Keine weiteren Ermittlungen im Betreuungsverfahren?

Die Durchführung von (weiteren) Ermittlungen in einem Betreuungsverfahren setzt hinreichende Anhaltspunkte dafür voraus, dass die Errichtung einer Betreuung oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts in Betracht kommt1.

Keine weiteren Ermittlungen im Betreuungsverfahren?

§ 280 Abs. 1 FamFG verpflichtet das Gericht nur dann zur Einholung eines Sachverständigengutachtens, wenn das Verfahren mit einer Betreuerbestellung oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts endet. Wird davon abgesehen, ist die Einholung eines Gutachtens nach § 280 Abs. 1 Satz 1 FamFG nicht zwingend erforderlich2.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall haben zwei Geschwister im Mai 2020 beim Amtsgericht Wesel die Einrichtung einer Betreuung für ihren Bruder angeregt, weil bei ihm eine Minderbegabung nach frühkindlicher Hirnschädigung bestehe und er zudem an weiteren Erkrankungen leide. Nachdem dieser bereits im Jahr 2018 eine notarielle Vorsorgevollmacht zugunsten seiner Geschwister errichtet hatte, erteilte er im April 2020 eine weitere notariell beurkundete Vorsorge- und Generalvollmacht zugunsten von Frau K. und Frau H.

Das Amtsgericht Wesel hat nach Einholung einer Stellungnahme der Betreuungsbehörde und nach Anhörung des Betroffenen festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Einrichtung einer Betreuung nicht vorliegen3. Die hiergegen gerichteten Beschwerden der beiden Geschwister hat das Landgericht Duisburg zurückgewiesen4. Die gegen diesen Beschluss erhobene Rechtsbeschwerde hat nun der Bundesgerichtshof ebenfalls zurückgewiesen; soweit die Rechtsbeschwerde rügt, das Landgericht habe weitere Sachverhaltsermittlungen anstellen und insbesondere ein Sachverständigengutachten zur Frage des Vorliegens eines freien Willens i.S.v. § 1896 Abs. 1a BGB einholen müssen, kann sie damit keinen Erfolg haben:

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§ 280 Abs. 1 Satz 1 FamFG verpflichtet nach seinem Wortlaut das Gericht nur dann zur Einholung eines Sachverständigengutachtens, wenn das Verfahren mit einer Betreuerbestellung oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts endet. Wird davon abgesehen, ist die Einholung eines Gutachtens nach § 280 Abs. 1 Satz 1 FamFG nicht zwingend erforderlich. Das Gericht hat daher vor der Anordnung der Gutachtenserstattung zu prüfen, ob es das Verfahren im Hinblick auf eine Betreuerbestellung oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts weiter betreiben will. Dies setzt hinreichende Anhaltspunkte voraus, dass Betreuungsbedarf besteht oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts in Betracht kommt, zumal bereits die Beauftragung eines Sachverständigen zur Prüfung einer möglichen Betreuungsbedürftigkeit eine stigmatisierende Wirkung haben kann, wenn Dritte von ihr Kenntnis erlangen5.

Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Betreuerbestellung können sich etwa aus der gemäß § 279 Abs. 2 FamFG obligatorischen Anhörung der Betreuungsbehörde ergeben, die wie sich aus § 280 Abs. 2 Satz 2 FamFG ergibt möglichst vor der Gutachtenserstellung erfolgen soll. Hinweise auf die Erforderlichkeit einer Betreuerbestellung oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts können sich zudem daraus ergeben, dass das Gericht den Betroffenen zur Wahrung des rechtlichen Gehörs vor der Einholung des Gutachtens über die beabsichtigte Einholung informieren und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben muss6.

In welchem Umfang Tatsachen zu ermitteln sind, bestimmt sich nach § 26 FamFG. Das Gericht hat danach von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben. Dabei muss dem Gericht die Entscheidung darüber vorbehalten sein, welchen Weg es innerhalb der ihm vorgegebenen Verfahrensordnung für geeignet hält, um zu den für seine Entscheidung notwendigen Erkenntnissen zu gelangen. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob die Tatsachengerichte alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen haben und die Würdigung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht7.

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Danach ist es für den Bundesgerichtshof aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Landgericht von weiteren Ermittlungen abgesehen hat und auf Grund der bislang getroffenen Feststellungen davon ausgegangen ist, dass der Betroffene über einen freien Willen i.S.d. § 1896 Abs. 1a BGB verfügt.

Das Landgericht hat sich bei seiner Entscheidung insbesondere auf den Eindruck von dem Betroffenen bei der zeitnah erfolgten Anhörung durch das Amtsgericht gestützt. Darüber hinaus hat es bei seinen Erwägungen berücksichtigt, dass der Notar, der am 23.04.2020 die Vorsorgevollmacht beurkundet hat, von der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen überzeugt war und eine Mitarbeiterin der Betreuungsbehörde nach einem Hausbesuch bei dem Betroffenen ebenfalls kein Bedürfnis für die Einrichtung einer Betreuung gesehen hat. Diese Feststellungen, die auch von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen werden, tragen die Annahme des Landgerichts, dass der Betroffene über einen freien Willen i.S.v. § 1896 Abs. 1a BGB verfügt und daher gegen seinen Willen eine Betreuerbestellung nicht möglich ist.

Hinreichende Anhaltspunkte für eine Fortführung der Ermittlungen ergaben sich auch nicht aus den schriftlichen Stellungnahmen seiner Geschwister in den beiden Vorinstanzen. Die beiden Geschwister haben in ihren Schreiben im Wesentlichen auf einen frühkindlichen Hirnschaden des Betroffenen sowie auf dessen weitere Erkrankungen hingewiesen, die zur Pflegebedürftigkeit des Betroffenen führten und damit dessen besondere Schutzbedürftigkeit belegen sollten. Mit diesen Ausführungen haben die Geschwister allerdings lediglich eine mögliche Betreuungsbedürftigkeit des Betroffenen dargelegt. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr zur Bildung eines freien Willens i.S.v. § 1896 Abs. 1a BGB in der Lage ist, ergeben sich daraus nicht.

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Hinzu kommt, dass die Ausführungen der Geschwister nicht aufzeigen, welche Angelegenheiten der Betroffene aufgrund seiner Erkrankung nicht selbst besorgen könnte. Auch aus dem Umstand, dass sich der Betroffene von seiner Familie abgewandt hat und er deshalb nicht mehr wie bisher von familiärer Fürsorge begleitet wird, ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Durchführung weiterer Ermittlungen. Denn insoweit wurden von den Geschwister ebenfalls keine konkreten Angelegenheiten benannt, die der Betroffene nicht selbst besorgen könnte.

Zudem ist auf Grund der von dem Betroffenen erteilten notariellen Vorsorgevollmacht eine Betreuerbestellung derzeit auch nicht erforderlich (§ 1896 Abs. 2 BGB). Zwar steht eine Vorsorgevollmacht der Bestellung eines Betreuers dann nicht entgegen, wenn Bedenken gegen die Wirksamkeit der Vollmacht bestehen oder der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet, etwa weil erhebliche Bedenken an der Redlichkeit des Vorsorgebevollmächtigten bestehen. Anhaltspunkte für eine Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen zum Zeitpunkt der notariellen Vollmachterteilung hat das Landgericht jedoch ebenso wenig festgestellt wie konkrete Umstände, die auf die Unredlichkeit der derzeitigen Bevollmächtigten schließen lassen. Solche Umstände werden auch nicht geltend gemacht.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14. Juli 2021 – XII ZB 135/21

  1. im Anschluss an BGH, Beschluss vom 06.09.2017 XII ZB 180/17 FamRZ 2017, 1962[]
  2. im Anschluss an BGH, Beschluss vom 18.03.2015 XII ZB 370/14 FamRZ 2015, 844[]
  3. AG Wesel, Beschluss vom 17.07.2020 – 11 XVII 154/20 Sch[]
  4. LG Duisburg, Beschluss vom 08.02.2021 – 12 T 181/20[]
  5. BGH, Beschlüsse vom 18.03.2015 XII ZB 370/14 , FamRZ 2015, 844 Rn. 13 mwN; und vom 06.09.2017 XII ZB 180/17 FamRZ 2017, 1962 Rn. 7[]
  6. BGH, Beschluss vom 18.03.2015 XII ZB 370/14 , FamRZ 2015, 844 Rn. 14 mwN[]
  7. BGH, Beschluss vom 18.03.2015 XII ZB 370/14 FamRZ 2015, 844 Rn. 15 mwN[]
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