Gemäß § 1686 a BGB hat der biologische – jedoch nicht rechtliche – Vater, der ernsthaftes Interesse an dem Kind gezeigt hat, ein Umgangsrecht, wenn der Umgang dem Kindeswohl dient, wenn also der Umgang für das Kindeswohl förderlich ist. Diese Voraussetzung ist auch dann nicht erfüllt, wenn zwar aus psychologischer Sicht ein offener Umgang mit der Situation einer von der rechtlichen und sozialen Vaterschaft abweichenden Abstammung eines Kindes und insbesondere eine frühzeitige Aufklärung des Kindes hierüber wünschenswert ist, jedoch angesichts ernsthafter und erheblicher psychischer Widerstände und Ängste der rechtlichen und sozialen Eltern gegen den biologischen Vater das bestehende Familiensystem, in dem das Kind lebt, durch das „Auftauchen“ des biologischen Vaters beeinträchtigt würde.

§ 1686 a BGB bietet keine Grundlage, um die rechtlichen und sozialen Eltern zur Inanspruchnahme von Beratung oder familientherapeutischen Maßnahmen zur Vorbereitung von Umgangskontakten des Kindes mit dem biologischen Vater zu verpflichten.
Die in dieser Sache vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit Urteil vom 21.12.20101 geforderte Prüfung, ob der Umgang zwischen den Kindern und dem Antragsteller dem Wohl der Kinder dient, wurde nunmehr vorgenommen; Ergebnis ist, dass der Umgang dem Kindeswohl nicht dient und deshalb dem Antragsteller weiterhin ein Umgangsrecht nicht einzuräumen ist.
§ 1686 a BGB, zu dem keine gesonderte Übergangsregelung besteht, ist auch auf früher geborene Kinder in Bezug auf den künftigen Umgang mit ihrem biologischen Vater anzuwenden. Bedenken, insbesondere verfassungsrechtliche Bedenken, gegen eine derartige „Rückwirkung“ bestehen nicht. Es wurde mit der Norm eine Regelung für eine schon bestehende, jedoch noch nicht abgeschlossene Rechtsbeziehung – das Eltern-Kind-Verhältnis – getroffen, jedoch nur in Bezug auf deren künftige Ausgestaltung. Somit handelt es sich um eine sogenannte unechte Rückwirkung2. Eine solche ist grundsätzlich zulässig, sofern nicht ausnahmsweise Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes entgegen stehen3.
Vertrauensschutz auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage kommt hier indessen nicht in Betracht.
Dass der Mutter hinsichtlich ihrer leiblichen und rechtlichen Elternschaft irgendwelche Dispositionen getroffen hat in Abhängigkeit von der Frage, ob künftig ein Umgangsrecht des Antragstellers in Betracht kommen könnte oder nicht, ist weder behauptet noch ersichtlich. Bezüglich ihrer Person kommt deshalb ein betätigtes schützenswertes Vertrauen von vornherein nicht in Betracht. Der rechtliche Vater lässt insoweit vortragen, dass er sich nicht für die Übernahme von elterlicher Verantwortung für die Zwillinge entschieden hätte, wenn er damit gerechnet hätte, dass er sich der zusätzlichen Schwierigkeit stellen müsse, Umgang des biologischen Vaters mit den Zwillingen vermitteln zu müssen. Insoweit könnte von einer Disposition in Form des Absehens von einer Vaterschaftsanfechtung im Vertrauen auf den Fortbestand der alten Gesetzeslage ausgegangen werden.
Solcherart betätigtes Vertrauen des rechtlichen Vaters ist indessen nicht schutzwürdig. Die mit der Neuregelung des § 1686 a BGB verfolgten Anliegen überwiegen das Interesse des rechtlichen Vaters am Fortbestand der bisherigen Rechtslage4. Die Schaffung eines bisher nicht vorgesehenen Umgangsrechts nach § 1686 a Abs. 1 Nr. 1 BGB diente der Beseitigung einer mit Art. 8 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten nicht zu vereinbarenden Beschränkung der Rechtsstellung des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters5 und zugleich, wie sich aus dem Normtext ergibt, positiv dem Kindeswohl. Demgegenüber hat das Elternrecht des rechtlichem Vater aus Art. 6 Abs. 2 GG dienende Funktion, es ist ein Recht im Interesse des Kindes6. Rechtsänderungen im Interesse des Kindeswohls ist deshalb in Abwägung gegenüber einem Bestandsinteresse am unveränderten Inhalt des Elternrechts grundsätzlich Vorrang einzuräumen. Hinzu kommt, dass der Eingriff in das bestehende Eltern-Kind-Verhältnis durch Einführung eines punktuellen Umgangsrechts begrenzt ist und im Umfang nicht weiter geht, als dies kindeswohldienlich ist.
Vorliegend hat der biologische Vater auch ernsthaftes Interesse an den Zwillingen gezeigt (§ 1686 a Abs. 1 BGB).
Er at sich von Geburt der Zwillinge an nachdrücklich und nachhaltig um Herstellung eines Kontakts bemüht. Dass es zu einer tatsächlichen Kontaktaufnahme mit ihnen zu keinem Zeitpunkt gekommen ist, kann ihm nicht zugerechnet werden. Die Mutter und der rechtliche Vater haben dem biologischen Vater eine solche Kontaktaufnahme von Anfang an untersagt. Dass der biologische Vater sich dieser Entscheidung der rechtlichen und sorgeberechtigten Eltern gebeugt und auch keinen brieflichen, fernmündlichen oder sonstigen Kontakt gegen das ausdrückliche Verbot der rechtlichen Eltern gesucht hat, ist kein Anhaltspunkt für mangelndes Interesse.
Weitere Voraussetzung eines Umgangsrechtes des biologischen Vaters ist, dass der Umgang dem Kindeswohl dient (§ 1686 a Abs. 1 Nr. 1 BGB).
Diese Voraussetzung ist nur erfüllt, wenn der Umgang für das Kindeswohl förderlich ist; nicht ausreichend wäre allein die Feststellung, dass er dem Kindeswohl nicht widerspricht7. Dieser Maßstab ist konform mit den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK aufgestellten Anforderungen. In der in dieser Sache ergangenen Entscheidung vom 21.12.20108 beanstandet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (nur), dass der Umgang versagt wurde, ohne zuvor zu prüfen, ob der Umgang zwischen dem biologischen Vater und seinen Kindern dem Wohl der Kinder dient9.
Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Verweisung des § 1686 Abs. 2 BGB auf § 1684 Abs. 4 BGB. Dass auf Grund dieser Verweisung in Anwendung des § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB eine gänzliche Versagung des Umgangsrechts für längere Zeit nur möglich wäre, wenn andernfalls das Kindeswohl gefährdet würde, wird, soweit ersichtlich, nirgends vertreten. Vielmehr soll die Verweisung lediglich die Ausgestaltungsmöglichkeiten eines Umgangsrechts betreffen10. Insbesondere kann nicht angenommen werden, dass die in § 1686 a Abs. 1 Nr. 1 BGB ausdrücklich statuierten engen Voraussetzungen für die Gewährung eines Umgangsrechts allein durch die Verweisungsnorm erweitert würden.
Im hier entschiedenen Fall verneinte das Oberlandesgericht Karlsruhe dies: Die Aufklärung über die biologische Vaterschaft des Antragstellers und Kontakte zu diesem wären dem Kindeswohl der Zwillinge derzeit nicht förderlich. So ergibt sich zusammenfassend aus den eingeholten Gutachten, dass die Unkenntnis von der biologischen Nicht-Vaterschaft des Herrn B. derzeit keine negativen Auswirkungen auf das Kindeswohl der Zwillinge hat, und dass auch wenig wahrscheinlich ist, dass das Kindeswohl nachhaltig beeinträchtigt wird, wenn die Zwillinge (erst) in späteren Jahren diese Kenntnis erlangen werden. Gleiches gilt für die hiermit eng verbundene Frage eines Kennenlernens des biologischen Vaters.
Demgegenüber würde aktuell das Kindeswohl der Zwillinge beeinträchtigt, wenn die Eheleute B. und insbesondere Frau B. durch vollstreckbare Gerichtsentscheidung gezwungen würden, entgegen ihrem Willen den Kindern Umgang mit dem biologischen Vater zu gewähren und die hiermit zwangsläufig verbundene Aufklärung der Kinder über die biologische Vaterschaft des Antragstellers zu leisten oder mindestens zu dulden. Es besteht die große Gefahr, dass die Eheleute B. mit dieser Situation überfordert wären, was sich negativ auf den bisher bestehenden stabilen familiären Rahmen auswirken würde, in welchem die Zwillinge bisher leben.
Die Zwillinge sind emotional fest in der Familie B. verankert, haben mit den Eheleuten B. Bezugspersonen, bei denen sie sich in jeder Hinsicht gut aufgehoben fühlen und von denen sie gut versorgt werden, und haben zu den Geschwistern stabile und tragfähige Bindungen. Ihr Kindeswohl ist in der Familie B. in jeder Hinsicht gewahrt. Frau B. wurde von den Sachverständigen als psychisch sehr stark belastete Person erlebt, die insbesondere in Bezug auf den Antragsteller ausgeprägte Symptome von Angst zeigte. Ein „Auftauchen“ des Antragstellers im Familienkontext ist für sie geradezu eine Horrorvorstellung. Bei einer Anordnung und letztlich zwangsweisen Durchsetzung von Umgangskontakten besteht die große Gefahr, dass sie dekompensiert bis hin zu einem Nervenzusammenbruch. Die hieraus folgenden negativen Auswirkungen für das Familiensystem und damit auch für das Kindeswohl der Zwillinge sind evident. Ebenfalls überzeugend gehen die Sachverständigen davon aus, dass Herr B. dies, nicht zuletzt angesichts seiner Doppelbelastung mit Beruf und Familie, nicht würde auffangen können.
Diese Beurteilung ist für das Oberlandesgericht nicht zuletzt auf Grund des persönlichen Eindrucks der Eheleute B. aus dem Verfahren und den Anhörungen überzeugend. Dass der Antragsteller für Frau B. eine in jeder Hinsicht negativ besetzte Person ist, wurde hierbei ebenso deutlich wie die Tatsache, dass Frau B. völlig außerstande ist, sich mit der Person des Antragstellers, seiner biologischen Vaterschaft bezüglich der Zwillinge und einer möglichen Aufklärung und Kontaktanbahnung der Zwillinge über bzw. mit ihrem biologischen Vater auch nur im Ansatz sachlich-rational auseinanderzusetzen.
Infolgedessen wäre Frau B. nach Überzeugung des Oberlandesgerichts in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen auch außerstande, mit den zwangsläufig bei einem Umgang zu erwartenden Fragen und Vorhaltungen seitens der Zwillinge sachgerecht – kindeswohlgerecht – umzugehen.
Es besteht auch keine rechtliche Möglichkeit, diesen mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwartenden negativen Auswirkungen von Umgangskontakten entgegen zu wirken.
Denkbar wäre allerdings, dass sich die Eheleute B. auf Umgangskontakte des Antragstellers mit den Zwillingen durch Beratung und familientherapeutische Maßnahmen vorbereiten, und dass nach einer solchen Vorbereitung Umgangskontakte ohne Überforderung der Eheleute B. und ohne Schäden für das Familiensystem B. stattfinden könnten. Hierzu sind die Eheleute B. jedoch zweifellos freiwillig nicht bereit. Für die vollstreckbare Anordnung solcher Maßnahmen durch das Gericht bietet § 1686 a BGB keine Grundlage. Maßnahmen auf der Grundlage des § 1666 BGB können nicht getroffen werden, denn eine Gefährdung des Kindeswohls der Zwillinge durch die aktuelle gegebene Situation ist zweifellos nicht gegeben. Infolgedessen kommt auch eine Umgangspflegschaft nicht in Betracht (§§ 1686 a Abs. 2 Satz 2 BGB), so dass nicht weiter untersucht werden muss, ob schon hierdurch die Belastungen der Eheleute B. in ausreichendem Umfang abgefedert werden könnten.
Ergebnis ist, dass der Umgang der Zwillinge mit dem Antragsteller (nur) deshalb nicht ihrem Kindeswohl dient, weil angesichts der ernsthaften und erheblichen psychischen Widerstände und Ängste der Eheleute B. gegen den Antragsteller das bestehende Familiensystem B. durch das „Auftauchen“ des Antragstellers beeinträchtigt würde. Dieses Ergebnis mag aus Sicht des Antragstellers und unter dem Gesichtspunkt der Rechte eines lediglich biologischen Vaters unbefriedigend sein. Es entspricht aber dem Gesetz und auch den historischen Vorstellungen des Gesetzgebers. Dass auch die mangelnde Belastbarkeit des bestehenden Familienverbandes ein Kriterium ist, welches der Kindeswohldienlichkeit von Umgangskontakten mit dem biologischen Vater entgegen stehen kann, ergibt sich bereits aus der Gesetzesbegründung11.
Es ist auch nicht möglich, eine erst in fernerer Zukunft greifende Umgangsregelung zu treffen. Es ist derzeit nicht mit hinreichender Gewissheit absehbar, ob und ab welchem Zeitpunkt ein Umgang mit dem Antragsteller dem Kindeswohl der Zwillinge dienlich sein wird. Dies hängt von ungewissen Entwicklungen in der Zukunft ab. Änderungen können sich ergeben, wenn sich für die Zwillinge auf Grund eigener Wahrnehmung oder auf Grund von Anstößen von außen die Frage der biologischen Vaterschaft stellen wird. Änderungen können sich ergeben, wenn sich die Haltung und psychische Verfassung der Eheleute B. so wandelt, dass sie durch die Konfrontation mit dem Antragsteller psychisch nicht mehr überfordert sind. Ob, wann und in welcher Weise solche Änderungen eintreten werden, lässt sich aber nicht, auch nicht mit annähernder Sicherheit, prognostizieren.
Somit war der Antrag abzuweisen. Ein Ausschluss des Umgangsrechts war trotz der Verweisung des § 1686 a Abs. 2 Satz 2 auf § 1684 Abs. 4 BGB dagegen nicht auszusprechen. Während rechtlichen Elternteilen aus dem Gesetz generell ein originäres Umgangsrecht zusteht (§ 1684 Abs. 1 BGB), welches sodann unter den Voraussetzungen des § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB ausdrücklich ausgeschlossen werden kann, erwächst dem (nur) biologischen Vater ein solches Umgangsrecht überhaupt erst unter den Voraussetzungen des § 1686 a Abs. 1 Nr. 1 BGB, die vorliegend jedoch nicht erfüllt sind.
)) Das Oberlandesgericht konnte ohne persönliche Anhörung der Kinder entscheiden. Diese war nicht nach § 159 Abs. 2 FamFG geboten. Neigungen, Bindungen oder der Wille der Kinder sind für die Entscheidung nicht von Bedeutung. Auf der Grundlage der Feststellungen der Sachverständigen und der insoweit glaubwürdigen Angaben der Antragsgegner haben die Zwillinge keine Kenntnis davon, dass sie biologisch nicht von Herrn B. abstammen; sie wissen nichts von der Existenz des Antragstellers als ihrem biologischen Vater. Infolgedessen ist es denklogisch nicht möglich, dass zu ihm Bindungen bzw. ein Kindeswille oder Neigungen für oder gegen einen Umgangskontakt mit ihm bestehen. Das Oberlandesgericht war auch nicht befugt, gegen die erzieherische Entscheidung der sorgeberechtigten Eltern die Zwillinge über die biologische Vaterschaft des Antragstellers aufzuklären, um sie sodann entsprechend zu befragen. Auch aus sonstigen Gründen war eine Anhörung nicht geboten. Die Kindeswohlfrage wurde mit Hilfe von fachlich hierzu befähigten Sachverständigen geklärt. Das Oberlandesgericht verfügt nicht über demgegenüber bessere oder zusätzliche Erkenntnismittel, auch nicht im Fall einer persönlichen Anhörung.
Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 1. Juni 2015 – 20 UF 63/13
- EGMR, Urteil vom 21.12.2010 – Individualbeschwerde Nr.20578/07[↩]
- zur Abgrenzung vgl. Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl., Art.20 Rn. 69[↩]
- Jarass/Pieroth, a. a. O. Rn. 73 f.[↩]
- vgl. zu dieser Voraussetzung BVerfGE 89, 48, 66; Jarass/Pieroth, a. a. O., Rn. 74[↩]
- BT-Drs. 17/12163, S. 9[↩]
- mit Nachw. Jarass/Pieroth, Art.20 Rn. 45[↩]
- Johannsen/Henrich/Jaeger, Familienrecht, 6. Aufl., § 1686a BGB Rn. 5; Staudinger/Rauscher (2014), § 1686a BGB Rn. 16; BT-Drs. 17/12163, S. 13[↩]
- EGMR, Urteil vom 21.12.2010 – 20578/07[↩]
- EGMR, a. a. O. Rn. 67, 71[↩]
- vgl. BT-Drs. 17/12163, S. 14; Staudinger/Rauscher, a. a. O., Rn. 22[↩]
- BT-Drs. 17/12163, S. 17[↩]