Mit der Inhaltskontrolle von Scheidungsfolgenvereinbarungen hatte sich aktuell erneut der Bundesgerichtshof zu befassen:

Anlass dafür bot dem Bundesgerichtshof ein isolierten Verfahren zum Versorgungsausgleich, in dem sich geschiedene Ehegatten darüber stritten, ob dieser wirksam durch eine Scheidungsfolgenvereinbarung ausgeschlossen worden ist.
- Der Ausgangssachverhalt
- Isolierter Versorgungsausgleich nach Rechtskraft des Scheidungsurteils
- Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle einer Scheidungsfolgenvereinbarung
- Verzicht auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs
- Ausschluss des Versorgungsausgleichs – und das Gebot der ehelichen Solidarität
- Gesamtwürdigung der Scheidungsfolgenvereinbarung
- Nichtigkeit einzelner Regelungen in der Scheidungsfolgenvereinbarung
- Scheidungsfolgenvereinbarung – und die Ausübungskontrolle
- Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage
Der Ausgangssachverhalt
Die im März 1960 geborene Antragstellerin und der im Juli 1939 geborene Antragsgegner heirateten am 23.10.1981. Aus ihrer Ehe sind drei (in den Jahren 1981, 1982 und 1985 geborene) Kinder hervorgegangen. Als sie sich schon in der Trennungsphase befanden, schlossen die Beteiligten am 19.07.1994 eine notarielle Vereinbarung. In Teil A dieser Urkunde übertrug die Antragstellerin ihre ideelle Miteigentumshälfte am gemeinsamen Hausgrundstück – gegen Übernahme der darauf lastenden Verbindlichkeiten – auf den Antragsgegner. Diese Übertragung erfolgte vor dem Hintergrund, dass der Kaufpreis für das Hausgrundstück aus dem Erlös gezahlt wurde, den der Antragsgegner durch den Verkauf seiner ererbten Immobilie erzielt hatte. Teil B der notariellen Urkunde enthielt einen Erbvertrag, in welchem der Antragsgegner als Erblasser im Wege des (Voraus-)Vermächtnisses den drei gemeinsamen Kindern der Beteiligten das Hausgrundstück zu jeweils einem Drittel zuwandte. Das lebzeitige Verfügungsrecht des Antragsgegners nach § 2286 BGB wurde ausdrücklich nicht eingeschränkt. Neben einem wechselseitigen Pflichtteilsverzicht (Teil C der Urkunde) trafen die Beteiligten ferner eine Scheidungsfolgenvereinbarung, durch die sie für den Fall der Scheidung wechselseitig auf Zugewinn- und Versorgungsausgleichsansprüche sowie auf jegliche nacheheliche Unterhaltsansprüche verzichteten (Teil D der Urkunde).
Nach der Geburt ihres dritten Kindes nahm die Antragstellerin im Jahr 1987 ihre frühere Tätigkeit in einer Kurklinik wieder auf, zunächst in Teilzeit und später (auch zum Zeitpunkt der Trennung) in Vollzeit. Zwei Jahre nach der Trennung reduzierte sie ihre Tätigkeit wegen der Betreuung der drei gemeinsamen Kinder auf sechs bis sechseinhalb Stunden täglich, bevor sie diese (als Abteilungsleiterin des Bereichs „Sport und Gymnastik“) wegen finanzieller Schwierigkeiten des Arbeitgebers im Jahr 2000 aufgab. Nach einer einjährigen Phase der Arbeitslosigkeit absolvierte sie eine Ausbildung zur Fußpflegerin und Podologin. Diesen Beruf übte sie zunächst halbschichtig als Angestellte und seit dem Jahr 2006 vollschichtig in selbständiger Tätigkeit aus.
Auf den am 27.10.1995 zugestellten Scheidungsantrag wurde die Ehe der Beteiligten durch Urteil des Amtsgerichts vom 01.03.1996 rechtskräftig geschieden. Im Verhandlungsprotokoll stellte das Amtsgericht fest: „Der Versorgungsausgleich ist durch notariellen Vertrag vom 19.07.1994 ausgeschlossen.“ Das Scheidungsurteil enthält weder im Tenor noch in den Gründen Ausführungen zum Versorgungsausgleich. Während der gesetzlichen Ehezeit vom 01.10.1981 bis zum 30.09.1995 (§ 3 Abs. 1 VersAusglG) hat die Antragstellerin ein Anrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung mit einem Ausgleichswert von 4, 4738 Entgeltpunkten (zum Ende der Ehezeit entsprechend einer Monatsrente von 105,75 €) sowie einem korrespondierenden Kapitalwert von 21.686, 53 € und der Antragsgegner ein solches mit einem Ausgleichswert von 11, 3730 Entgeltpunkten (zum Ende der Ehezeit entsprechend einer Monatsrente von 268,82 €) sowie einem korrespondierenden Kapitalwert von 55.130, 07 € erworben. Eine als betriebliche Altersvorsorge abgeschlossene Direktversicherung wurde dem Antragsgegner in einer Größenordnung von 32.000 € vertragsgemäß zum 1.06.2004 ausgezahlt.
Nach der Ehescheidung teilte der Antragsgegner sein Hausgrundstück in zwei Wohneinheiten auf. Eine Wohnung veräußerte er an den Ehemann seiner Tochter aus seiner früheren Ehe; die andere Wohnung veräußerte er an seine jetzige Ehefrau. Seit dem 1.08.2004 bezieht der Antragsgegner eine Regelaltersrente, die sich inzwischen auf rund 1.500 € monatlich beläuft.
Das Amtsgericht Freudenstadt hat festgestellt, dass ein Versorgungsausgleich bei der Scheidung nicht stattfindet1. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin hat das Oberlandesgericht Stuttgart zurückgewiesen2. Der Bundesgerichtshof wies nun auch die vom Oberlandesgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragstellerin, mit der diese ihr Begehren weiter verfolgte, zurück:
Isolierter Versorgungsausgleich nach Rechtskraft des Scheidungsurteils
Zutreffend hat das Oberlandesgericht angenommen, dass die Rechtskraft des Scheidungsurteils vom 01.03.1996 der Zulässigkeit des Antrags auf Durchführung des Versorgungsausgleichs nicht entgegensteht. Das Amtsgericht hat in seinem Scheidungsurteil nicht festgestellt, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet. Nur eine solche – auf einer materiell-rechtlichen Prüfung beruhende – Feststellung hätte in Rechtskraft erwachsen3 und das vorliegende Verfahren hindern können.
Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle einer Scheidungsfolgenvereinbarung
Das Oberlandesgericht ist ferner mit Recht davon ausgegangen, dass die Scheidungsfolgenvereinbarung der Beteiligten einer Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle standhält und eine Anpassung nach den Grundsätzen über die Störung der Geschäftsgrundlage nicht in Betracht kommt.
Das Oberlandesgericht ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die in der Scheidungsfolgenvereinbarung vom 19.07.1994 enthaltene Abrede zum Versorgungsausgleich sowohl für sich genommen als auch im Rahmen einer Gesamtwürdigung einer Wirksamkeitskontrolle am Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB standhält.
Die gesetzlichen Regelungen über nachehelichen Unterhalt, Zugewinn- und Versorgungsausgleich unterliegen grundsätzlich der vertraglichen Disposition der Ehegatten. Diese darf allerdings nicht dazu führen, dass der Schutzzweck der gesetzlichen Regelungen durch vertragliche Vereinbarungen beliebig unterlaufen werden kann. Das wäre der Fall, wenn dadurch eine evident einseitige und durch die individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigte Lastenverteilung entstünde, die hinzunehmen für den belasteten Ehegatten – unter angemessener Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten und seines Vertrauens in die Geltung der getroffenen Abrede – bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe unzumutbar erscheint. Die Belastungen des einen Ehegatten werden dabei umso schwerer wiegen und die Belange des anderen Ehegatten umso genauerer Prüfung bedürfen, je unmittelbarer die vertragliche Abbedingung gesetzlicher Regelungen in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreift4.
Das Verdikt der Sittenwidrigkeit wird dabei regelmäßig nur in Betracht kommen, wenn durch den Vertrag Regelungen aus dem Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts ganz oder jedenfalls zu erheblichen Teilen abbedungen werden, ohne dass dieser Nachteil für den anderen Ehegatten durch anderweitige Vorteile gemildert oder durch die besonderen Verhältnisse der Ehegatten, den von ihnen angestrebten oder gelebten Ehetyp oder durch sonstige gewichtige Belange des begünstigten Ehegatten gerechtfertigt wird5.
Diese Grundsätze gelten auch für Scheidungsfolgenvereinbarungen, die die Ehegatten im Hinblick auf eine Ehekrise oder eine bevorstehende Scheidung getroffen haben6.
Verzicht auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs
Der vereinbarte Verzicht auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs stellt sich für die Antragstellerin zwar als nachteilig dar, führt jedoch für sich genommen noch nicht zur Sittenwidrigkeit der insoweit getroffenen Abrede.
Allerdings hat der Bundesgerichtshof den Versorgungsausgleich dem Kernbereich der Scheidungsfolgen zugeordnet und ausgesprochen, dass der Versorgungsausgleich als vorweggenommener Altersunterhalt einer vertraglichen Gestaltung nur begrenzt offensteht7.
Ein Ausschluss des Versorgungsausgleichs ist nach § 138 Abs. 1 BGB schon für sich genommen unwirksam, wenn er dazu führt, dass ein Ehegatte aufgrund des bereits beim Vertragsschluss geplanten (oder zu diesem Zeitpunkt schon verwirklichten) Zuschnitts der Ehe über keine hinreichende Alterssicherung verfügt und dieses Ergebnis mit dem Gebot ehelicher Solidarität schlechthin unvereinbar erscheint8.
Die richterliche Wirksamkeitskontrolle ist aber selbst im Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts keine Halbteilungskontrolle (vgl. auch §§ 3 Abs. 3, 18 VersAusglG). So kann ein vollständiger Ausschluss des Versorgungsausgleichs auch bei den in einer Ehekrise oder im Zusammenhang mit einer bereits beabsichtigten Scheidung geschlossenen Eheverträgen nicht dem Verdikt der Sittenwidrigkeit unterworfen werden, wenn ein nach der gesetzlichen Regelung stattfindender Versorgungsausgleich von beiden Ehegatten nicht gewünscht wird, soweit dies mit dem Grundgedanken des Versorgungsausgleichs vereinbar ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn beide Ehegatten während der Ehezeit vollschichtig und von der Ehe unbeeinflusst berufstätig waren und jeder seine eigene Altersversorgung aufgebaut oder aufgestockt hat, wobei aber der eine Ehegatte aus nicht ehebedingten Gründen mehr Versorgungsanrechte erworben hat als der andere9.
Ausschluss des Versorgungsausgleichs – und das Gebot der ehelichen Solidarität
Nach diesen Maßstäben erscheint hier der Ausschluss des Versorgungsausgleichs nicht als mit dem Gebot der ehelichen Solidarität schlechthin unvereinbar.
Die Antragstellerin war bis zur Geburt ihres ersten Kindes im Jahr 1981 in ihrem erlernten Beruf tätig. Diese sozialversicherungspflichtige Tätigkeit nahm sie im Jahr 1987 zunächst in Teilzeit wieder auf und übte sie später (auch zum Trennungszeitpunkt) vollschichtig aus. In den 14 Jahren der gesetzlichen Ehezeit (1.10.1981 bis 30.09.1995) war die Antragstellerin somit wegen der Kinderbetreuung rund sechs Jahre gar nicht und für einen weiteren Zeitraum von maximal sieben Jahren nur in Teilzeit beschäftigt.
Es ist zwar nicht auszuschließen, dass die – während der Ehezeit zeitweise erwerbstätige – Antragstellerin infolge der Ehe und Kinderbetreuung einen geringen ehebedingten Nachteil erlitten hat. Dieser ist allerdings aufgrund der Höherbewertung der Kindererziehungszeiten inzwischen nahezu kompensiert (vgl. §§ 70 Abs. 2, 249 Abs. 1 SGB VI). Vor diesem Hintergrund stehen betreuungsbedingte Versorgungsnachteile der Antragstellerin allenfalls in geringem Umfang im Raum, die jedenfalls keine solchen Dimensionen erreichen, dass sich der Versorgungsausgleichsverzicht als mit dem Gebot ehelicher Solidarität schlechthin unvereinbar und damit sittenwidrig darstellen würde. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin zum Zeitpunkt des Abschlusses der Scheidungsfolgenvereinbarung erst 34 Jahre alt war und trotz der drei gemeinsamen Kinder ihren erlernten Beruf bereits wieder vollschichtig ausübte, während der – zuvor bereits mehrfach geschiedene – Antragsgegner mit 55 Jahren in der letzten Phase seines Erwerbslebens stand. Die Beteiligten konnten somit davon ausgehen, dass die Antragstellerin noch ausreichend Zeit und Gelegenheit zum weiteren Ausbau ihrer Altersvorsorge haben würde.
Gesamtwürdigung der Scheidungsfolgenvereinbarung
Selbst wenn die Einzelregelung zu der betroffenen Scheidungsfolge (hier: Versorgungsausgleich) für sich genommen den Vorwurf der objektiven Sittenwidrigkeit nicht zu rechtfertigen vermag, kann sich ein Vertrag nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen einer Gesamtwürdigung als insgesamt sittenwidrig erweisen, wenn das Zusammenwirken aller darin enthaltenen Regelungen erkennbar auf die einseitige Benachteiligung eines Ehegatten abzielt10. Das kann hier aber schon deswegen dahinstehen, weil es jedenfalls an der subjektiven Seite der Sittenwidrigkeit fehlt.
Das Gesetz kennt keinen unverzichtbaren Mindestgehalt an Scheidungsfolgen zugunsten des berechtigten Ehegatten11, so dass auch aus dem objektiven Zusammenspiel einseitig belastender Regelungen nur dann auf die weiter erforderliche verwerfliche Gesinnung des begünstigten Ehegatten geschlossen werden kann, wenn die Annahme gerechtfertigt ist, dass sich in dem unausgewogenen Vertragsinhalt eine auf ungleichen Verhandlungspositionen basierende einseitige Dominanz dieses Ehegatten und damit eine Störung der subjektiven Vertragsparität widerspiegelt. Eine lediglich auf die Einseitigkeit der Lastenverteilung gegründete tatsächliche Vermutung für die subjektive Seite der Sittenwidrigkeit lässt sich bei familienrechtlichen Verträgen nicht aufstellen12. Ein unausgewogener Vertragsinhalt mag zwar ein gewisses Indiz für eine unterlegene Verhandlungsposition des belasteten Ehegatten sein. Gleichwohl wird das Verdikt der Sittenwidrigkeit in der Regel nicht gerechtfertigt sein, wenn sonst außerhalb der Vertragsurkunde keine verstärkenden Umstände zu erkennen sind, die auf eine subjektive Imparität, insbesondere infolge der Ausnutzung einer Zwangslage, sozialer oder wirtschaftlicher Abhängigkeit oder intellektueller Unterlegenheit, hindeuten könnten13.
In Übereinstimmung mit diesen Maßstäben hat das Oberlandesgericht zutreffend keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine subjektive Imparität zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu erkennen vermocht. Seine diesbezüglichen Ausführungen halten den Angriffen der Rechtsbeschwerde stand.
Mit Recht hat das Oberlandesgericht das Vorliegen einer strukturellen Unterlegenheit der Antragstellerin verneint. Diese war bei Abschluss der Scheidungsfolgenvereinbarung 34 Jahre alt und arbeitete nach der Geburt der drei Kinder wieder vollschichtig in ihrem Beruf als ausgebildete Sport- und Gymnastiklehrerin. Zuvor hatte sie mit dem Antragsgegner eine Pension betrieben. Bei Vertragsschluss verfügte sie somit bereits über vielfältige Erfahrungen im Berufsleben und war dem Antragsgegner nach den getroffenen Feststellungen auch nicht intellektuell unterlegen. Die Annahme des Oberlandesgerichts, die Antragstellerin habe die vertraglichen Regelungen in ihrer Bedeutung und ihren Auswirkungen intellektuell erfassen können, ist ebenfalls nicht zu beanstanden und wird als solche von der Rechtsbeschwerde auch nicht in Zweifel gezogen.
Auch wenn die Antragstellerin – anders als der Antragsgegner – sich erstmals in einer Trennungssituation befunden haben mag, lässt das nicht darauf schließen, dass sie nicht in der Lage war, sich mit etwaigen, ihr nach einer Scheidung zustehenden Ansprüchen vertraut zu machen und auf den Inhalt der Scheidungsfolgenvereinbarung Einfluss zu nehmen. Insbesondere sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Antragstellerin gehindert war, sich (erforderlichenfalls anwaltlich) beraten zu lassen, sollte sie – wie die Rechtsbeschwerde behauptet – ihre Ansprüche auf Unterhalt, Versorgungs- und Zugewinnausgleich tatsächlich zunächst nicht gekannt haben.
Zutreffend und von der Rechtsbeschwerde unbeanstandet hat das Oberlandesgericht auch keine Benachteiligung der Antragstellerin durch die konkrete Gestaltung des Beurkundungsverfahrens ausmachen können. Nach den getroffenen Feststellungen gingen sowohl die Initiative als auch die Entscheidung, wie der Vertrag „aussehen solle“, von beiden Ehegatten aus.
Soweit die Antragstellerin den Vertragstext vor der Beurkundung nicht gelesen und daher den Verzicht auf den Versorgungsausgleich übersehen haben will, ist das Oberlandesgericht rechtlich bedenkenfrei davon ausgegangen, dass sich die Antragstellerin nicht zulasten des Antragsgegners darauf berufen kann. Zudem ergibt sich aus dem Vertragstext, dass die Beteiligten vom Notar eingehend über die Folgen der Vereinbarung belehrt wurden und sie diese angesichts ihrer beiderseitigen persönlichen Verhältnisse für sachgerecht, ausgewogen und angemessen hielten.
Gleiches gilt für die Behauptung der Antragstellerin, sie habe nicht erkennen können, dass das (Voraus-)Vermächtnis wegen des lebzeitigen Verfügungsrechts des Antragsgegners letztlich keinen Ausgleich für ihre Verzichte darstellte. Ausweislich des Vertragstextes hat der Notar die Beteiligten insbesondere über die Vorschrift des § 2286 BGB belehrt. Gleichwohl sollte das danach bestehende – und ausdrücklich thematisierte – Verfügungsrecht des Antragsgegners nicht eingeschränkt werden.
Schließlich war die Antragstellerin auch nicht wirtschaftlich vom Antragsgegner abhängig. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses übte sie dieselbe vollschichtige Tätigkeit wie vor der Geburt ihres ersten Kindes aus und verfügte über ein Vermögen von mindestens 80.000 DM, so dass sie auch ohne den ökonomischen Rückhalt der Ehe einer gesicherten wirtschaftlichen Zukunft entgegensehen konnte und genügend wirtschaftliche Unabhängigkeit besaß, um auf die Gestaltung der Scheidungsfolgenvereinbarung Einfluss nehmen zu können.
Nichtigkeit einzelner Regelungen in der Scheidungsfolgenvereinbarung
An der Wirksamkeit der Vereinbarung zum Ausschluss des Versorgungsausgleichs würde angesichts der zu den Scheidungsfolgenvereinbarungen getroffenen Erhaltungsabrede (Ziff. D5 der Urkunde vom 19.07.1994) auch im Fall der Nichtigkeit anderer hier getroffener Scheidungsfolgenvereinbarungen die Regelung des § 139 BGB nichts ändern.
Der Bundesgerichtshof hat bereits darauf hingewiesen, dass für die Beurteilung der Frage, ob ein Ehevertrag auch ohne einzelne sittenwidrige und daher nichtige Vertragsbestandteile geschlossen worden wäre, eine in den Vertrag aufgenommene salvatorische Klausel nicht von vornherein unbeachtlich sein muss. Andererseits hat der Bundesgerichtshof auch ausgesprochen, dass dann, wenn sich das Verdikt der Sittenwidrigkeit aus der Gesamtwürdigung eines einseitig belastenden Ehevertrages ergibt, die Nichtigkeitsfolge notwendig den gesamten Vertrag erfasst, ohne dass eine Erhaltungsklausel hieran etwas zu ändern vermag. Denn dann erfüllt die salvatorische Klausel im Interesse des begünstigten Ehegatten die Funktion, den Restbestand eines dem benachteiligten Ehegatten aufgedrängten Vertragswerkes so weit wie möglich gegenüber der etwaigen Unwirksamkeit einzelner Vertragsbestimmungen rechtlich abzusichern; in diesem Falle spiegelt sich auch in der Vereinbarung der Erhaltungsklausel selbst die auf ungleichen Verhandlungspositionen beruhende Störung der Vertragsparität zwischen den Ehegatten wider. Lassen sich indessen – wie hier – ungleiche Verhandlungspositionen nicht feststellen, ist aus Rechtsgründen im Hinblick auf das Vorhandensein einer salvatorischen Klausel nichts gegen die Beurteilung zu erinnern, ein teilweise nichtiger Ehevertrag wäre auch ohne seine unwirksamen Bestimmungen geschlossen worden14.
Scheidungsfolgenvereinbarung – und die Ausübungskontrolle
Soweit die Regelungen eines Ehevertrags – wie hier – der Wirksamkeitskontrolle standhalten, muss der Richter im Rahmen einer Ausübungskontrolle prüfen, ob und inwieweit es einem Ehegatten nach Treu und Glauben unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) verwehrt ist, sich auf eine ihn begünstigende Regelung zu berufen. Entscheidend ist insofern, ob sich im Zeitpunkt des Scheiterns der Ehe aus dem vereinbarten Ausschluss der Scheidungsfolge eine evident einseitige, unzumutbare Lastenverteilung ergibt15.
Ob diese Grundsätze auch auf Scheidungsfolgenvereinbarungen anzuwenden sind, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung16. Jedenfalls bei Vereinbarungen wie der vorliegenden, bei denen der Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit demjenigen des Scheiterns der Ehe praktisch identisch ist, ist in der Regel kein Raum für eine Ausübungskontrolle, wie das Oberlandesgericht richtig erkannt hat. Da sich die Beteiligten bei Abschluss der Scheidungsfolgenvereinbarung bereits in der Trennungsphase befanden, konnten sich die ehelichen Lebensverhältnisse hier nicht mehr nach Vertragsschluss bis zum Scheitern der Ehe ändern und dadurch Anlass zu einer Ausübungskontrolle geben. Ein Rechtsmissbrauch ist insoweit nicht ersichtlich. Im Übrigen setzt die Anwendung der Ausübungskontrolle nach § 242 BGB voraus, dass die einvernehmliche Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse durch die beiden Eheleute von der ursprünglichen, dem Vertrag zugrundeliegenden Lebensplanung grundlegend abweicht17.
Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach die Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) auch auf Eheverträge Anwendung finden können, wenn und soweit die tatsächliche Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse von der ursprünglichen, im Ehevertrag zugrunde gelegten Lebensplanung abweicht15, erfasst den vorliegenden Fall nicht, wie das Oberlandesgericht richtig gesehen hat. Denn genau wie bei der Ausübungskontrolle ist insoweit Anknüpfungspunkt, ob sich die Lebensverhältnisse der Ehegatten vor dem Scheitern ihrer Ehe gegenüber der ursprünglichen Planung abweichend entwickelt haben. Eine solche Entwicklung liegt hier gerade nicht vor, weil bei Vertragsschluss keine ehelichen Lebensverhältnisse mehr bestanden haben, die sich danach noch hätten ändern können.
Auch auf Entwicklungen nach dem Scheitern der Ehe sind die allgemeinen Grundsätze des § 313 BGB anwendbar. Denn wie bei jedem anderen Vertrag können sich auch bei einer Scheidungsfolgenvereinbarung Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändern, so dass eine Vertragsanpassung verlangt werden kann, wenn die Vertragsparteien – hätten sie die Veränderung vorausgesehen – den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten. So liegt der Fall hier aber nicht.
Geschäftsgrundlage sind nach ständiger Rechtsprechung die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, bei Vertragsschluss aber zutage getretenen gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragsparteien sowie die der einen Vertragspartei erkennbaren und von ihr nicht beanstandeten Vorstellungen der anderen vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf diesen Vorstellungen aufbaut18. Voraussetzung dafür, dass bestimmte Vorstellungen der Parteien zur Geschäftsgrundlage erhoben werden, ist allerdings, dass diese in den gemeinsamen Geschäftswillen der Parteien aufgenommen werden und nicht bloß einseitige Erwartungen einer Partei darstellen19. Ein gemeinsamer Geschäftswille der Parteien kann auch dann vorliegen, wenn eine einseitige Vorstellung von der Geschäftsgrundlage der anderen Partei erkennbar geworden und von ihr nicht beanstandet worden ist20.
Gemessen hieran ist die Erwartung der Antragstellerin, die drei gemeinsamen Kinder würden in Erfüllung des (Voraus-)Vermächtnisses Miteigentümer des Hausgrundstücks werden, nicht zur Geschäftsgrundlage für die Scheidungsfolgenvereinbarung erhoben worden.
Zutreffend hat das Oberlandesgericht insoweit darauf abgestellt, dass nichts darauf hindeutet, die eine Regelung habe nicht ohne die andere gelten sollen. Im Gegenteil sieht der Text der Urkunde (ebenso wie der Vertrag vom 04.02.2015) ausdrücklich vor, dass die darin getroffenen Regelungen in ihrer Wirksamkeit voneinander unabhängig sein sollten. Gleichzeitig ist im Erbvertrag das lebzeitige Verfügungsrecht des Antragsgegners nach § 2286 BGB nicht nur erwähnt, sondern es sollte ausdrücklich nicht eingeschränkt werden.
Sollte die Antragstellerin die einseitige Erwartung gehegt haben, der Antragsgegner werde von seinem Verfügungsrecht gleichwohl keinen Gebrauch machen, konnte sie angesichts des Vertragsinhalts redlicherweise nicht davon ausgehen, dass der Antragsgegner diese Erwartung – dem Vertragswortlaut zuwiderlaufend – in seinen Geschäftswillen aufgenommen hat.
Auch die zwei Jahre nach der Trennung eingetretene Änderung der Betreuungssituation gibt keine Veranlassung zur Vertragsanpassung. Zum einen würde die von der Antragstellerin erstrebte Rechtsfolge des Ausgleichs der ehezeitlich erworbenen Versorgungsanrechte zu einer systemwidrigen Kompensation ihrer nachehezeitlichen Versorgungsnachteile führen. Zum anderen ist der Umstand, dass die Antragstellerin ihre Tätigkeit für eine gewisse Zeit auf sechs bis sechseinhalb Stunden täglich reduziert hat, nicht derartig schwerwiegend, dass ihr ein Festhalten am Vertrag nicht zugemutet werden könnte.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27. Mai 2020 – XII ZB 447/19
- AG Freudenstadt, Beschluss vom 09.02.2018 – 3 F 104/16[↩]
- OLG Stuttgart, Beschluss vom 05.09.2019 – 17 UF 54/18[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 22.10.2008 – XII ZB 110/06 , FamRZ 2009, 215 Rn. 9 ff.[↩]
- BGH, Beschluss vom 17.01.2018 – XII ZB 20/17 , FamRZ 2018, 577 Rn. 12 mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 29.01.2014 – XII ZB 303/13 , FamRZ 2014, 692 Rn. 17 mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 29.01.2014 – XII ZB 303/13 , FamRZ 2014, 629 Rn. 15 ff.; siehe auch BGH, Beschluss vom 03.11.1993 – XII ZB 33/92 , FamRZ 1994, 234, 235[↩]
- BGH, Beschluss vom 29.01.2014 – XII ZB 303/13 , FamRZ 2014, 629 Rn.19 mwN[↩]
- BGH, Beschluss vom 29.01.2014 XII ZB 303/13 , FamRZ 2014, 629 Rn.20 mwN[↩]
- BGH, Beschluss vom 29.01.2014 – XII ZB 303/13 , FamRZ 2014, 629 Rn. 28 f.[↩]
- BGH, Beschluss BGHZ 221, 308 = FamRZ 2019, 953 Rn. 35 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 28.03.2007 – XII ZR 130/04 , FamRZ 2007, 1310, 1311 und BGHZ 158, 81 = FamRZ 2004, 601, 604[↩]
- BGH, Urteil BGHZ 178, 322 = FamRZ 2009, 198 Rn. 32 f.[↩]
- BGH, Beschluss vom 17.01.2018 – XII ZB 20/17 , FamRZ 2018, 577 Rn.19 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 21.11.2012 – XII ZR 48/11 , FamRZ 2013, 269 Rn. 31 mwN[↩]
- BGH, Beschluss vom 20.06.2018 – XII ZB 84/17 , FamRZ 2018, 1415 Rn.20 mwN[↩][↩]
- vgl. zum Meinungsstand Kilger/Pfeil in Göppinger/Rakete-Dombek Vereinbarungen anlässlich der Ehescheidung 11. Aufl.05. Teil Rn. 116[↩]
- BGH, Beschluss vom 20.06.2018 – XII ZB 84/17 , FamRZ 2018, 1415 Rn.20 unter Hinweis auf BGH, Beschluss vom 08.10.2014 XII ZB 318/11 , FamRZ 2014, 1978 Rn. 24 mwN[↩]
- BGH, Beschluss vom 11.02.2015 – XII ZB 66/14 , FamRZ 2015, 734 Rn. 17 mwN[↩]
- BGH, Urteil vom 27.06.2012 XII ZR 47/09 , FamRZ 2012, 1363 Rn.20[↩]
- BGH Urteil vom 11.05.2001 – V ZR 492/99 NJW 2001, 2464, 2465 mwN[↩]
Bildnachweis:
- Ehering: PublicDomainPictures | CC0 1.0 Universal