Kindeswohlgefährdung – und die Entziehung der elterlichen Sorge

Eine Kindeswohlgefährdung im Sinne des § 1666 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr festgestellt wird, dass bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist; an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je schwerer der drohende Schaden wiegt1.

Kindeswohlgefährdung – und die Entziehung der elterlichen Sorge

Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer gerichtlichen Maßnahme nach § 1666 BGB ist auch das Verhältnis zwischen der Schwere des Eingriffs in die elterliche Sorge und dem Grad der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts für das Kind zu beachten. Während die vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Sorge nur bei einer erhöhten Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, nämlich bei ziemlicher Sicherheit, verhältnismäßig ist, können weniger einschneidende Eingriffe, zu denen die im Katalog des § 1666 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 BGB exemplarisch aufgeführten Maßnahmen zählen, bereits im Fall einer nicht überwiegend wahrscheinlichen Gefahr angemessen sein, soweit es um die Abwehr einer massiven Rechtsgutbeeinträchtigung geht2.

Wird durch eine auf § 1666 Abs. 3 Nr. 3 und 4 BGB gestützte Schutzanordnung der persönliche Umgang des Elternteils mit dem Kind eingeschränkt oder ausgeschlossen, muss sich diese Anordnung auch an den Voraussetzungen des § 1684 Abs. 4 BGB messen lassen.

Gemäß § 1666 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet ist und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Bei der Auslegung und Anwendung dieser Norm ist der besondere Schutz zu beachten, unter dem die Familie nach Art. 6 Abs. 1 und 2 GG steht. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung. Die Erziehung des Kindes ist damit primär in ihre Verantwortung gelegt, wobei dieses „natürliche Recht“ den Eltern nicht vom Staat verliehen worden ist, sondern von diesem als vorgegebenes Recht anerkannt wird. Die Eltern können grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen. In der Beziehung zum Kind muss aber das Kindeswohl die oberste Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung sein3.

Generell ist für Maßnahmen nach § 1666 BGB erforderlich, dass eine konkrete Gefährdung des Kindeswohls vorliegt, zu deren Abwendung die sorgeberechtigten Personen nicht gewillt oder in der Lage sind. Eine solche besteht bei einer gegenwärtigen, in einem solchen Maß vorhandenen Gefahr, dass bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dabei kann das erforderliche Maß der Gefahr nicht abstrakt generell festgelegt werden. Denn der Begriff der Kindeswohlgefährdung erfasst eine Vielzahl von möglichen, sehr unterschiedlichen Fallkonstellationen. Erforderlich ist daher seine Konkretisierung mittels Abwägung der Umstände des Einzelfalls durch den mit dem Fall befassten Tatrichter. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je schwerer der drohende Schaden wiegt. Für die Frage, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, kann das Gewicht der zur Beseitigung dieser Gefährdung zu treffenden Maßnahme nach § 1666 BGB hingegen keine Bedeutung erlangen. Erst wenn eine Kindeswohlgefährdung feststeht, stellt sich die Frage nach der erforderlichen und geeigneten Maßnahme und nach deren Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne4.

Die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit muss in jedem Fall auf konkreten Verdachtsmomenten beruhen. Eine nur abstrakte Gefährdung genügt nicht. Das Gericht hat in jedem Einzelfall darzulegen, welche konkreten Anhaltspunkte bei dem jeweils konkret betroffenen Kind den Eintritt welcher konkreten Schädigung befürchten lassen5. Schließlich muss der konkret drohende Schaden für das Kind erheblich sein. Selbst bei hoher Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines nicht erheblichen Schadens sind Maßnahmen nach § 1666 BGB nicht gerechtfertigt. In solchen Fällen ist dem elterlichen Erziehungs- und Gefahrabwendungsprimat der Vorrang zu geben6.

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Gemessen daran war für den Bundesgerichtshof im hier entschiedenen Fall, in dem der Kindsvater mehrfach wegen der Anfertigung und Besitz von Kinderpornografie strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, die Einschätzung des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M.7, dass die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Schädigung der Kinder und damit auf der Tatbestandsebene eine den staatlichen Eingriff rechtfertigende Gefahrenlage im Sinne von § 1666 Abs. 1 BGB vorliegt, entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden:

Es bedarf keiner weiteren Erörterung, dass der den Kindern drohende Schaden selbst bei einem nur einmaligen sexuellen Übergriff ganz erheblich wäre.

Nach dem derzeitigen Forschungsstand kann allerdings ein einfacher monokausaler Zusammenhang dahingehend, dass der Konsum von Kinderpornographie in sexuelle Übergriffe mit Körperkontakt (sog. Hands-On-Delikte) münden wird, nicht hergestellt werden8. Der Umstand, dass sich eine konkrete Gefahr für die Begehung von Hands-On-Delikten an Kindern noch nicht allein mit der Nutzung von kinderpornographischem Material durch den Täter begründen lässt, bedeutet im Umkehrschluss allerdings nicht, dass von Konsumenten von Kinderpornographie prinzipiell kein konkretes Risiko ausgehe, mit Hands-On-Delikten gegenüber Kindern rückfällig zu werden. Um bezüglich des mit der Nutzung von Kinderpornographie auffällig gewordenen Personenkreises die konkrete Gefahr eines körperlichen Übergriffs auf einzelne Kinder beurteilen zu können, ist eine umfassende individuelle Risikoeinschätzung vorzunehmen. Die Gefahr für einen Rückfall mit Hands-On-Delikten steigt beim Vorhandensein weiterer Risikofaktoren, zu denen unter anderem das Vorliegen früherer Hands-On-Taten, sexuelle Belästigung von Minderjährigen über das Internet oder andere elektronische Medien („Cyber-Grooming„), schwere Persönlichkeitsstörungen, Substanzmittelkonsum, emotionale Nähe zu Minderjährigen und Defizite beim Eingehen von Beziehungen zu gleichaltrigen Sexualpartnern gezählt werden; als stärkste rückfallrelevante Faktoren werden dabei neben früheren Hands-On-Delikten das Vorliegen einer sexuell devianten Störung wie etwa der Pädophilie, aber auch generelle Dissozialität angesehen9. Bei der Risikoeinschätzung zu berücksichtigen ist demgegenüber auch eine mögliche Hemmschwelle pädophiler Täter gegenüber einem sexuellen Missbrauch des eigenen leiblichen Kindes10.

Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. liegen bei dem Kindesvater verschiedene risikoerhöhende Faktoren vor. Er ist in der Vergangenheit nicht nur passiv durch das Betrachten von kinderpornographischem Bildmaterial, sondern auch aktiv durch sexuell ausgerichtete Kontaktaufnahmen mit Minderjährigen über elektronische Medien in Erscheinung getreten. In der Persönlichkeit des Kindesvaters, der einerseits im sexuellen Bereich ständig auf der Suche nach Bestätigung durch andere ist, dem andererseits aber aufgrund emotionaler Unreife das Verantwortungsgefühl für die mit seinem Verhalten konfrontierten Kinder fehlt, sind nach den Ausführungen der Sachverständigen deutlich narzisstische Züge zu erkennen. Die Sexualpräferenz des Kindesvaters ist zwar vorwiegend auf erwachsene Frauen bezogen, weist aber auch eine „pädophile, eher hebephile Nebenströmung“ auf, bei der das sexuelle Interesse auf das Körperschema pubertierender Mädchen gerichtet ist. Der Kindesvater scheint nach der Einschätzung der Sachverständigen zu den Betroffenen zu gehören, die genügend Verhaltenskontrolle aufweisen, um hebephile oder pädophile Interessen über das Betrachten von Fotos und durch Selbstbefriedigung auszuleben, während sie aber auch nicht ausschließen kann, dass er sich ohne therapeutische Begleitung bei seinen sexuell motivierten Kontaktaufnahmen mit potentiellen Partnerinnen über elektronische Medien erneut zur Unterschreitung von Altersgrenzen bereitfinden wird.

Auf der anderen Seite ist aber auch zu berücksichtigen, dass sich auf den im Zuge der polizeilichen Maßnahmen in den Jahren 2007 und 2016 aufgefundenen Datenträgern des Kindesvaters neben kinderpornographischem Bildmaterial eine ganz überwiegende Vielzahl von pornographischen Dateien ohne kinderpornographischen Bezug befand sowie die sich auf der im Jahr 2016 sichergestellten Festplatte befindlichen kinderpornographischen Dateien zwei Jahre zuvor gelöscht worden waren und seitdem kein Zugriff mehr auf sie erfolgte. Ein bereits stattgefundener sexueller Missbrauch der beiden Kinder durch den Kindesvater ist offensichtlich auszuschließen. Die Sachverständige sieht jedenfalls derzeit keine konkrete Gefahr eines Hands-OnÜbergriffs auf die beiden Kinder, weil diese schon aufgrund ihres Alters und ihres dementsprechend vorpubertären Körperschemas nicht in die angenommene Sexualpräferenz des Kindesvaters fallen und zudem bei den eigenen Kindern von einer besonderen Hemmschwelle auszugehen ist.

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Das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. hat indessen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auch darauf abgestellt, dass die Gefahr eines erheblichen Schadens für die betroffenen Kinder im Sinne des § 1666 BGB nicht nur im Falle unmittelbarer körperlicher Übergriffigkeit, sondern bereits dann droht, wenn diese den erwachsenen Elternteil beim Konsum kinderpornographischer Medieninhalte oder bei der sexuellen Belästigung von Minderjährigen über das Internet wahrnehmen können. Dagegen lassen sich grundsätzlich keine rechtlichen Bedenken erheben, denn es besteht die Gefahr, dass die betroffenen Kinder solche Verhaltensweisen als normal empfinden, sexuelle Grenzverletzungen nicht als solche wahrnehmen und damit jedenfalls zukünftig leichter Opfer von Straftaten gegen ihre sexuelle Selbstbestimmung werden11. Das Vorliegen einer solchen Gefahrenlage hat das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. im konkreten Fall rechtsbedenkenfrei daraus hergeleitet, dass bei dem Kindesvater nach den Feststellungen der Sachverständigen von einer Übererregbarkeit und von einem erheblich übersteigerten Sexual- bzw. Onanieverhalten auszugehen ist, das besonders exzessiv über den Gebrauch elektronischer Medien ausgelebt wird und das bei hoher sexueller Erregung und gegebenenfalls im Zusammenhang mit Alkoholeinfluss ein grenzverletzendes Verhalten gegenüber Kindern begünstigen kann, mit dem die eigenen Kinder bei einem Zusammensein mit dem Kindesvater konfrontiert werden könnten.

Die Annahme des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M., dass im Hinblick auf den schwerwiegenden Schaden, der den Kindern bei dem beschriebenen sexuell grenzverletzenden Verhalten des Kindesvaters drohen würde, eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine erhebliche Schädigung bestehe, hält sich vor diesem Hintergrund in der Gesamtschau im Rahmen einer zulässigen tatrichterlichen Beurteilung.

Mit Recht beanstandet die Rechtsbeschwerde demgegenüber die vom Oberlandesgericht Frankfurt a.M. zur Abwehr der festgestellten Kindeswohlgefährdung getroffenen Maßnahmen:

Dabei unterliegt es allerdings keinem Zweifel, dass die von dem Oberlandesgericht Frankfurt a.M. angeordneten Maßnahmen nach § 1666 BGB grundsätzlich zulässig sind.

Der Maßnahmenkatalog in § 1666 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 BGB stellt exemplarisch klar, welche gerichtlichen Anordnungen auch unterhalb der Schwelle der Sorgerechtsentziehung möglich sind. Die Aufzählung ist dabei nicht abschließend, so dass auch andere zur Abwendung der Gefahr geeignete Weisungen in Betracht kommen. Soweit diese Maßnahmen einen erheblichen Eingriff in Grundrechte der Betroffenen bedeuten, ist hierfür jedoch eine gesetzliche Grundlage erforderlich, so dass es sich um die in § 1666 Abs. 3 BGB ausdrücklich benannten oder um diesen vergleichbare Maßnahmen handeln muss12.

Die vom Oberlandesgericht Frankfurt a.M. ausgesprochene Ausweisung des Kindesvaters („Go-Order“) wird durch § 1666 Abs. 3 Nr. 3 BGB gedeckt, wonach das Gericht dem gefährdenden Elternteil unter anderem verbieten kann, vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Familienwohnung zu nutzen. Auch die an den Kindesvater gerichteten Verbote, die vormalige Familienwohnung zu betreten oder sich dort aufzuhalten, mit den Kindern in Abwesenheit der Kindesmutter zu verkehren und den Umgang mit den Kindern in der Wohnung des Kindesvaters auszuüben, finden eine Grundlage im Gesetz. Neben der Wohnungsausweisung ermöglicht § 1666 Abs. 3 Nr. 3 BGB dem Gericht, flankierende Maßnahmen zu treffen und es dem gefährdenden Elternteil unter anderem zu verbieten, sich in einem bestimmten Umkreis der vormaligen Familienwohnung aufzuhalten oder bestimmte Orte aufzusuchen, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält; § 1666 Abs. 3 Nr. 4 BGB ermächtigt das Gericht darüber hinaus, dem aus der Wohnung gewiesenen Elternteil zu untersagen, Verbindung zum Kind aufzunehmen oder Zusammentreffen mit dem Kind herbeizuführen. Der rechtlichen Zulässigkeit der neben der Wohnungsausweisung angeordneten Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung steht es nicht entgegen, dass mit ihnen Einschränkungen des Umgangsrechts einhergehen, die das Gericht auch in einem umgangsrechtlichen Verfahren nach § 1684 Abs. 4 BGB anordnen könnte. Jedenfalls in Bezug auf die Gefährdung des Kindes durch einen (mit)sorgeberechtigten Elternteil besteht kein rechtliches Ausschließlichkeitsverhältnis zwischen § 1666 BGB einerseits und § 1684 Abs. 4 BGB andererseits13.

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Allerdings muss jeder Eingriff in das Elternrecht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Dieser gebietet, dass Art und Ausmaß des staatlichen Eingriffs sich nach dem Grund des Versagens der Eltern und danach bestimmen müssen, was im Interesse des Kindes geboten ist.

Die anzuordnende Maßnahme muss zur Abwehr der Kindeswohlgefährdung geeignet, erforderlich und auch im engeren Sinne verhältnismäßig (angemessen) sein. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist gegeben, wenn der staatliche Eingriff unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zumutbar ist. Hierbei ist insbesondere auch das Verhältnis zwischen der Schwere des Eingriffs und seiner Folgen, dem Gewicht des dem Kind drohenden Schadens und dem Grad der Gefahr zu berücksichtigen. Dabei kann die auch teilweise Entziehung der elterlichen Sorge als besonders schwerer Eingriff nur bei einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes mit einer höheren, im Einzelfall durch Abwägung aller Umstände zu bestimmenden „ziemlichen Sicherheit“ eines Schadenseintritts verhältnismäßig sein. Die Anordnung weniger einschneidender Maßnahmen kann demgegenüber nach dem Grundsatz der umgekehrten Proportionalität von Schadensschwere und Eintrittswahrscheinlichkeit bereits im Fall einer nicht überwiegend wahrscheinlichen Gefahr gerechtfertigt sein, soweit es um die Abwehr einer massiven Rechtsgutbeeinträchtigung geht14.

Zu den weniger einschneidenden und unterhalb der Schwelle des Sorgerechtsentzugs liegenden Maßnahmen gehören die gerichtlichen Interventionsmöglichkeiten, die exemplarisch im Maßnahmenkatalog des § 1666 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 BGB genannt sind15. Dies gilt auch für die auf § 1666 Abs. 3 Nr. 3 und 4 BGB gestützten kontaktbegrenzenden Maßnahmen, die den persönlichen Umgang des gefährdenden Elternteils mit dem Kind einschränken. Auch diese Weisungen sind gegenüber einem personensorgeberechtigten Elternteil als milderes Mittel gegenüber der Entziehung des Umgangsbestimmungsrechts als Teil der Personensorge anzusehen16, selbst wenn weitgehende umgangsbeschränkende Eingriffe wie namentlich die Anordnung begleiteten Umgangs in ihrer belastenden Wirkung einer Entziehung des Umgangsbestimmungsrechts durchaus nahekommen17.

Unabhängig davon müssen sich die auf § 1666 Abs. 3 Nr. 3 und 4 BGB gestützten Schutzanordnungen, die das Umgangsrecht des gefährdenden Elternteils einschränken, jedenfalls an den Voraussetzungen des § 1684 Abs. 4 BGB messen lassen18. Nach den vom Bundesverfassungsgericht zu § 1684 Abs. 4 BGB entwickelten Maßstäben stellt insbesondere die Anordnung nur begleiteten Umgangskontakts einen erheblichen Eingriff sowohl in das durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantierte Elternrecht als auch in das Recht des Kindes auf Umgang mit dem nicht betreuenden Elternteil dar. Denn der Umgang zwischen dem nicht betreuenden Elternteil und dem Kind kann seinen Zweck grundsätzlich nur bei einem unbeaufsichtigten und der Beobachtung durch Dritte nicht ausgesetzten persönlichen Kontakt erreichen. Wird die Einschränkung oder der Ausschluss des Umgangsrechts allein auf pädophile Neigungen des umgangsberechtigten Elternteils gestützt, so setzt dies konkrete Feststellungen zu den pädophilen Neigungen des umgangsberechtigten Elternteils sowie eine daraus resultierende konkrete Gefährdung für das Kind voraus. Dabei kann gerade die längerfristige Anordnung begleiteten Umgangs (§ 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB) nicht darauf gestützt werden, dass pädophile Neigungen des umgangsberechtigten Elternteils nach dem Ergebnis der Ermittlungen lediglich möglich erscheinen und damit ein „Restrisiko“ für das Kind verbleibt. Dies stellt nicht nur das Elternrecht des Umgangsberechtigten unverhältnismäßig hintan, sondern greift auch intensiv in das Recht des Kindes ein, mit seinem umgangsberechtigten Elternteil grundsätzlich ohne Beobachtung durch Dritte Umgang zu haben19.

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Nach diesen Maßgaben ergeben sich auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen durchgreifende Bedenken an der Verhältnismäßigkeit der von dem Oberlandesgericht Frankfurt a.M. erteilten Weisungen.

Die Rechtsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass sich die auf § 1666 Abs. 3 Nr. 3 BGB gestützte Wohnungsausweisung bereits als nicht (mehr) erforderlich darstellt. Das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. hat festgestellt, dass sich die Kindeseltern getrennt haben und der Kindesvater im Laufe des Verfahrens die vormalige Familienwohnung freiwillig verlassen und eine eigene Wohnung bezogen hat.

Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Trennung lassen sich der Beschwerdeentscheidung ebenso wenig entnehmen wie Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Kindesmutter einem etwaigen Ansinnen des Kindesvaters, erneut gemeinsam mit ihr und den beiden Kindern in der vormaligen Familienwohnung zusammenleben zu wollen, nicht entgegentreten könnte oder würde.

Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. kann die Anordnung der Wohnungsausweisung bei dieser Sachlage auch nicht damit begründet werden, dass die Wegweisungsverfügung eine Rechtsgrundlage dafür schaffe, den gefährdenden Elternteil mit der Geltendmachung von Nutzungsansprüchen an der vormaligen Ehewohnung auszuschließen. Mit dem freiwilligen Auszug des Kindesvaters aus der vormals gemeinsam mit den Kindern bewohnten Wohnung besteht die Gefahr einer erheblichen Schädigung der Kinder durch das räumliche Zusammenleben mit dem Kindesvater nicht mehr. Im Übrigen ist es auch mit Blick auf das elterliche Gefahrenabwehrprimat Sache der Kindesmutter, darüber zu entscheiden, ob sie den Kindern die vertraute Umgebung erhalten und deshalb möglichen Nutzungsansprüchen des Kindesvaters an der vormaligen Familienwohnung rechtlich entgegentreten oder ob sie eine neue Wohnung für sich und die Kinder suchen will.

Das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. hat es als erforderlich angesehen, den Umgang des Kindesvaters mit den Kindern ausschließlich in Gegenwart der Kindesmutter zu gestatten. Soweit es dabei eine Umgangsbegleitung durch andere Personen als milderes Mittel20 ausgeschlossen hat, weil es namentlich die Großeltern väterlicherseits als ungeeignet für die Begleitung des Umgangs angesehen hat, beanstandet die Rechtsbeschwerde zu Recht, dass es für diese Beurteilung an tragfähigen Feststellungen fehlt.

Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten die Empfehlung geäußert, dass der Kindesvater die beiden Kinder in Begleitung der Kindesmutter oder „einer der Großmütter“ so häufig wie möglich sehen solle. Das Amtsgericht hat eine Begleitung des Umgangs durch die Mutter des Kindesvaters mit der Begründung abgelehnt, dass die Sachverständige diese nicht exploriert habe, ohne aus diesem Umstand Folgerungen für den Umfang der gerichtlichen Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts zu ziehen oder eine eigene Sachkunde darzulegen, auf die sich seine Beurteilung stützen könnte, dass die Großmutter zur Begleitung des Umgangs nicht geeignet sei. Das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. hat die fehlende Eignung der Großeltern väterlicherseits allein aus nicht näher konkretisierten Angaben des Kindesvaters über die Reaktion seiner Eltern auf die strafrechtlichen und familienrechtlichen Folgen seiner Straftaten hergeleitet, nach denen davon ausgegangen werden müsse, dass die Großeltern väterlicherseits die Taten des Kindesvaters bagatellisieren, eine Gefährdung der Kinder negieren und einen unbeobachteten Umgang des Kindesvaters mit den Kindern zulassen werden. Dagegen erhebt die Rechtsbeschwerde mit Recht die Rüge einer unzureichenden Aufklärung des Sachverhalts (§ 26 FamFG).

Art und Umfang der gebotenen Ermittlungen richten sich nach der Lage des jeweiligen Einzelfalls. Dabei gelten in kindschaftsrechtlichen Familiensachen besondere Anforderungen an die tatrichterliche Sachaufklärung. Denn die verfassungsrechtliche Dimension beeinflusst auch das Verfahrensrecht und seine Handhabung im Kindschaftsverfahren. Das gerichtliche Verfahren muss in seiner Ausgestaltung dem Gebot effektiven Grundrechtsschutzes entsprechen, weshalb insbesondere die zur Verfügung stehenden Aufklärungs- und Prüfungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden müssen. Das bedeutet nicht nur, dass die Verfahrensgestaltung den Elternrechten Rechnung tragen muss; die Gerichte müssen ihr Verfahren so gestalten, dass sie möglichst zuverlässig die Grundlage einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung erkennen können21.

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In diesem Zusammenhang hat die Sachverständige bereits in ihrem schriftlichen Gutachten auf die Gefahr hingewiesen, dass Spannungen zwischen den Kindeseltern für die Kinder bald wahrnehmbar seien und auch zunehmen werden. Schon vor diesem Hintergrund durfte das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. angesichts der erheblichen Bedeutung, der ein möglichst unbelasteter Umgangskontakt zwischen dem Kindesvater und den Kindern sowohl für das Elternrecht als auch für das Kindeswohl zukommt, seine Ermittlungen zum Vorhandensein weiterer geeigneter Begleitpersonen nicht in der geschehenen Weise verkürzen. Zum mindesten wäre im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung eine Anhörung der Großeltern zur Gewinnung eines persönlichen Eindrucks geboten gewesen. Dies gilt umso mehr, als die Großeltern väterlicherseits bereits in der Übergangszeit vor dem Auszug des Kindesvaters aus der Wohnung in eine vom Oberlandesgericht Frankfurt a.M. im einstweiligen Anordnungsverfahren gebilligte Schutz- und Betreuungsregelung einbezogen waren, ohne dass insoweit Beanstandungen festgestellt worden wären.

Auch die vom Oberlandesgericht Frankfurt a.M. erteilten Weisungen, nach denen sowohl die Ausübung des Umgangs in der Wohnung des Kindesvaters als auch der Aufenthalt des Kindesvaters in der ehemaligen Familienwohnung untersagt ist, sind im Hinblick auf ihre Angemessenheit nicht frei von rechtlichen Bedenken.

Ausgangspunkt für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist dabei der Befund, dass die Feststellungen des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. nicht den sicheren Schluss darauf zulassen, die Sexualpräferenz des Kindesvaters könne (auch) auf eine gelebte Sexualität mit vorpubertären Kindern im Alter der beiden betroffenen Kinder gerichtet sein. Zwar trägt der festgestellte Sachverhalt die Beurteilung, dass bei dem Kindesvater eine hebephile Nebenströmung im Sinne der sexuellen Ansprechbarkeit durch das (früh)pubertäre Körperschema von Mädchen ab dem Alter von etwa zehn oder elf Jahren vorliegt. Es mag auch nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden können, dass die krankhafte Sexsucht des Kindesvaters dazu führen könnte, unter erhöhtem sexuellen Druck selbst diese Altersgrenze noch zu unterschreiten und gleichzeitig die Inzestschranke zu überwinden. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder unter solchen Umständen Opfer eines Hands-On-Delikts werden könnten, kann aber auch bei Einräumung eines großzügigen tatrichterlichen Beurteilungsspielraums nicht mit dem vom Oberlandesgericht Frankfurt a.M. angenommenen Wahrscheinlichkeitsgrad von 25 Prozent angesetzt werden. Ein solcher Wahrscheinlichkeitsgrad bezieht offensichtlich auch die vom Oberlandesgericht Frankfurt a.M. aufgezeigte Möglichkeit ein, dass die Kinder den Kindesvater dabei wahrnehmen könnten, wie er in sexuell grenzverletzender Weise vor allem im Zusammenhang mit dem Gebrauch elektronischer Medien durch den Konsum von kinderpornographischem Material oder durch die Interaktion mit Kindern sexuell erregt wird und er dieser Erregung durch Onanieren Befriedigung verschafft. Auch wenn bei einem solchen Sachverhalt unbestreitbar eine schwere Schädigung der Kinder eintreten könnte, hätte diese was im Rahmen der Angemessenheitsprüfung zu berücksichtigen ist doch eine andere Qualität als die massive Verletzung, welche die Kinder als Opfer eines Hands-On-Delikts erleiden würden.

Dem wird die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. nicht gerecht.

Das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. hat seine Anordnung, einen Umgang des Kindesvaters mit den Kindern sowohl in der von der Kindesmutter bewohnten ehemaligen Familienwohnung als auch in der Wohnung des Kindesvaters zu untersagen, auf die Erwägung gestützt, dass die Kinder in diesen Wohnungen selbst dann nicht geschützt werden könnten, wenn geeignete Begleitpersonen zugegen seien. In der Wohnung sei schon aus objektiven Gründen nie auszuschließen, dass es zu einem unbeobachteten Zusammensein des Kindesvaters mit den Kindern kommen könne.

Unabhängig davon, dass sich die gleiche Problematik auch in anderen, beispielsweise von Familienangehörigen oder Dritten zur Verfügung gestellten Wohnungen stellen würde, in denen ein begleiteter Umgang stattfinden dürfte, lässt sich die vom Oberlandesgericht Frankfurt a.M. offensichtlich gesehene Notwendigkeit einer besonders engmaschigen und praktisch minutengenauen Überwachung des Kontakts zwischen dem Kindesvater und den Kindern mit der für die Angemessenheitsprüfung zugrunde zu legenden Gefährdungssituation nicht begründen. Es ist nicht erkennbar, warum nicht bereits die generelle Anwesenheit einer geeigneten Begleitperson in der Wohnung während des Umgangs mit den Kindern ausreichen könnte, um den Kindesvater in dieser Zeit insbesondere von Cyber-Sex-Aktivitäten abzuhalten und das gerade damit im Zusammenhang stehende Risiko sexueller Grenzverletzungen weitestgehend zu minimieren.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21. September 2022 – XII ZB 150/19

  1. im Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 06.02.2019 XII ZB 408/18 FamRZ 2019, 598 und BGHZ 213, 107 = FamRZ 2017, 212[]
  2. Fortführung von BGH, Beschlüsse vom 06.02.2019 – XII ZB 408/18 FamRZ 2019, 598; und BGHZ 213, 107 = FamRZ 2017, 212[]
  3. vgl. BGH, Beschlüsse vom 06.02.2019 XII ZB 408/18 FamRZ 2019, 598 Rn. 15 und BGHZ 213, 107 = FamRZ 2017, 212 Rn. 10 mwN[]
  4. vgl. BGH, Beschlüsse vom 06.02.2019 XII ZB 408/18 FamRZ 2019, 598 Rn. 18 und BGHZ 213, 107 = FamRZ 2017, 212 Rn. 13 ff. mwN[]
  5. vgl. BGH, Beschlüsse vom 06.02.2019 XII ZB 408/18 FamRZ 2019, 598 Rn.19 und BGHZ 213, 107 = FamRZ 2017, 212 Rn. 16; Heilmann/Cirullies Praxiskommentar Kindschaftsrecht 2. Aufl. § 1666 BGB Rn. 21; Hammer FamRZ 2019, 604; Splitt FF 2021, 92, 93 f.; vgl. auch BVerfG ZKJ 2022, 303, 304 mwN und FamRZ 2015, 112 Rn. 37 mwN[]
  6. vgl. BGH, Beschlüsse vom 06.02.2019 XII ZB 408/18 FamRZ 2019, 598 Rn.19 und BGHZ 213, 107 = FamRZ 2017, 212 Rn. 16 mwN[]
  7. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom Beschluss vom 28.02.2019 – 5 UF 200/18, FamRZ 2019, 1425[]
  8. vgl. Salzgeber Familienpsychologische Gutachten 7. Aufl. Rn. 999; Schuhmann Zusammenhänge zwischen sexuellen Übergriffen auf Kinder und Konsum von Kindesmissbrauchsabbildungen bei Offline- und Online-Tätern S. 15 f.; Wössner JAmt 2021, 12, 14 f.[]
  9. vgl. Salzgeber Familienpsychologische Gutachten 7. Aufl. Rn. 999; Schuhmann Zusammenhänge zwischen sexuellen Übergriffen auf Kinder und Konsum von Kindesmissbrauchsabbildungen bei Offline- und Online-Tätern S. 16 ff.; Wössner JAmt 2021, 12, 15[]
  10. vgl. Salzgeber Familienpsychologische Gutachten 7. Aufl. Rn. 1006, 1008; vgl. auch BVerfG FamRZ 2008, 494, 495 zur Einschränkung des Umgangsrechts nach § 1684 Abs. 4 BGB[]
  11. vgl. OLG Koblenz FamRZ 2020, 1648, 1650[]
  12. vgl. BGH, Beschluss BGHZ 213, 107 = FamRZ 2017, 212 Rn. 23 mwN[]
  13. vgl. Dürbeck ZKJ 2020, 209, 213[]
  14. vgl. BGH, Beschlüsse vom 06.02.2019 XII ZB 408/18 FamRZ 2019, 598 Rn. 33 und BGHZ 213, 107 = FamRZ 2017, 212 Rn. 27 mwN[]
  15. vgl. Rake FamRZ 2017, 285, 286[]
  16. vgl. auch BGH, Beschluss vom 06.07.2016 XII ZB 47/15 FamRZ 2016, 1752 Rn. 46[]
  17. vgl. BeckOGK/Burghart [Stand: 1.08.2022] BGB § 1666 Rn. 46[]
  18. vgl. MünchKomm-BGB/Lugani 8. Aufl. § 1666 Rn. 188; Johannsen/Henrich/Althammer/Jokisch Familienrecht 7. Aufl. § 1666 BGB Rn. 118; Grüneberg/Götz BGB 81. Aufl. § 1666 Rn. 36; BeckOK BGB/Veit [Stand: 1.02.2022] § 1666 a Rn. 26; Janzen FamRZ 2002, 785, 789[]
  19. vgl. BVerfG FamRZ 2008, 494 f. und FamRZ 2005, 1816, 1817[]
  20. vgl. dazu BGH, Beschluss BGHZ 213, 107 = FamRZ 2017, 212 Rn. 30[]
  21. vgl. BGH, Beschlüsse vom 06.07.2016 XII ZB 47/15 FamRZ 2016, 1752 Rn. 24 mwN und BGHZ 184, 269 = FamRZ 2010, 720 Rn. 29 mwN[]

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