Unterbringung – für zwei Jahre

Aktuell hatte sich der Bundesgerichtshof erneut1 mit den Voraussetzungen und Begründungsanforderungen zu befassen, wenn eine Unterbringung für länger als ein Jahr angeordnet oder genehmigt werden soll:

Unterbringung – für zwei Jahre

Dem zugrunde lag ein Fall aus Würzburg: Für den im Jahre 1965 geborenen Betroffenen besteht seit vielen Jahren eine Betreuung, deren Aufgabenkreis unter anderem die Bereiche Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung und Entscheidung über Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen umfasst. Nach gutachterlicher Diagnose leidet er an einem hirnorganischen Psychosyndrom bei Zustand nach einem durch einen Verkehrsunfall bedingten Schädel-Hirn-Trauma sowie langjähriger Alkoholabhängigkeit mit selbstständigen Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen. Beginnend mit dem Jahr 1993 befand sich der Betroffene bis März 2008 30 Mal in stationärer psychiatrischer Behandlung. Seit März 2008 wurde die Unterbringung des Betroffenen mehrfach betreuungsgerichtlich genehmigt. 

Auf Antrag des Betreuers vom 09.12.2020 hat das Amtsgericht Würzburg erneut die Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bzw. der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung bis längstens 17.06.2023 genehmigt2. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht Würzburg zurückgewiesen3, wogegen er sich mit seiner Rechtsbeschwerde wendet, auf die der Bundesgerichtshof die Beschwerdeentscheidung aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen hat; die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts halte, so der Bundesgerichtshof, hinsichtlich der Dauer der genehmigten Unterbringung einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

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Ohne Erfolg wendet sich der Betroffene allerdings dagegen, dass das Landgericht das Vorliegen der Voraussetzungen einer zivilrechtlichen Unterbringung im Sinne des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB bejaht hat. 

Gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt.

Alkoholismus für sich gesehen ist keine psychische Krankheit bzw. geistige oder seelische Behinderung in diesem Sinne, so dass allein darauf die Genehmigung der Unterbringung nicht gestützt werden kann. Ebenso wenig vermag die bloße Rückfallgefahr eine Anordnung der zivilrechtlichen Unterbringung zu rechtfertigen. Etwas anderes gilt, wenn der Alkoholismus entweder im ursächlichen Zusammenhang mit einem geistigen Gebrechen steht, insbesondere einer psychischen Erkrankung, oder ein auf den Alkoholmissbrauch zurückzuführender Zustand eingetreten ist, der das Ausmaß eines geistigen Gebrechens erreicht hat4.

Diesen rechtlichen Vorgaben entsprechend hat das Landgericht die psychische Krankheit des Betroffenen nicht (allein) aus der vom Sachverständigen gestellten Diagnose eines Abhängigkeitssyndroms vom Alkoholtyp abgeleitet, sondern insoweit vor allem auf das daneben bestehende hirnorganische Psychosyndrom abgestellt. Es hat sich dabei auf das eingeholte Sachverständigengutachten gestützt, das anders als die Rechtsbeschwerde meint die tatrichterlichen Feststellungen zum Vorliegen einer psychischen Erkrankung und einer die zivilrechtliche Unterbringung rechtfertigenden Selbstgefährdung im Sinne des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB trägt.

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Die nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB mögliche zivilrechtliche Unterbringung durch einen Betreuer wegen Selbstgefährdung des Betroffenen verlangt keine akute, unmittelbar bevorstehende Gefahr. Notwendig, aber auch ausreichend ist eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Betreuten. Der Grad der Gefahr ist in Relation zum möglichen Schaden ohne Vornahme der freiheitsentziehenden Maßnahme zu bemessen. Die Gefahr für Leib oder Leben erfordert kein zielgerichtetes Verhalten des Betroffenen, so dass etwa auch eine völlige Verwahrlosung ausreichen kann, wenn damit eine Gesundheitsgefahr durch körperliche Verelendung und Unterversorgung verbunden ist. Die Prognose einer Gefahr erheblicher gesundheitlicher Schäden ist im Wesentlichen Sache des Tatrichters5. Sie setzt objektivierbare und konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens voraus, welche hier auch im Zusammenspiel mit dem Anfallsleiden und den von einer Aspiration ausgehenden Gefahren ausreichend festgestellt worden sind.

Allerdings enthält der angefochtene Beschluss keine Begründung für das Abweichen von der gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 FamFG regelmäßig ein Jahr betragenden Höchstfrist6.

Nach dieser Vorschrift endet die Unterbringung spätestens mit Ablauf eines Jahres, bei offensichtlich langer Unterbringungsbedürftigkeit spätestens mit Ablauf von zwei Jahren, wenn sie nicht vorher verlängert wird. Die Befristung auf längstens ein Jahr stellt damit eine gesetzliche Begrenzung für die Dauer der Unterbringung dar, die nur unter besonderen Voraussetzungen überschritten werden darf. Wird über die regelmäßige Höchstfrist der geschlossenen Unterbringung von einem Jahr hinaus eine Unterbringung von bis zu zwei Jahren genehmigt oder angeordnet, ist diese Abweichung vom Regelfall im Hinblick auf den hohen Rang des Rechts auf Freiheit der Person ausreichend zu begründen. Solche Gründe können sich etwa aus konkreten Feststellungen über die Dauer einer notwendigen Therapie oder aus fehlenden Heilungs- und Besserungsaussichten bei anhaltender Eigengefährdung ergeben. Dabei erfordert das im Gesetz genannte Merkmal der „Offensichtlichkeit“, dass die Gründe für eine über ein Jahr hinaus währende Unterbringungsbedürftigkeit für das sachverständig beratene Gericht deutlich und erkennbar hervortreten7.

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Denn die Freiheit der Person ist ein so hohes Rechtsgut, dass sie nur aus besonders gewichtigem Grund angetastet werden darf. Die Einschränkung dieser Freiheit ist daher auch hinsichtlich ihrer Dauer stets der strengen Prüfung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu unterziehen8. Bei der Anordnung einer Freiheitsentziehung über ein Jahr hinaus muss dies nach dem Gesetz besonders in den Blick genommen werden. Die Prüfung der Erforderlichkeit ist hierbei auch im Hinblick darauf vorzunehmen, dass der Anspruch auf persönliche Freiheit mit Fortdauer der Unterbringung an Gewicht gewinnt und dem psychisch Kranken in gewissen Grenzen die „Freiheit zur Krankheit“ belassen werden muss, und deshalb die langfristige Unterbringung eines psychisch Kranken wie des Betroffenen des vorliegenden Verfahrens ohne die Perspektive auf Wiedererlangung der Freiheit auch unter dem Blickwinkel des Erwachsenenschutzes jedenfalls bei Krankheitsbildern wie dem des Betroffenen nur im Ausnahmefall gerechtfertigt sein wird9.

Dem genügt der angefochtene Beschluss weder, soweit er die vorliegende Symptomatik referiert, noch indem er Bezug auf die amtsgerichtliche Entscheidung nimmt, mit der auf die Ausführungen des Sachverständigen verwiesen wird. Die angegriffene Beschwerdeentscheidung des Landgerichts konnte kann daher keinen Bestand haben; sie war nach § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben und die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30. März 2022 – XII ZB 35/22

  1. im Anschluss an BGH, Beschluss BGHZ 218, 111 = FamRZ 2018, 950[]
  2. AG Würzburg, Beschluss vom 08.07.2021 – 26 XVII 1107/20[]
  3. LG Würzburg, Beschluss vom 23.12.2021 – 3 T 1561/21[]
  4. BGH, Beschluss BGHZ 218, 111 = FamRZ 2018, 950 Rn. 10 mwN[]
  5. vgl. BGH, Beschluss BGHZ 218, 111 = FamRZ 2018, 950 Rn. 14 mwN[]
  6. vgl. bereits den ebenfalls zum Betroffenen ergangenen BGH, Beschluss BGHZ 218, 111 = FamRZ 2018, 950 Rn. 33 ff.[]
  7. BGH, Beschluss BGHZ 218, 111 = FamRZ 2018, 950 Rn. 34 mwN[]
  8. BGH, Beschluss BGHZ 218, 111 = FamRZ 2018, 950 Rn.19[]
  9. vgl. BVerfG FamRZ 2015, 1367 Rn. 18 mwN und FamRZ 1998, 895, 896; BGH, Beschluss BGHZ 218, 111 = FamRZ 2018, 950 Rn. 24 mwN[]
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