Das Unterbleiben einer verfahrensordnungsgemäßen persönlichen Anhörung des Betroffenen stellt einen Verfahrensmangel dar, der derart schwer wiegt, dass der genehmigten Unterbringungsmaßnahme insgesamt der Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung anhaftet1.

Dies betrifft auch die Fälle, in denen das Beschwerdegericht nicht von einer erneuten Anhörung des Betroffenen hat absehen dürfen.
Nach § 319 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor einer Unterbringungsmaßnahme persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Diese Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG auch in einem Unterbringungsverfahren dem Beschwerdegericht die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung von zwingenden Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist2.
Auf dieser Grundlage durfte das Beschwerdegericht im vorliegenden Fall nicht von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG absehen. Denn die Anhörung des Betroffenen durch das Amtsgericht litt an einem wesentlichen Verfahrensmangel, weil ihm das eingeholte Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen worden ist. Das Beschwerdegericht hätte diesen Mangel durch die Übersendung des Sachverständigengutachtens an den Betroffenen und dessen anschließende erneute Anhörung beheben müssen.
Der Betroffene ist durch diesen Verfahrensmangel in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt worden.
Die Feststellung, dass ein Betroffener durch angefochtene Entscheidungen in seinen Rechten verletzt ist, kann grundsätzlich auch auf einer Verletzung des Verfahrensrechts beruhen. Dabei ist die Feststellung nach § 62 FamFG jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn der Verfahrensfehler so gravierend ist, dass die Entscheidung den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung hat, der durch Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist3.
Wurde in einer – wie hier – durch Zeitablauf erledigten Unterbringungssache das für die Entscheidung maßgebliche Gutachten dem Betroffenen nicht bekannt gegeben, ist von einer Verletzung des Anspruchs des Betroffenen auf rechtliches Gehör auszugehen. Schon allein dieser Verfahrensfehler ist so gewichtig, dass er die Feststellung nach § 62 FamFG zu rechtfertigen vermag, weil er einer Verwertung des gemäß § 321 Abs. 1 FamFG unabdingbaren Sachverständigengutachtens entgegensteht4.
Auch das Unterbleiben einer verfahrensordnungsgemäßen persönlichen Anhörung des Betroffenen stellt einen Verfahrensmangel dar, der derart schwer wiegt, dass der genehmigten Unterbringungsmaßnahme insgesamt der Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung anhaftet. Die durch § 319 Abs. 1 Satz 1 FamFG angeordnete persönliche Anhörung gehört zu den bedeutsamen Verfahrensgarantien, deren Verletzung die Feststellung nach § 62 FamFG rechtfertigt5.
Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse des Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der – hier durch Zeitablauf erledigten Unterbringungsmaßnahme feststellen zu lassen, liegt vor. Die gerichtliche Anordnung oder Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG6.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14. Oktober 2020 – XII ZB 146/20
- im Anschluss an BGH, Beschluss vom 29.01.2014 – XII ZB 330/13 , FamRZ 2014, 649[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 07.02.2018 – XII ZB 334/17 , FamRZ 2018, 707 Rn. 15 mwN[↩]
- vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 16.05.2018 – XII ZB 542/17 , FamRZ 2018, 1196 Rn. 14 mwN; und vom 29.01.2014 – XII ZB 330/13 , FamRZ 2014, 649 Rn. 23 mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 16.05.2018 – XII ZB 542/17 , FamRZ 2018, 1196 Rn. 15[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 29.01.2014 – XII ZB 330/13 , FamRZ 2014, 649 Rn. 24 f. mwN[↩]
- ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 16.05.2018 – XII ZB 542/17 , FamRZ 2018, 1196 Rn. 16 mwN; und vom 29.01.2014 – XII ZB 330/13 , FamRZ 2014, 649 Rn. 27 mwN[↩]
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