Verspätete Einwendungen gegen im vereinfachten Unterhaltsverfahren – und die Rechtspflegerinnerung

Aktuell hatte sich der Bundesgerichtshof mit der Frage zu befassen, ob die durch eine verspätete Geltendmachung von Einwendungen bedingte Unzulässigkeit einer Beschwerde nach § 256 Satz 2 FamFG zur Statthaftigkeit der Rechtspflegererinnerung nach § 11 Abs. 2 RPflG gegen einen Unterhaltsfestsetzungsbeschluss nach § 253 FamFG führt.

Verspätete Einwendungen gegen im vereinfachten Unterhaltsverfahren – und die Rechtspflegerinnerung

Für den Fall, dass die Unzulässigkeit des Rechtsmittels auf der Nichtbeachtung von Form- und Fristerfordernisse durch den Rechtsmittelführer zurückzuführen ist, hat der Bundesgerichtshof diese Frage nunmehr verneint.

. Nach § 256 Satz 2 FamFG ist eine Beschwerde in einem vereinfachten Unterhaltsverfahren unzulässig, wenn sie sich auf Einwendungen nach § 252 Abs. 2 bis 4 FamFG stützt, die nicht erhoben waren, bevor der Festsetzungsbeschluss erlassen war. Im vorliegenden Fall war die danach unzulässige Beschwerde des Antragsgegners auch nicht als Rechtspflegererinnerung im Sinne von § 11 Abs. 2 RPflG zu behandeln:

Allerdings ist streitig, ob eine – wie hier – nach § 256 Satz 2 FamFG unzulässige Beschwerde zur Statthaftigkeit der Rechtspflegererinnerung nach § 11 Abs. 2 RPflG führt.

Teilweise wird dies unter Verweis auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28.05.20081 befürwortet. Die verfassungsrechtliche Rechtsschutzgarantie des Art.19 Abs. 4 GG gebiete auch in Fällen wie dem vorliegenden, eine richterliche Kontrolle der Entscheidung des Rechtspflegers zu ermöglichen2.

Überwiegend wird hingegen im Fall der Unzulässigkeit einer Beschwerde nach § 256 Satz 2 FamFG die Rechtspflegererinnerung als nicht statthaft erachtet. Die Vorschrift des § 11 Abs. 2 RPflG erfasse nicht den Fall eines unzulässigen Rechtsmittels infolge einer vom Rechtsmittelführer selbst versäumten Frist. Dies sei auch verfassungsrechtlich nicht geboten3.

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Die letztgenannte Auffassung ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofs jedenfalls für den hier zu entscheidenden Fall zutreffend:

Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 RPflG findet die Erinnerung gegen Entscheidungen des Rechtspflegers, gegen die ein Rechtsmittel nach den allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften nicht eingelegt werden kann, statt. Die Rechtspflegererinnerung ist danach immer dann eröffnet, wenn die Entscheidung, hätte sie ein Richter erlassen, im konkreten Fall unanfechtbar wäre, etwa weil von vornherein kein statthaftes Rechtsmittel gegeben oder ein statthaftes Rechtsmittel aus anderen Gründen unzulässig ist4.

Die letztgenannte Voraussetzung liegt nach allgemeiner und zutreffender Ansicht nicht vor, wenn die Unzulässigkeit des Rechtsmittels auf die Nichtbeachtung von Form- und Fristerfordernisse durch den Rechtsmittelführer zurückzuführen ist5.

Gemessen hieran findet die Rechtspflegererinnerung im vorliegenden Fall nicht statt.

Wäre der Festsetzungsbeschluss von einem Richter erlassen worden, hätte es hiergegen nicht von vornherein an einem statthaften Rechtsmittel gefehlt. Denn nach den §§ 256, 58 FamFG findet gegen den Festsetzungsbeschluss die Beschwerde statt.

Auch die Voraussetzungen, unter denen die Rechtspflegererinnerung eröffnet ist, weil das an sich statthafte Rechtsmittel aus anderen Gründen unzulässig ist, liegen nicht vor. Denn im vorliegenden Fall beruht die Unzulässigkeit der vom Antragsgegner eingelegten Beschwerde ausschließlich darauf, dass er die Ausschlussfrist der §§ 252 Abs. 5, 256 Satz 2 FamFG für die Geltendmachung von Einwendungen nicht eingehalten hat.

Aus Art.19 Abs. 4 GG ergibt sich im vorliegenden Fall nichts anderes.

Zwar hat der Bundesgerichtshof aus der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie des Art.19 Abs. 4 GG in bestimmten Fällen trotz Fehlens einer ausdrücklichen Regelung die Statthaftigkeit der Rechtspflegererinnerung hergeleitet6. Diese Notwendigkeit ergibt sich in der vorliegenden Konstellation, anders als die Rechtsbeschwerde meint, jedoch nicht.

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Die grundgesetzliche Garantie des Rechtsschutzes nach Art.19 Abs. 4 GG umfasst den Zugang zu den Gerichten, die Prüfung des Streitbegehrens in einem förmlichen Verfahren sowie die verbindliche gerichtliche Entscheidung7. Mit Art.19 Abs. 4 GG steht es daher nicht im Einklang, wenn hinsichtlich einer Entscheidung des Rechtspflegers einem Beteiligten im Ergebnis jede Möglichkeit einer richterlichen Überprüfung verwehrt wird8.

Die Rechtsschutzgewährleistung des Art.19 Abs. 4 GG erfordert aber keine voraussetzungslose Zugänglichkeit des Rechtswegs. Die Ausgestaltung der Voraussetzungen und Bedingungen des Zugangs zum Gericht bleibt vielmehr den jeweils geltenden Prozessordnungen überlassen. Dabei kann der Gesetzgeber auch Regelungen treffen, die für ein Rechtsschutzbegehren besondere formelle Voraussetzungen aufstellen und sich dadurch für den Rechtsuchenden einschränkend auswirken. Der Anspruch des Einzelnen auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle darf lediglich nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden9.

Nach diesen Grundsätzen gebietet Art.19 Abs. 4 GG im vorliegenden Fall nicht die Eröffnung der Rechtspflegererinnerung.

Die Vorschrift des § 256 Satz 2 FamFG beinhaltet keinen generellen Rechtswegausschluss. Denn sie verwehrt dem Antragsgegner nicht jede Möglichkeit einer richterlichen Überprüfung des Festsetzungsbeschlusses auf Einwendungen nach § 252 Abs. 2 bis 4 FamFG, sondern schränkt den Zugang zum Beschwerdegericht lediglich dadurch ein, dass die Einwendungen erhoben sein müssen, bevor der Feststellungsbeschluss erlassen war.

Insoweit unterscheidet sich der hier zu entscheidende Fall auch maßgeblich von dem vom Bundesgerichtshof am 28.05.20081 entschiedenen, auf den sich die Rechtsbeschwerde stützt. In diesem Fall hatte der Bundesgerichtshof die Statthaftigkeit der Rechtspflegererinnerung mit Blick auf Art.19 Abs. 4 GG deshalb bejaht, weil der dortige Antragsteller eines vereinfachten Unterhaltsverfahrens von Anfang an keine Möglichkeit hatte, gegen den Festsetzungsbeschluss eine Beschwerde in zulässiger Weise einzulegen, da ihm mit seinen erhobenen Einwänden von vornherein keine Anfechtungsgründe nach § 652 Abs. 2 ZPO (jetzt: § 256 FamFG) zur Seite gestanden haben10. Im vorliegenden Fall hingegen hatte der Antragsgegner die Möglichkeit, eine Beschwerde in zulässiger Weise einzulegen. Denn die Beschwerde kann grundsätzlich auch auf die vom Antragsgegner erhobenen Einwendungen nach § 252 Abs. 2 bis 4 FamFG gestützt werden. Unzulässig war das Rechtsmittel lediglich deshalb, weil der Antragsgegner seine Einwendungen verspätet im Sinne von § 256 Satz 2 FamFG geltend gemacht hat.

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Die mit der Vorschrift des § 256 Satz 2 FamFG einhergehende Rechtswegerschwerung als solche hat den Anspruch des Antragsgegners auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle auch nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert.

§ 256 Satz 2 FamFG beruht auf dem sachlichen Grund, einem minderjährigen Kind einen einfachen und schnellen Vollstreckungstitel über den Unterhalt zu verschaffen11. Dem Antragsgegner eines vereinfachten Unterhaltsverfahrens, auf den die Rechtswegerschwerung vorwiegend abzielt, steht dabei nach § 253 Abs. 1 Satz 1 iVm § 251 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 FamFG vor Erlass des Festsetzungsbeschlusses auch ein ausreichender Zeitraum von jedenfalls einem Monat12 zur Verfügung, um Einwendungen nach § 252 Abs. 2 bis 4 FamFG geltend machen zu können, die er sodann auch in einem richterlichen Rechtsmittelverfahren in zulässiger Weise erheben kann13. Diese Frist ist vorliegend von der Rechtspflegerin des Amtsgerichts beachtet worden. Ein unverschuldetes Fristversäumnis seitens des Antragsgegners wird mit der Rechtsbeschwerde nicht geltend gemacht.

Daneben stand bzw. steht dem Antragsgegner auch die Möglichkeit zur Verfügung, richterlichen Rechtsschutz gegen den Festsetzungsbeschluss im Wege eines sogenannten Korrekturverfahrens nach § 240 FamFG14 zu erlangen. Der Gegenstand dieses Korrekturverfahrens ist dabei nicht auf die Abänderung der Entscheidung wegen einer wesentlichen Veränderung der Verhältnisse beschränkt15. Vielmehr findet in diesem Verfahren eine Anpassung des vom Rechtspfleger titulierten Unterhalts an den nach den konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls geschuldeten Betrag statt16. Wird der Antrag auf Herabsetzung des Unterhalts von einem Unterhaltsschuldner innerhalb eines Monats nach Rechtskraft der Unterhaltsfestsetzung erhoben, kann diese gemäß § 240 Abs. 2 Satz 1 FamFG auch rückwirkend abgeändert werden15.

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In dieser Gesamtschau17 ist der Rechtsweg für den Antragsgegner im vorliegenden Fall nicht unzumutbar erschwert. Mithin ist auch die Eröffnung der Rechtspflegererinnerung nicht geboten.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12. Oktober 2022 – XII ZB 450/21

  1. BGH, Beschluss vom 28.05.2008 – XII ZB 104/06 FamRZ 2008, 1433[][]
  2. vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2015, 1993; OLG Naumburg Beschluss vom 31.05.2013 – 3 WF 132/13; OLG Brandenburg FamRZ 2012, 1894; OLG Köln Beschluss vom 30.03.2012 26 UFH 3/12; OLG Frankfurt FamRZ 2012, 465; Schwamb in Bumiller/Harders/Schwamb FamFG 12. Aufl. § 256 Rn. 3; Maurer FamRZ 2014, 1053, 1054[]
  3. vgl. OLG Frankfurt [8. Bundesgerichtshof für Familiensachen] Beschluss vom 27.02.2018 8 UF 12/18 14; OLG Frankfurt [5. Bundesgerichtshof für Familiensachen] FamRZ 2018, 115; OLG Frankfurt [4. Bundesgerichtshof für Familiensachen] Rpfleger 2018, 84; OLG Dresden FamRZ 2017, 1244; OLG Jena FamRZ 2015, 1513; OLG Brandenburg [5. Bundesgerichtshof für Familiensachen] FamRZ 2014, 681; OLG Bremen FamRZ 2013, 560; Wendl/Dose/Schmitz Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 10. Aufl. § 10 Rn. 685; Hintzen in Arnold/Meyer-Stolte/Rellermeyer/Hintzen/Georg RPflG 9. Aufl. § 11 Rn. 128; Keidel/Giers FamFG 20. Aufl. § 256 Rn. 13; Prütting/Helms/Bömelburg FamFG 5. Aufl. § 256 Rn. 32; BeckOK FamFG/Weber [Stand: 1.04.2022] § 252 Rn. 30 und § 256 Rn. 12b; Borth/Grandel in Musielak/Borth FamFG 6. Aufl. § 256 Rn. 4; Bahrenfuss/Blank FamFG 3. Aufl. § 117 Rn. 2; Langheim in Dutta/Jacoby/Schwab FamFG 4. Aufl. § 256 Rn. 21; Zöller/Lorenz ZPO 34. Aufl. § 256 FamFG Rn. 13[]
  4. BGH, Beschluss vom 22.03.2017 XII ZB 391/16 , FamRZ 2017, 979 Rn. 8[]
  5. vgl. OLG Dresden FamRZ 2017, 1244; OLG Nürnberg MDR 2005, 534; OLG Bremen FamRZ 2013, 560; Hintzen in Arnold/Meyer-Stolte/Herrmann/Rellermeyer/Hintzen RPflG 9. Aufl. § 11 Rn. 54; Zöller/Herget ZPO 34. Aufl. § 104 Rn. 15; Musielak/Voit/Flockenhaus ZPO 19. Aufl. § 104 Rn. 22; MünchKomm-ZPO/Schulz 6. Aufl. § 104 Rn. 123; Anders/Gehle/Bünnigmann ZPO 80. Aufl. § 104 Rn. 44[]
  6. vgl. BGH, Beschluss vom 22.03.2017 XII ZB 391/16 , FamRZ 2017, 979 Rn. 11 ff. mwN; vgl. dazu auch BT-Drs. 13/10244 S. 7[]
  7. BVerfGE 107, 395 = FamRZ 2003, 995, 996[]
  8. vgl. BVerfG FamRZ 2001, 828[]
  9. BVerfGE 101, 397 = FamRZ 2000, 731, 733[]
  10. vgl. BGH, Beschluss vom 28.05.2008 XII ZB 104/06 FamRZ 2008, 1433 Rn. 14 ff.[]
  11. vgl. BGH, Beschluss vom 28.05.2008 XII ZB 34/05 , FamRZ 2008, 1428 Rn.20; BGH, Urteil vom 02.10.2002 XII ZR 346/00 , FamRZ 2003, 304, 305; BT-Drs. 16/6308 S. 261 iVm BT-Drs. 13/7338 S. 36; BT-Drs. 14/7349 S. 26[]
  12. vgl. dazu BVerfGE 61, 82 = NJW 1982, 2173, 2177[]
  13. vgl. dazu OLG Hamburg FamRZ 2021, 1138; OLG Celle FamRZ 2012, 141[]
  14. vgl. BGH, Beschluss vom 14.10.2015 XII ZB 150/15 , FamRZ 2016, 115 Rn. 4[]
  15. vgl. BGH, Urteil vom 02.10.2002 XII ZR 346/00 , FamRZ 2003, 304 zu § 654 ZPO[][]
  16. vgl. BT-Drs. 16/6308 S. 258 f. iVm BT-Drs. 13/7338 S. 43; Keidel/Meyer-Holz FamFG 20. Aufl. § 240 Rn. 2; Prütting/Helms/Bömelburg FamFG 5. Aufl. § 256 Rn. 32[]
  17. vgl. OLG Frankfurt [5. Bundesgerichtshof für Familiensachen] FamRZ 2018, 115; OLG Frankfurt [4. Bundesgerichtshof für Familiensachen] Rpfleger 2018, 84; Wendl/Dose/Schmitz Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 10. Aufl. § 10 Rn. 685[]
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