Versorgungsausgleich – und die Grundrenten-Entgeltpunkte für langjährige Versicherung

Entgeltpunkte aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (sog. Grundrenten-Entgeltpunkte) sind im Wertausgleich bei der Scheidung regelmäßig auch dann ausgleichsreif, wenn der ausgleichsberechtigte Ehegatte bereits eine Vollrente wegen Alters bezieht und es nach seinen aktuellen Verhältnissen zu einer Einkommensanrechnung nach § 97 a SGB VI käme1.

Versorgungsausgleich – und die Grundrenten-Entgeltpunkte für langjährige Versicherung

Bei dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (§ 76 g SGB VI) handelt es sich um ein im Versorgungsausgleich auszugleichendes Anrecht handelt2. Dieser stellt ein eigenständiges Anrecht dar, das im Versorgungsausgleich gesondert intern zu teilen ist und deshalb weder den allgemeinen Entgeltpunkten hinzugerechnet noch solchen im Rahmen einer Geringfügigkeitsprüfung nach § 18 Abs. 1 VersAusglG gegenübergestellt werden darf (§ 120 f Abs. 2 Nr. 3 SGB VI; vgl. BGH, Beschluss vom 01.03.2023 XII ZB 360/22 FamRZ 2023, 761 Rn. 25).

Entgegen der Auffassung des Saarländischen Oberlandesgerichts3 erfüllt der Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung auch grundsätzlich die Voraussetzungen der Ausgleichsreife im Sinne von § 19 Abs. 1 und 2 VersAusglG. Zu Unrecht hat das Oberlandesgericht angenommen, der Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung sei gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 3 VersAusglG deshalb nicht ausgleichsreif, weil sein Ausgleich im konkreten Fall für die ausgleichsberechtigte Person unwirtschaftlich wäre.

Unwirtschaftlichkeit im Sinne dieser Bestimmung setzt voraus, dass sich der Ausgleich voraussichtlich nicht zugunsten der ausgleichsberechtigten Person auswirken wird, was etwa dann der Fall ist, wenn der Ausgleichsberechtigte eine erforderliche Wartezeit nicht mehr erfüllen kann. Im Unterschied hierzu kann jedoch grundsätzlich nicht bereits im Versorgungsausgleichsverfahren festgestellt werden, dass die nach § 97 a SGB VI vorgesehene Einkommensanrechnung zu einer Unwirtschaftlichkeit des Ausgleichs insoweit führt. Denn selbst wenn es nach den aktuellen Verhältnissen des Ehemanns zu einer Einkommensanrechnung käme, kann sich dies jährlich ändern4.

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Anzurechnendes Einkommen im Leistungsbezug ist gemäß § 97 a Abs. 2 Nr. 1 SGB VI namentlich das zu versteuernde Einkommen nach § 2 Abs. 5 EStG. Darunter ist das Einkommen zu verstehen, vermindert um die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG und um die sonstigen vom Einkommen abzuziehenden Beträge. Einkommen ist der Gesamtbetrag der der Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte, vermindert um die Sonderausgaben und die außergewöhnlichen Belastungen (§ 2 Abs. 4 EStG). Bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens werden somit vom Gesamtbetrag der Einkünfte Sonderausgaben wie etwa Vorsorgeaufwendungen, individuelle Freibeträge und außergewöhnliche Belastungen abgezogen. Da sich Art und Höhe der zu berücksichtigenden Abzüge wie beispielsweise hinzutretende Pflegekosten als außergewöhnliche Belastung (§ 33 EStG) oder Pauschbeträge für Menschen mit Behinderungen (§ 33 b EStG) jährlich ändern können, bieten die vom Saarländischen Oberlandesgericht allein anhand von errechneten Versorgungsbezügen angestellten Erwägungen keine ausreichende Anknüpfung für die Ermittlung eines (dauerhaft) anzurechnenden Einkommens und somit für die Annahme, der Ausgleich werde sich dauerhaft nicht zugunsten der ausgleichsberechtigten Person auswirken5.

In so gelagerten Fällen begegnet die Durchführung der Teilung auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken6.

Zwar kann die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Versorgungsausgleichs entfallen, wenn bei dem Ausgleichspflichtigen eine Anrechtskürzung erfolgt, ohne dass sich dies entsprechend im Erwerb eines selbständigen Anrechts für den Ausgleichsberechtigten auswirkt, und somit der Ausgleichspflichtige ein Opfer erbringt, das im Ergebnis seinen Zweck verfehlt7. Eine endgültige Zweckverfehlung kann indessen nicht angenommen werden, solange nicht feststeht, dass der Ausgleichsberechtigte infolge von Einkommensanrechnung dauerhaft keinen Rentenanteil aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung erlangen kann. Zudem würde bei fortbestehender Ehe auf den Rentenanteil des Versorgungsberechtigten aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung nicht nur sein eigenes Einkommen, sondern auch das seines Ehegatten angerechnet (§ 97 a Abs. 1 und Abs. 4 Satz 4 SGB VI).

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Von dem sonach bereits bei der Scheidung durchzuführenden Ausgleich ist auch nicht wegen Geringfügigkeit abzusehen.

Die Beurteilung dieser Frage richtet sich nach § 18 Abs. 2 VersAusglG, da der Ehemann während der Ehezeit kein gleichartiges Anrecht, nämlich keine Entgeltpunkte aus einem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung, erworben hat. Der vom Versorgungsträger hinsichtlich des Zuschlags an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung angegebene, mit dem Ausgleichswert korrespondierende Kapitalwert liegt deutlich über der bei Ehezeitende geltenden Bagatellgrenze (§ 18 Abs. 3 VersAusglG), so dass nicht wegen Geringfügigkeit von einem Ausgleich der Anrechte abgesehen werden kann.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28. Juni 2023 – XII ZB 81/23

  1. Fortführung von BGH, Beschluss vom 01.03.2023 XII ZB 360/22 FamRZ 2023, 761[]
  2. vgl. BGH, Beschluss vom 01.03.2023 XII ZB 360/22 FamRZ 2023, 761 Rn. 8 ff. mwN[]
  3. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 30.01.2023 – 6 UF 158/22[]
  4. BGH, Beschluss vom 01.03.2023 XII ZB 360/22 FamRZ 2023, 761 Rn. 21 f. mwN[]
  5. vgl. BGH, Beschluss vom 01.03.2023 XII ZB 360/22 FamRZ 2023, 761 Rn. 23 mwN[]
  6. aA Schwamb NZFam 2023, 453, 455[]
  7. BVerfGE 153, 358 = FamRZ 2020, 1078 Rn. 50 f.[]