Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde – als Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter

Kommt ein Gericht der gesetzlich vorgesehenen Pflicht zur Zulassung eines Rechtsmittels nicht nach, so verstößt dies gegen die Gewährleistung des gesetzlichen Richters in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn die Entscheidung insoweit sachlich nicht zu rechtfertigen ist, sich damit als objektiv willkürlich erweist und den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar erschwert1. Hingegen genügt nicht bereits die einfachrechtlich fehlerhafte Handhabung der maßgeblichen Zulassungsvorschriften2.

Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde – als Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter

Ob die Nichtzulassung eines Rechtsmittels danach gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstößt, lässt sich insbesondere anhand der in der Entscheidungsbegründung wiedergegebenen Erwägungen überprüfen3. Dies setzt allerdings voraus, dass das Gericht seine Entscheidung, kein Rechtsmittel zuzulassen, mit einer Begründung versehen hat. Indessen bedürfen mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbare letztinstanzliche gerichtliche Entscheidungen, eingeschlossen solche über die Nichtzulassung eines Rechtsmittels, grundsätzlich auch von Verfassungs wegen keiner Begründung4. Das gilt auch für die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 FamFG durch das Beschwerdegericht.

Wenn die Entscheidung über die Nichtzulassung nicht näher begründet ist, kommen die Feststellung einer mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbaren Handhabung der Zulassungspflicht und die Aufhebung durch das Bundesverfassungsgericht gleichwohl in Betracht, wenn die Zulassung des Rechtsmittels unterblieben ist, obwohl sie nahe gelegen hätte und die Nichtzulassungsbeschwerde nicht eröffnet ist. Hat das Beschwerdegericht das Rechtsmittel nicht zugelassen, obwohl die Zulassung des Rechtsmittels objektiv nahe lag und finden sich weder in der Entscheidung noch anderweitig Anhaltspunkte dafür, aufgrund welcher – die Nichtzulassung möglicherweise sachlich rechtfertigenden – Überlegungen das Gericht von der Zulassung abgesehen hat, ist im Rahmen der verfassungsgerichtlichen Überprüfung einer Entscheidung, gegen die die Nichtzulassungsbeschwerde nicht eröffnet ist, grundsätzlich von einer verfassungswidrigen Nichtzulassung auszugehen5. Zwar gilt der Grundsatz, dass letztinstanzliche Entscheidungen, eingeschlossen solche über die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde, von Verfassungs wegen keiner Begründung bedürfen, auch dann, wenn gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht die Nichtzulassungsbeschwerde nicht eröffnet ist. Weil dann jedoch das Beschwerdegericht, indem es die Rechtsbeschwerde nicht zulässt, gleichsam in eigener Sache unanfechtbar darüber entscheidet, dass seine Entscheidung durch das Rechtsbeschwerdegericht nicht mehr überprüft werden kann, muss, wenn die Zulassung des Rechtsmittels nahe gelegen hätte, mangels nachvollziehbarer Begründung oder anderweitiger Anhaltspunkte grundsätzlich angenommen werden, dass sich das Beschwerdegericht in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht entzogen hat.

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Gemessen daran liegt hier eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter vor, soweit das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde nicht nach § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 FamFG zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung hinsichtlich der Frage zugelassen hat, ob vorliegend bei der externen Teilung bezüglich der Berechnung des Ausgleichbetrags eine Anpassung des sich aus § 253 Abs. 2 HGB ergebenden Zinssatzes erforderlich war.

Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nach § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 FamFG eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, wenn die zu treffende Entscheidung von der Entscheidung eines höher- oder gleichrangigen Gerichts abweicht, in der ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet wird6. Danach hätte hier die Zulassung der Beschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung wegen Abweichung von einer zeitlich vorgehenden Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts nahe gelegen. Das Oberlandesgericht Hamm hatte bereits, bevor die hier angegriffene Entscheidung ergangen ist, entschieden, dem bei der externen Teilung auftretenden Problem, dass die Verwendung eines am Kapitalmarkt nicht mehr erzielbaren Zinssatzes zu einer erheblichen Entwertung des Anrechts des Ausgleichsberechtigten führe, könne und müsse durch eine Korrektur des Ausgleichsbetrags nach § 42 VersAusglG begegnet werden7. Im vorliegenden Verfahren hat das Oberlandesgericht Celle eine solche Anpassung in der hier zur Prüfung gestellten Entscheidung nicht vorgenommen, ohne die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Da es nicht begründet hat, warum es die Rechtsbeschwerde nicht zulässt, und auch weder ausdrücklich noch der Sache nach dargelegt hat, warum es keine Abweichung von der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm erkennt, lassen sich aus der hier zu überprüfenden Entscheidung keine Gesichtspunkte gewinnen, unter denen das Absehen von der nach § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 FamFG nahe liegenden Zulassung der Rechtsbeschwerde sachlich gerechtfertigt erschiene. Solche Gesichtspunkte sind auch nicht anderweitig erkennbar.

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Es kann nicht angenommen werden, dass dem Oberlandesgericht Celle lediglich ein verfassungsrechtlich irrelevanter Fehler bei der Anwendung der einfachgesetzlichen Verfahrensvorschriften unterlaufen ist. Die abweichende Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm war knapp sechs Monate vor der hier angegriffenen Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle ergangen und zum Zeitpunkt der vom Oberlandesgericht Celle getroffenen Entscheidung bereits veröffentlicht. Zwar handelt es sich bei der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm um die erste veröffentlichte Entscheidung, die bei der Berechnung des Ausgleichsbetrags eine Abzinsung anhand des bilanzrechtlichen Zinssatzes des § 253 Abs. 2 HGB korrigierte8. Vorherige Entscheidungen hatten hingegen wie das Oberlandesgericht Celle eine entsprechende Abzinsung bestätigt9. Indessen waren auch diese Entscheidungen zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts weniger als ein Jahr alt, betrafen ein Gesetz, welches ebenfalls erst seit knapp drei Jahren in Kraft war und haben bislang keine Bestätigung durch den Bundesgerichtshof erfahren. Auch in der Literatur war die Frage bereits zu diesem Zeitpunkt umstritten10, ohne dass letzteres für sich genommen den Vorwurf willkürlicher Nichtzulassung tragen würde11. Unter den geschilderten Umständen ist davon auszugehen, dass dem Oberlandesgericht Celle die abweichende Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm bekannt war. Für die Annahme eines bloßen prozessrechtlichen Fehlers ohne verfassungsrechtliche Relevanz bleibt danach kein Raum.

Da die Verfassungsbeschwerde insoweit hinsichtlich der Rüge eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG Erfolg hat, bedarf es keiner Entscheidung, ob die vorgenommene Art und Weise des Ausgleichs der betrieblichen Altersversorgung zudem gegen Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG verstößt.

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Keine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liegt darin, dass das Gericht die Rechtsbeschwerde nicht wegen einer möglichen Abweichung von der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 07.09.2011 bezüglich der Verzinsung des Ausgleichsbetrags12 zugelassen hat. Auch insoweit hat das Oberlandesgericht die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde zwar nicht eigens begründet. Aus den Gründen der Entscheidung geht jedoch hervor, dass und warum das Oberlandesgericht angenommen hat, dass es nicht von der Entscheidung des Bundesgerichtshofs abweicht. Das Oberlandesgericht hat den streitgegenständlichen Sachverhalt von demjenigen abgegrenzt, welcher der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zugrunde lag. Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs komme eine Verzinsung des Ausgleichsbetrags nicht in Betracht, wenn der ausgleichspflichtige Ehegatte vor der rechtskräftigen Entscheidung über den Versorgungsausgleich bereits Rente beziehe. Im vorliegenden Verfahren sei dies jedoch der Fall, da der Rentenbezug des Ehemannes während des laufenden Verfahrens eingetreten sei. Vor diesem Hintergrund erscheint die Annahme des Oberlandesgerichts, dass mangels Abweichung eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht geboten sei, jedenfalls nicht schlechterdings unvertretbar.

Soweit die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts gerichtet ist, bedarf es keiner Entscheidung der Kammer, weil infolge der Aufhebung der Entscheidung des Oberlandesgerichts der Rechtsweg vor den Fachgerichten wieder eröffnet ist13.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 7. September 2015 – 1 BvR 1863/12

  1. vgl. BVerfGE 42, 237, 241; 67, 90, 94 f.; 87, 282, 284 f.; 101, 331, 359 f.; entsprechend zu Art.19 Abs. 4 GG: BVerfGE 125, 104, 137; 134, 106, 117 f. Rn. 34[]
  2. vgl. BVerfGE 67, 90, 95; 87, 282, 284 f.; 101, 331, 359 f.[]
  3. siehe etwa BVerfGE 101, 331, 360[]
  4. vgl. BVerfGE 50, 287, 289 f.; 104, 1, 7 f.; 118, 212, 238; BVerfG, Beschluss vom 08.12 2010 – 1 BvR 1382/10 12[]
  5. vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.03.2012 – 1 BvR 2365/1119; Beschluss vom 23.04.2014 – 1 BvR 2851/13 23 ff.[]
  6. vgl. Ansgar Fischer, in: Münchener Kommentar, FamFG, 2. Aufl.2013, § 70 Rn. 24; Meyer-Holz, in: Keidel, FamFG, 18. Aufl.2014, § 70 Rn. 28; Borth/Grandel, in: Musielak/Borth, FamFG, 5. Aufl.2015, § 70 Rn. 6; ebenso zu § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO: BGH, Beschluss vom 29.05.2002 – V ZB 11/02, NJW 2002, 2473, 2474; Beschluss vom 27.03.2003 – V ZR 291/02, NJW 2003, 1943, 1945; BVerfG, Beschluss vom 08.12 2010 – 1 BvR 381/10 16[]
  7. OLG Hamm, Beschluss vom 06.02.2012 – II-12 UF 207/10 10 ff.[]
  8. siehe nunmehr außerdem OLG Nürnberg, Beschluss vom 31.01.2014 – 11 UF 1498/13 11 ff.; Beschluss vom 15.04.2014 – 7 UF 1115/13 38 ff.[]
  9. so etwa OLG München, Beschluss vom 20.09.2011 – 16 UF 171/1120 f.; Hanseatisches OLG Bremen, Beschluss vom 20.12 2011 – 4 UF 120/10 3; OLG Koblenz, Beschluss vom 05.07.2012 – 11 UF 1132/11 22 ff.[]
  10. für die Erforderlichkeit einer gerichtlichen Korrektur im Falle starker Abweichung der Werte bei interner und externer Teilung damals etwa: Jaeger, FamRZ 2010, 1714, 1718; Hauß, FamRZ 2011, 88, 89; Norpoth, in: Erman, BGB, Band II, 13. Aufl.2011, § 17 VersAusglG Rn. 1 sowie § 42 VersAusglG Rn. 8; Ruland, Versorgungsausgleich, 3. Aufl.2011, Rn. 650; gegen eine gerichtliche Korrektur: Engelstädter/Kraft, BetrAV 2011, 344, 347 f.; Höfer, FamRZ 2011, 1539, 1542[]
  11. vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.01.2004 – 1 BvR 864/03 32[]
  12. BGHZ 191, 36[]
  13. vgl. BVerfGE 129, 1, 37; 134, 106, 121[]
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