Stand: 25.04.2023] § 11 VersAusglG Rn. 31; MünchKomm-BGB/Maaß 9. Aufl. § 11 VersAusglG Rn.20[]
  33. vgl. BGH, Beschluss BGHZ 214, 169 = FamRZ 2017, 863 Rn. 26 ff.[]
  34. vgl. BGH, Beschluss BGHZ 233, 299 = FamRZ 2022, 1278 Rn. 29 mwN; vgl. zu den Voraussetzungen der Vorlagepflicht EuGH Urteil vom 04.10.2018 Rs. C416/17 EuZW 2018, 1038 Rn. 110 – Kommission/Frankreich mwN[]
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