Eine Kindeswohlgefährdung im Sinne des § 1666 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr festgestellt wird, dass bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je schwerer der drohende Schaden wiegt1. Die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit muss auf konkreten Verdachtsmomenten beruhen. Eine nur abstrakte Gefährdung genügt nicht1.

Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer gerichtlichen Maßnahme nach § 1666 BGB ist auch das Verhältnis zwischen der Schwere des Eingriffs in die elterliche Sorge und dem Grad der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts für das Kind zu beachten. Die – auch teilweise – Entziehung der elterlichen Sorge ist daher nur bei einer erhöhten Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, nämlich ziemlicher Sicherheit, verhältnismäßig1.
Die Differenzierung der Wahrscheinlichkeitsgrade auf der Tatbestandsebene und der Rechtsfolgenseite ist geboten, um dem Staat einerseits ein – gegebenenfalls nur niederschwelliges – Eingreifen zu ermöglichen, andererseits aber im Rahmen der Verhältnismäßigkeit eine Korrekturmöglichkeit zur Verhinderung übermäßiger Eingriffe zur Verfügung zu stellen.
Gemäß § 1666 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet ist und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Bei der Auslegung und Anwendung dieser Norm ist der besondere Schutz zu beachten, unter dem die Familie nach Art. 6 Abs. 1 und 2 GG steht. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung. Die Erziehung des Kindes ist damit primär in ihre Verantwortung gelegt, wobei dieses „natürliche Recht“ den Eltern nicht vom Staat verliehen worden ist, sondern von diesem als vorgegebenes Recht anerkannt wird. Die Eltern können grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen. In der Beziehung zum Kind muss aber das Kindeswohl die oberste Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung sein2.
Dem trug die hier angefochtene Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe3 nicht hinreichend Rechnung:
Allerdings war im hier entschiedenen Fall im Ergebnis nichts dagegen zu erinnern, dass das Oberlandesgericht eine Kindeswohlgefährdung bejaht und damit ein Eingreifen des Staates für zulässig erachtet hat.
Generell ist für Maßnahmen nach § 1666 BGB erforderlich, dass eine konkrete Gefährdung des Kindeswohls vorliegt, zu deren Abwendung die sorgeberechtigten Personen nicht gewillt oder in der Lage sind. Eine solche besteht bei einer gegenwärtigen, in einem solchen Maß vorhandenen Gefahr, dass bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist4. Dabei kann das erforderliche Maß der Gefahr nicht abstrakt generell festgelegt werden. Denn der Begriff der Kindeswohlgefährdung erfasst eine Vielzahl von möglichen, sehr unterschiedlichen Fallkonstellationen. Erforderlich ist daher seine Konkretisierung mittels Abwägung der Umstände des Einzelfalls durch den mit dem Fall befassten Tatrichter. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je schwerer der drohende Schaden wiegt5. Für die Frage, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, kann das Gewicht der zur Beseitigung dieser Gefährdung zu treffenden Maßnahme nach § 1666 BGB hingegen keine Bedeutung erlangen. Erst wenn eine Kindeswohlgefährdung feststeht, stellt sich die Frage nach der erforderlichen und geeigneten Maßnahme und nach deren Verhältnismäßigkeit6.
Die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit muss in jedem Fall auf konkreten Verdachtsmomenten beruhen. Eine nur abstrakte Gefährdung genügt nicht. Schließlich muss der drohende Schaden für das Kind erheblich sein. Selbst bei hoher Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines nicht erheblichen Schadens sind Maßnahmen nach § 1666 BGB nicht gerechtfertigt. In solchen Fällen ist dem elterlichen Erziehungsund Gefahrabwendungsprimat der Vorrang zu geben7.
Gemessen hieran liegt die vom Oberlandesgericht getroffene Einschätzung, dass eine Gefahrenlage i.S.v. § 1666 Abs. 1 BGB vorliege, noch im Rahmen zulässiger tatrichterlicher Beurteilung.
Das Oberlandesgericht hat richtig erkannt, dass das staatliche Eingreifen gemäß § 1666 BGB die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts erfordert und dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je schwerer der drohende Schaden wiegt.
Der drohende Schaden für S. wiegt nach den vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen schwer. Er läge in einem sexuellen Missbrauch der S. und den damit für sie einhergehenden Folgen. Deshalb ist das Oberlandesgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nicht besonders hoch sind.
Dass das Oberlandesgericht im Rahmen der von ihm in tatrichterlicher Verantwortung vorgenommenen Gefährdungsprognose eine mögliche Verschlechterung der familiären Situation einbezogen hat, ist rechtsbeschwerderechtlich noch vertretbar. Dabei hat es maßgeblich das Hinzutreten „ernsterer“ oder „sehr ernster“ Schwierigkeiten in seiner Prognose mit der Begründung berücksichtigt, dass die Fortdauer günstiger äußerer Rahmenbedingungen und damit die gegen einen Rückfall des Lebensgefährten sprechende Bestätigung nicht gesichert seien. Allerdings hat es sich nicht die Frage vorgelegt, ob diese – auf eine Verschlechterung der familiären Situation bezogenen – abstrakten Erwägungen überhaupt konkrete Verdachtsmomente begründen können.
Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass es in der Familie zu solchen Schwierigkeiten kommen könnte, sind nach den getroffenen Feststellungen nicht gegeben. Vielmehr haben die beiden Gutachter das Familienleben als für alle Beteiligte positiv dargestellt. S. hat sich in der Zeit des Zusammenlebens in jeder Hinsicht vorteilhaft entwickelt. Der Verfahrensbeistand hat dies bestätigt und sich ebenso wie die Sachverständigen für eine Rückführung des Kindes in die Familie ausgesprochen. Die frühere Klassenlehrerin war ausweislich der Angaben der Sachverständigen Sch. sogar „fassungslos“, als sie von der Herausnahme S. aus der Familie erfahren habe. Hinzu kommt, dass die Familie von Mai 2016 bis Januar 2018, also über eineinhalb Jahre zusammengelebt hatte, ohne dass nach den getroffenen Feststellungen das Geringste passiert wäre.
Gleichwohl lässt sich die vom Oberlandesgericht vorgenommene Gefährdungsprognose vor dem Hintergrund des drohenden Schadens noch vertreten. Denn die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit beruht jedenfalls insoweit auf konkreten Verdachtsmomenten, als der Lebensgefährte mehrere Mädchen, die sich in einem ähnlichen Alter wie S. befanden, im Zeitraum von 2009 bis 2013 mit Hilfe des Internets sexuell missbraucht hat. Auch wenn die Gefahr, dass sich die familiäre Situation verschlechtern könnte, auf abstrakten Überlegungen beruht, vermag sie doch nach den sachverständigen Einschätzungen einen Anhalt für einen etwaigen Rückfall des Lebensgefährten zu geben und damit die bereits bestehenden konkreten Verdachtsmomente zu erhärten. Auch ist eine Verschlechterung namentlich der familiären Situation – wie das Oberlandesgericht zutreffend ausgeführt hat – tatsächlich jederzeit möglich.
Wenn das Oberlandesgericht in tatrichterlicher Verantwortung aufgrund der getroffenen Feststellungen zu dem Ergebnis gelangt, der Lebensgefährte könnte sich auch an der mit ihm in einer Wohnung lebenden S. vergehen, obgleich er seine Taten bislang nur über das Internet begangen hat und ihm wohl deshalb auch nur jede Kontaktaufnahme zu Kindern und Jugendlichen über InternetPlattformen im Strafurteil untersagt worden ist, hält sich dies noch im rechtsbeschwerderechtlich hinzunehmenden Rahmen.
Auch ist gegen die Einschätzung des Oberlandesgerichts, die Mutter sei zur Abwendung der Gefahr nicht in der Lage, im Ergebnis rechtsbeschwerderechtlich nichts zu erinnern.
Allerdings hätte das Oberlandesgericht nicht aufgrund der von der Mutter berichteten eigenen Missbrauchserfahrungen auf eine geringere Bereitschaft oder Fähigkeit schließen dürfen, Risiken in diesem Bereich wahrzunehmen und damit angemessen umzugehen. Hierzu hätte es der Darlegung entsprechender Sachkunde bedurft.
Soweit das Oberlandesgericht auf das Sorgerechtsverfahren betreffend des weiteren Kindes K. Bezug genommen und aus diesem Zweifel an der Erziehungsfähigkeit der Mutter hergeleitet hat, ist dies für die vorzunehmende Prüfung, ob sie eine Gefahr sexuellen Missbrauchs von S. abwenden kann, rechtlich nicht tragfähig. Denn das Verfahren betrifft ein anderes Kind und eine andere Ausgangslage. Zur Frage, ob die Mutter ihre Tochter vor etwaigen Übergriffen Dritter schützen kann, hat die Sachverständige Sch. in ihrem Gutachten ausgeführt, dass die bereits in einem befriedigenden Maß vorhandene elterliche Kompetenz und Förderkompetenz der Mutter durch die Partnerschaft mit ihrem Lebensgefährten „noch stärker hervorgetreten zu sein“ scheine. Demgegenüber ging es in dem anderen Sorgerechtsverfahren um die Frage, ob die Erziehungsund Förderkompetenz der Mutter ausreicht, um der schwerwiegenden Erkrankung K.s an ADS und der bei ihm bestehenden Bindungsstörung gerecht werden zu können. Im Übrigen führte der Gutachter in jenem Verfahren aus, dass die Defizite im Erziehungsverhalten der Mutter nicht so zu werten seien, dass diese „allein (oder erheblich) als kindeswohlgefährdend anzusehen“ seien.
Indessen steht das Gutachten der Sachverständigen Sch. der Einschätzung des Oberlandesgerichts, die Mutter könne die Gefahr für S. nicht abwenden, auch nicht entgegen. Nach dem Sachverständigengutachten ist ihr zwar zuzutrauen, dass sie bei dem Verdacht eines Übergriffs handeln und sich für ihre Tochter entscheiden werde, so dass sie damit die Rolle einer kritischen Schutzperson für S. wahrnehmen könne. Diese Ausführungen beinhalten nur die Aussage, dass sie einen Missbrauch ihrer Tochter durch den Lebensgefährten nicht hinnehmen würde, nicht aber, dass die Mutter in der Lage wäre, diesen auch zu verhindern.
Zu Recht führt das Oberlandesgericht zudem aus, dass die Mutter durch ihren Einzug bei ihrem Lebensgefährten entscheidenden Anteil daran hat, dass es zu der Kindeswohlgefährdung gekommen ist. Dabei durfte das Oberlandesgericht auch auf den Umstand abstellen, dass sie weder das Strafurteil noch das diesem zugrundeliegende Gutachten gelesen hat, ungeachtet der Frage, aus welchem Grunde sie von deren Lektüre abgesehen hat. Denn je geringer ihre Kenntnisse von der konkreten Tatbegehung und den ihr zugrundeliegenden Motiven bzw. Ursachen sind, desto schwieriger ist es für sie, eine mögliche Gefahr bereits im Vorfeld zu erkennen und ihr angemessen zu begegnen.
Jedoch ist die vom Oberlandesgericht angeordnete Maßnahme, der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu entziehen mit der Folge, dass das Kind von ihr getrennt wird bzw. bleibt, unverhältnismäßig.
Jeder Eingriff in das Elternrecht muss dem – für den Fall der Trennung des Kindes von der elterlichen Familie in § 1666 a BGB ausdrücklich geregelten – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Er gebietet, dass Art und Ausmaß des staatlichen Eingriffs sich nach dem Grund des Versagens der Eltern und danach bestimmen müssen, was im Interesse des Kindes geboten ist. Die anzuordnende Maßnahme muss zur Abwehr der Kindeswohlgefährdung geeignet, erforderlich und auch im engeren Sinne verhältnismäßig sein. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist gegeben, wenn der Eingriff unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zumutbar ist. Hierbei ist insbesondere auch das Verhältnis zwischen der Schwere des Eingriffs und seiner Folgen, dem Gewicht des dem Kind drohenden Schadens und dem Grad der Gefahr zu berücksichtigen. Die – auch teilweise – Entziehung der elterlichen Sorge als besonders schwerer Eingriff kann daher nur bei einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes mit einer höheren – einer ebenfalls im Einzelfall durch Abwägung aller Umstände zu bestimmenden ziemlichen – Sicherheit eines Schadenseintritts verhältnismäßig sein. Die Anordnung weniger einschneidender Maßnahmen kann dagegen bereits bei geringerer Wahrscheinlichkeit verhältnismäßig sein8. Auch sind die negativen Folgen einer Trennung des Kindes von den Eltern und einer Fremdunterbringung zu berücksichtigen; sie müssen durch die hinreichend gewisse Aussicht auf Beseitigung der festgestellten Gefahr aufgewogen werden, so dass sich die Situation des Kindes in der Gesamtbetrachtung verbessert9.
Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts hat der Bundesgerichtshof die Frage, ob die Begriffe der „hinreichenden Wahrscheinlichkeit“ und der „ziemlichen Sicherheit“ des Schadenseintritts deckungsgleich sind, nicht offen gelassen. Vielmehr hat er darauf hingewiesen, dass hinsichtlich des Grades der Wahrscheinlichkeit einer Kindeswohlgefährdung zwischen der Tatbestandsebene, die Voraussetzung für ein staatliches Handeln – egal welcher Intensität – ist, und der Rechtsfolgenseite, die sich am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu orientieren hat, zu unterscheiden ist10. Für eine (teilweise) Entziehung des Sorgerechts bedarf es danach einer ziemlichen Sicherheit des Schadenseintritts11.
Die Differenzierung der Wahrscheinlichkeitsgrade auf der Tatbestandsebene und der Rechtsfolgenseite ist geboten, um dem Staat einerseits ein – gegebenenfalls nur niederschwelliges – Eingreifen zu ermöglichen, andererseits aber im Rahmen der Verhältnismäßigkeit eine Korrekturmöglichkeit zur Verfügung zu stellen, mittels derer ein übermäßiges Verhalten des Staates vermieden werden kann, und zwar letztlich auch zum Wohle des Kindes.
Gemessen hieran ist die vom Oberlandesgericht angeordnete Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts unverhältnismäßig.
Die vom Oberlandesgericht als Ausgangspunkt wiedergegebene Rückfallwahrscheinlichkeit von 10 % bis 15 % beruht nach den von ihm getroffenen Feststellungen auf Basisraten, bei denen es sich nach den vom Oberlandesgericht wiedergegebenen Einschätzungen des Sachverständigen D. allein um statistische, „relativ grob gestrickte“ Zahlen handelt, die eine individuelle Untersuchung und Beurteilung nicht entbehrlich machen. Hinzu kommt, dass sich das Oberlandesgericht nicht hinreichend mit der Frage auseinandergesetzt hat, mit welcher Begehungsform im Falle eines möglichen Rückfalls zu rechnen ist. Hinsichtlich der von dem Lebensgefährten der Mutter begangenen Straftaten hätte es nahegelegen, Missbrauchstaten zu besorgen, die er via Internet zum Nachteil von – für ihn anonymen – Opfern begehen könnte. Dem wäre eine Gefährdung der mit ihm in einem Haushalt lebenden S., zu der er eine persönliche Beziehung unterhält, gegenüberzustellen gewesen.
Auf der Grundlage der vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen ist die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts mit dem Ziel der Fremdunterbringung nicht verhältnismäßig im engeren Sinne, weil es an einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes mit einer ziemlichen Sicherheit eines Schadenseintritts fehlt. Das Oberlandesgericht hat unter Bezugnahme auf das Gutachten des Sachverständigen D. ausgeführt, für den Fall eines Fortbestehens der bei der Herausnahme von S. aus der Familie vorgefundenen günstigen Rahmenbedingungen sei ein sexueller Missbrauch zum Nachteil von S. „sehr unwahrscheinlich“; selbst bei einer – aktuell nicht konkret zu befürchtenden – Verschlechterung der familiären Situation sei ein Schadenseintritt „gar zum Nachteil von S.“ als „eher unwahrscheinlich“ anzusehen. Wenn das Oberlandesgericht dann trotz der gebotenen Gesamtschau der Gefährdungssituation zu dem Schluss kommt, eine Fremdunterbringung sei gerechtfertigt, was die ziemliche Sicherheit eines sexuellen Missbrauchs zu Lasten der S. voraussetzt, überschreitet es seinen tatrichterlichen Beurteilungsspielraum.
Außerdem hat das Oberlandesgericht die negativen Folgen, die die Herausnahme aus der Familie für S. hat, nicht hinreichend in seine Verhältnismäßigkeitsprüfung einbezogen. Von der Entziehung des Sorgerechts und der damit einhergehenden Fremdunterbringung ist nicht nur die Mutter betroffen, sondern besonders nachteilig auch ihr Kind. Auf Grundlage der getroffenen Feststellungen, insbesondere unter Einbeziehung der Kindesanhörung, des Gutachtens der Sachverständigen Sch. und der Stellungnahme des Verfahrensbeistands, ist davon auszugehen, dass S. erheblich unter der Herausnahme leidet. Soweit das Oberlandesgericht hierzu ausführt, im Alltag finde S. gleichwohl auch zur Fröhlichkeit und es gäbe keine Anhaltspunkte für eine psychische Entwicklung, die in Richtung etwa einer Depression ginge, bleibt das Gericht bereits den Nachweis schuldig, woher es die diesbezügliche Sachkunde nimmt. Schließlich geht auch das Oberlandesgericht davon aus, dass S. die Fremdunterbringung als „Bestrafung“ empfindet. Es lässt sich schon jetzt nicht mehr ausschließen, dass S. durch die Fremdunterbringung einen erheblichen Schaden erlitten hat. Damit hätte sich die Situation des Kindes in der Gesamtbetrachtung im Hinblick auf die bestehende Gefährdungsprognose aber nicht verbessert, sondern eher verschlechtert12.
Ebenso wenig hält die Entziehung des Rechts zur Antragstellung nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch für S. einer rechtlichen Überprüfung stand.
Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung insoweit allein damit begründet, dass diese Maßnahme für die Durchführung der Fremdunterbringung erforderlich sei. Da nach dem vorstehend Gesagten schon die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts als rechtliche Grundlage für eine Fremdunterbringung einer Überprüfung nicht standhält, entfällt damit auch die rechtliche Grundlage für die als Annex angeordnete Entziehung des Rechts zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen.
Gemäß § 74 Abs. 5 und 6 Satz 2 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, weil das Oberlandesgericht noch weitere Feststellungen im Rahmen des § 1666 BGB zu treffen hat.
Die Zurückverweisung gibt dem Oberlandesgericht Gelegenheit, unter Beachtung der vorstehenden Erwägungen des Bundesgerichtshofs zu prüfen, ob anstelle der nach derzeitiger Sachlage unzulässigen Fremdunterbringung andere Maßnahmen in Betracht kommen, um der Gefährdung des Kindeswohls zu begegnen.
Insoweit kommt es – als Vorstufe zu einem etwaigen Rückfall – maßgeblich auf die Verschlechterung der familiären Situation an. Auch wenn es noch hinnehmbar erscheint, diesen an sich auf abstrakten Erwägungen beruhenden Zwischenschritt in die Gefährdungsprognose einzubeziehen, ändert das nichts daran, dass diese besondere Konstellation die Möglichkeit eröffnet, der drohenden Gefahr mit milderen Maßnahmen als einer Fremdunterbringung des Kindes zu begegnen.
Danach erscheint es etwa denkbar, zur Unterstützung der Familie einen regelmäßig in der Familie verkehrenden sozialpädagogischen Familienhelfer i.S.v. § 31 SGB VIII hinzuzuziehen, der am ehesten bemerken dürfte, ob und in welchem Maße sich die familiäre Situation verschlechtert. Auch wenn ein Kontrollauftrag nach dem Abschlussbericht zum Staufener Missbrauchsfall vom September 2018 nicht originäres Ziel einer sozialpädagogischen Familienhilfe ist, hindert das einen Familienhelfer nicht, dem Familiengericht zeitnah von möglichen Veränderungen zu berichten, so dass hinreichend Gelegenheit bestünde, den Sachverhalt aufzuklären und angemessen zu reagieren. Schließlich ist eine Weisung, die Familienhilfe in Anspruch zu nehmen, in § 1666 Abs. 3 Nr. 1 BGB ausdrücklich geregelt13.
Der Hinweis auf den vorgenannten Abschlussbericht, wonach eine sozialpädagogische Familienhilfe in der Regel nur stundenweise und nicht täglich in einer Familie anwesend und die mit der Installation einer solchen Betreuung einhergehende Kontrolldichte meist gering und zudem abhängig von der Beobachtungsgabe, Aufmerksamkeit und Fähigkeit der jeweiligen Fachkraft sei, zum Beispiel Anzeichen für sexuellen Missbrauch bei einem Kind wahrzunehmen und richtig zu deuten, vermag den Einsatz einer Familienhilfe nicht in Frage zu stellen. Zum einen dürfte danach in besonders gelagerten Fällen ein zeitlich umfangreicherer Einsatz („in der Regel nur stundenweise“) möglich sein. Zum anderen sollte ein solcher Einsatz fachlich versierteren Familienhelfern mit entsprechender Beobachtungsgabe vorbehalten bleiben.
Schließlich ist nach den getroffenen Feststellungen nicht mit einem jederzeit möglichen Übergriff zu rechnen. Maßgeblich ist vielmehr die diesem vorgelagerte Verschlechterung insbesondere der familiären Situation.
Ergänzend hierzu käme die Umsetzung einzelner von den Sachverständigen unterbreiteter; und vom Oberlandesgericht in seinem Beschluss referierter Vorschläge mit folgender Maßgabe in Betracht:
Soweit es die Durchführung einer Therapie seitens des Lebensgefährten anbelangt, dürfte hierfür § 1666 Abs. 3 und 4 BGB als Rechtsgrundlage zwar nicht genügen14. Allerdings hat er die Therapie ersichtlich freiwillig aufgenommen und den Therapeuten unter Entbindung der Schweigepflicht dazu ermächtigt, das Jugendamt darüber zu informieren, falls er die bereits begonnene Therapie gegen fachlichen Rat abbricht.
Zudem könnte der Erziehungsbeistand, der das Kind gemäß § 30 SGB VIII bei der Bewältigung von Entwicklungsproblemen möglichst unter Einbeziehung des sozialen Umfelds unterstützen und unter Erhaltung des Lebensbezugs zur Familie seine Verselbständigung fördern soll, bereits frühzeitig von Veränderungen der Familiensituation Kenntnis erhalten und so schon im Vorfeld eines etwaigen Missbrauchs die dann erforderlichen Maßnahmen anregen.
Ebenso wenig bestehen Bedenken gegen eine Familienberatung. Das Oberlandesgericht hat hiervon ersichtlich Abstand genommen, weil unklar sei, „ob es in hinreichender Zeit zu einer relevanten Änderung der Risikolage kommen würde“. Da es jedoch auf der Grundlage der bislang bestehenden Familiensituation an einer unmittelbaren Gefährdung fehlt, erscheint auch die Inanspruchnahme einer Familienberatung jedenfalls unter Hinzuziehung der weiteren Maßnahmen durchaus angezeigt.
Dass Weisungen bzw. Auflagen i.S.d. § 1666 Abs. 3 BGB an der fehlenden Kooperation der Mutter bzw. ihrem Lebensgefährten scheitern könnten, findet nach Auffassung des Bundesgerichtshofs in den getroffenen Feststellungen keine hinreichende Grundlage.
Bezogen auf die vom Oberlandesgericht angedachten Weisungen, die das Zusammenleben der Familie einschränkten, verweist der Bundesgerichtshof auf die Bereitschaft des Lebensgefährten, aus seiner Wohnung auszuziehen und sogar seine Beziehung zur Mutter aufzugeben. Nur der Vollständigkeit halber weist der Bundesgerichtshof allerdings darauf hin, dass in Anbetracht der bisherigen Erwägungen Maßnahmen unverhältnismäßig erschienen, die darauf abzielten, dass entweder die Mutter mit ihrer Tochter oder deren Lebensgefährte selbst aus der Wohnung auszieht, die also ein Zusammenwohnen der Familie unmöglich machten. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass die Familie ausweislich der getroffenen Feststellungen der Tochter Halt gibt und ihre bisherige Entwicklung erheblich gefördert hat.
Anders als das Oberlandesgericht meint, lässt sich den Feststellungen vielmehr entnehmen, dass sich die Mutter und ihr Lebensgefährte kooperativ verhalten haben. Zwar haben sie tatsächlich nicht immer offengelegt, dass der Lebensgefährte wegen Sexualdelikten zum Nachteil Minderjähriger verurteilt worden ist. Daraus und aus dem Umstand, dass er unter seine Verurteilung gerne einen Schlussstrich ziehen würde, kann aber nicht zwingend gefolgert werden, dass sie den Ernst der Lage nicht erkannt hätten, gerade auch unter dem Eindruck dieses Sorgerechtsverfahrens. Der Verfahrensbeistand hat hierzu in der Anhörung vor dem Oberlandesgericht ausgeführt, sie habe die Mutter und ihren Lebensgefährten in dem Gespräch als offen erlebt. Für sie sei ihre Kooperationsbereitschaft kein Lippenbekenntnis gewesen. Sie seien auf das Alte, auf die früheren Erlebnisse zurückgeworfen worden und hätten sich damit auseinandergesetzt. Sie habe keine Bagatellisierung erlebt. Der Lebensgefährte habe vielmehr zum Ausdruck gebracht, dass es ihm bewusst sei, wie sich seelisches Leid von Eltern anfühle, und dies habe er in Bezug zu seinen früheren Taten gesetzt. Sie hätten in dem Gespräch deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie bereit seien, alles zu unternehmen, damit sie weiter als Familie zusammenleben könnten. Wenn die Mutter in Anbetracht der für sie schwer verständlichen Fremdunterbringung von S. insbesondere gegenüber dem Jugendamt mitunter ablehnend reagiert hat, erscheint dies vor dem Hintergrund des gesamten Verfahrens noch nachvollziehbar.
Soweit die Sachverständige Sch. allerdings eine vollständige Unterrichtung von S. über die von dem Lebensgefährten begangenen Taten empfiehlt, hält der Bundesgerichtshof eine tatrichterliche Überprüfung dieser Einschätzung für geboten. Insoweit wird es womöglich weniger um die Details als um die Bedeutung der Taten gehen. Wie das Oberlandesgericht in Übereinstimmung mit dem Verfahrensbeistand richtig sieht, stellte die vollständige Offenlegung der Taten eine große Belastung für S. dar und könnte überdies eine mögliche Quelle familiärer Konflikte sein.
Schließlich wird sich das Oberlandesgericht die Frage vorzulegen haben, ob der in der Geburtsurkunde als Vater eingetragene F. H. K. womöglich doch der rechtliche Vater von S. und damit gemäß § 7 FamFG an dem Sorgerechtsverfahren zu beteiligen bzw. gemäß § 160 Abs. 1 Satz 2 FamFG anzuhören ist. Nach § 21 Abs. 1 Nr. 4 iVm § 54 Abs. 1 PStG beweist diese Beurkundung die rechtliche Vaterschaft15.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 6. Februar 2019 – XII ZB 408/18
- im Anschluss an BGH, Beschluss in BGHZ 213, 107 = FamRZ 2017, 212[↩][↩][↩]
- BGH, Beschluss in BGHZ 213, 107 = FamRZ 2017, 212 Rn. 10 mwN[↩]
- OLG Karlsruhe, Beschluss vom 03.08.2018 – 18 UF 91/18, FamRZ 2018, 1830[↩]
- BGH, Beschluss in BGHZ 213, 107 = FamRZ 2017, 212 Rn. 13 mwN[↩]
- BGH, Beschluss in BGHZ 213, 107 = FamRZ 2017, 212 Rn. 14 mwN[↩]
- BGH, Beschluss in BGHZ 213, 107 = FamRZ 2017, 212 Rn. 15 mwN[↩]
- BGH, Beschluss in BGHZ 213, 107 = FamRZ 2017, 212 Rn. 16 mwN[↩]
- BGH, Beschluss in BGHZ 213, 107 = FamRZ 2017, 212 Rn. 27 mwN[↩]
- BVerfG FamRZ 2018, 1084 Rn. 16 mwN[↩]
- aA BeckOGK/Burghart [Stand: 1.11.2018] § 1666 BGB Rn. 85; s. auch BeckOK BGB/Veit [Stand: 1.08.2018] § 1666 Rn. 26[↩]
- s. auch BVerfG FamRZ 2018, 1084 Rn. 16 mwN; Jarass/Pieroth/Jarass GG 15. Aufl. Art. 6 Rn. 65 mwN [zu Art. 6 Abs. 3 GG]; Rake FamRZ 2017, 285, 286; Finke FF 2017, 118, 119; s. auch zur Differenzierung des Gefahrenbegriffs bei der Kindeswohlgefährdung Radtke DRiZ 2019, 56, 59[↩]
- vgl. auch BGH, Beschluss vom 26.10.2011 – XII ZB 247/11 FamRZ 2012, 99 Rn. 29 mwN[↩]
- BGH, Beschluss in BGHZ 213, 107 = FamRZ 2017, 212 Rn. 25[↩]
- vgl. BGH, Beschluss in BGHZ 213, 107 = FamRZ 2017, 212 Rn. 23[↩]
- BGH, Beschluss vom 23.01.2019 – XII ZB 265/17 zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt; OLG Hamm FamRZ 2018, 1036, 1037 mwN; vgl. auch Hepting/Dutta Familie und Personenstand 2. Aufl. S. 357 ff.[↩]