Verfahrenskostenhilfe für das Vaterschaftsanfechtungsverfahren

In einem Vaterschaftsanfechtungsverfahren ist dem antragstellenden Beteiligten im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe ein Rechtsanwalt beizuordnen.

Verfahrenskostenhilfe für das Vaterschaftsanfechtungsverfahren

In Familiensachen, die weder Ehesachen noch Familienstreitsachen sind, ergibt sich ein Anspruch auf Verfahrenskostenhilfe aus den §§ 76 ff. FamFG. Die Voraussetzungen der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der bewilligten Verfahrenskostenhilfe sind in § 78 FamFG geregelt. Die Vorschrift unterscheidet ausdrücklich zwischen Verfahren mit Anwaltszwang (§ 78 Abs. 1 FamFG) und Verfahren, in denen eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben ist (§ 78 Abs. 2 FamFG). Ist eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben, wird dem Beteiligten auf seinen Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl nur beigeordnet, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint.

Nach § 114 Abs. 1 FamFG müssen sich die Ehegatten in Ehe- und Folgesachen sowie die Beteiligten in selbständigen Familienstreitsachen durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. In den übrigen Familiensachen, zu denen auch Abstammungssachen und damit gemäß § 169 Nr. 4 FamFG das Verfahren auf Anfechtung der Vaterschaft gehört, ist die Vertretung durch einen Rechtsanwalt vor dem Familiengericht und dem Oberlandesgericht nicht vorgeschrieben. Damit richtet sich die Beiordnung eines Rechtsanwalts in diesen Verfahren nach § 78 Abs. 2 FamFG.

Der Bundesgerichtshof hat sich in seinem Beschluss vom 23.06.2010 zur Beiordnung eines Rechtsanwalts in einem Umgangsrechtsverfahren bereits grundlegend zu § 78 Abs. 2 FamFG geäußert1. Danach kann sich das Verfahren für einen Beteiligten allein wegen einer schwierigen Sachlage oder allein wegen einer solchen Rechtslage so kompliziert darstellen, dass auch ein bemittelter Beteiligter einen Rechtsanwalt hinzuziehen würde2. Die Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts beurteilt sich zudem nach den subjektiven Fähigkeiten des betroffenen Beteiligten3. Allein die existentielle Bedeutung der Sache kann die Beiordnung eines Rechtsanwalts nach neuem Recht dagegen nicht mehr begründen4.

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In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist streitig, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen in Abstammungssachen eine Rechtsanwaltsbeiordnung nach § 78 Abs. 2 FamFG in Betracht kommt5.

Die wohl überwiegende Auffassung spricht sich grundsätzlich für die Beiordnung eines Rechtsanwalts aus6. Das Oberlandesgericht Koblenz7 stellt maßgeblich darauf ab, ob ein Abstammungsgutachten einzuholen sei; dessen Auswertung begründe eine schwierige Sachlage, die die Beiordnung eines Rechtsanwalts erforderlich mache. Das Oberlandesgericht Dresden8 und das Oberlandesgericht Schleswig9 halten eine Beiordnung jedenfalls dann für erforderlich, wenn die Beteiligten entgegengesetzte Ziele verfolgen.

Die Gegenmeinung vertritt die Auffassung, dass bei der Frage, ob ein Rechtsanwalt beizuordnen sei, ein enger Maßstab anzulegen sei10. Auch die Einholung eines Abstammungsgutachtens begründe noch keine schwierige Sach- und Rechtslage11. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts sei in einfach gelagerten Vaterschaftsfeststellungsverfahren ohne Besonderheiten nicht erforderlich12. Schließlich sei eine Beiordnung entbehrlich, wenn das Jugendamt das Kind vertrete13.

Der Bundesgerichtshof folgt der erstgenannten Auffassung mit der Maßgabe, dass jedenfalls in einem Vaterschaftsanfechtungsverfahren dem antragstellenden Beteiligten im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe ein Rechtsanwalt beizuordnen ist. Denn insoweit weist die Rechtslage im Sinne von § 78 Abs. 2 FamFG Schwierigkeiten auf.

Im Vaterschaftsanfechtungsverfahren werden an den Vortrag des Antragstellers besondere Anforderungen gestellt (vgl. § 171 Abs. 2 FamFG). Es genügt nicht, wenn er sich auf den Vortrag beschränkt, der betreffende Beteiligte sei nicht der Vater des Kindes; vielmehr müssen die Gründe für die Zweifel an der Vaterschaft im Einzelnen dargelegt werden14.

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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem in Abstammungssachen geltenden Untersuchungsgrundsatz, der in § 177 Abs. 1 FamFG geregelt ist. Dies folgt schon daraus, dass der Amtsermittlungsgrundsatz im Vaterschaftsanfechtungsverfahren nicht uneingeschränkt gilt. Von den beteiligten Personen nicht vorgebrachte Tatsachen dürfen nämlich nur berücksichtigt werden, wenn sie geeignet sind, dem Fortbestand der Vaterschaft zu dienen, oder wenn der die Vaterschaft Anfechtende einer Berücksichtigung nicht widerspricht. § 177 Abs. 1 FamFG knüpft an die bis zum 1.09.2009 geltende Vorschrift des § 640 d ZPO an, zu der der Bundesgerichtshof ausgeführt hat, dass das Gericht für das Anfechtungsbegehren günstige Tatsachen schon dann nicht berücksichtigen dürfe, wenn sie mit dem Tatsachenvortrag des Anfechtenden nicht vereinbar seien. Es liegt mithin in der Hand des Antragstellers, ob die relevanten Umstände im Verfahren eingeführt werden dürfen oder nicht. Dann kann der Antragsteller aber Tatsachenvortrag, der an sich erforderlich wäre, nicht mit der Begründung unterlassen, die entsprechenden Tatsachen könnten vom Gericht von Amts wegen eingeführt werden. Dem Gericht ist auch nicht zuzumuten, wenn der Antragsteller einen entsprechenden Vortrag unterlässt, diese Umstände von Amts wegen zu ermitteln und dann abzuwarten, ob der Antragsteller ihre Verwertung hinnimmt oder anders vorträgt15.

Im Übrigen muss den Beteiligten unabhängig von der in § 26 FamFG grundsätzlich geregelten Amtsermittlungspflicht die Möglichkeit verbleiben, das Verfahren im eigenen Interesse zu betreiben und zu begleiten. Auch in Verfahren mit Amtsermittlung darf ein mittelloser Beteiligter insoweit nicht schlechter gestellt werden als ein Beteiligter, der die Kosten des Verfahrens selbst aufbringen kann16.

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Sofern – wie es dem Regelfall entspricht – ein Abstammungsgutachten eingeholt worden ist, ist es für den nicht anwaltlich vertretenen Beteiligten häufig schwierig einzuschätzen, ob das Gutachten mangelfrei und in verfahrensrechtlich zulässiger Weise eingeholt worden ist. Zwar ist dem Beschwerdegericht darin Recht zu geben, dass ein Rechtsanwalt regelmäßig die wissenschaftlichen Angaben in dem Gutachten nicht wird verifizieren können. Allerdings wird er im Zweifel besser als der durch ihn vertretene Beteiligte beurteilen können, ob das Gutachten angreifbar ist17.

Weitere Schwierigkeiten treten im Abstammungsverfahren bei der Prüfung auf, wer die beteiligten minderjährigen Kinder vertreten kann18.

Schließlich hat das Beschwerdegericht selbst ausgeführt, dass im Abstammungsverfahren strenge Beweisanforderungen gelten würden, die den Familiengerichten erfahrungsgemäß Schwierigkeiten bereiteten.

Die vorstehenden Gesichtspunkte zeigen, dass es sich bei dem Anfechtungsverfahren um ein vom allgemeinen Zivilprozess stark abweichendes Verfahren eigener Art handelt, das die Beiordnung eines Rechtsanwalts als geboten erscheinen lässt19.

Zwar hat der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 23.06.2010 ausgeführt, dass sich die Erforderlichkeit der anwaltlichen Vertretung nach den Umständen des Einzelfalles beurteile und die gebotene einzelfallbezogene Prüfung eine Herausbildung von Regeln, nach denen dem mittellosen Beteiligten für bestimmte Verfahren immer oder grundsätzlich ein Rechtsanwalt beizuordnen ist, nur in engen Grenzen zulasse20. Da sich die Rechtslage im Vaterschaftsanfechtungsverfahren aber regelmäßig als schwierig im Sinne von § 78 Abs. 2 FamFG erweist und sich zu Beginn des Verfahrens nicht sicher einschätzen lässt, welche der vorerwähnten Schwierigkeiten im weiteren Verfahren möglicherweise auftreten werden, sind die vom Bundesgerichtshof benannten Grenzen für eine pauschal anzunehmende Erforderlichkeit der Beiordnung gewahrt.

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Gemessen an den vorstehenden Anforderungen ist im vorliegend vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall die Beiordnung eines Rechtsanwalts geboten: Im vorliegenden Vaterschaftsanfechtungsverfahren begehren die Kinder als Antragsteller die Beiordnung eines Rechtsanwalts. Der Umstand, dass die Beteiligten keine widerstreitenden Interessen wahrnehmen, vielmehr rechtliche Vater seinerseits einen Anfechtungsantrag erwogen hat, ändert nichts daran, dass das Anfechtungsverfahren die oben im Einzelnen dargestellten – objektiven – Schwierigkeiten aufweist. Auf die existenzielle Bedeutung des Verfahrens kommt es vorliegend ebenso wenig an wie auf etwaige subjektive Defizite seitens der Antragstellerinnen.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13. Juni 2012 – XII ZB 218/11

  1. BGH, Beschluss BGHZ 186, 70 = FamRZ 2010, 1427[]
  2. BGH, Beschluss BGHZ 186, 70 = FamRZ 2010, 1427 Rn. 14[]
  3. BGH, Beschluss BGHZ 186, 70 = FamRZ 2010, 1427 Rn. 25[]
  4. vgl. BGHZ 186, 70 = FamRZ 2010, 1427 Rn.19 unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung [BT-Drucks. 16/6308 S. 2214]; anders noch zum – bis August 2009 für die Abstammungsverfahren geltenden – § 121 Abs. 2 ZPO jedenfalls bei widerstreitenden Interessen: BGH, Beschlüsse vom 11.09.2007 XII ZB 27/07, FamRZ 2007, 1968 Rn. 8 und vom 02.06.2010 XII ZB 60/09, FamRZ 2010, 1243 Rn. 16[]
  5. vgl. zum Meinungsstand Büte FPR 2011, 356, 359 f.[]
  6. OLG Frankfurt ZKJ 2010, 162; OLG Celle FamRZ 2012, 467; OLG Hamm FamRZ 2010, 1363; OLG Hamburg FamRZ 2011, 129[]
  7. OLG Koblenz, FamRZ 2011, 914[]
  8. OLG Dresden [24. ZS], FamRZ 2010, 2007[]
  9. OLG Schleswig, FamRZ 2011, 388[]
  10. OLG Saarbrücken, FamRZ 2010, 1001[]
  11. OLG Oldenburg FamRZ 2011, 914[]
  12. OLG Dresden [23. ZS], Beschluss vom 28.07.2010 – 23 WF 535/10[]
  13. OLG Brandenburg, FamRZ 2011, 1311; ähnlich AG Ludwigslust, FamRZ 2010, 1691[]
  14. BGH, Urteil vom 22.04.1998 – XII ZR 229/96, FamRZ 1998, 955 ff.; siehe auch BGH, Urteil vom 14.02.1990 – XII ZR 12/89, FamRZ 1990, 507, 509 f.[]
  15. vgl. BGH, Urteil vom 22.04.1998 XII ZR 229/96, FamRZ 1998, 955, 956[]
  16. vgl. zu dem bis August 2009 für die Abstammungsverfahren geltenden § 121 Abs. 2 ZPO BGH, Beschluss vom 02.06.2010 – XII ZB 60/09, FamRZ 2010, 1243 Rn. 17, unter Hinweis auf BVerfG FamRZ 2002, 531, 532[]
  17. vgl. zur Angreifbarkeit von Abstammungsgutachten etwa BGH, Urteil vom 03.05.2006 – XII ZR 195/03, FamRZ 2006, 1745[]
  18. vgl. dazu BGH, Beschluss vom 21.03.2012 – XII ZB 510/10, FamRZ 2012, 859[]
  19. so zu dem bis August 2009 für die Abstammungsverfahren geltenden § 121 Abs. 2 ZPO BGH, Beschluss vom 11.09.2007 XII ZB 27/07, FamRZ 2007, 1968 Rn. 9; s. auch BGH, Beschluss vom 02.06.2010 – XII ZB 60/09, FamRZ 2010, 1243 Rn. 21; zum neuen Recht noch offen gelassen in BGH, Beschluss BGHZ 186, 70 = FamRZ 2010, 1427 Rn.19[]
  20. BGHZ 186, 70 = FamRZ 2010, 1427 Rn. 18[]
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