Es handelt sich bei der Anzahl der Bewerbungen, die der Anspruchsteller zum Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit vorgetragen hat, nicht um das alleinige Merkmal für seine dem Grundsatz der Eigenverantwortung entsprechenden Arbeitsbemühungen, es ist nur ein Indiz dafür. Maßgebend für hinreichende Erwerbsbemühungen und für das Bestehen einer realistischen Erwerbschance sind vielmehr die individuellen Verhältnisse und die Erwerbsbiografie des Anspruchstellers. Diese sind vom Familiengericht aufgrund des – ggf. beweisbedürftigen – Parteivortrags und der offenkundigen Umstände umfassend zu würdigen1.

Bei der Bedarfsermittlung aufgrund der beiderseitigen Einkommensverhältnisse ist es Aufgabe der Tatsacheninstanzen, unter den gegebenen Umständen des Einzelfalls eine geeignete Methode zur möglichst realitätsgerechten Ermittlung des Nettoeinkommens zu finden. Daher kann es im Einzelfall zulässig und geboten sein, die abzuziehende Einkommensteuer nicht nach dem sog. In-Prinzip, sondern nach dem Für-Prinzip zu ermitteln2.
Für eine Befristung des nachehelichen Aufstockungsunterhalts genügt auch bei fehlenden ehebedingten Nachteilen nicht der alleinige Hinweis auf die Dauer der Ehe, der Kinderbetreuung und der bisherigen Unterhaltszahlungen, wenn andere Umstände unstreitig sind, die für eine Verlängerung des Unterhalts sprechen. Die Entscheidung des Familiengerichts muss erkennen lassen, dass alle wesentlichen Faktoren berücksichtigt worden sind.
Nach diesen Gesichtspunkten hat der Bundesgerichtshof in einem Streit um nachehelichen Unterhalt entschieden. Abweichend vom Amtsgericht3 hat das Berufungsgericht – wenngleich ohne den konkreten Unterhaltstatbestand zu benennen – in der Sache keinen Unterhaltsanspruch wegen Erwerbslosigkeit (§ 1573 Abs. 1 BGB) angenommen, sondern ist auf Seiten der Klägerin von einem erzielbaren Einkommen aus vollschichtiger Tätigkeit ausgegangen und hat somit lediglich einen Anspruch auf Aufstockungsunterhalt (§ 1573 Abs. 2 BGB) bejaht. Das Berufungsgericht hat die von der Klägerin vorgetragenen Bemühungen um eine Arbeitsstelle als nicht ausreichend betrachtet4. Das hält nach Auffassung des Bundesgerichtshofs den Angriffen der Revision nicht stand.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Voraussetzung des Anspruchs aus § 1573 Abs. 1 BGB, dass sich der Ehegatte unter Einsatz aller zumutbaren und möglichen Mittel nachhaltig bemüht haben muss, eine angemessene Tätigkeit zu finden, wozu die bloße Meldung beim Arbeitsamt nicht genügt. Er trägt im Verfahren zudem die uneingeschränkte Darlegungs- und Beweislast für seine Bemühungen und muss in nachprüfbarer Weise vortragen, welche Schritte in welchem zeitlichen Abstand er im Einzelnen in dieser Richtung unternommen hat. Die Beweiserleichterung nach § 287 Abs. 2 ZPO kommt ihm nicht zugute5.
Die unzureichende Arbeitssuche führt indessen noch nicht notwendig zur Versagung des Anspruchs aus § 1573 Abs. 1 BGB. Die mangelhafte Arbeitssuche muss vielmehr für die Arbeitslosigkeit auch ursächlich sein. Eine Ursächlichkeit besteht nicht, wenn nach den tatsächlichen Gegebenheiten des Arbeitsmarktes sowie den persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten des Unterhalt begehrenden Ehegatten für ihn keine reale Beschäftigungschance bestanden hat6.
Die Anzahl der vom Anspruchsteller vorgetragenen Bewerbungen ist nur ein Indiz für seine dem Grundsatz der Eigenverantwortung entsprechenden Arbeitsbemühungen, nicht aber deren alleiniges Merkmal. Vielmehr kann auch bei nachgewiesenen Bewerbungen in großer Zahl die Arbeitsmotivation nur eine vorgeschobene sein, während andererseits bei realistischer Einschätzung der Arbeitsmarktlage auch Bewerbungen in geringerer Zahl ausreichend sein können, wenn etwa nur geringe Chancen für einen Wiedereintritt in das betreffende Berufsfeld bestehen7. Allerdings kann allein durch einen Rückgriff auf das Lebensalter des Unterhalt Begehrenden von über 50 Jahren ebenfalls nicht generell belegt werden, dass für ihn keine realistische Erwerbschance bestehe8. Vielmehr kommt es auch insofern vorwiegend auf die individuellen Verhältnisse an, die vom Familiengericht aufgrund des – ggf. beweisbedürftigen – Parteivortrags und der offenkundigen Umstände umfassend zu würdigen sind9.
Diesen Anforderungen wird das Berufungsurteil nicht gerecht. In seiner Begründung hat das Berufungsgericht allein auf die Zahl der Bewerbungen abgestellt. Weil diese unzureichend sei, müsse von einem fiktiven Einkommen der Klägerin ausgegangen werden. Abgesehen davon, dass – wie ausgeführt – die Zahl der Bewerbungen nur begrenzt aussagekräftig ist, ist das Berufungsgericht aber nicht auf die Ursächlichkeit der – unterstellt – unzureichenden Bewer-bungen für die durch Erwerbslosigkeit bedingte Unterhaltsbedürftigkeit der Klägerin eingegangen. Aufgrund des Vortrags der Klägerin scheint es aber zumindest naheliegend, dass die im Jahr 2007 53jährige Klägerin nach einer Erwerbsabstinenz von über 25 Jahren und bei – unstreitigen – gesundheitlichen Einschränkungen jedenfalls nicht sogleich eine Vollzeitstelle finden kann. Anders als in jenem Fall, der dem BGH-Urteil vom 30. Juli 200810 zugrunde lag, traf die Klägerin auch nicht schon seit längerer Zeit eine Erwerbsobliegenheit, sondern waren die Parteien in dem abzuändernden Vergleich aus dem Jahr 2004 offenbar noch davon ausgegangen, dass der Klägerin – drei Jahre nach der Scheidung – kein eigenes Erwerbseinkommen anzurechnen ist.
Demnach hätte sich das Berufungsgericht zumindest mit dem Vortrag der Klägerin auseinandersetzen müssen, dass ihr aufgrund ihres Alters, ihrer langen Berufsabstinenz und ihrer gesundheitlichen Einschränkungen aktuell jedenfalls eine Vollzeitstelle als Bürokauffrau oder Textilverkäuferin nicht offenstehe. Aufgrund der von ihm getroffenen Feststellungen lässt sich ein Unterhaltsanspruch der Klägerin wegen Erwerbslosigkeit nach § 1573 Abs. 1 BGB demnach nicht verneinen.
Die Bedarfsbemessung des Berufungsgerichts nach § 1578 Abs. 1 BGB ist nach Meinung des Bundesgerichtshofs ebenfalls zu beanstanden. Grundsätzlich nicht zu beanstanden ist es, dass das Berufungsgericht die vom Beklagten zu leistende Steuernachzahlung für die Zeit ab 1998 nicht berücksichtigt hat, sondern das Für-Prinzip angewendet hat und von dem zugrunde gelegten Gewinn aus dem Jahr 2007 nur die hierfür in 2008 festgesetzte Einkommensteuer abgezogen hat. Der Bundesgerichtshof hat bereits aus anderem Anlass betont, dass die geläufigen Methoden zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens und zum Steuerabzug bei der Einkommensermittlung für Selbstständige nicht als Dogma missverstanden werden dürfen11. Es ist vielmehr Aufgabe der Tatsacheninstanzen, unter den gegebenen Umständen des Einzelfalls eine geeignete Methode zur möglichst realitätsgerechten Ermittlung des Nettoeinkommens als Grundlage der Unterhaltsbemessung nach den ehelichen Lebensverhältnissen zu finden. Da im vorliegenden Fall die Steuernachzahlung aus einem längeren Zeitraum (seit 1998) erwachsen ist, konnte mangels gegenteiliger Darlegung des Beklagten als Unterhaltsschuldner, dass etwa die zusätzliche Liquidität der Klägerin als Unterhaltsberechtigter anderweitig zugute gekommen ist, von einer Berücksichtigung der Steuernachzahlung in zulässiger Weise abgesehen werden. Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass das Berufungsgericht hinsichtlich der Gewinnermittlung nur auf das Jahr 2007 abgestellt hat, da es sich um das einzige abgeschlossene Geschäftsjahr handelt.
Entsprechend seiner Auffassung zum Unterhaltstatbestand ist das Berufungsgericht auf Seiten der Klägerin von einem erzielbaren Einkommen aus vollschichtiger Tätigkeit ausgegangen. Dies kann aus den bereits ausgeführten Gründen keinen Bestand haben. Überdies lässt das Berufungsurteil aber auch eine nähere Begründung dazu vermissen, wie sich das der Klägerin unterstellte Nettoeinkommen von 1.100 € errechnen soll. Ein solches Einkommen, das allenfalls aufgrund einer qualifizierten Vollzeittätigkeit als Bürokauffrau erzielbar wäre, dürfte auch hier jedenfalls nicht ohne nähere Begründung als mindestens erzielbar unterstellt werden.
Die vom Berufungsgericht ausgesprochene Befristung des Unterhalts nach § 1578 b Abs. 2, Abs. 1 BGB kann ebenfalls keinen Bestand haben, was zum Teil mit den bereits oben aufgeführten Beanstandungen zusammenhängt.
Für die Herabsetzung und Befristung des Unterhalts nach § 1578 b BGB ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zunächst zu prüfen, ob auf Seiten des Unterhaltsberechtigten ehebedingte Nachteile eingetreten sind12. Der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, die Klägerin könne eine Vollzeitstelle als Bürokauffrau erlangen, die ihr ein monatliches Nettoeinkommen von 1.100 € ermöglicht, kann – wie oben ausgeführt – keinen Bestand haben. Demnach ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass der Klägerin ehebedingte Nachteile entstanden sind, wenn und soweit sie aufgrund ihrer Berufspause während der Ehe nunmehr schlechtere Erwerbschancen hat13.
b) Die bei der Befristung und Herabsetzung des Unterhalts anzustellende Billigkeitsabwägung beschränkt sich überdies nicht auf den Ausgleich ehebedingter Nachteile, sondern hat darüber hinaus die vom Gesetz geforderte nacheheliche Solidarität zu berücksichtigen. Das gilt nicht nur für die Unterhaltstatbestände, die – wie der Alters- oder Krankheitsunterhalt nach §§ 1571, 1572 BGB – bereits ihre Begründung in der nachehelichen Solidarität finden, sondern auch für den Aufstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 2 BGB14.
In dieser Hinsicht hat das Berufungsgericht lediglich die Dauer der Ehe, die Kindererziehung (und Haushaltsführung) sowie die Dauer der Unterhaltszahlungen einbezogen. Das erscheint nicht ausreichend. Eine umfassende Würdigung hat vielmehr auch zu berücksichtigen, dass der Beklagte – wie für das Revisionsverfahren zu unterstellen ist – seine während der Ehe durchgeführte berufliche Fortbildung und sein heute erzieltes Einkommen jedenfalls auch der Unterstützung durch die Klägerin zu verdanken hat. Nicht berücksichtigt ist auch, dass die Klägerin während der Arbeitslosigkeit des Beklagten nur einen reduzierten Unterhalt bezogen hat. Dieser Umstand rechtfertigt es, dass sie auch an einem später verbesserten Einkommen länger teilhaben kann. Zudem offenbarte der Beklagte seine wiederum erlangte Tätigkeit als IT-Berater erst mit erheblicher Verzögerung, was seine Unterhaltsbelastung vermindert hat. Es erscheint demnach naheliegend, dass das Berufungsgericht bei einer vollständigen Berücksichtigung der vorstehenden Aspekte selbst bei – unterstellt – fehlenden ehebedingten Nachteilen zu einer längeren als der von ihm angenommenen Unterhaltsdauer gelangt wäre.
Das Berufungsurteil ist demnach aufzuheben. Dem Bundesgerichtshof ist eine abschließende Sachentscheidung verwehrt, weil noch weitere tatrichterliche Feststellungen zu treffen sind. Für das weitere Verfahren weist der Bundesgerichtshof darauf hin, dass bei der abermaligen Prüfung der Unterhaltsbegrenzung nach § 1578 b BGB zunächst eine Herabsetzung bis auf den eigenen angemessenen Bedarf nach § 1578 b Abs. 1 BGB zu prüfen ist15.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 21. September 2011 – XII ZR 121/09
- Fortführung der BGH-Urteile vom 30.07.2008 – XII ZR 126/06, FamRZ 2008, 2104 und vom 27.01.1993 – XII ZR 206/91, FamRZ 1993, 789[↩]
- Anschluss an BGH, Urteil vom 02.06.2004 – XII ZR 217/01, FamRZ 2004, 1177[↩]
- AG Worms, Urteil vom 21.11.2008 – 6 F 126/07[↩]
- OLG Koblenz, Urteil vom 23.06.2009 – 11 UF 773/08[↩]
- BGH, Urteile vom 30.07.2008 – XII ZR 126/06, FamRZ 2008, 2104 Rn. 18 und vom 27.01.1993 – XII ZR 206/91, FamRZ 1993, 789, 791[↩]
- BGH, Urteile vom 30.07.2008 – XII ZR 126/06, FamRZ 2008, 2104 Rn. 22 und vom 27.01.1993 – XII ZR 206/91, FamRZ 1993, 789, 791[↩]
- vgl. OLG Hamm FamRZ 2010, 1914 für eine Textilverkäuferin[↩]
- vgl. dazu Kaiser/Dahm NZA 2010, 473 mwN[↩]
- vgl. auch BGH, Urteil vom 15.11.1995 – XII ZR 231/91, FamRZ 1996, 345, 346 mwN zur entsprechenden Lage beim Unterhaltspflichtigen[↩]
- XII ZR 126/06 – FamRZ 2008, 2104 Rn. 23[↩]
- BGH, Urteil vom 02.06.2004 – XII ZR 217/01, FamRZ 2004, 1177, 1178[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 17.02.2010 – XII ZR 140/08, FamRZ 2010, 629 Rn. 23 mwN[↩]
- zur Darlegungs- und Beweislast s. BGH, Urteil BGHZ 185, 1 = FamRZ 2010, 875[↩]
- BGH, Urteil vom 08.06.2011 – XII ZR 17/09, FamRZ 2011, 1381 Rn. 34[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 17.02.2010 – XII ZR 140/08, FamRZ 2010, 629, 633[↩]