Vollstreckbarerklärung von EU-Unterhaltstiteln – und der Erfüllungseinwand

Soweit die Unterhaltsverpflichtungen des Unterhaltsschuldners erfüllt oder erlassen worden sind, handelt es sich dabei um eine nachträgliche rechtsvernichtende Einwendung im Sinne von § 767 ZPO, die nicht unter die Anerkennungsversagungsgründe des Art. 24 EuUnthVO fällt und im Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht berücksichtigt werden kann.

Vollstreckbarerklärung von EU-Unterhaltstiteln – und der Erfüllungseinwand

Hieran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die von dem Titelschuldner im Rechtsbehelfsverfahren vorgebrachten nachträglichen materiellrechtlichen Einwendungen – wie hier – nicht bestritten und zudem noch durch Urkunden belegt, mithin liquide sind.

Der Europäische Gerichtshof hat Art. 45 Brüssel I-VO in seiner Entscheidung vom 13.10.2011 dahin ausgelegt, dass er der Versagung oder Aufhebung der Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung durch ein Gericht, das über einen Rechtsbehelf gemäß Art. 43 oder 44 Brüssel I-VO entscheidet, aus anderen als den in Art. 34 und 35 Brüssel I-VO genannten Gründen entgegensteht; dies gilt insbesondere für den Einwand, dass der Forderung im Ursprungsstaat nachgekommen worden ist1. Da der Europäische Gerichtshof in seinen Entscheidungsgründen – anders als noch die Generalanwältin in ihren Schlussanträgen2 – nicht ausdrücklich zwischen liquiden und illiquiden Einwendungen unterscheidet, wird die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Sache Prism Investments weitgehend3 dahin verstanden, dass Art. 45 Brüssel I-VO (dementsprechend auch Art. 34 EuUnthVO) selbst die Berücksichtigung liquider nachträglich entstandener materieller Einwendungen ausschließe. Diesem Verständnis liegt ersichtlich auch die Aufhebung des früheren § 44 AUG und dessen Ersetzung durch § 59 a AUG durch das Gesetz zur Durchführung des Haager Übereinkommens vom 23.11.2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen sowie zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des internationalen Unterhaltsverfahrensrechts und des materiellen Unterhaltsrechts vom 20.02.20134 zugrunde5.

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An seiner früheren und von der Rechtsbeschwerde in Bezug genommenen Rechtsprechung, wonach höherrangiges Unionsrecht der Berücksichtigung nachträglich entstandener materiellrechtlicher Einwendungen im Vollstreckbar- erklärungsverfahren nach Art. 32 ff. Brüssel I-VO (und entsprechend nach Art. 23 ff. EuUnthVO) dann nicht entgegenstünde, wenn diese Einwendungen unstreitig oder rechtskräftig festgestellt sind6, hält der Bundesgerichtshof daher nicht mehr fest.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23. September 2015 – XII ZB 234/15

  1. vgl. EuGH, Urteil vom 13.10.2011 – C-139/10 , NJW 2011, 3506 Rn. 34 ff. – Prism Investments[]
  2. EuGH, Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 16.06.2011 – C-139/10 Prism Investments BV/van der Meer[]
  3. vgl. auch BGH Beschluss vom 10.10.2013 – IX ZB 87/11 3[]
  4. BGBl. I S. 273[]
  5. vgl. BT-Drs. 17/10492 S. 12[]
  6. BGH, Beschluss BGHZ 171, 310 = FamRZ 2007, 989 Rn. 26 ff.[]