Eine räumliche Trennung der Kinder von den Eltern gegen deren Willen stellt den stärksten Eingriff in das Elterngrundrecht dar, der nur unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgen oder aufrechterhalten werden darf1.

6 Abs. 3 GG erlaubt diesen Eingriff lediglich unter der strengen Voraussetzung, dass das elterliche Fehlverhalten ein solches Ausmaß erreicht, dass das Kind bei den Eltern in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet wäre2. Eine solche Gefährdung des Kindes ist dann anzunehmen, wenn bei ihm bereits ein Schaden eingetreten ist oder sich eine erhebliche Gefährdung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt3.
Mit einer solchen Trennung verbundene Sorgerechtsentscheidungen sind auch im fachgerichtlichen einstweiligen Anordnungsverfahren zulässig. Verfassungsrechtlich maßgeblich dafür ist, ob die Gefährdungslage nach Ausmaß und Wahrscheinlichkeit aufgrund der vorhandenen Erkenntnisse bereits derart verdichtet ist, dass ein sofortiges Einschreiten auch ohne weitere gerichtliche Ermittlungen geboten ist. Diese Anforderungen nimmt § 49 Abs. 1 FamFG fachrechtlich auf4.
Zu beachten ist insoweit, dass es rechtlich bei der Entscheidung über den Entzug oder Teilentzug des Sorgerechts nicht um eine Sanktionierung eines möglichen Fehlverhaltens eines Elternteils geht, sondern allein um eine am Kindeswohl zu orientierende Entscheidung5. Insbesondere bei einer bereits eingetretenen Schädigungen der Kinder und der daraus folgenden besonderen Schutzbedürftigkeit ist es verfassungsrechtlich im Rahmen der Prognose zu bei Rückkehr in den väterlichen Haushalt möglicherweise drohenden weiteren Beeinträchtigungen des Kindeswohls grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass das Gericht der Sache nach an die Wahrscheinlichkeit des Eintritts solcher Beeinträchtigungen wegen unzureichenden Schutzes durch den Vater keine zu hohen Anforderungen gestellt hat6.
Um dem Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) Rechnung zu tragen und um der Verpflichtung des Staates, über dessen Ausübung zu wachen, gerecht zu werden, müssen Sorgerechtsverfahren so gestaltet werden, dass sie geeignet sind, eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen7. In Eilverfahren bleiben die praktisch verfügbaren Aufklärungsmöglichkeiten angesichts der spezifischen Eilbedürftigkeit dieser Verfahren allerdings regelmäßig hinter den im Hauptsacheverfahren bestehenden Möglichkeiten zurück. Insbesondere ist es regelmäßig nicht möglich, noch vor der Entscheidung ein Sachverständigengutachten einzuholen8.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 7. März 2023 – 1 BvR 221/23
- vgl. nur BVerfGE 60, 79, <88 ff.> stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 60, 79 <91> 72, 122, <140> 136, 382 <391 Rn. 28> stRspr[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Bundesgerichtshofs vom 23.04.2018 – 1 BvR 383/18 , Rn. 16; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Bundesgerichtshofs vom 10.06.2020 – 1 BvR 572/20 , Rn. 22 jeweils m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Bundesgerichtshofs vom 13.07.2017 – 1 BvR 1202/17 , Rn.19; und vom 23.04.2018 – 1 BvR 383/18 , Rn. 18 f. jeweils m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.02.2022 – 1 BvR 1655/21 , Rn. 5[↩]
- vgl. zum Maßstab BVerfG, Beschluss vom 16.09.2022 – 1 BvR 1807/20 , Rn. 45 m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfGE 55, 171 <182> stRspr[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Bundesgerichtshofs vom 29.09.2015 – 1 BvR 1292/15 , Rn.19[↩]
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