Das Rechtsschutzbedürfnis muss grundsätzlich noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegeben sein.

Nach Erledigung des mit der Verfassungsbeschwerde verfolgten Begehrens kann es fortbestehen, wenn anderenfalls entweder die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung unterbliebe und der gerügte Grundrechtseingriff besonders belastend erscheint, eine Wiederholung der angegriffenen Maßnahme zu besorgen ist oder die aufgehobene oder gegenstandslos gewordene Maßnahme den Beschwerdeführer noch weiterhin beeinträchtigt1.
Für das Vorliegen der Annahme- und Zulässigkeitsvoraussetzungen, zu denen das Rechtsschutzbedürfnis gehört, auch noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts trägt die beschwerdeführende Person die aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgende Begründungslast2.
Dieser ist die beschwerdeführende Mutter in der vorliegenden; vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommenen Verfassungsbeschwerde nicht nachgekommen:
Die einstweilige Anordnung des Familiengerichts zum Umgang betraf nur den Zeitraum zwischen dem 19.08.und dem 10.09.2022. Nach dessen Ablauf galt und gilt die von der Mutter nicht beanstandete, gerichtlich gebilligte elterliche Umgangsregelung aus dem Mai 2022. Der angegriffene Beschluss des Familiengerichts vom 16.08.2022 hatte sich daher bereits vor Eingang der Verfassungsbeschwerde vom 14.09.2022 erledigt.
Die Begründung der Verfassungsbeschwerde verhält sich ausdrücklich nicht zu den Voraussetzungen eines ausnahmsweise dennoch (fort-)bestehenden Rechtsschutzbedürfnisses. Diese liegen auch nicht derart auf der Hand, dass es der Einhaltung der Begründungsanforderungen nicht bedürfte3.
Eine fortbestehende erhebliche Beeinträchtigung der Mutter durch die einstweilige Anordnung des Familiengerichts ist ebenso wenig ersichtlich wie eine Wiederholungsgefahr. Soweit sich die Mutter durch die in der Sache ergangene Entscheidung und die Verfahrensweise des Familiengerichts in ihrem Anspruch auf ein faires Verfahren aus Art.20 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG beeinträchtigt sieht, lässt sich weder erkennen, dass ohne eine verfassungsgerichtliche Entscheidung eine verfassungsrechtliche Frage von grundlegender Bedeutung ungeklärt bliebe, noch, dass der (behauptete) Grundrechtverstoß besonders belastend erscheint. Zwar mag nach materiellem Fachrecht die einstweilige Anordnung ihre Grundlage wegen der Abänderung einer gerichtlich gebilligten Umgangsvereinbarung eher in § 1696 Abs. 1 BGB gehabt haben als in dem vom Familiengericht herangezogenen § 1684 Abs. 1 bis 3 BGB. Daraus lässt sich aber kein Verstoß gegen das faire Verfahren oder gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG ableiten. Da das Familiengericht ohne erkennbaren oder dargelegten Verfassungsverstoß in tatsächlicher Hinsicht davon ausgegangen ist, dass die Eltern sich in der Beratung durch das Jugendamt abweichend von der ursprünglichen Umgangsregelung auf den vom Vater für die Sommerferien 2022 begehrten Umgang verständigt hatten, dürften wegen dieser angenommenen Vereinbarung die Voraussetzungen von § 1696 Abs. 1 BGB vorgelegen haben4. Das dringende Regelungsbedürfnis im Sinne von § 49 Abs. 1 FamFG ergab sich offensichtlich aus den zeitlichen Abläufen. Mithin fehlt es insoweit bereits an einem Grundrechtsverstoß.
Auch aus der Verfahrensweise des Familiengerichts ist keine auf der Hand liegende Verletzung der Mutter ersichtlich, die ein Rechtsschutzbedürfnis trotz Erledigung begründen könnte. Dass das Familiengericht das Begehren des Vaters trotz des in seinem Antrag verwendeten Begriffs Herausgabe als Antrag auf eine (geänderte) Umgangsregelung ausgelegt hat, lässt auf der Grundlage der Gründe des von der Mutter vorgelegten, hier nicht angegriffenen familiengerichtlichen Beschlusses vom 31.08.2022 verfassungsrechtlich insoweit einen auf der Hand liegenden Verfassungsverstoß nicht erkennen. Eine solche Auslegung des ursprünglichen Antrags des Vaters dürfte nach den vom Familiengericht benannten Umständen eher nahegelegen haben. Angesichts dessen findet die Einschätzung der Mutter, das Familiengericht habe nach der mündlichen Verhandlung vom 16.08.2022 telefonisch bei dem Verfahrensbevollmächtigten des Vaters auf eine „Antragsänderung“ hingewirkt, keine hinreichende Stütze in den mit der Verfassungsbeschwerde vorgelegten Unterlagen. Nähere Darlegungen zu den Voraussetzungen eines trotz Erledigung fortbestehenden Rechtsschutzbedürfnisses waren daher erforderlich.
Die Begründung der Verfassungsbeschwerde zeigt entgegen den Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG die Möglichkeit einer Verletzung der Mutter in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten auch nicht auf, soweit sie sich gegen die gerichtlichen Entscheidungen über die Ablehnung von Verfahrenskostenhilfe im einstweiligen Anordnungsverfahren wendet.
Es fehlt jegliche inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Beschluss des Oberlandesgerichts vom 09.09.2022, mit dem es die sofortige Beschwerde wegen fehlender Statthaftigkeit des Rechtsmittels als unzulässig verworfen hat. Das Oberlandesgericht hat sich dafür auf eine der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs5 entsprechende Auslegung von § 127 Abs. 2 ZPO gestützt. Dass diese Auslegung und die darauf beruhende Anwendung im vorliegenden Fall mit der – nicht ausdrücklich gerügten – Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art.20 Abs. 3 GG, dem Willkürverbot oder dem Grundsatz des fairen Verfahrens unvereinbar sein könnte, ist weder dargelegt noch ersichtlich.
Die Verfassungsbeschwerde zeigt auch für den die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Familiengerichts vom 17.08.2022 die Möglichkeit einer Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten nicht substantiiert auf.
Auslegung und Anwendung des fachrechtlich maßgeblichen § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO wie auch des jeweils anzuwendenden einfachen Rechts obliegt hierbei in erster Linie den zuständigen Fachgerichten, die dabei von Verfassungs wegen den Zweck der Prozess- und Verfahrenskostenhilfe zu beachten haben. Das Bundesverfassungsgericht kann nur eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist, insbesondere wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der durch das Grundgesetz in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art.20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen6. Das ist namentlich dann der Fall, wenn das Fachgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung überspannt und dadurch der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlt wird7.
Eine damit unvereinbare Handhabung von § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO durch das Familiengericht zeigt die Verfassungsbeschwerde nicht substantiiert auf. Insbesondere wird nicht dargelegt, dass die der Entscheidung des Familiengerichts zugrundeliegende Beweiswürdigung und die darauf aufbauende Feststellung einer Einigung der Eltern über den Umgang im Zusammenhang mit dem Gespräch bei dem Jugendamt Verfassungsrecht verletzten. Nach im Fachrecht verbreiteter Auffassung gestattet Einigkeit der Eltern über eine Änderung des Umgangs eine die bisherige Umgangsregelung abändernde gerichtliche Entscheidung. Dann ließ sich aber auch ohne Verkennung der Bedeutung der Rechtsschutzgleichheit annehmen, die von der Mutter verfolgte Rechtsverteidigung biete keine hinreichende Erfolgsaussicht.
In der Verfassungsbeschwerde wird angesichts dessen auch nicht substantiiert ausgeführt, dass die Handhabung von § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO durch das Familiengericht willkürlich oder unter Verletzung des Gebots fairen Verfahrens erfolgt ist. Soweit die Mutter sich darauf stützen will, dass das Familiengericht ihr ein Telefonat zwischen der zuständigen Abteilungsrichterin und dem Verfahrensbevollmächtigten des Vaters nicht zur Kenntnis gegeben und keine Möglichkeit der Stellungnahme eingeräumt hat, dürfte sie der Sache nach eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend machen. Eine entsprechende Anhörungsrüge wurde im fachgerichtlichen Verfahren aber nicht erhoben. Im Übrigen ist nicht dargetan, welchen für die Entscheidung über die beantragte Verfahrenskostenhilfe erheblichen Vortrag die Mutter gehalten hätte, wenn sie vor dem Beschluss vom 17.08.2022 über das Telefonat informiert worden wäre.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 27. Dezember 2022 – 1 BvR 1791/22
- vgl. BVerfGE 159, 223 <273 Rn. 98> stRspr[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.10.2021 – 1 BvR 1416/17, Rn. 7 f. m.w.N.[↩]
- zum Maßstab siehe BVerfG, Beschlüsse vom 25.06.2021 – 1 BvR 2027/20, Rn. 13 m.w.N.; und vom 25.05.2022 – 1 BvR 326/22, Rn. 11[↩]
- vgl. Coester, in: Staudinger, BGB, Stand: 1.09.2021, § 1696 Rn. 113 m.w.N.[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 18.05.2011 – XII ZB 265/10, Rn. 12[↩]
- vgl. BVerfGE 56, 139 <144> 81, 347 <357 f.>[↩]
- BVerfGE 81, 347 <358>[↩]