Nur 1 Brief monatlich – Umgangsverbot für den Vater

Vor dem Bundesverfassungsgericht ist aktuelle eine Verfassungsbeschwerde gegen den befristeten Ausschluss des Umgangsrechts eines Vaters mit seinem Kind ohne Erfolg geblieben, das Bundesverfassungsgericht nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.

Nur 1 Brief monatlich – Umgangsverbot für den Vater

Der Ausgangssachverhalt[↑]

Der Beschwerdeführer ist Vater eines im Jahr 2003 geborenen Sohnes. Die Eltern trennten sich kurz nach der Geburt. Ein erstes im Jahr 2005 begonnenes Umgangsverfahren endete im September 2010 vor dem Oberlandesgericht mit der Anordnung von Umgangskontakten, die anfangs durch einen Umgangspfleger begleitet werden sollten.

Die gerichtlich angeordneten Umgangskontakte fanden größtenteils nicht statt. Da auch sämtliche Versuche, einen Umgangspfleger zu finden, scheiterten, leitete das Amtsgericht im Februar 2011 von Amts wegen ein Abänderungsverfahren zum Umgangsrecht ein. Der Beschwerdeführer stellte mehrere Befangenheitsanträge gegen die Familienrichterin, verweigerte die Zusammenarbeit mit der gerichtlich bestellten Sachverständigen, beantragte mehrfach die Verlegung anberaumter Termine und erhob drei Verzögerungsrügen. Letztendlich schloss das Amtsgericht Frankfurt am Main den Umgang des Kindes mit dem Beschwerdeführer bis zum 31.10.2015 aus1.

Hiergegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde zum Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Zu den anberaumten Anhörungsterminen erschien der Beschwerdeführer nicht, er verweigerte seine Begutachtung und lehnte den zuständigen Familiensenat als befangen ab. Das Oberlandesgericht änderte den Beschluss des Amtsgerichts insofern ab, als es dem Beschwerdeführer eine Kontaktaufnahme zum Kind einmal je Kalendermonat per Brief gestattete und der Mutter aufgab, dem Kind die Briefe unverzüglich auszuhändigen2.

Das Bundesverfassungsgericht nahm die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde des Vaters nicht zur Entscheidung an:

Umgangsrecht und Elternrecht[↑]

Soweit der Vater einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG rügt, ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet. Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen nicht gegen Art. 6 Abs. 2 GG.

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Das Umgangsrecht eines Elternteils steht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Es ermöglicht dem umgangsberechtigten Elternteil, sich von dem körperlichen und geistigen Befinden des Kindes und seiner Entwicklung fortlaufend persönlich zu überzeugen, die verwandtschaftlichen Beziehungen zu ihm aufrechtzuerhalten, einer Entfremdung vorzubeugen und dem Liebesbedürfnis Rechnung zu tragen3. Eine Einschränkung oder der Ausschluss des Umgangsrechts kommen jedoch dann in Betracht, wenn nach den Umständen des Einzelfalls der Schutz des Kindes dies erfordert, um eine Gefährdung seiner seelischen oder körperlichen Entwicklung abzuwehren4. Das Gericht hat sowohl die betroffenen Grundrechtspositionen des Elternteils als auch das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger zu berücksichtigen5. Hierbei ist in den Blick zu nehmen, dass das Kind mit der Kundgabe seines Willens von seinem Recht zur Selbstbestimmung Gebrauch macht6 und seinem Willen mit zunehmenden Alter vermehrt Bedeutung zukommt7. Ein gegen den ernsthaften Widerstand des Kindes erzwungener Umgang kann durch die Erfahrung der Missachtung der eigenen Persönlichkeit unter Umständen mehr Schaden verursachen als nutzen8. Selbst ein auf einer bewussten oder unbewussten Beeinflussung beruhender Wunsch kann beachtlich sein, wenn er Ausdruck echter und damit schützenswerter Bindungen ist. Das Außerachtlassen des beeinflussten Willens ist daher nur dann gerechtfertigt, wenn die manipulierten Äußerungen des Kindes den wirklichen Bindungsverhältnissen nicht entsprechen9.

Der Grundrechtsschutz ist auch durch die Gestaltung des Verfahrens sicherzustellen10; das gerichtliche Verfahren muss in seiner Ausgestaltung geeignet und angemessen sein, um der Durchsetzung der materiellen Grundrechtspositionen wirkungsvoll zu dienen11. Soweit das Kind den Umgang mit dem nichtsorgeberechtigten Elternteil nicht will, ist es Aufgabe der Gerichte die Gründe für diese Einstellung zu ermitteln und sie in ihre Entscheidung einzubeziehen12. Hierbei bleibt es grundsätzlich den Fachgerichten überlassen, wie sie den Willen des Kindes ermitteln. Der verfassungsgerichtlichen Prüfung unterliegt jedoch, ob fachgerichtliche Entscheidungen auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts beruhen13.

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Der Umgangsausschluss und das Elternrecht[↑]

Die Gerichte haben den befristeten Umgangsausschluss nachvollziehbar mit dem erklärten Willen des Kindes, der Unfähigkeit der Mutter, dem Kind ein positiveres Vaterbild zu vermitteln, und dem eingeschränkten Gespür des Beschwerdeführers, die kindlichen Bedürfnisse in der hoch strittigen familiären Situation zu erkennen und ihnen Rechnung zu tragen, begründet. Die Einschätzung der Gerichte, wonach das Kind im Falle einer Anordnung von Umgangskontakten entgegen seinem erklärten Willen ohne Rücksicht auf seine Bedürfnisse zum Spielball experimenteller Ansätze gemacht werde, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Hier war insbesondere zu berücksichtigen, dass das inzwischen 11jährige Kind spätestens seit seiner erstmaligen Anhörung durch das Amtsgericht im Mai 2011 durchgehend und vehement jegliche Umgangskontakte mit dem Beschwerdeführer abgelehnt hat, und zwar sowohl gegenüber der Familienrichterin und dem Berichterstatter des Oberlandesgerichts als auch gegenüber der Verfahrensbeiständin und der Sachverständigen. Angesichts des Alters des Kindes bei seiner letzten Anhörung und der Beharrlichkeit seiner Willensäußerung haben sich die Fachgerichte in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise bei ihrer Entscheidung am Kindeswillen orientiert. Gestützt auf die Feststellungen der Sachverständigen haben diese nachvollziehbar ausgeführt, dass der Kindeswille trotz dessen Fremdbeeinflussung durch die Mutter nicht übergangen werden könne, weil das Kind den ihm nur aus wenigen begleiteten Umgängen bekannten Vater als Bedrohung erlebe und es aufgrund des anhaltenden Konflikts seiner Eltern und der damit einhergehenden Verfahren seine Beziehung und Bindung zur Mutter als Hauptbezugsperson durch einen Umgang mit dem Vater gefährdet sehe. Darüber hinaus haben die Fachgerichte das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung plausibel mit den Einschätzungen der Sachverständigen begründet, wonach das Kind ein Übergehen seiner Willensäußerung als Kontrollverlust bezüglich seiner Person erleben und es seine Selbstwirksamkeitsüberzeugung verlieren würde, was zu psychischen Erkrankungen oder Verhaltensauffälligkeiten des Kindes führen könnte.

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Der Umgangsausschluss ist verhältnismäßig.

Das Oberlandesgericht hat dem Beschwerdeführer die Möglichkeit eingeräumt, brieflich Kontakt zu seinem Sohn zu halten und dem Kind dadurch sein fortwährendes Interesse an ihm und seinem Wohlergehen zu zeigen und die Neugier des Kindes zu wecken. Soweit es von darüber hinausgehenden milderen Mitteln statt eines Umgangsausschlusses Abstand genommen hat, ist dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Zwar hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, insbesondere im Hinblick auf die geringe Höhe des in der Vergangenheit gegen die Mutter festgesetzten Ordnungsgeldes, eine Verletzung des Rechts auf Familienleben des Beschwerdeführers nach Art. 8 EMRK festgestellt14. Insoweit mag der vorliegende Fall mit dem Sachverhalt, der dem vom Beschwerdeführer zitierten Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte15 zugrunde lag, zu einem früheren Zeitpunkt vergleichbar gewesen sein. Hieraus folgt jedoch nicht, dass im vorliegenden Fall Maßnahmen, wie die Anordnung von Zwangsmitteln gegenüber der Mutter auch zum jetzigen Zeitpunkt noch geeignete Mittel wären, Umgänge zwischen Vater und Kind anzubahnen, ohne das Wohl des Kindes zu gefährden.

Aufgrund der verfestigten Situation und seines mittlerweile vorangeschrittenen Alters ist im vorliegenden Fall nämlich entscheidend, dass das Kind entsprechend den von den Fachgerichten in Bezug genommenen Ausführungen der Sachverständigen jeglichen Druck auf die Mutter in erheblichem Maße auch selbst wahrnimmt und Zwangsmaßnahmen ihr gegenüber zum Zwecke der Durchführung von Umgangskontakten als Bedrohung seines etablierten Familiensystems sehen würde. Nach den Feststellungen der Sachverständigen würde dies einerseits die Loyalität des Kindes gegenüber der Mutter erhöhen und andererseits seine negative Wahrnehmung des Vaters als der Person, von der die Bedrängungssituation ausginge, verstärken, so dass ein auf die Mutter ausgeübter Zwang nicht zu dem vom Beschwerdeführer gewünschten Ziel führen würde.

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Auch die Dauer des Umgangsausschlusses ist nicht unverhältnismäßig. Zwar fehlen vertiefte Ausführungen der Fachgerichte hierzu. Angesichts der seit 2005 andauernden Streitigkeiten der Eltern, der aus dem Elternkonflikt resultierenden Gefährdungssituation für das Kind und der realen und emotionalen Abhängigkeit des Kindes von der Mutter sind die Fachgerichte jedoch nachvollziehbar davon ausgegangen, dass die Umgangseinschränkung so lange zu befristen sei, bis zu erwarten ist, dass das dann knapp dreizehnjährige Kind sich im Rahmen seiner fortschreitenden Persönlichkeitsentwicklung von der Mutter lösen und möglicherweise ein eigenständiges Interesse am Vater entwickeln könnte.

Anders als der Beschwerdeführer meint, ist auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ein über die Dauer von einem Jahr hinausgehender Umgangsausschluss möglich. Entscheidend ist vielmehr, dass dieser regelmäßig gerichtlich überprüft werden kann. Mit der Regelung des § 1696 Abs. 1 BGB besteht jederzeit – auch vor Ablauf der hier angeordneten Zweijahresfrist – die Möglichkeit, die Umgangssituation erneut gerichtlich überprüfen zu lassen und eine Abänderung des Umgangsausschlusses herbei zu führen, wenn entsprechende Änderungsgründe eingetreten sind, sich insbesondere das Verhältnis zwischen Elternteil und Kind verbessert hat16.

Das familiengerichtliche Verfahren[↑]

Auch die Gestaltung des Verfahrens durch die Fachgerichte ist für das Bundesverfassungsgericht verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden:

Entgegen den Behauptungen des Beschwerdeführers haben die Fachgerichte alle notwendigen Ermittlungen durchgeführt, um über eine zuverlässige, am Kindeswohl orientierte Entscheidungsgrundlage zu verfügen. Insbesondere haben die Gerichte die Stellungnahme der Verfahrensbeiständin, des Jugendamtes, einer Sachverständigen und der Umgangsbegleiter eingeholt sowie das Kind, die Mutter, das Jugendamt, die Verfahrensbeiständin und die Sachverständige persönlich angehört.

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Das Oberlandesgericht war insbesondere nicht gehalten, ein Obergutachten einzuholen, nachdem es die Stellungnahmen der gerichtlich bestellten Sachverständigen für nachvollziehbar erachtet hatte und der Beschwerdeführer eine Beteiligung an einer Begutachtung ablehnt.

Soweit der Beschwerdeführer vorliegend pauschal die Qualifikation der Sachverständigen rügt, hat er weder dargetan noch war sonst ersichtlich, dass die promovierte Diplom-Psychologin nicht über die notwendige Qualifikation für die Erstattung familienpsychologischer Gutachten verfügt oder dass ihre psychologische Stellungnahme wissenschaftlichen Standards nicht genügt hätte. Insbesondere verfügt die Sachverständige mit der Zertifizierung zur Fachpsychologin für Rechtspsychologie BDP/DGPs über die Zusatzqualifikation, die auch von der vom Beschwerdeführer zitierten Studie der Fernuniversität Hagen als Eingangsvoraussetzung für die Tätigkeit als psychologische Sachverständige als wünschenswert erachtet wird17.

Soweit das Oberlandesgericht auf eine Anhörung der vom Beschwerdeführer beauftragten Privatgutachterin verzichtet hat, erscheint dies plausibel, da nicht ersichtlich ist, dass sie über weitergehende Erkenntnisse oder Fähigkeiten verfügte als die gerichtlich bestellte Sachverständige, die ihre Erkenntnisse zur Kindeswohlgefährdung – anders als die Privatgutachterin – nicht nur auf ihre eigenen Erfahrungen, sondern darüber hinaus auf entsprechende wissenschaftliche Studien gestützt und eine Exploration von Mutter und Kind durchgeführt hat.

Das Oberlandesgericht war verfassungsrechtlich nicht gehalten, eine Anhörung des Kindes durch den gesamten Bundesverfassungsgericht durchzuführen. Denn das Kind war zuvor bereits vom Amtsgericht angehört worden. Gegenüber dem Berichterstatter des Bundesverfassungsgerichts des Oberlandesgerichts hat es – wie bereits zuvor in seiner Anhörung vor dem Amtsgericht sowie gegenüber der Sachverständigen und der Verfahrensbeiständin – lediglich erneut seine ablehnende Haltung gegenüber dem Beschwerdeführer bekräftigt, so dass das Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung über eine hinreichend sichere Tatsachengrundlage verfügte.

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Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist ferner, dass das Oberlandesgericht dem Beschwerdeführer nicht nochmals die Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung gegeben hat, nachdem er zu den Anhörungsterminen nicht erschienen und seine Abwesenheit nicht ausreichend entschuldigt hat. Darüber hinaus kam es für die hier maßgebliche Frage, ob erzwungene Umgänge das Kindeswohl gefährden, auf einen persönlichen Eindruck des Gerichts vom Beschwerdeführer nicht entscheidend an, zumal dieser umfassend Gelegenheit hatte, seine Sicht der Dinge schriftlich darzulegen, wovon er selbst und seine Verfahrensbevollmächtigten während des gesamten Verfahrens Gebrauch gemacht haben.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 25. April 2015 – 1 BvR 3326/14

  1. AG Frankfurt am Main, Beschluss vom 12.11.2013 – 401 F 1031/11 UG[]
  2. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 17.09.2014 – 4 UF 355/13[]
  3. vgl. BVerfGE 31, 194, 206 f.; 64, 180, 187 f.[]
  4. vgl. BVerfGE 31, 194, 209 f.[]
  5. vgl. BVerfGE 31, 194, 205 f.; 64, 180, 187 f.[]
  6. vgl. BVerfGK 15, 509, 515[]
  7. vgl. BVerfGK 9, 274, 281; 10, 519, 524[]
  8. vgl. BVerfGK 6, 57[]
  9. vgl. BVerfG, Beschluss vom 02.04.2001 – 1 BvR 212/98, FamRZ 2001, S. 1057[]
  10. vgl. BVerfGE 55, 171, 182[]
  11. vgl. BVerfGE 84, 34, 49[]
  12. vgl. BVerfGE 64, 180, 191[]
  13. vgl. BVerfGE 18, 85, 92 f.[]
  14. EGMR, Kuppinger v. Deutschland, Urteil vom 15.01.2015, Nr. 62198/11, Rn. 105 f.[]
  15. EGMR, Tsikakis v. Deutschland, Urteil vom 10.02.2011, Nr. 1521/06[]
  16. so EGMR, Hub v. Deutschland, Zulässigkeitsentscheidung vom 22.04.2008, Nr. 1182/05[]
  17. Salewski/Stürmer, Qualitätsmerkmale in der familienrechtspsychologischen Begutachtung – Untersuchungsbericht I, S. 31 f.[]