Nachehelicher Betreuungsunterhalt – nach drei Jahren

Nach § 1570 Abs. 1 Satz 2 BGB dauert der Anspruch auf nachehelichen Betreuungsunterhalt nur noch dann über die Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes fort, wenn dies der Billigkeit entspricht.

Nachehelicher Betreuungsunterhalt – nach drei Jahren

Damit verlangt die Neuregelung regelmäßig aber keinen abrupten Wechsel von der elterlichen Betreuung zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit. Nach Maßgabe der im Gesetz genannten kindbezogenen (§ 1570 Abs. 1 Satz 3 BGB) und elternbezogenen (§ 1570 Abs. 2 BGB) Gründen ist auch nach dem neuen Unterhaltsrecht ein gestufter Übergang bis hin zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit möglich1.

Dies entschied jetzt der Bundesgerichtshof in einem Revisionsverfahren zum neuem Unterhaltsrecht, also zu dem § 1570 BGB in der seit dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung2.

Drei Jahre Basisunterhalt

Danach kann ein geschiedener Ehegatte von dem anderen wegen der Pflege und Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes für mindestens drei Jahre nach der Geburt Unterhalt verlangen. Die Dauer des Unterhaltsanspruchs verlängert sich, solange und soweit dies der Billigkeit entspricht. Dabei sind die Belange des Kindes und die bestehenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung zu berücksichtigen (§ 1570 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB). Die Dauer des Anspruchs auf Betreuungsunterhalt verlängert sich darüber hinaus, wenn dies unter Berücksichtigung der Gestaltung von Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit in der Ehe sowie der Dauer der Ehe der Billigkeit entspricht (§ 1570 Abs. 2 BGB).

Mit dieser Neuregelung hat der Gesetzgeber den nachehelichen Betreuungsunterhalt grundlegend umgestaltet. Er hat einen auf drei Jahre befristeten Basisunterhalt eingeführt, der aus Gründen der Billigkeit verlängert werden kann3. Im Rahmen dieser Billigkeitsentscheidung sind nach dem Willen des Gesetzgebers kind- und elternbezogene Verlängerungsgründe zu berücksichtigen4. Obwohl der Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB als Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten ausgestaltet ist, wird er vor allen Dingen im Interesse der gemeinschaftlichen Kinder gewährt, um deren Betreuung und Erziehung sicherzustellen5.

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Mit der Einführung des Basisunterhalts bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres hat der Gesetzgeber dem betreuenden Elternteil die freie Entscheidung eingeräumt, ob er das Kind in dessen ersten drei Lebensjahren selbst erziehen oder andere Betreuungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen will. Ein während dieser Zeit erzieltes Einkommen ist somit stets überobligatorisch und der betreuende Elternteil kann eine bestehende Erwerbstätigkeit jederzeit wieder aufgeben und sich voll der Erziehung und Betreuung des Kindes widmen. Entscheidet er sich allerdings dafür, das Kind auf andere Weise betreuen zu lassen, und erzielt er eigene Einkünfte, ist das überobligatorisch erzielte Einkommen nach den Umständen des Einzelfalles anteilig zu berücksichtigen6.

Fortdauer des Anspruchs auf Betreuungsunterhalt

Für die Zeit ab Vollendung des dritten Lebensjahres steht dem betreuenden Elternteil nach der gesetzlichen Neuregelung nur noch dann ein fortdauernder Anspruch auf Betreuungsunterhalt zu, wenn dies der Billigkeit entspricht (§ 1570 Abs. 1 Satz 2 BGB). Damit verlangt die Neuregelung regelmäßig aber keinen abrupten Wechsel von der elterlichen Betreuung zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit5. Nach Maßgabe der im Gesetz genannten kindbezogenen (§ 1570 Abs. 1 Satz 3 BGB) und elternbezogenen (§ 1570 Abs. 2 BGB) Gründe ist auch nach dem neuen Unterhaltsrecht ein gestufter Übergang bis hin zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit möglich7.

Allerdings hat der Gesetzgeber mit der gesetzlichen Neuregelung des § 1570 BGB die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen einer Verlängerung des Betreuungsunterhalts über die Dauer von drei Jahren hinaus grundsätzlich dem unterhaltsberechtigten Elternteil auferlegt8.

Verlängerung aus kindbezogenen Gründen

b) Kindbezogene Gründe für eine Verlängerung des Betreuungsunter-halts nach Billigkeit, die ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 6 Abs. 2 und 5 GG finden, entfalten im Rahmen der Billigkeitsentscheidung das stärkste Gewicht und sind deswegen stets vorrangig zu prüfen9.

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Der Gesetzgeber hat mit der Neugestaltung des nachehelichen Betreuungsunterhalts in § 1570 BGB für Kinder ab Vollendung des dritten Lebensjahres grundsätzlich den Vorrang der persönlichen Betreuung gegenüber anderen kindgerechten Betreuungsmöglichkeiten aufgegeben. Dabei hat er an die zahlreichen sozialstaatlichen Leistungen und Regelungen angeknüpft, insbesondere an den Anspruch des Kindes auf den Besuch einer Tageseinrichtung10, die den Eltern auch dabei behilflich sein sollen, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander vereinbaren zu können11. Dies ist im Regelfall mit dem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG und dem Kindeswohl vereinbar12. Die Obliegenheit zur Inanspruchnahme einer kindgerechten Betreuungsmöglichkeit findet erst dort ihre Grenze, wo die Betreuung nicht mehr mit dem Kindeswohl vereinbar ist, was jedenfalls bei öffentlichen Betreuungseinrichtungen wie Kindergärten, Kindertagesstätten oder Kinderhorten regelmäßig nicht der Fall ist13.

In dem Umfang, in dem das Kind nach Vollendung des dritten Lebensjahres eine kindgerechte Einrichtung besucht oder unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse besuchen könnte, kann sich der betreuende Elternteil also nicht mehr auf die Notwendigkeit einer persönlichen Betreuung des Kindes und somit nicht mehr auf kindbezogene Verlängerungsgründe i.S. von § 1570 Abs. 1 Satz 3 BGB berufen. Das gilt sowohl für den rein zeitlichen Aspekt der Betreuung als auch für den sachlichen Umfang der Betreuung in einer kindgerechten Einrichtung. Umfasst etwa die Betreuung von Schulkindern in einem Hort auch die Hausaufgabenbetreuung, bleibt auch insoweit für eine persönliche Betreuung durch einen Elternteil kein unterhaltsrechtlich zu berücksichtigender Bedarf.

Im Rahmen der Billigkeitsentscheidung über die Verlängerung des Betreuungsunterhalts ist deswegen stets zunächst der individuelle Umstand zu prüfen, ob und in welchem Umfang die begabungs- und entwicklungsgerechte Betreuung des Kindes auf andere Weise gesichert ist oder in kindgerechten Einrichtungen gesichert werden könnte14. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, auch das konkrete Betreuungsangebot der kindgerechten Einrichtung und die Möglichkeit, auf einen eingeschränkten Gesundheitszustand des Kindes einzugehen.

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Die in Teilen der Rechtsprechung und Literatur noch vertretenen pauschalen Altersphasenmodelle hat der BGH ausdrücklich abgelehnt15. Die Betreuungsbedürftigkeit ist vielmehr nach den individuellen Verhältnissen des Kindes zu ermitteln. Erst wenn die Kinder ein Alter erreicht haben, in dem sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zeitweise sich selbst überlassen werden können, kommt es aus kindbezogenen Gründen insoweit nicht mehr auf die vorrangig zu prüfende Betreuungsmöglichkeit in kindgerechten Einrichtungen an16.

Verlängerung aus elternbezogenen Gründen

Soweit die Betreuung eines Kindes auf andere Weise sichergestellt oder in einer kindgerechten Einrichtung möglich ist, können einer Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils auch elternbezogene Gründe entgegenstehen17. Solche elternbezogenen Gründe sind schon nach der Systematik des § 1570 BGB allerdings erst nachrangig zu prüfen, soweit nicht schon kindbezogene Gründe einer Erwerbstätigkeit entgegenstehen.

Die Berücksichtigung elternbezogener Gründe für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts ist Ausdruck der nachehelichen Solidarität. Maßgeblich ist dabei das in der Ehe gewachsene Vertrauen in die vereinbarte oder praktizierte Rollenverteilung und die gemeinsame Ausgestaltung in der Betreuung5. Die Umstände gewinnen durch das Vertrauen des unterhaltsberechtigten Ehegatten bei längerer Ehedauer oder bei Aufgabe der Erwerbstätigkeit zur Erziehung gemeinsamer Kinder weiter an Bedeutung (§ 1570 Abs. 2 BGB).

Insoweit hat der BGH bereits ausgeführt, dass die ausgeübte und verlangte Erwerbstätigkeit neben dem nach der Erziehung und Betreuung in Tageseinrichtungen verbleibenden Anteil an der Betreuung nicht zu einer überobligationsmäßigen Belastung des betreuenden Elternteils führen darf18. Selbst wenn Kinder ganztags in einer kindgerechten Einrichtung betreut und erzogen werden, was dem betreuenden Elternteil grundsätzlich die Möglichkeit zu einer Vollzeittätigkeit einräumen würde, kann sich bei Rückkehr in die Familienwohnung ein weiterer Betreuungsbedarf ergeben, dessen Umfang im Einzelfall unterschiedlich sein kann. Der Umfang dieses zusätzlichen Betreuungsbedarfs kann von der Anzahl der Kinder und deren Gesundheitszustand, aber auch von dem Entwicklungsstand und den Neigungen und Begabungen der Kinder abhängig sein. Denn die zeitliche Belastung des betreuen-den Elternteils steigt mit dem Umfang der noch notwendigen Betreuung des Kindes19. Unter Berücksichtigung des konkreten Betreuungsbedarfs ist dann eine Prüfung geboten, ob und in welchem Umfang die Erwerbsobliegenheit des unterhaltsberechtigten Elternteils über den Umfang der Betreuung des Kindes in einer kindgerechten Einrichtung hinaus noch eingeschränkt ist20.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 17. Juni 2009 – XII ZR 102/08

  1. im Anschluss an BGH, Urteile vom 6. Mai 2009 – XII ZR 114/08 – FamRZ 2009, 1124; vom 18. März 2009 – XII ZR 74/08 – FamRZ 2009, 770, 772 und vom 16. Juli 2008 – XII ZR 109/05 – FamRZ 2008, 1739, 1748[]
  2. BGBl. 2007 I. S. 3189[]
  3. BT-Drucks. 16/6980 S. 8 f.[]
  4. vgl. BGH, Urteile vom 6. Mai 2009 – XII ZR 114/08 – FamRZ 2009, 1124, 1126 Tz. 24, vom 18. März 2009 – XII ZR 74/08 – FamRZ 2009, 770, 772 Tz. 19 und vom 16. Juli 2008 – XII ZR 109/05 – FamRZ 2008, 1739, 1746 ff.[]
  5. BT-Drucks. 16/6980 S. 9[][][]
  6. BGH, Urteile vom 6. Mai 2009 – XII ZR 114/08 – FamRZ 2009, 1124, 1126 Tz. 25; vom 18. März 2009 – XII ZR 74/08 – FamRZ 2009, 770, 772 Tz. 20 f. m.w.N. und vom 13. April 2005 – XII ZR 273/02 – FamRZ 2005, 1154, 1156 f.[]
  7. BGH, Urteile vom 6. Mai 2009 – XII ZR 114/08 – FamRZ 2009, 1124, 1126 Tz. 26; vom 18. März 2009 – XII ZR 74/08 – FamRZ 2009, 770, 772 Tz. 22 und vom 16. Juli 2008 – XII ZR 109/05 – FamRZ 2008, 1739, 1748[]
  8. BGH, Urteile vom 18. März 2009 – XII ZR 74/08 – FamRZ 2009, 770, 772 Tz. 23 mit Anm. Borth FamRZ 2009, 959, 960 und vom 16. Juli 2008 – XII ZR 109/05 – FamRZ 2008, 1739, 1748[]
  9. BT-Drucks. 16/6980 S. 9; BGH, Urteile vom 6. Mai 2009 – XII ZR 114/08 – FamRZ 2009, 1124, 1126 Tz. 28 und vom 18. März 2009 – XII ZR 74/08 – FamRZ 2009, 770, 772 Tz. 24[]
  10. § 24 Abs. 1 SGB VIII[]
  11. § 22 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII; BT-Drucks. 16/6980 S. 8; vgl. auch § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II und § 11 Abs. 4 Satz 2 bis 4 SGB XII[]
  12. BVerfG FamRZ 2007, 965, 969 ff.; BT-Drucks. 16/6980 S. 8[]
  13. BGH, Urteile vom 6. Mai 2009 – XII ZR 114/08 – FamRZ 2009, 1124, 1126 Tz. 30 und vom 18. März 2009 – XII ZR 74/08 – FamRZ 2009, 770, 772 f. Tz. 25 f. m.w.N.[]
  14. BGH, Urteile vom 6. Mai 2009 – XII ZR 114/08 – FamRZ 2009, 1124, 1127 Tz. 32 und vom 18. März 2009 – XII ZR 74/08 – FamRZ 2009, 770, 773 Tz. 27 m.w.N. mit Anm. Borth FamRZ 2009, 959, 961[]
  15. BGH, Urteile vom 6. Mai 2009 – XII ZR 114/08 – FamRZ 2009, 1124, 1127 Tz. 33 und vom 18. März 2009 – XII ZR 74/08 – FamRZ 2009, 770, 773 Tz. 28 m.w.N.[]
  16. zum Umfang einer Betreuungsbedürftigkeit vgl. auch BGH, Urteile vom 24. März 2009 – VI ZR 199/08 – WuM 2009, 298 Tz. 12 f. und VI ZR 51/08 – WuM 2009, 296 Tz. 14 f.[]
  17. BGH, Urteile vom 6. Mai 2009 – XII ZR 114/08 – FamRZ 2009, 1124, 1127 Tz. 36; vom 18. März 2009 – XII ZR 74/08 – FamRZ 2009, 770, 773 Tz. 31 f. und vom 16. Juli 2008 – XII ZR 109/05 – FamRZ 2008, 1739, 1748 f.[]
  18. BGH, Urteil vom 16. Juli 2008 – XII ZR 109/05 – FamRZ 2008, 1739, 1748 f.[]
  19. vgl. insoweit auch BGH, Urteil vom 24. März 2009 – VI ZR 199/08 – WuM 2009, 298 Tz. 12 f.[]
  20. BGH, Urteile vom 6. Mai 2009 – XII ZR 114/08 – FamRZ 2009, 1124, 1127 Tz. 37 und vom 18. März 2009 – XII ZR 74/08 – FamRZ 2009, 770, 773 Tz. 32[]
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