Auch bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners für den Ehegattenunterhalt ist, wie der Bundesgerichtshof aktuell entschieden hat, der Kindesunterhalt mit dem um das (anteilige) Kindergeld geminderten Zahlbetrag (nicht mit dem Tabellenbetrag) abzuziehen1.

Der BGH hat vor zwei Monaten in einem Urteil die Streitfrage, ob der das Einkommen des Unterhaltspflichtigen mindernde Unterhalt für ein minderjähriges Kind mit dem Zahl- oder Tabellenbetrag abzuziehen ist, für die Bedarfsermittlung gemäß § 1578 Abs. 1 BGB im erstgenannten Sinne, also für den Abzug des Zahlbetrages entschieden2.
Für die nach § 1581 BGB zu prüfende Leistungsfähigkeit gilt nichts anderes. Auch hier ist der Unterhalt des Kindes einkommensmindernd zu berücksichtigen. Aufgrund seines Vorrangs ist er vom Einkommen des Unterhaltspflichtigen abzuziehen, weil das Einkommen insoweit für den Ehegattenunterhalt nicht verfügbar ist3. Aus § 1612 b BGB ergibt sich, in welcher Weise sich das Kindergeld auf den Kindesunterhalt auswirkt. Nach § 1612 b Abs. 1 Satz 1 BGB in der seit dem 1. Januar 2008 durch das Unterhaltsrechtsänderungsgesetz4 geänderten Gesetzesfassung ist das auf das Kind entfallende Kindergeld zur Deckung seines Barbedarfs zu verwenden, und zwar nach § 1612 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB zur Hälfte, wenn – wie hier – ein Elternteil seine Unterhaltspflicht durch Betreuung des Kindes erfüllt (§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB). In diesem Umfang mindert es den Barbedarf des Kindes (§ 1612 b Abs. 1 Satz 2 BGB). Die bedarfsmindernde Wirkung stellt das (anteilige) Kindergeld damit im Gegensatz zur vorausgegangenen Rechtslage, nach der das Kindergeld „anzurechnen“ war (§ 1612 b Abs. 1 BGB a.F.), eigenem Einkommen des Kindes gleich5.
Dass auch bei der Ermittlung der Leistungsfähigkeit nach § 1581 BGB der Zahlbetrag abzuziehen ist, entspricht der mit dem Unterhaltsrechtsänderungsgesetz verfolgten Absicht. Die Begründung des Gesetzentwurfs weist ausdrücklich darauf hin, dass durch den bedarfsmindernden Vorwegabzug des Kindergelds nach § 1612 b Abs. 1 BGB n.F. von der zur Verteilung anstehenden Masse ein geringerer Anteil für den Kindesunterhalt erforderlich ist und ein entsprechend höherer Anteil für die nachrangigen Unterhaltsberechtigten, etwa für den betreuenden Elternteil zur Verfügung steht6. Damit ist genau die vorliegende Fallgestaltung angesprochen.
Gegenüber der früheren Rechtslage7 hat sich demnach die Art und Weise der Kindergeldanrechnung grundlegend verändert.
Da der Abzug des Zahlbetrages statt des Tabellenbetrages danach sowohl vom Wortlaut des Gesetzes als auch von der ausdrücklichen Absicht des Gesetzgebers gefordert wird, sind die Gerichte daran gebunden. Die Gerichte sind also auch nicht befugt, an die Stelle des verbindlichen Gesetzesrechts ihre eigenen Vorstellungen von einer gerechten Aufteilung des Kindergelds zu setzen2.
Anders als jetzt der Bundesgerichtshof hatte in der Vorinstanz noch das Oberlandesgericht Düsseldorf das gegenteilige Ergebnis einer Anrechnung des Tabellenbetrages im Rahmen einer „verfassungskonformen Auslegung“ zu erreichen versucht8. Doch der Bundesgerichtshof hält diese vom OLG Düsseldorf vertretene verfassungskonforme Auslegung für nicht zulässig.
Eine verfassungskonforme Auslegung kommt nur dann in Betracht, wenn eine Norm mehrere Auslegungen zulässt, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen9. Sie findet ihre Grenze dort, wo sie zu dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde10.
Die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung steht zum Willen des Gesetzgebers im offenen Widerspruch. Wie die Gesetzesbegründung zeigt, ist es gerade eine gewollte Folge der bedarfsmindernden Verwendung des auf den Barunterhaltspflichtigen entfallenden hälftigen Kindergelds, dass sich dadurch die Verteilungsmasse für nachrangige Unterhaltsberechtigte vergrößert. Das kommt auch im Wortlaut des § 1612 b Abs. 1 BGB unmissverständlich zum Ausdruck. Die Minderung des Barbedarfs durch das Kindergeld ist eine ausdrückliche und bewusste Anordnung des Gesetzes. Aus ihr ergibt sich zwangsläufig, dass der Unterhaltsanspruch des Kindes nur in Höhe des Zahlbetrags entsteht. Dadurch wurde die frühere Rechtslage abgelöst, nach der der Unterhaltsanspruch zunächst in unverminderter Höhe entstand und erst anschließend mit dem Kindergeld verrechnet wurde. Auch die vom Berufungsgericht angeführte frühere Praxis ist durch die neue gesetzliche Regelung und das mit ihr ausdrücklich verfolgte Ziel jedenfalls überholt.
Die Vorgehensweise des OLG Düsseldorf führt demnach in der Sache zu einer Korrektur des parlamentarischen Gesetzgebers, die allein dem Bundesverfassungsgericht möglich wäre. Der vom Berufungsgericht eingeschlagene Weg war demnach schon methodisch verfehlt. Es hätte auf der Grundlage der von ihm vertretenen Auffassung statt dessen nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG das Verfahren aussetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einholen müssen.
Die gesetzliche Regelung ist im Übrigen auch nicht wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig2. Bereits nach der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Regelung in § 1612 b Abs. 5 BGB (a.F.) wurde der Kindergeldanteil des barunterhaltspflichtigen Elternteils zur Deckung des Existenzminimums des Kindes herangezogen, während der Anteil des betreuenden Elternteils davon verschont blieb. Das Bundesverfassungsgericht hat diese ungleiche Heranziehung der Kindergeldanteile in seinem Beschluss vom 9. April 200311 als sachlich gerechtfertigt gebilligt und einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG verneint. Auch die Anwendung des § 1612 b Abs. 5 BGB (a.F.) konnte schon zu dem Ergebnis führen, dass durch die Heranziehung des dem barunterhaltspflichtigen Elternteil zustehenden Kindergeldanteils das Existenzminimum des Kindes gesichert war, während dem betreuenden Elternteil sein ungekürzter Kindergeldanteil verblieb. Demnach stand es dem Gesetzgeber nach der Verfassung aber ebenfalls frei, das zu berücksichtigende Kindergeld generell als Einkommen des Kindes anzusehen und es zur Deckung des Unterhaltsbedarfs des Kindes heranzuziehen. Dass damit der nunmehr nachrangige Ehegattenunterhalt – als teilweise Kompensation des Nachrangs12 – erhöht worden ist, ist nicht sachwidrig2.
Bei der verfassungsrechtlichen Bewertung der bewussten gesetzgeberischen Entscheidung kann überdies schon nicht als Regelfall unterstellt werden, dass der betreuende Elternteil seinen Kindergeldanteil etwa vollständig für eigene Zwecke verbraucht2. Für die Beurteilung, ob die gesetzliche Differenzierung sachgemäß ist, kann demnach jedenfalls nicht außer Acht gelassen werden, dass regelmäßig auch der betreuende Elternteil seinen Kindergeldanteil ganz oder teilweise zugunsten seines Kindes verwendet.
Unterschiedliche Regelungen im Sozialrecht wie auch steuerrechtliche Zwecksetzungen ergeben nichts anderes13. Dass das Existenzminimum des Unterhaltspflichtigen nicht zu Lasten des Kindesunterhalts angegriffen werden muss, wird durch den unterhaltsrechtlichen Selbstbehalt gewährleistet, der gegenüber dem Ehegatten höher zu veranschlagen ist als gegenüber minderjährigen Kindern. Dass dem barunterhaltspflichtigen Elternteil infolge des teilweisen Verbrauchs des Kindergelds schließlich weniger Spielraum für sonstige Ausgaben, z.B. für Umgangskosten, verbleibt, ist anderweitig zu berücksichtigen, etwa durch einen – teilweisen – Abzug der Umgangskosten vom Einkommen oder eine Erhöhung des (Ehegatten-)Selbstbehalts14.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 24. Juni 2009 – XII ZR 161/08
- im Anschluss an BGH, Urteil vom 27. Mai 2009 – XII ZR 78/08[↩]
- BGH, Urteil vom 27. Mai 2009 – XII ZR 78/08[↩][↩][↩][↩][↩]
- zur vorgelagerten Frage der Bedarfsermittlung beim Kindesunterhalt siehe BGHZ 178, 79 = FamRZ 2008, 2189, 2190[↩]
- Unterhaltsrechtsänderungsgesetz (UÄndG) vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3189).[↩]
- BGH, Urteil vom 27. Mai 2009 – XII ZR 78/08; Wendl/Scholz Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 7. Aufl. § 2 Rdn. 510[↩]
- BT-Drucks. 16/1830 S. 29[↩]
- dazu BH, Urteile vom 16. April 1997 – XII ZR 233/95 – FamRZ 1997, 806, 807; vom 19. Juli 2000 – XII ZR 161/98 – FamRZ 2000, 1492, 1494 und vom 23. April 1986 – IVb ZR 34/85 – FamRZ 1986, 783, 786[↩]
- Oberlandesgerichts Düsseldorf, Urteil vom 18. September 2008, FamRZ 2009, 338[↩]
- BVerfG NJW 2001, 2160, 2161; BFHE 207, 471 Tz. 86[↩]
- BVerfG NJW 2007, 2977, 2980; NJW 1999, 1853, 1855 jeweils m.w.N.[↩]
- BVerfG, FamRZ 2003, 1370, 1375 f.[↩]
- vgl. BT-Drucks. 16/1830 S. 29[↩]
- näher dazu BGH, Urteil vom 27. Mai 2009 – XII ZR 78/08[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 17. Juni 2009 – XII ZR 102/08 -, vom 27. Mai 2009 – XII ZR 78/08; vom 23. Februar 2005 – XII ZR 56/02 – FamRZ 2005, 706, 708 und vom 9. Januar 2008 – XII ZR 170/05 – FamRZ 2008, 594, 599 sowie Wendl/Klinkhammer Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 7. Aufl. § 2 Rdn. 169[↩]