Langfristige Unterbringung – und ihre Begründung

Aktuell hatte sich der Bundesgerichtshof erneut1 mit den Voraussetzungen und Begründungsanforderungen zu befassen, wenn eine Unterbringung für länger als ein Jahr angeordnet oder genehmigt werden soll.

Langfristige Unterbringung – und ihre Begründung

Dem zugrunde lag ein Fall aus Meißen, in dem sich der 1982 geborene Betroffene gegen die Genehmigung seiner Unterbringung wendet. Er leidet an einer paranoiden Schizophrenie mit nunmehr chronifizierter Symptomatik. Für ihn wurde eine Betreuung eingerichtet und ein Berufsbetreuer bestellt, dessen Aufgabenkreis die Gesundheitssorge und die Entscheidung über die Unterbringung umfasst. Der Betroffene war seit dem Jahr 2016 mit Unterbrechungen mehrfach untergebracht und wurde zuletzt am 26.11.2020 aus der psychiatrischen Klinik entlassen. Nach einer Verschlechterung seines Zustands wurde er am 28.12.2020 im Wege der einstweiligen Anordnung erneut untergebracht.

Der Betreuer hat im vorliegenden Hauptsacheverfahren die geschlossene Unterbringung des Betroffenen für zwei Jahre zunächst in einem psychiatrischen Fachkrankenhaus und schnellstmöglich in einer geschlossenen sozialtherapeutischen Wohnstätte beantragt. Das Amtsgericht Meißen hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens die Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses oder einer sozialtherapeutischen Wohnstätte bis zum 29.12.2022 genehmigt2. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht Dresden mit klarstellenden Maßgaben zum Ort der geschlossenen Unterbringung zurückgewiesen3. Aufgrund der paranoiden Schizophrenie sowie des schizophrenen Residualsyndroms bestehe beim Betroffenen die reale Gefahr, dass er sich selbst einen erheblichen gesundheitlichen Schaden zufüge (§ 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Der Betroffene vernachlässige die Einnahme der Medikamente. Es drohe eine erhebliche Verschlechterung seiner psychischen Gesundheit sowie eine Destabilisierung seines körperlichen Zustands, die sein weiteres Leben höchst nachteilig beeinflussen oder auch beenden könnten. Eine fehlende adäquate Versorgung führe wohl unausweichlich zu einer fortschreitenden Verelendung des Betroffenen. Eine kurzfristige Unterbringung sei nicht ausreichend. Der Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung einer sozialtherapeutischen Einrichtung sei als milderer Form der Vorzug zu geben, sobald dort ein Platz zur Verfügung stehe. Ein Heimaufenthalt ohne geschlossene Unterbringung oder gar eine ambulante Behandlung erscheine nicht möglich, da sich der Betroffene beidem mit größter Sicherheit entziehe.

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Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde und hatte hiermit vor dem Bundesgerichtshof Erfolg, die Begründung des Landgerichts Dresden hielt rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand:

Ohne Erfolg macht der Betroffene allerdings geltend, dass keine durch ein Sachverständigengutachten gesicherten Feststellungen zur Aufhebung des freien Willens bei dem Betroffenen getroffen worden seien4. Das Landgericht Dresden hat sich mit dem Krankheitsbild des Betroffenen auseinandergesetzt und einen nachhaltigen Einfluss der Erkrankung auf die Willensbildung des unter Halluzinationen und Wahnvorstellungen leidenden Betroffenen festgestellt, die sein Denken und Handeln weitgehend beeinflusse. Das einem freien Willen immanente Kritik- und Urteilsvermögen werde durch die Erkrankung aufgehoben und durch krankhafte Prozesse außer Funktion gesetzt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist der Ausschluss des freien Willens auch an verschiedenen Stellen im Gutachten der Sachverständigen belegt, wonach der Betroffene „ganz offensichtlich nicht zur freien Willensbestimmung (…) in der Lage“ und „die Krankheits- und Behandlungseinsicht … nicht mehr ansatzweise vorhanden“ sei.

Der Betroffene beanstandet jedoch zutreffend, dass der angefochtene Beschluss keine tragfähige Begründung für die Dauer der Unterbringung und insbesondere das Abweichen von der gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 FamFG regelmäßig ein Jahr betragenden Höchstfrist enthält.

Nach dieser Vorschrift endet die Unterbringung spätestens mit Ablauf eines Jahres, bei offensichtlich langer Unterbringungsbedürftigkeit spätestens mit Ablauf von zwei Jahren, wenn sie nicht vorher verlängert wird. Die Befristung auf längstens ein Jahr stellt damit eine gesetzliche Begrenzung für die Dauer der Unterbringung dar, die nur unter besonderen Voraussetzungen überschritten werden darf. Wird über die regelmäßige Höchstfrist der geschlossenen Unterbringung von einem Jahr hinaus eine Unterbringung von bis zu zwei Jahren genehmigt oder angeordnet, ist diese Abweichung vom Regelfall im Hinblick auf den hohen Rang des Rechts auf Freiheit der Person ausreichend zu begründen. Solche Gründe können sich etwa aus konkreten Feststellungen über die Dauer einer notwendigen Therapie oder aus fehlenden Heilungs- und Besserungsaussichten bei anhaltender Eigengefährdung ergeben. Dabei erfordert das im Gesetz genannte Merkmal der „Offensichtlichkeit“, dass die Gründe für eine über ein Jahr hinaus währende Unterbringungsbedürftigkeit für das sachverständig beratene Gericht deutlich und erkennbar hervortreten5.

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Hierzu finden sich in der angefochtenen Entscheidung keine tragfähigen Feststellungen.

Das Landgericht Dresden hat lediglich ausgeführt, die vom Amtsgericht vorerst angeordnete Zeitdauer der Unterbringung begegne keinen Bedenken und die Krankheitsgeschichte des Betroffenen zeige, dass durch eine kurzfristige Unterbringung eine Stabilisierung nicht erreicht werden könne. Dies begründet nicht, warum eine Unterbringungsdauer von zwei Jahren angezeigt ist. Im Gegenteil stellt bereits die einjährige Unterbringung die grundsätzlich zu beachtende und nur ausnahmsweise zu überschreitende Höchstfrist dar. Darüber hinaus hat sich das Landgericht Dresden nicht damit auseinandergesetzt, dass das Sachverständigengutachten, auf das es verwiesen hat, keine eindeutige Aussage zur Unterbringungsdauer trifft. Dort wird lediglich ausgeführt, dass „keine Alternative zu einer langfristigen Unterbringung“ bestehe und dass die „volle Unterbringungszeit, die der Gesetzgeber ermöglicht, zu berücksichtigen“ sei. Ob hiermit die grundsätzliche Höchstfrist von einem Jahr oder die nur ausnahmsweise zur Verfügung stehende Frist von zwei Jahren gemeint ist, hat das Landgericht Dresden nicht näher aufgeklärt. Hierzu hätte jedoch schon deshalb Anlass bestanden, weil die gleiche Sachverständige in einem – seinerzeit zur Entlassung des Betroffenen aus der geschlossenen Einrichtung führenden – Vorgutachten vom 25.11.2020 noch angenommen hatte, dass der Betroffene zu diesem Zeitpunkt wegen Erreichung des Therapieziels zu einer freien Willensbestimmung in der Lage gewesen sei.

Die angegriffene Entscheidung konte daher keinen Bestand haben. Sie war gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben. Die Sache war gemäß § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Landgericht Dresden zurückzuverweisen, das die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben wird. Die Aufhebung gibt dem Landgericht Dresden zugleich Gelegenheit, sich im Hinblick auf die teils sachfremden Ausführungen im schriftlichen Gutachten die Frage nach der Eignung der Sachverständigen vorzulegen. Für das weitere Verfahren weist der Bundesgerichtshof zudem darauf hin, dass angesichts des der Unterbringung entgegenstehenden Willens des Betroffenen im Fall einer erneuten Zurückweisung der Beschwerde gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG eine förmliche Zustellung geboten ist6.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30. März 2022 – XII ZB 197/21

  1. im Anschluss an BGH, Beschlüsse BGHZ 218, 111 = FamRZ 2018, 950; und vom 21.04.2021 – XII ZB 520/20 , FamRZ 2021, 1242[]
  2. AG Meißen, Beschluss vom 05.02.2021 – 10 XVII 463/16[]
  3. LG Dresden, Beschluss vom 01.04.2021 – 2 T 112/21[]
  4. vgl. BGH, Beschluss vom 21.10.2020 – XII ZB 183/20 , NJW-RR 2021, 3 Rn. 11 mwN[]
  5. BGH, Beschlüsse BGHZ 218, 111 = FamRZ 2018, 950 Rn. 34 mwN; und vom 21.04.2021 – XII ZB 520/20 , FamRZ 2021, 1242 Rn. 9[]
  6. vgl. BGH, Beschluss vom 20.10.2021 – XII ZR 314/21 , FamRZ 2022, 226 Rn. 5 ff. mwN[]

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