Einer gestuften Ausbildung (Fallgruppe Lehre-Abitur-Studium) fehlt es am sachlichen Zusammenhang, wenn im Anschluss an eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann mit Weiterbildung zum Handelsassistenten im Möbelhandel ein Studium zum Wirtschaftsingenieur im Schwerpunkt Elektrotechnik folgt. Selbst wenn die Voraussetzungen für eine gestufte Ausbildung oder eine Zweitausbildung aus persönlichen Gründen nicht vorliegen, kann sich ein Anspruch auf Ausbildungsunterhalt ergeben, wenn bislang eine angemessene Ausbildung noch nicht gewährt worden ist.

Der Unterhaltsanspruch des Kindes umfasst grundsätzlich die Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf. Angemessen ist eine Ausbildung, die der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen des Kindes am besten entspricht, ohne dass sämtliche, möglicherweise nur vorübergehende Neigungen und Wünsche berücksichtigt werden müssen. Ob das Kind in diesem Sinne eine begabungsbezogene Ausbildung anstrebt, ist eine Frage des Einzelfalls1.
Erste angemessene Berufsausbildung
Allerdings sind Eltern, die ihrem Kind eine begabungs- und neigungsgerechte Berufsausbildung haben zukommen lassen, ohne Rücksicht auf die Höhe der Kosten, die sie für die Ausbildung haben aufwenden müssen, ihrer Unterhaltspflicht damit in ausreichendem Maße nachgekommen und deshalb im Normalfall nicht verpflichtet, die Kosten einer weiteren Ausbildung zu tragen2.
Eine solche Erstausbildung hat im vorliegenden Fall der Sohn durch den Abschluss seiner Lehre zum Einzelhandelskaufmann mit der sich anschließenden Weiterbildung zum Handelsassistenten zweifelsfrei abgeschlossen.
Eine Unterhaltsverpflichtung kann sich folglich nur dann ergeben, wenn besondere Gründe dafür bestehen, ausnahmsweise von dem eben genannten Grundsatz abzuweichen.
Zweitausbildung aus persönlichen Gründen
Eine Zweitausbildung aus persönlichen Gründen ist nur dann geschuldet, wenn der von dem Kind erlernte Erstberuf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausgeübt werden kann oder aus sonstigen, bei Ausbildungsbeginn nicht vorhersehbaren Gründen keine Lebensgrundlage mehr bietet3. Hierzu ist jedoch nichts vorgetragen.
Gesundheitliche Gründe liegen nicht vor. Auch ist nicht erkennbar, dass der Sohn nach Abschluss seiner Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann und zum Handelsassistenten nicht in der Lage gewesen wäre, sich durch entsprechende Bewerbungen eine Lebensgrundlage auf Basis einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit hätte schaffen können. Allein die vergeblichen Bemühungen um eine Tätigkeit bei seinem bisherigen Arbeitgeber in einer deutlich höher qualifizierten Position stehen dem nicht entgegen.
Stufenausbildung
Ferner kommt eine fortdauernde Unterhaltspflicht in Betracht, wenn die weitere Ausbildung zweifelsfrei als eine bloße in engem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehende Weiterbildung zu dem bisherigen Ausbildungsweg anzusehen ist und von vornherein angestrebt war, oder während der ersten Ausbildung eine besondere, die Weiterbildung erfordernde Begabung deutlich wurde4.
Vorliegend ist jedoch unstreitig, dass der Sohn des Antragsgegners den Entschluss zum Studium frühestens zum Ende seiner Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann gefasst hat, nämlich zu einem Zeitpunkt, als sich seine Vorstellung eines „Aufstiegs“ im Ausbildungsunternehmen nahhaltig enttäuscht hatte.
Abitur – Lehre – Studium
Schließlich hat der Bundesgerichtshof diese Grundsätze noch für die Fälle modifiziert, in denen ein Kind nach Erlangung der Hochschulreife auf dem herkömmlichen schulischen Weg (Abitur) eine praktische Ausbildung (Lehre) absolviert hat und sich erst danach zu einem Studium entschließt (sog. Abitur-Lehre-Studium-Fälle). Grund für die Modifizierung war das zunehmend geänderte Ausbildungsverhalten der Studienberechtigten, die sich durch eine praktische Berufsausbildung eine sichere Lebensgrundlage schaffen, ein anschließendes Studium aber nicht von vornherein ausschließen wollen. Dabei hat er allerdings wegen des aus § 1610 Abs. 2 BGB abzuleitenden Merkmals der Einheitlichkeit des Ausbildungsganges daran festgehalten, dass die einzelnen Ausbildungsabschnitte in engem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehen und die praktische Ausbildung und das Studium sich jedenfalls sinnvoll ergänzen müssen. Er hat es jedoch genügen lassen, dass der Studienabschluss nicht von vornherein, sondern erst nach Beendigung der Lehre gefasst wird, weil es gerade der Eigenart des vom herkömmlichen Bild abweichenden Ausbildungsverhaltens entspricht, dass sich der Abiturient bei Aufnahme der praktischen Ausbildung vielfach noch nicht über ein anschließendes Studium schlüssig ist5.
Voraussetzung dafür ist zunächst ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Lehre und Studium, der vorliegend zweifelsfrei gegeben ist. Die zeitliche Unterbrechung zwischen Lehre und Studium ist durch die Ableistung des Grundwehrdienstes gefüllt, die kurzen Zeiten der Arbeitslosigkeit nach Abschluss der Lehre und vor Beginn des Grundwehrdienstes erklären sich von selbst.
Allerdings dürfte es an einem engen sachlichen Zusammenhang zwischen einer Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann in einem Möbelhaus und einem Studium mit dem Schwerpunkt der Elektrotechnik fehlen. Die Ausbildungsgänge gehören nicht derselben Berufssparte an und hängen auch nicht so zusammen, dass das eine für das andere eine fachliche Ergänzung, Weiterführung oder Vertiefung bedeuten würde6.
Dies zeigt bereits der Blick in die Zeugnisses des Sohnes des Antragsgegners, die für dessen Studium an der Technischen Universität in B. vorgelegt sind. Allein die Qualifizierung im Master-Studium auf Hochspannungstechnik, Plasmatechnik, regenerative Energietechnik, innovative Energiesysteme, wirtschaftliche Entwicklung von Geräten der Energietechnik und innovative Energiesysteme lässt erkennen, dass die Qualifizierung des Sohnes des Antragsgegners eindeutig im elektrotechnischen Bereich liegt. Die Bereiche Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre und betriebliches Rechnungswesen hingegen treten im Bachelor-Studium nur im Bereich des Grundlagenstudiums hinzu. Wirtschaftswissenschaftliche Vertiefungen sind im Bachelor-Studium hinsichtlich der Fächer Finanzwirtschaft, Produktion und Logistik, Volkswirtschaftslehre und Unternehmensrechnung zu verzeichnen. Die kaufmännische Ausbildung im Einzelhandel an einer Berufsschule in den Fächern Einzelhandelsbetriebslehre, Ware und Verkauf, Wirtschafts- und Sozialkunde kann dazu allenfalls eine Vermittlung von Vorkenntnissen darstellen, über die jedoch die im Studium vermittelten Kenntnisse weit hinausgehen. Der Sohn des Antragsgegners mag hier zu Beginn seines Bachelor-Studiums in den Grundlagen der Wirtschaftswissenschaften und damit einem überschaubaren Teilbereich seiner Studienleistungen von seiner Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann profitiert haben. Es bedarf angesichts der Verschiedenheit der Ausbildungsgänge jedoch keiner weiteren Ausführung, dass die Ausbildung im Bereich des Möbelhandels erkennbar keine nachhaltigen Grundlagen für das Studium des Sohnes des Antragsgegners im Schwerpunkt der Elektrotechnik hat legen können.
„Echte“ Zweitausbildung
Selbst wenn alle vorstehend genannten Ausnahmen -wie hier- nicht greifen, ist noch in Betracht zu ziehen, dass der Antragsgegner seinem Sohn eine „echte“ Zweitausbildung zu finanzieren hat. Dies kann dann der Fall sein, wenn bislang eine angemessene Ausbildung noch nicht gewährt worden ist7. Eltern schulden ihrem Kind nämlich jedenfalls Unterhalt für eine Berufsausbildung, die der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen des Kindes am besten entspricht und sich dabei in den Grenzen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit hält8. Dabei hat der Bundesgerichtshof in diesem Zusammenhang ausdrücklich klargestellt, dass die in der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Ausnahmen von dem Grundsatz der Verpflichtung zur Finanzierung nur einer Ausbildung keineswegs als abschließender, andere Fallgruppen ausschließender Katalog verstanden werden können. Haben die Eltern ihre Verpflichtung zur Finanzierung einer angemessenen Berufsausbildung noch nicht „in rechter Weise“ erfüllt, sind sie im Einzelfall auch verpflichtet, dem Kind ausnahmsweise eine angemessene zweite Ausbildung zu finanzieren9. So verhält es sich hier.
Der Sohn des Antragstellers ist erkennbar für eine Berufsausübung als Kaufmann im Möbeleinzelhandel überqualifiziert. Schon diese Ausbildung hat er mit „höheren“ Erwartungen, nämlich mit denen eines schnellen Aufstiegs innerhalb des Ausbildungsunternehmens aufgenommen. Dies ergibt sich aus dem vorgelegten Schriftverkehr des Sohnes des Antragsgegners mit seinem Ausbildungsarbeitgeber, aus dem ersichtlich wird, dass man ihm dort einen innerbetrieblichen Aufstieg in die Zentralverwaltung, mithin das Management in Aussicht gestellt hatte, als er die Ausbildung aufgenommen hat.
Auch die vorgelegten Abschlusszeugnisse sprechen insoweit eine deutliche Sprache: Der Sohn hat nicht nur die Lehre zum Einzelhandelskaufmann und zum Handelsassistenten mit guten Noten abgeschlossen, sondern seine erfreulichen Leistungen auch im Studium fortsetzen können.
Zuletzt entspricht der zuletzt eingeschlagene Werdegang des Sohns des Antragsgegners auch den in seiner Familie angelegten Perspektiven. Beide Eltern üben Berufe mit geistigen Tätigkeiten aus, ein Elternteil hat ein Hochschulstudium absolviert und erfolgreich abgeschlossen.
Dass die wirtschaftlichen Verhältnisse der Eltern ein solches Studium nach Abschluss einer Lehre nicht mehr zugelassen hätten, ist nicht ersichtlich. Der Antragsgegner ist nach seinen eigenen Angaben im Rahmen der Anhörung als Architekt tätig, er erzielt aus dieser Tätigkeit Nettoeinkünfte in Höhe von 3.501,81 € monatlich. Hinzu treten Erwerbseinkünfte der Kindesmutter in Höhe von monatlich netto 571,24 € sowie weitere zu vernachlässigende Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Nennenswerte Belastungen hingegen sind vom Antragsgegner im vorliegenden Verfahren nicht vorgetragen.
Sie ergeben sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Kindeseltern ihrem Sohn während der Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann Unterkunft im eigenen Haushalt zur Verfügung gestellt haben. Es ist in diesem Zusammenhang bereits unerheblich, ob und in welchem Umfang die Eltern finanziell zu einer Erstausbildung beigetragen haben, da § 1610 BGB nur das Ziel verfolgt, dem Kind eine angemessene Ausbildung zu verschaffen, nicht aber verlangt, dass die Eltern diese Ausbildung auch bezahlt haben10. Darüber hinaus hat der Sohn des Antragsgegners ein eigenes Ausbildungseinkommen erzielt, so dass sich der Unterhaltsanspruch gegenüber seinen Eltern ohnehin um die eigenen Einkünfte und etwa noch geflossenes Kindergeld reduziert dargestellt hat.
Verwirkung
Soweit der Vater angesprochen hat, dass Gesichtspunkte des Zeitablaufs seiner Inanspruchnahme entgegen stehen könnten, ist dem ebenfalls nicht zu folgen. Eine Verwirkung von Unterhaltsansprüchen setzt hinsichtlich des Zeitmomentes jedenfalls voraus, dass mehr als ein Jahr über die Ansprüche nicht korrespondiert worden ist11.
Oberlandesgericht Celle, Beschluss vom 18. April 2013 – 17 UF 17/13
- Botur in: Büte/Poppen/Menne, Unterhaltsrecht, 2. Aufl., § 1610 BGB, Rn. 35[↩]
- BGH FamRZ 1992, 170, Tz. 11; Botur, a. a. O., Rn. 44[↩]
- BGH FamRZ 2006, 1100, Tz. 11; Botur, a. a. O., Rn. 45[↩]
- BGH a.a.O., Tz. 15[↩]
- BGH a.a.O., Tz. 16[↩]
- BGH FamRZ 1993, 1057, Tz. 16-17, vgl. hierzu auch die zahlreichen Beispiele bei Müting in Weinreich/Klein, Familienrecht, 5. Aufl., § 1610 BGB, Rn. 161/162[↩]
- Scholz in Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 8. Auflage, § 2 Rn. 91, Botur, a. a. O., Rn. 95, Müting, a. a. O., Rn. 171[↩]
- BGH FamRZ 1993, 1057, Tz.20[↩]
- BGH FamRZ 2006, 1100, Tz. 21/22[↩]
- Scholz, a.a.O., Rn. 91[↩]
- Büte in Büte/Poppen/Menne, a.a.O., Rn. 28/29[↩]